RSS-Feed

Die neue Offenheit der Fachmedien: mehr Stellen, leichterer Zugang

Es gibt noch Jobs für Journalisten – vor allem bei Fachmedien. Dies belegt eine aktuelle Umfrage bei B2B-Verlagen. Ein mindestens genauso wichtiges Ergebnis der Erhebung: Fungierte früher die fachliche Qualifikation als Nadelöhr, so stehen die Tore der Fachverlage heute deutlich weiter offen. Expertise ist zwar weiter gefragt, doch wird journalistische Kompetenz zunehmend wichtiger. Gesucht wird der publizistische Multitasker.

Lisa-Maria N. beendet gerade den Master-Studiengang „Fachjournalismus“ an der Hochschule Würzburg und wird im Mai dieses Jahres ein Volontariat bei der Lebensmittelzeitung in Frankfurt beginnen. Zuvor hat sie einen Bachelor in „Medienwirtschaft und Journalismus“ an der Jade Hochschule Wilhelmshaven gemacht.

Victoria S. arbeitet seit einigen Monaten als Redakteurin beim Industriemagazin MM Maschinenmarkt in Würzburg. Davor war die studierte Germanistin und Soziologin als freie Journalistin tätig und absolvierte dann ein Volontariat beim Maschinenmarkt.

Zwei Beispiele, die heute gar nicht mal so untypisch für die Fachmedienbranche und damit die Business-to-Business-Kommunikation (B2B) sind. Zwei Beispiele, die noch vor zehn und erst recht vor 20 Jahren noch ein Ding der Unmöglichkeit gewesen wären: Wer damals Redakteur bei einer Fachzeitschrift werden wollte, musste ein einschlägiges Studium vorweisen. Vor allem technische Zeitschriften nahmen nur Ingenieure oder Informatiker auf, bestenfalls noch Naturwissenschaftler. Zudem war einschlägige Berufserfahrung erwünscht. Das journalistische Know-how spielte dagegen eine untergeordnete Rolle. Meist wurden die neuen Redakteure in Crashkursen im journalistischen Handwerk angelernt.

Doch die Zeiten haben sich geändert. Dies zeigt eine Umfrage, die die Professoren Dr. Lutz Frühbrodt und Dr. Michael Sturm (beide Hochschule Würzburg-Schweinfurt) in Kooperation mit der Verleger-Plattform Deutsche Fachpresse erstmalig zum Thema „Jobsituation und Anforderungsprofile  bei deutschen Fachmedienhäusern“ durchgeführt haben. Dabei bilden die 22 Unternehmen, die sich daran beteiligten, einen durchaus repräsentativen Branchenquerschnitt aus einigen größeren Medienhäusern mit mehr als 100 fest angestellten Redakteuren und einer Mehrzahl von mittleren und kleineren Verlagen.

Kasten_Fachmedien

Fast drei Viertel der Unternehmen wollen Bewerber mit Branchenwissen ausstatten, wenn sie journalistische Fachkompetenz mitbringen.

Die große Mehrheit gab zwar an, dass Bewerber für ein Volontariat idealerweise ein fachspezifisches Studium aus den Bereichen Technik oder Wirtschaft mitbringen sollten. Doch fast zwei Drittel der befragten Medienhäuser können sich vorstellen, auch Bewerber auszubilden, die zum Beispiel einen geistes- oder sozialwissenschaftlichen Bachelor mit einem Master in einem Journalismus-Studiengang kombiniert haben. Diese „neue Offenheit“ der B2B-Medien ist bei der Besetzung von Redakteursstellen noch ausgeprägter. Fast drei Viertel der Unternehmen zeigen sich bereit, Bewerber einzustellen und dann mit dem notwendigen Branchenwissen auszustatten, wenn sie denn im Gegenzug journalistische Fachkompetenz mitbringen (Schaubild 1).

önnten Sie sich vorstellen, journalistisch kompetente Bewerber ohne spezifische Sachkompetenz im Rahmen eines Volontariats (hellblau) oder als Redakteur (dunkelblau) einzustellen und dann mit dem notwendigen Branchenwissen  auszustatten?

Schaubild 1: Könnten Sie sich vorstellen, journalistisch kompetente Bewerber ohne spezifische Sachkompetenz im Rahmen eines Volontariats (hellblau) oder als Redakteur (dunkelblau) einzustellen und dann mit dem notwendigen Branchenwissen auszustatten?

Die Ursachen: Fachkräftemangel, Strukturwandel, Qualitätsoffensive

Warum haben sich die Zugangsvoraussetzungen für Fachredakteure derart grundlegend verändert? Dies hat drei wesentliche Ursachen:

1. Die Fachmedien bekommen den sich anbahnenden Fachkräftemangel zu spüren. So steigt die Nachfrage nach Ingenieuren auf dem Arbeitsmarkt sehr stark. Der Nachwuchs erhält schon während des Studiums mitunter äußerst lukrative Jobangebote, mit denen die Tarifgehälter der Medienbranche nicht mithalten können. Dies führt vor allem bei technischen Fachmedien zu einer Verknappung des journalistischen Nachwuchses. Knapp ein Drittel der befragten B2B-Verlage gab zu Protokoll, dass sich Angebot und Nachfrage nach Redakteursstellen die Waage hielten. Mehr als ein Viertel klagte allerdings über zu wenige Bewerber. Im Vergleich mit den Publikumsmedien herrschen bei den Fachmedien also fast traumhafte Verhältnisse für Jobsuchende.

2. Die Medienstrukturkrise hat die Fachmedien längst nicht so heftig erfasst wie etwa die Tageszeitungen. Die Zahl der Wettbewerber ist in der Regel kleiner. Die Abo-Titel haben die Bezahlschranken im Internet deutlich früher heruntergelassen. Die Abhängigkeit von Vertriebserlösen ist aber auch geringer, weil rund die Hälfte der Fachmedien im Freiversand erscheint, mithin kostenlos verschickt wird. Entsprechend ist die Nähe zu den Werbepartnern spürbar größer als bei den Publikumstiteln.

Zwar haben auch die Fachmedien Anfang des Jahrtausends einen schmerzhaften Umsatzeinbruch hinnehmen müssen, doch hat die Branche (mit Ausnahme der Finanzkrise 2008/9) seitdem ein moderates Wachstum verzeichnen können. Der Druck ist hier also etwas geringer. Dies verschafft den meisten Fachmedien die Möglichkeit, den Strukturwandel mit einer wohl überlegten Strategie zu bewältigen. Egal, ob diese in Richtung Crossmedia, Fachkongresse und -konferenzen oder Internationalisierung geht,  viele wollen dabei ihre Aktivitäten diversifizieren oder sogar ausbauen. Die Folge: Fast 60 Prozent der befragten Fachmedienhäuser sind derzeit auf der Suche nach Fachredakteuren. Dass es sich nicht um ein vorübergehendes, rein konjunkturelles Phänomen handelt, belegt Schaubild 2. Rund 40 Prozent gaben an, dass sie in den nächsten drei Jahren wahrscheinlich wachsen werden und deshalb nicht nur frei werdende Stellen wiederbesetzen, sondern sogar neue Stellen schaffen wollen.

Wie schätzen Sie den Bedarf an Fachredakteuren in den nächsten drei Jahren für Ihr Unternehmen ein?

Schaubild 2: Wie schätzen Sie den Bedarf an Fachredakteuren in den nächsten drei Jahren für Ihr Unternehmen ein?

3. Fachmedien durchlaufen seit einigen Jahren einen tief greifenden Wandel, bei dem das journalistische Moment stark an Bedeutung gewonnen hat. In einer ersten Phase haben nicht alle, aber doch die meisten Fachzeitschriften in der Branche ein Facelifting erhalten. Im Zuge von Relaunches haben die Titel oft ein deutlich attraktiveres Layout bekommen, das von der Anmutung her höherwertigen Special-Interest- und Publikumszeitschriften stark ähnelt. Im aktuellen zweiten Schub erhöhen viele Fachmedien nun ihre journalistische Qualität. Dieser Trend hängt sicher eng mit den beiden zuvor genannten Ursachen zusammen, aber auch mit einer veränderten Philosophie.

Früher herrschte die Überzeugung vor, dass zum Beispiel technische Sachverhalte nüchtern und rein faktenorientiert dargestellt werden müssten, weil dies auch der Leser – in aller Regel ein Homo faber – so erwarte. Zumal ja die Informationen allein der beruflichen Nutzung dienten und deshalb so wenig Zeit wie möglich dafür verloren gehen dürfte, so der Tenor. Heute sehen dies die Macher in der Branche und offenbar auch die Mediennutzer deutlich entspannter. Auch die Fachmedien können sich ganz offensichtlich nicht völlig von medialen Megatrends wie Personalisierung und Emotionalisierung abkoppeln, weshalb bisher selten genutzte Textformate wie Porträts oder Features deutlich häufiger zum Einsatz kommen. Und dafür ist eben journalistische Kompetenz zwingend.

Journalistische Kompetenz ist und bleibt zwingend

Falls Sie planen, Redakteure einzustellen: In welchen Bereichen suchen Sie?

Schaubild 3: Falls Sie planen, Redakteure einzustellen: In welchen Bereichen suchen Sie?

Dabei verändern sich aber auch die Komponenten des journalistischen Know-hows ganz rapide. Über 80 Prozent der Unternehmen meinen, das Anforderungsprofil an Fachredakteure habe sich in den vergangenen fünf Jahren drastisch verändert. Mehr als 90 Prozent prognostizieren, dass dieses Profil in den kommenden fünf Jahren weiterhin einem grundlegenden Wandel unterworfen sei. Schaubild 3 zeigt, dass zwar auch weiter der klassische Printjournalist gefragt ist, inzwischen aber mehr „Onliner“ gesucht werden und zunehmend auch Journalisten, die die Social-Media-Klaviatur beherrschen. Darin unterscheiden sich die Fach- sicher nicht sehr stark von den Publikumsmedien. Allerdings: Fast die Hälfte der B2B-Verlage sucht Allrounder, die in Print, konventionellem Online, sozialen Medien, aber zum Beispiel auch als Moderator bei Events einsetzbar sind.

Welche Qualifikationen die Fachmedienhäuser im Einzelnen von Fachredakteuren künftig verstärkt erwarten, zeigt Schaubild 4. Im Vordergrund stehen dabei weiter journalistische Kernkompetenzen wie solide und saubere Recherche sowie Text- und Stilsicherheit. Das Berufsprofil bewegt sich allerdings stärker in Richtung eines Wissensmanagers, der verschiedenste Distributionskanäle bespielen muss und dabei die „Community“ der Mediennutzer und Wissensträger entwickelt, pflegt und erweitert. Dieses eher funktionale Multitasking setzt zwar Fachexpertise voraus, für die im Arbeitsalltag ausgeübten Tätigkeiten verliert sie aber relativ an Bedeutung gegenüber der neuen Vielfalt journalistischer Fertigkeiten.

Welche Qualifikationen sollten künftige Fachredakteure in Ihrem Unternehmen mitbringen? (Mehrfachnennungen möglich)

Schaubild 4: Welche Qualifikationen sollten künftige Fachredakteure in Ihrem Unternehmen mitbringen? (Mehrfachnennungen möglich)

Der Beruf des Journalisten hat weiter Zukunft

Die Umfrage der Hochschule Würzburg-Schweinfurt zeigt: Die B2B-Medien sind auf der Suche nach Personal, im Gegensatz zu den meisten Publikumsmedien stellen sie Redakteure ein. Lässt sich daraus der Rückschluss ziehen, dass der Beruf des Journalisten weiter Zukunft hat? Die Antwort lautet: Ja, aber.

JA, denn die Umfrageergebnisse zeigen, dass Fachmedien aufgrund des Mangels an fachlich ausgebildetem Personal  ihre Anforderungsprofile verändern und verstärkt „fachfremde“ Journalisten einstellen. Journalisten aus den Publikumsmedien, die von dieser Öffnung profitieren, bringen ihrerseits ein hohes Maß an journalistischer Kompetenz bei den Fachmedien ein und tragen so zur Aufwertung der publizistischen Qualität der B2B-Medien bei.

ABER, weil die Fachmedienbranche um ein Vielfaches kleiner ist als der Publikumsbereich. Den umfangreichen Abbau von Arbeitsplätzen bei den Publikumsmedien können die Fachmedien deshalb nur bedingt kompensieren. Hinzu kommt, dass zwar viele Fachmedien, aber auch nicht jeder Titel fachfremden Journalisten offensteht. Je spezifischer die Ausrichtung, desto wichtiger ist auch detailliertes Fachwissen. Und auch nicht jedes Fachmedium bespielt alle möglichen Kommunikationskanäle. Es gibt nach wie vor Fachzeitschriften, die ausschließlich in Papierform erscheinen und höchstens ein paar Kurzmeldungen auf ihrer Website veröffentlichten. Hier steht die Fachexpertise weiterhin eindeutig im Vordergrund.

Trotz dieser Einschränkungen: Allround- und klassische Ressortjournalisten sollten ihr Blickfeld erweitern und dabei die Fachmedien als eine Option mitdenken – sie bieten eine bedenkenswerte Alternative zum Public-Relations-Jobuniversum, in dessen Richtung sich Journalisten zunehmend orientieren. Dieser Appell richtet sich auch an den Nachwuchs. Hochschulen und andere Bildungseinrichtungen im Mediensektor müssen nicht zwangsläufig ihre Studien- und Lehrgänge verstärkt von Journalismus auf Unternehmenskommunikation umstellen, wie dies in den vergangenen Jahren der Fall gewesen ist. Vor allem Anbieter mit einem fachjournalistischen Profil können sich durch die aktuelle Umfrage bestätigt und ermuntert fühlen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

FruehbrodtDer Autor Prof. Dr. Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Leiter des Studiengangs „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation (Wirtschaft/Technik)“ an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zuvor war er Wirtschaftsreporter der WELT-Gruppe in Frankfurt/Main.

Kommentare sind geschlossen.