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Buchrezension von „Datenjournalismus“: Das Datendickicht als Geschichte

Was ist Datenjournalismus, welches Know-how wird dafür benötigt? Lorenz Matzat bietet in seinem Buch „Datenjournalismus. Methode einer digitalen Welt“ auf 102 Seiten einen kurzweiligen Einstieg für Anfänger in das Thema. Wenn es um Details geht, verweist der Autor auf spezielle Webseiten.

Noch immer ist Datenjournalismus für viele Journalisten ein Buch mit sieben Siegeln. Der Autor Lorenz Matzat, Journalist und Softwareunternehmer, definiert in „Datenjournalismus. Methode einer digitalen Welt“ diese Art des Journalismus „als Format, in dem einem Datensatz (oder mehreren) eine wesentliche Rolle zukommt“. Und als „Zweischritt“: Erstens müssen Daten gesäubert und veredelt werden; der zweite Schritt „ist dann der eigentliche Bericht, bei dem die verwendeten Daten mittels interaktiver Visualisierungen dazu beitragen, einen Sachverhalt zu schildern“.

Was Datenjournalismus ist und was nicht

Ein Datenlager kann Tausende oder Millionen von Daten enthalten (etwa alle Kassenzettel einer Supermarkt-Filiale, weltweite Agrarsubventionen über Jahrzehnte nach Ländern, Kundendateien einer Bank). Häufig handelt es sich um Statistiken, es können aber auch Texte sein (etwa Panama Papers). Bei der Analyse des Datendickichts geht es darum, Auffälligkeiten, relevante Muster, Trends und Zusammenhänge zu erkennen, um dann eine entsprechende Geschichte zu erzählen. Dazu müssen in aller Regel eigene Berechnungen und Analysen angestellt und Daten visualisiert werden.

Gemeint ist damit nicht, Statistiken wiederzugeben, die Pressestellen, Organisationen etc. verbreiten. Weiter macht das „reine Hinzufügen eines Balkendiagramms, eines Netzwerkgraphs oder einer interaktiven Karte aus einem Text noch kein datenjournalistisches Stück“, so Matzat. Infografiken, Statistiken und Diagramme gehören seit Langem zum traditionellen Journalismus. Die Medienrealität sieht etwas anders aus: Mittlerweile werden viele Artikel mit einzelnen Zahlen, kleinen Berechnungen und deren Visualisierung mit dem Label Datenjournalismus versehen.

Spezifisches Wissen

Das Buch bietet in vier Kapiteln einen Schnelldurchlauf durch den Datenjournalismus: Einführung (Definition, Aufkommen des Genre Datenjournalismus), Grundlagen des Datenjournalismus, Methodik und Veröffentlichung.

In den „Grundlagen des Datenjournalismus“ wird darauf hingewiesen, dass Daten in aller Regel in Formaten wie PDF, JSON, CSV und XLS vorliegen und in der Folge für eigene Zwecke aufbereitet werden müssen. Da liegt nicht selten der Teufel im Detail. Zudem können manchmal Datenbankanfragen (in der Regel bei Statistikämtern, Institutionen wie Weltbank und Uno, Open-Data-Lagern, Geoinformationssystemen usw.)  gewisse Abfrage- und Programmierkenntnisse erfordern – ebenso wie die Datenübernahme und das Zusammenführen von Datensätzen.

Die „Methodik“ behandelt unter anderem Sachverhalte wie Datensichtung, Statistik (eine Korrelation ist noch lange kein Zusammenhang) und die Frage, ob etwas überhaupt berichtenswert ist. Fortgeschrittenes Excel-Wissen ist mehr oder weniger ein Muss. Etwas kurz behandelt wird dabei, wie Daten überhaupt zustande kommen (etwa Design und Fragen von Umfragen, Stichprobe) – also alles, was vor der Datenanalyse stattfindet. Als Sozialwissenschaftler weiß man, dass aus Kosten- und Zeitgründen gerne ungenau gearbeitet wird. Nicht einmal Zahlen von Statistikämtern sind immer über jeden Zweifel erhaben (selbst Einwohnerzahlen können von hoher Unschärfe sein). Die Nutzerzahlen von Firmen, Organisationen und Social-Media-Betreibern beinhalten häufig Millionen von Karteileichen, Doppelzählungen usw.

Das Kapitel „Veröffentlichung“ befasst sich mit Tools der Datenanalyse und der Datenvisualisierung, wobei der Autor die Funktionen der Programme (Google Docs, CartoDB, Colorbrewer usw.) in zwei, drei Sätzen beschreibt und auf weitergehende Informationen im Web verweist. Der Verweis auf Webadressen mit zusätzlichen Informationen ist allen Kapiteln gemeinsam. Das heißt auch, dass der Leser vergebens Tiefergehendes und Lernbeispiele (auch, was man falsch machen kann) sucht. Kurzum: Der Weg zum Datenjournalisten ist kein Herbstspaziergang, denn all die Verweise sollten durchgearbeitet werden.

Einzelkämpfer oder Teams?

Undiskutiert bleibt, ob es nun „den einzelkämpferischen“ Datenjournalisten oder Datenjournalismus-Teams mit Programmierer, Datenanalyst, Grafiker geben soll. Oder: Ab welcher Redaktionsgröße sind Datenjournalisten und ihre aufwendigen Recherchen sinnvoll? Kann das ein Feld für Freie sein?

Generell stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob nicht eine Aufgabe des Datenjournalisten darin bestehen sollte, Redaktionskollegen zu unterstützen. Diese werden ja tagtäglich mit Daten, Zahlen, Kennzahlen und entsprechenden Interpretationen von Firmen, Organisationen und staatlichen Stellen bombardiert, die dann zentrale Elemente von Artikeln darstellen. Selbst der durchschnittliche Journalist sollte wissen, dass zum Beispiel Arbeitslosenzahlen oder Rankings bloße Konstrukte sind und deren Interpretation je nach politischen oder wirtschaftlichen Ansichten in diese oder eine andere Richtung gehen können. Kleiner Tipp: Gerade widersprüchliche Zahlen oder fragwürdige Interpretationen können Aufhänger für gute Geschichten sein.

Fazit

Eine grundlegende Einführung ist das Buch von Matzat (Blog: www.datenjournalist.de) kaum, kann es bei einem Umfang von 102 Seiten auch gar nicht sein. Das Buch liefert dem Einsteiger einen Einblick in das Thema Datenjournalismus und in die grundlegenden Vorgehensweisen. Was fehlt, sind nachvollziehbare Beispiele.

Grundsätzlich tut man sich als Rezensent mit einer Buchkritik schwer, da Matzat ständig auf Websites mit weitergehenden Informationen verweist – was offensichtlich das Konzept des Bandes darstellt. Auf jeden Fall täte einer Neuauflage oder einem grundlegenden Datenjournalismus-Band ein Kapitel zum Nutzen und zur Nutzung (Können Rezipienten viele Infografiken überhaupt auf die Schnelle entschlüsseln?) des Genres Datenjournalismus gut.

datenjournalismus_coverAutor: Lorenz Matzat

Titel: Datenjournalismus. Methode einer digitalen Welt

Preis: EUR 17,99

Umfang: 102 Seiten

Erscheinungsjahr: 07/2016, 1. Auflage

Verlag: UVK Verlagsgesellschaft

ISBN: 978-3-86764-651-2

 

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Manfred_WeiseDer Rezensent Manfred Weise, geboren 1955, ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er lebt in der Schweiz  und arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen wie die „Neue Zürcher Zeitung“ und das „St. Galler Tagblatt“. Als Fachjournalist ist er auf die Bereiche IT, Telekommunikation und Sport spezialisiert.

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