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Crossmediale Journalistenausbildung in Deutschland

Wie werden Journalisten in Zukunft arbeiten? „Crossmedial“ sagen Experten, die sich mit den aktuellen Entwicklungen beschäftigen. Was sich hinter diesem Modewort verbirgt, bleibt dabei oft schleierhaft. Wie journalistische Ausbildungsstätten mit der Bedeutung des Themas umgehen und welche Wege sie bei der Umsetzung von Crossmedia verfolgen, soll dieser Beitrag zeigen.

Box2Der Begriff „Crossmedia“ taucht überall auf, wo „eine wie auch immer geartete Verbindung zwischen verschiedenen Medien“ besteht (Schweiger, W. 2002, S. 125). Was hinter dem Begriff steckt, das ist auch für Experten nicht immer leicht einzuordnen.

Für Annette Moll, Ausbildungsleiterin der Electronic Media School, ist die Vernetzung der einzelnen Ausspielkanäle der zentrale Punkt (Moll, A. in: Bruns, F. 2013, S. 55). Für den Leiter der Deutschen Journalistenschule Jörg Sadrozinski gehört vor allem die Entwicklung neuer Formate zu crossmedialer Arbeit (Sadrozinski, J. in: Bruns, F. 2013, S. 55).

Was unter „neuen Formaten“ und damit als ein Beispiel für die Umsetzung des Begriffs „Crossmedia“ verstanden werden kann, hat das Feature Snowfall der New York Times eindrucksvoll gezeigt: Die Geschichte eines Lawinenunglücks wird multimedial erzählt und zu einer faszinierenden Symbiose verschiedener Kanäle, deren Potenziale perfekt aufeinander abgestimmt sind. Die eingesetzten Medien sind nicht neu, doch aus der Kombination von Text, Film, Animation und Slideshows entsteht etwas Neuartiges. Vielleicht das Digital Publishing der Zukunft?

Wer solch ein Projekt realisieren will, muss crossmedial ausgebildet sein und die Darstellungsmöglichkeiten und -einschränkungen der Medien kennen, um die Kanäle optimal miteinander verknüpfen zu können. Große Geschichten können aus verschiedenen Perspektiven und somit auch für unterschiedliche Zielgruppen parallel aufbereitet und weitergedreht werden.

Die Schüler der Axel-Springer-Akademie beispielsweise entwickeln seit einigen Jahren crossmediale Abschlussprojekte. In diesem Jahr Wahllos.de – eine in zwei Wochen entstandene Internetseite, die verschiedene Perspektiven des Nichtwählens aufzeigt; mit Scrollreportagen, Videos, Audios und Grafiken.

Auch weitere Journalistenschulen, Hochschulen und Volontariate geben inzwischen an, crossmedial auszubilden. Es werden Studiengänge mit entsprechenden Schwerpunkten entwickelt oder neue Inhalte in alte Lehrpläne eingebaut, um die Absolventen zukunftsfähig zu machen.

Crossmedia-Kompetenz

Der Begriff Crossmedia hat viele Dimensionen. Um sich der Bedeutung zu nähern, muss nicht nur auf die inhaltliche Ebene geachtet werden. Vielmehr bezeichnet Crossmedia auch eine unternehmerische Strategie, die medienübergreifende Konzepte auf Produktionsebene – den Darstellungsmöglichkeiten und -einschränkungen des Mediums gerecht – umsetzt. Dabei werden die verschiedenen Mediengattungen zum Beispiel in Form von Verweisen miteinander vernetzt. Crossmedia bedeutet allerdings nicht, dass die journalistische Kompetenz sich gewandelt hat – sie hat sich ausgeweitet.

Abb. 1: Kompetenzmodell (Quelle: eigene Darstellung von F. Bruns in Anlehnung an Meier, K. 2007, S. 220.)

Abb. 1: Kompetenzmodell (Quelle: eigene Darstellung von F. Bruns in Anlehnung an Meier, K. 2007, S. 220)

Das Kompetenzmodell nach Meier (Meier, K. 2007, S. 220) bildet immer noch die Kernkompetenzen ab; das zeigt auch die Sichtung von Lehrplänen crossmedialer Ausbildungswege. Die Crossmedialität der Ausbildung spiegelt sich in verschiedenen Kompetenzdimensionen wieder:

  • Auf technischer Ebene beinhaltet Crossmedia-Kompetenz die Fähigkeit, mehrere Kanäle zu bedienen, die Aufbereitungswege und Redaktionssysteme zu beherrschen und für alle Medien als Produzent aufzutreten.
  • Im Bereich der Vermittlungskompetenz ist es wichtig, die spezifischen Präsentationstechniken anwenden zu können sowie Medien zu neuen Darstellungsformen zu verknüpfen und dabei auch auf eine publikums- und zielgruppengerechte Aufbereitung zu achten.
  • Redaktionsmanagement und die Entwicklung crossmedialer Konzepte sind hingegen eng mit der Organisations- und Konzeptionskompetenz verknüpft. Hier ist es nicht nur mit der Verknüpfung der Kanäle getan – auch die Redaktionen müssen gezielter zusammenarbeiten (Stichwort: Newsroom).

Wie wird crossmedialer Journalismus gelehrt?

Die traditionelle Ausbildung

  • Das Volontariat ist die erste Form der Journalistenausbildung, die sich in Deutschland entwickelt hat. Sie gilt als das Modell mit der stärksten Praxisausrichtung. Hinter dem Begriff verbirgt sich ein befristetes Arbeitsverhältnis, mit dem Ziel, den Volontär zum Redakteur auszubilden. Da es außer den Ausbildungstarifverträgen für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanbieter keine festgeschriebenen Normen gibt, gestaltet sich die Ausbildung in den einzelnen Betrieben unterschiedlich. Häufig steht ein Volontariat nicht mehr alleine, sondern wird beispielsweise mit einem Studium kombiniert (Weischenberg, S. et al. 2006, S. 67). (Einen Leitfaden für journalistische bzw. fachjournalistische Volontariate finden Sie hier.)
  • Die Akademisierung des Journalistenberufs hat seit den 60er-Jahren stark zugenommen (Weischenberg S., et al. 2006, S. 68). Wer Journalismus studieren möchte, hat inzwischen viele Möglichkeiten: Anbieter sind dabei sowohl staatliche Universitäten und Fachhochschulen als auch private Hochschulen. „Journalistik-Studiengänge haben den Anspruch, die journalistischen Kompetenzen durch Forschung und Lehre, in Theorie und Praxis integrativ zu vermitteln“ (Meier, K. 2007, S. 20). (Eine Übersicht relevanter deutscher Hochschulstudiengänge finden Sie hier.)
  • Das Modell der Journalistenschule ist in der Regel handwerklich-technisch orientiert (Nowak, E. 2007, S. 118). Unter dem nicht geschützten Begriff können sich dabei sehr unterschiedliche Konzepte verbergen, da die Schulen verschiedene Organisationsformen haben. Einige befinden sich in freier Trägerschaft, andere sind verlags-, konfessions- oder stiftungsgebunden. In den letzten Jahren hat sich das Modell etabliert, was sich darin zeigt, dass viele der großen Medienunternehmen ihre Ausbildung inzwischen lieber komplett oder teilweise in einer Journalistenschule als innerhalb eines reinen Volontariats anlegen. (Einen Überblick der wichtigsten Journalistenschulen in Deutschland finden Sie hier.)

Schon diese kurze Erläuterung der drei Modelle zeigt: Die Ausbildungen sind von unterschiedlichen Rahmenbedingungen geprägt. Dauer, Finanzierung sowie Zulassung und Anzahl der Auszubildenden werden verschieden gehandhabt. Während eine regionale Zeitung häufig nur einen Volontär beschäftigt, der dann verlagsübergreifende Kurse mit anderen Volontären belegt, werden zu einem Journalistikstudium deutlich mehr Anwärter aufgenommen.

Theorie und Praxis
Generell kann in der Ausbildung zwischen praktischen und theoretischen Lerninhalten unterschieden werden. Dabei ist es allen Ausbildungsstätten wichtig, diese beiden Komponenten zu verknüpfen. An Hochschulen ist der theoretische Anteil höher, da hier auch wissenschaftlich gearbeitet wird. Ein Studium mit einer Regelstudienzeit von mindestens drei Jahren bietet dabei auch mehr Raum für Reflexion und den Aufbau von Sachkompetenz.

Praxis im Volontariat bedeutet vor allem: Erfahrungen in der realen Berufswelt sammeln. Sowohl an Journalistenschulen als auch an Hochschulen besteht hingegen oft die Möglichkeit, in einem „geschützten“ Raum zu arbeiten, wie beispielsweise in einer Lehrredaktion. So gibt es an der Deutschen Journalistenschule etwa das Online-Magazin „Klartext“, das von der jeweiligen Lehrredaktion crossmedial gestaltet wird. Volontariate bereiten sich also hauptsächlich auf das vor, was in den eigenen Redaktionen gefragt ist, während Journalistenschulen und Hochschulen meist auf kein konkretes Medium ausgerichtet und breiter aufgestellt sind.

Unbestritten ist: Handwerkliche Fähigkeiten sollen immer anwendungsbezogen vermittelt werden. Projekte, Labore und Kooperationen mit Medienunternehmen sind aktivierende Lernformen, die an Journalistenschulen und Hochschulen großen Raum einnehmen. Die Schülerinnen und Schüler der Evangelischen Journalistenschule sind zum Beispiel beim Evangelischen Kirchentag für die Multimediaredaktion zuständig.

Sonderfall Universität Dortmund
Eine Kombination aus Studium und Volontariat wird seit mehreren Jahren an der Universität Dortmund praktiziert. Dem geschäftsführenden Direktor des Instituts für Journalistik, Michael Steinbrecher, ist es wichtig, neben einer fundierten wissenschaftlichen Ausbildung auch praktische Lehrinhalte zu vermitteln, um so wesentliche Erfolgsfaktoren der Journalistenausbildung zu verbinden (Steinbrecher, M. in: Bruns, F. 2013: 43).

Das einjährige Volontariat innerhalb des Studiums wird durch Reflexionsseminare begleitet, in denen über Erlebnisse und Erfahrungen diskutiert werden kann. Hierdurch soll das reine „Anlernsystem“ (Nowak, E. 2007: 113) unterbrochen werden, das dem üblichen Volontariat oft vorgeworfen wird.

In den Lehrredaktionen werden die Studierenden vorbereitet. Hier gilt: Online für alle! Es werden Print, Radio oder TV jeweils mit Online kombiniert. Zunächst wird also in zwei Redaktionen gearbeitet.

Von Anfang an Crossmedia?
Wer sich an der Henri-Nannen-Schule crossmedial ausbilden lässt, der bekommt Online, Hörfunk und TV gleich gemeinsam vermittelt. Die Mediengattungen Online, Hörfunk und TV werden in einem Crossmedia-Seminar thematisiert und – außer eventuell in Praktika – nicht getrennt voneinander betrachtet. An der Electronic Media School wird der Umgang mit den einzelnen Kanälen hingegen zunächst separat erprobt, bevor dann nach und nach alle Medien miteinander verbunden werden.

Diese beiden Varianten finden sich in allen betrachteten Einrichtungen. Spätestens gegen Ende der Ausbildung gibt es dann überall die Möglichkeit, crossmedial zu arbeiten, zum Beispiel im Rahmen eines Abschlussprojektes. Crossmedia findet in den Ausbildungsangeboten also sowohl auf Redaktions- als auch auf Produktionsebene statt.

Transformierte Lehrpläne
Die sich ändernden Anforderungen und Entwicklungen im Kontext von Crossmedia werden von den betrachteten Einrichtungen unterschiedlich intensiv thematisiert.

Die Angebote „Journalismus 2.0“ im Volontariat der WAZ-Gruppe oder „Aktuelle Medienentwicklungen“ an der Universität Eichstätt-Ingolstadt bleiben beispielsweise recht allgemein. Aber auch spezifischere Seminare zu Themen wie Suchmaschinenmarketing, Website-Usabilty oder Content-Management-Systemen stehen auf vielen Lehrplänen.

„Jeder sollte ein Grundverständnis von Webdesign haben“, meint beispielsweise Lars Rinsdorf, Studiendekan an der Hochschule der Medien (HdM) in Stuttgart. HTML, InDesign und Photoshop sind hier Ausbildungsinhalte, die als relevant erachtet und deshalb gelehrt werden.

Unabhängig davon, wie explizit sich das Thema Crossmedia oder die Vermittlung spezifischer Fähigkeiten im Lehrplan wiederfinden, sind sich alle Experten einig: Online-Kompetenz ist nur eine wichtige Voraussetzung für crossmediales Arbeiten.

Unterschiede und Schwerpunkte
Die benannten Ausbildungen unterscheiden sich vor allem aufgrund der sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen. Schon die Trägerschaft hat deutliche Auswirkungen auf Form und Inhalt.
Und auch die Angebote innerhalb eines Ausbildungsweges zeigen klare Unterschiede.

Einige Beispiele: Die SAE (ehemals: School of Audio Engineering) Berlin sieht ihre Vorteile in der teuren und professionellen Technik, die Evangelische Journalistische Schule betont ethische Inhalte der Ausbildung, das Volontariat der Augsburger Allgemeinen fokussiert sich auf die Nutzer vor Ort und ihre Bedürfnisse. An der TU Dortmund ist die Verknüpfung von Volontariat und Studium ein Alleinstellungsmerkmal – an der HdM Stuttgart ist es die Neugründung des Studiengangs Crossmedia-Redaktion, der sich von Beginn an auf Crossmedia konzentriert hat und auch Corporate Publishing in die Ausbildung integriert.

Das Verständnis von Crossmedia ist den meisten Ausbildungseinrichtungen gemein. Hier finden sich nur kleine Unterschiede in der Umsetzung, die häufig auf die Rahmenbedingungen zurückzuführen sind. So wird in einem Volontariat, welches in einem Printprodukt ausbildet weniger Wert auf das Beherrschen von Film- und Audioproduktion gelegt – auch wenn man sich der Bedeutung dieser Kompetenzen bewusst ist.

Hier geht es zu Teil 2 des Beitrags „Crossmediale Journalistenausbildung in Deutschland“. Darin: Über wieviel „Spezialistenwissen“ müssen Journalisten nach Ihrer Ausbildung verfügen? Welches sind die zentralen Herausforderungen, denen sich Ausbildungsangebote künftig stellen müssen? Wo bestehen Defizite, wo Chancen?

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

F_BrunsDie Autorin Friederike Bruns Bruns hat im Juli 2013 ihr Masterstudium mit einer Abschlussarbeit zum Thema „Crossmediale Journalistenausbildung in Deutschland“ erfolgreich abgeschlossen. Friederike Bruns studierte an der Hochschule für Musik, Theater und Medien Hannover, an der Helsinki Metropolia University sowie am Lernradio Karlsruhe. Derzeit arbeitet sie als freie Radiojournalistin.

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