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Der permanente Dialog mit Lesern und Nutzern

Wie Journalismus von aktivem Community-Management profitieren kann

Immer mehr Journalisten beschäftigen sich mit den sozialen Medien im Allgemeinen und Communities im Besonderen, weil sie darin potenziellen Nutzen für ihre Arbeit erkennen. Studien und Praxiserfahrungen belegen, dass das Potenzial in diesem dynamischen Feld noch lange nicht ausgereizt ist. Dieser Beitrag liefert Ein- und Ausblicke.

Community-Management umfasst per Definition „alle Methoden und Tätigkeiten rund um Konzeption, Aufbau, Leitung, Betrieb, Betreuung und Optimierung von virtuellen Gemeinschaften sowie deren Entsprechung außerhalb des virtuellen Raumes. Unterschieden wird dabei zwischen operativen, den direkten Kontakt mit den Mitgliedern betreffenden, und strategischen, den übergeordneten Rahmen betreffenden, Aufgaben und Fragestellungen.“

Warum sollten Journalisten sich damit befassen?

Aus Lesern werden Nutzer, aus Leserblattbindung Audience Engagement

Unser Mediensystem wandelt sich zunehmend vom Distributions- zum Kommunikationsapparat, denn dank Internet ist heutzutage jeder Leser, Hörer oder Zuschauer gleichzeitig auch potenzieller Nutzer oder gar selbst Autor, der öffentlich Rückmeldung und neue Impulse geben kann. Der amerikanische Journalistik-Dozent Jay Rosen umschrieb dieses Phänomen bereits im Jahr 2006 mit seinem Essay The people formerly known as the audience

Journalisten als Dienstleister ihrer jeweiligen Öffentlichkeit stehen demnach vor der Herausforderung, den erweiterten Diskurs im Netz so effizient wie möglich zu erfassen und so konstruktiv wie möglich zu verarbeiten. Doch laut jüngsten Erhebungen beobachtet ein Gros der Journalisten in Deutschland selbst die Foren des eigenen Medienunternehmens noch recht selten. Auch eine aktuelle Studie der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien über digitalen Journalismus kommt zu dem Schluss, dass die Möglichkeiten der Dialogisierung oft noch unzureichend ausgeschöpft werden.

Wahrscheinlich könnten Journalisten in dieser Hinsicht von Bloggern lernen, aber auch von Webvideo-Produzenten, denn deren Macher agieren im Umgang mit ihrem Publikum natürlicher, die Medienproduktion ist prozesshafter, die Bindung entsprechend höher. Deren Publikum wiederum ist mal Beobachtungsobjekt, mal Hinweisgeber oder Quelle, mal Kritiker oder Multiplikator. Diese vielfältigen Möglichkeiten könnten die redaktionelle Arbeit nachhaltig bereichern. Die Chefredakteure deutscher Massenmedien haben das bereits erkannt, wie die folgenden Zitate zeigen:

„Die Leser so ernst zu nehmen, dass wir ganze Erzählungen um ihre Anregungen und Beiträge herum stricken – das tun wir noch viel zu selten.“
Stefan Plöchinger, Chefredakteur von sueddeutsche.de

„Wir Journalisten müssen ein ganzes Stück weg von unserem autoritären Bewusstsein und mehr Moderatoren werden als nur Meinungsdiktatoren.“
Mathias Müller von Blumencron, Chefredakteur von faz.net

 „Ich glaube, dass die Community eine Redaktion intellektuell befruchtet … dass das Produkt dadurch innovativer und besser wird.“
Philip Grassmann, Chefredakteur von Der Freitag

 „Je mehr wir echte Gesprächspartner auf Augenhöhe sind für unsere Leser, desto größer ist die Chance, dass wir mit unseren Angeboten Erfolg haben.“
Wolfgang Büchner, SPIEGEL-Chefredakteur

Wenn theoretisch jeder Mensch jederzeit live an die Öffentlichkeit treten kann, ist das grundsätzlich eine tolle Erweiterung für den allgemeinen Informationsfluss. Die Rolle und das Handwerk des Journalisten könnten angesichts dessen noch mehr als bisher darin bestehen, vorhandene Informationen zu verifizieren, zu erläutern und in Kontexte einzuordnen. Der einzelne Journalist bliebe bei entsprechendem fachlichem Profil öffentliche Vertrauensperson, dessen Interpretation und Meinung gefragter ist als je zuvor.

Crowdsourcing und User Generated Content: Beispiele aus der Praxis

Ein guter Journalist weiß in der Regel, welche Informationen sein Publikum erwartet oder erhalten sollte. Insofern: Wer schon zu Zeiten von Post, Fax und Telefon ein Ohr für sein Publikum hatte, wer seine Leser, Hörer oder Zuschauer zu Podiumsdiskussionen oder direkt in die Redaktionskonferenz einlud, der wird die Möglichkeiten des Internets womöglich spielerisch umarmen. Wer eine Community aufbauen und pflegen will, sollte aus Sicht des Nutzers denken können; und was anfangs Arbeit macht, kann mittelfristig Arbeit ersparen oder Inspiration bieten. Im Bestfall exklusiven Input oder echten Mehrwert.

Die folgenden sieben Punkte zeigen verschiedene, frei kombinierbare  Möglichkeiten auf, eine eigene Fangemeinde aufzubauen:

1. Der Foto-Aufruf
Weil Kameras immer laienfreundlicher werden, muss man nicht das Ende der professionellen Fotografie heraufbeschwören. Aber egal, ob Handwerk oder Haustier, Landschaft oder Mannschaft: Je nach Thema (und Anreiz) entstehen bei Leserfoto-Aktionen erstaunliche Bildsammlungen, die sich auch redaktionell verwerten lassen, wenn man das gegenüber der Community adäquat kommuniziert.

2. Umfragen und Datenerhebungen
Weiteres Potenzial birgt die qualifizierte datenjournalistische Auswertung von Nutzerbefragungen. Die Redaktion der „Zeit“ etwa hat ihre Leser zur Höhe ihrer Dispo-Zinsen und zu ihren Vorstellungen zum Auto der Zukunft befragt, und die Süddeutsche Zeitung erstellte mithilfe seiner Nutzer einen Gefahren-Atlas für Münchens Straßenverkehr, um nur einige Beispiele zu nennen.

Auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung konnten Leser Gefahren für den Straßenverkehr melden. (Quelle: sueddeutsche.de)

Auf der Webseite der Süddeutschen Zeitung konnten Leser Gefahren für den Straßenverkehr melden. (Quelle: sueddeutsche.de)

3. Das Publikum kommentiert online
Nicht wenige Redakteure nehmen die Kommentarspalten unterhalb ihrer Online-Beiträge als ein großes Rauschen wahr. Doch wie bei Leserbriefen bietet sich auch im digitalen Bereich die Möglichkeit auszuwerten und zu kuratieren, etwa wenn man gezielt nach Meinungen oder persönlichen Erfahrungen fragt. Die Redaktion des Neon-Magazins beispielweise veröffentlicht regelmäßig Nutzer-Statements im Blatt, was wiederum die Bindung an die Medienmarke stärkt.

4. Interaktive Live-Chats
Medien werden einerseits „on demand“ konsumiert, Kommunikation geschieht zeitversetzt und mit offenem Ende. Andererseits besteht weiterhin ein Bedarf nach Echtzeitkommunikation, weswegen manche Redaktionen zu aktuellen Anlässen konkrete Zeitfenster schaffen: Die BBC und der Schweizer Rundfunk beispielsweise haben Experimente mit Instant-Messaging-Diensten begonnen, während die Huffington Post den Google-Dienst „Hangout on Air“ nutzt, um mit Lesern Videochat live zu betreiben.

Der Redakteur als Moderator „on air“: Das Publikum interagiert mit ihm per Text- und Videochat. (Quelle: huffingtonpost.com)

Der Redakteur als Moderator „on air“: Das Publikum interagiert mit ihm per Text- und Videochat. (Quelle: huffingtonpost.com)

5. Der Nutzer als Autor?
Die Erfahrung zeigt, dass Leserreporter professionelle Paparazzi selten verdrängen, Bürgerreporter keine Lokalredakteure werden und iReporter keine TV-Journalisten. Im Bestfall kann user generated content journalistische Inhalte ergänzen und bereichern. Die meisten Laien wissen ohnehin, dass sie keine Profis sind. Aber sie wissen den direkten Draht zur Redaktion zu schätzen und freuen sich über ihren eigenen medialen Raum. Auf diese Weise werden aus interessierten Lesern engagierte Nutzer. Digital-Experte Konrad Lischka gab diesem Phänomen bereits einen Namen: User-generated Leidenschaft.

6. Der Leser als Tipp- und Themengeber
Auch bei Recherche und inhaltlicher Konzeption kann die Community Input und Inspiration liefern: Lokalredaktionen fragen offen nach lokalen Aufreger-Themen, investigative Reporter arbeiten mit Whistleblower-Mailbox und bieten ihre Recherche als Leserservice an. Das Zeitmagazin produzierte für seine Community ein „Heft Ihrer (Themen)Wahl“ und beim gemeinnützigen Recherchebüro Correctiv darf die Community sogar entscheiden, in welchen Themenbereich die nächsten 100.000 Euro Recherchebudget fließen.

Das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv lässt die Community über den Einsatz von Recherche-Budgets mit entscheiden. (Quelle: correctiv.org)

Das gemeinnützige Recherchebüro Correctiv lässt die Community über den Einsatz von Recherche-Budgets mit entscheiden. (Quelle: correctiv.org)

7. Die Community als zahlender Kunde?
Investitionen ins Community-Management können sich auch finanziell lohnen, etwa wenn neben Klickraten künftig auch Verweildauern und Interaktionsraten als neue Währungen zur Geltung kommen. Zudem locken mitunter Vertriebserlöse aus der Community: Das Projekt „Krautreporter“ wurde per Crowdfunding komplett von Lesern finanziert. Dabei sind die redaktionellen Beiträge kostenlos einsehbar, denn die Menschen zahlen hier explizit dafür, Kommentare schreiben zu dürfen. Offenbar ist es ihnen bares Geld wert, Teil einer Community zu sein.

Tipps für den Community-Frieden

Zugegeben: Im Internet wird nicht nur freundlich diskutiert. Der Ton ist mitunter rau, und Störenfriede gibt es in verschiedenen Kategorien. Dennoch sollten Medienunternehmen ihrem Publikum online Raum für Kommentare bieten, schon allein weil dieser „hauseigene“ Bereich eher überschau-, kontrollier- und verwertbar ist als die unendlichen Weiten des Internets. Die Herangehensweisen variieren:

Manche Redaktionen schalten die Kommentare ihrer Nutzer zum Beispiel erst nach redaktioneller Überprüfung frei. Dieses Vorgehen gewährt zwar ein großes Maß an Kontrolle, aber je nach Zahl der Nutzer und Frequenz der Kommentare ist es sehr personalaufwändig, und je formal aufwändiger die Prüfung, desto eher verliert eine Diskussion an Dynamik.

Andere Redaktionen bitten ihre Nutzer bei der Registrierung um reale Vor- und Nachnamen und versuchen, deren Authentizität zu überprüfen. Dieses Vorgehen reduziert zwar die Zahl der wüsten anonymen Beschimpfungen, aber auch die Zahl der aktiven Nutzer insgesamt, weil nun mal nicht jeder gerne seine persönlichen Daten im Netz preisgibt. Hinzu kommt, dass Menschen auch unter realen Namen offen miteinander streiten. Wer hier als Forenbetreiber eingreifen will, sollte dies nach klaren Regeln und Mustern tun.

Um heikle Fragen der Haftung und Auseinandersetzungen vor Gericht zu vermeiden, sollte man sich auf jeden Fall im geltendem Recht auskennen und entsprechende Handlungsempfehlungen immer auf dem aktuellsten Stand halten. Außerdem wichtig:

  1. Nutzer sollten bei der Registrierung sowie im Streitfall informiert werden über AGB, Nutzungsbedingungen und Verhaltenskodex für die Community, die auch online öffentlich einsehbar sind.
  2. Mitarbeiter des Medienunternehmens sollten so genannte Social-Media-Guidelines erhalten, die über den Umgang mit Foren und sozialen Medien aufklären und firmenintern digital verfügbar sind (z. B. im Intranet).
  3. Sowohl Nutzer als auch Mitarbeiter sollten dauerhafte Ansprechpartner haben, die bei Fragen zeitnah helfen oder vermitteln können (Social-Media- und Community-Manager).

Ausblick: der Journalist als Community-Manager?

Die einen verfügen über mehr Talent als Reporter, Fotograf oder Blattmacher, die anderen sind eher Essayisten, Newsdesker oder Producer. Keiner von ihnen muss die gesamte Klaviatur des Social-Media-Managements beherrschen, aber jeder sollte die grundsätzlichen Funktionen kennen und im Zweifel wissen, wen er fragen kann. Angesichts dessen könnten Social-Media-Experten mit ihren vielseitigen Aufgaben in Redaktionen eine zentrale Position einnehmen, wie Sebastian Matthes, Chefredakteur der Huffington Post Deutschland, es darstellt:

 „Nachrichtenseiten, die einen Chef vom Dienst für die Homepage haben, brauchen künftig auch einen für die sozialen Kanäle. Kein Social-Media-Manager, der Facebook-Posts absetzt, sondern einen Kollegen, der ähnlich mächtig ist wie derjenige, der die Homepage steuert.“

Die beruflichen Anforderungsprofile des Bundesverbands für Community-Management verdeutlichen die Bandbreite der möglichen Qualifikationen. In den USA existieren bereits die ersten Studiengänge im Bereich Social Journalism und Human-Centered Journalism. Die Universität Cardiff bietet eine Online-Vorlesungsreihe Community-Journalism und auch in Deutschland kommt der Trend allmählich an: Die Kollaborations-Plattform mixxt bietet einen 30-teiligen Community- Management-Crashkurs an.

Letztlich geht es nicht mehr darum, ob sich ein Journalist auf seine Community im direkten Austausch einlässt, sondern eher darum, in welcher Form und in welchem Ausmaß. Vielleicht sollte er dazu einfach mal sein Publikum befragen?

Literatur

  • Pein, Vivian (2013): Der Social Media Manager: Das Handbuch für Ausbildung und Beruf. Galileo Computing.
  • Schwenke, Thomas (2014): Social Media Marketing und Recht. O’Reilly.

Links

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Stanley VitteStanley Vitte studierte Sozialwissenschaften in Düsseldorf und europäische Politik in Brighton. Nach diversen Tätigkeiten bei Verlagen, Agenturen und im Rundfunk arbeitet er seit 2012 als Community-Manager für das Bürgerportal Lokalkompass, das von den WVW/ORA-Anzeigenblättern betrieben wird.

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