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Die vernetzte Redaktion: Eine Vision vom New Media Cosmos

„Online first“ war gestern. Wir diskutieren nicht mehr über die zentrale Bedeutung von Digitalisierung, die Zeit provokanter Kampfbegriffe ist vorbei. Damit können wir uns wieder dem Wesentlichen zuwenden: Wofür steht künftig ein professioneller Journalist, der im Newsroom zunehmend komplexe Redaktionssysteme sowie smarte Monitoring- und SEO-Tools einsetzt? Die Arbeitsorganisation der Zukunft wird neue Berufsbilder hervorbringen, die Arbeit in Print wie Online verstärkt von technisch versierten Ablaufredakteuren unterstützt. Diese Art vernetzter Redaktion führt so in den „New Media Cosmos“.

Traditionell sind Journalisten Experten für Inhalte. Bisher recherchieren sie Nachrichten, bauen sie zu Geschichten zusammen und verbreiten diese redaktionelle Arbeit. Journalismus ist seriös, authentisch, leidenschaftlich, akkurat, verlässlich, exklusiv und anspruchsvoll.

An diesem Werteversprechen ändert sich nichts, wohl aber an der Art der Verbreitung dieser journalistischen Inhalte. Die Digitalisierung ist da – doch in welcher Form, nach welchem System die digitalen Inhalte verarbeitet und verbreitet werden sollen, dazu zeichnet sich noch immer kein Königsweg ab. Dies zeigt beispielsweise der Fall der WAZ-Gruppe in Essen, die sich dieses Jahr wieder vom Newsroom-Prinzip verabschiedet hat.

Uns es geht darum, Journalismus zu managen, nicht darum, jeden Tag seine Grundrechenarten wie Recherchieren, Schreiben und Gestalten neu zu definieren. Aus diesem Verständnis heraus markieren wir mehrere zentrale Fragen in dieser Systemdebatte:

  • Muss ein Journalist der Zukunft nicht immer Produkt- und Workflow-Experte sein?
  • Muss er nicht wissen, welche Wege zum Nutzer seiner Inhalte führen?
  • Muss er den Prozess nicht allein schon deshalb kennen, weil künftig jede journalistische Story schon während ihres Entstehens dialogisch angelegt ist?

„Process Journalism“ nennt die angloamerikanische Lehre1 dieses neue Modell von Transparenz in Zeiten von Facebook, Blogs und Twitter. Aus dem Spannungsfeld zwischen dem althergebrachten Verständnis von Journalismus und den Möglichkeiten, die uns in den „New Media Cosmos“ führen, leiten wir fünf zentrale Thesen ab:

These 1: Wandel muss stringent sein

Solange „online first“, „digital first“ oder „social first“ als Devise in Newsrooms nicht begriffen und gelebt werden, bleiben dort eingesetzte millionenschwere Redaktionssysteme eine rein technische Lösung. Ein Newsroom ist erst „integriert“, wenn sein Prinzip von allen Mitarbeitern verinnerlicht und er von allen genutzt wird.

Social Media sorgen unter anderem für eine 360-Grad-Kommunikation anstelle des alten „one-to-many“-Prinzips. Doch nicht nur aus der ehemaligen Empfängerperspektive kommt Veränderungsdruck – es ist auch intelligente Technik, die journalistische Abläufe drastisch beeinflusst: Immer bessere Monitoring- und SEO-Software führt dazu, dass Themen schon zum Zeitpunkt ihrer Planung gestaltet werden.2 Schlagzeilen orientieren sich an „trending topics“ und bestimmten „spins“, die bereits durch Social Media vorgegeben sind. Unternehmen wie „Content Fleet“ setzen bereits neue journalistische Geschäftsmodelle dieser Art ein (Content Evaluation System – CES) und zählen ProSieben, Gala oder Yahoo zu ihren Kunden.

These 2: Moderne Content-Management-Systeme bringen Wandel

In vielen Medienhäusern, die neue Content-Management-Systeme einführen, tun sich Journalisten mit der Technik schwer. Die Redakteure verinnerlichen zwar recht schnell, welche Buttons in welcher Reihenfolge anzuklicken sind, um ein bestimmtes Ergebnis zu erreichen. Stimmen diese Abläufe infolge eines Software-Updates oder aufgrund eines Bedienungsfehlers nicht mehr, läuft die Technik-Hotline der hauseigenen Spezialisten oder des Software-Herstellers durch Anfragen aus der Redaktion heiß.

Wie der Mechatroniker den Kfz-Mechaniker ersetzt, werden in den Newsrooms deshalb verstärkt technisch versierte Ablaufredakteure verankert werden (müssen), die jedoch keine Hilfskräfte, sondern strategische Operateure sind. Dies ist übrigens ein neuer Ausbildungsberuf, für den es im Moment kaum Referenzen gibt.

Seit rund zwei Jahren etabliert sich hierfür der Begriff des „New Media Producer“. Bildungseinrichtungen wie das mibeg-Institut Medien in Köln bieten hierzu qualifizierte Fortbildungen an: „Der New Media Producer vereint konzeptionell-kreative, technisch-gestalterische und betriebswirtschaftliche Kompetenzen und fungiert somit als Schnittstelle zwischen Content, Technik und zielgruppenorientierter Planung“.

These 3: Wandel zum Multi-Platform-Storytelling

Die erste Ausbaustufe der Digitalisierung lautet in vielen Redaktionen: morgens die gedruckte Zeitung, annähernd rund um die Uhr Online-Updates und zwischendurch die multimedial angereicherte App. Diese Art der Produktion wird sich auf Dauer nicht etablieren. Fest steht, dass beim Multi-Platfom-Storytelling die Technik mehr und mehr den Takt vorgibt. Auf der Online-Seite favorisieren intelligente Suchmaschinen bereits heute eine Art Keyword-Journalismus.3

Da sich Soziale Netzwerke zudem mehr und mehr als Nachrichten-Aggregatoren bewähren und mobil genutzt werden, entwickeln Redaktionen für diese Plattformen spezielle Formate. Dabei wirkt sich die Größe der Displays der Endgeräte sowohl auf Sprache, Textgattung und Gestaltung als auch auf Bild- und Video-Formate aus.

Laut einer aktuellen PricewaterhouseCoopers (PwC)-Studie nutzen fast 58 Prozent der Printzeitschriftenleser, die auch ein Tablet besitzen, die Tablet-Ausgabe ihrer Zeitschriften oft bis sehr oft.4 Das bedeutet: Der Blattmacher der Zukunft avanciert zum Komponisten und Dramaturgen – er orchestriert die Story mit dem gesamten Medien-Portfolio auf allen Medienkanälen. Qualität wird sich verstärkt daran messen lassen müssen, wie intelligent jedes einzelne Medium (Text, Bild, Audio etc.) auf jeder einzelnen Plattform eingesetzt wird.

Gestaltung: Cornelia Fetzer, Anke Bergmann-Schlaak; Bildrechte: Frank Diering, Dr. Ansgar Mayer

Dies gilt vor allem deshalb, weil journalistische Geschäftsmodelle künftig jenseits eines reinen Inhaltehandels angesiedelt sein werden. Erfolgreich sind letztlich die Anbieter, deren Story plattform- und kontextgerecht aufbereitet und erzählt wird. Digitale Stories erreichen künftig multimediale Genießer via App ebenso wie Freunde literarisch anspruchsvoller Texte in aufwendig gestalteten Printprodukten.

These 4: Wandel der publizistischen Verantwortung

Mit der steigenden Anzahl an Ausgabekanälen und der Arbeitstakt-Vorgabe durch Microblogs wächst die publizistische Verantwortung jedes einzelnen Redakteurs. Dies führt auf der einen Seite dazu, dass Medienhäuser Richtlinien für den Umgang mit Social Media verabschieden.

Auf der anderen Seite stellt sich die Frage, ob nicht aus jedem Redakteur eine Art Herausgeber wird. Ist dem so – steigt dann nicht seine individuelle Verantwortung bis auf ein ökonomisches Niveau? Wer für effizientes Social Sharing seiner journalistischen Arbeit sorgt, stärkt die Marke im Netz, erhöht die vermarktbare Gesamtreichweite seines journalistischen Produktes und beeinflusst damit mehr als früher die Wirtschaftlichkeit dieses publizistischen Modells.

These 5: Stockender Wandel im Mittelbau

Die Zukunftsfähigkeit des deutschen Journalismus entscheidet sich maßgeblich im mittleren Management. In den kommenden Jahren wird kaum eine Position im Mediengefüge unter größerem Druck stehen als die der CvDs und Ressortleiter.

Denn in dieser Position haben sie strategische Vorgaben, um neue Redaktionsstrukturen und technische Abläufe zu regeln, zu organisieren und zu steuern. Umgekehrt sehen sich gerade mittlere Führungskräfte durch die neue Mitarbeitergeneration besonders herausgefordert, weil sie oftmals mental in alten Benchmarks (Exklusivität, Seriosität, stilistische Ästhetik) gefangen sind.

Sören Stamer, bis Mitte 2009 Vorstandsvorsitzender der CoreMedia AG, beschreibt diesen Prozess am Beispiel des eigenen Unternehmens (Stamer, S., 2008). Dieses ist unter seiner Anleitung zu einem „Enterprise 2.0“ mit den neuen Koordinaten Selbstorganisation, Kollaboration und Transparenz umgebaut worden.

Stamer betont, dass im Zuge des Change Managements für diese neue Unternehmensstruktur und -kultur Abteilungsgrenzen und Kontrollhierarchien zu überwinden seien: „Damit Selbstorganisation funktioniert, müssen Führungskräfte bereit sein, Macht abzugeben, Einblick zu gewähren, Freiräume und Selbstorganisation zuzulassen.“ (Stamer, S. 2008, S.44)

Unternehmensberater Gary Hamel spricht von einem fundamentalen Einschnitt (Hamel, G., 2008). Wer Managementprozesse neu erfinden wolle, müsse Mitarbeitern und Managern der unteren Hierachieebene die Möglichkeit geben, genau diese Prozesse zu zerschlagen. Hamel empfiehlt dafür übrigens schon seit 2008 gerade das Internet als strategischen Hebel, da hier die Beiträge aller Mitarbeiter ohne Hierarchie oder Bürokratie zu bündeln seien.

Fazit

Leider sind noch zu viele Redaktionen in Deutschland von einem derart alltagstauglichen integrierten Newsroom-Prinzip entfernt. Es gibt zu viele technische und taktische Versatzstücke, keine Gesamtstrategie. Wer „Online first“ will, muss bereits „zweitens“ und „drittens“ kennen – und sich an der Vision des „New Media Cosmos“ ausrichten.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

 

Der Autor Frank Diering ist Dozent an der Axel Springer Akademie. Der ehemalige Redakteur ist „Manager Editorial Concepts&Training“ der Zeitungsgruppe DIE WELT/Berliner Morgenpost/Hamburger Abendblatt.

 

 

Der Autor Dr. Ansgar Mayer ist Chief Product Officer der „Computer Bild“-Gruppe in Hamburg. Zuvor war er Director Digital Strategy bei der Unternehmensberatung GREENKERN (Berlin/Beijing) und Head of Crossmedia an der Axel Springer Akademie.

 

 

Literatur:

Hamel, Gary (2008): Das Ende des Managements. Unternehmensführung im 21. Jahrhundert, München.

Stamer, Sören (2008): Enterprise 2.0, in: GDI-Impuls, 3/2008.

Kinnebrock, Susanne; Kretzschmar, Sonja (2012): Forschungsbericht Crossmedia 2012: Die Studie untersucht, wie sich Zeitungsredaktionen aktuell dem Wandel von Medienproduktion und Mediennutzung stellen. Bisher fehlt es vielen Redaktionen noch an Strategien zur Anpassung an Innovationen und gezieltem Management der crossmedialen Produktion.

  1. Die Theorie der journalistischen Produktion als einem offenem Prozess wurde maßgeblich von Prof. Jeff Jarvis (New York University) entwickelt und am 07.09.2009 erstmals anhand von Beispielen aus dem US-amerikanischen Journalismus in seinem Weblog „Buzzmachine“ vorgestellt. http://buzzmachine.com/2009/06/07/processjournalism/ []
  2. Damit das gut gelingt, bedarf es moderner technischer Steuerungsinstrumente. Welcher Redakteur weiß aber schon, dass solche eingesetzten „Webtrekker“ sich bestens als Werkzeug eignen, ein Thema schon nach den ersten Klicks Online neu zu bewerten, die Story deswegen umzubauen? Etwa andere Bilder in die Bilder-Galerie zu integrieren oder eine interaktive Statistik als Service mit einzubauen. Anders als in Print kann ein digitaler Blattmacher dank dieses Planungsinstruments unmittelbar auf die Befindlichkeiten der Leser/User reagieren und die Story noch besser gestalten. []
  3. „Suche“ verstanden als operativer Ablauf, als Prozess. Sprich: Ein Mensch gibt in einen Suchschlitz Wörter ein, zu denen eine Maschine die nächstbesten Bezüge herstellt. Da diese nicht auf semantischen Wegen, sondern auf rein technisch definierten Wenn->Dann-Operationen erfolgen, sind andere Maschinen so konfiguriert und programmiert, dass sie Sprache/Keywords in dafür definierten Eingabefeldern den Operatoren der Suchmaschine bevorzugt ausweisen. Dabei liegt dem ganzen Prozess zugrunde, dass dem Menschen am Suchschlitz egal ist, wie die Maschinen die bestmögliche Relation zu seiner klar inhaltlich/semantisch getriebenen Suche herstellen. Im Gegenzug reagiert der Journalist in seinen Online- und App-Artikeln allerdings mit einer Sprache, die den Suchwörtern im Suchschlitz entsprechen. Und diese Symbiose zwischen dem Produzenten von Inhalten und der Technik ist es, die den Journalismus neu prägen und wir daraus ein Wort wie „Keyword-Journalismus“ prägen. []
  4. Für die Studie befragte PwC 500 Konsumenten zwischen 18 und 64 Jahren, die ein Tablet besitzen oder zumindest regelmäßig nutzen. []
Kommentare
  1. In Zeiten wie diesen, in denen verstärkt über die Ergebnisse redaktioneller Arbeit berichtet wird („Visual Storytelling“, „Live-Blogging“, etc.) ist es schön, dass auch die dazugehörigen Prozesse und technischen Voraussetzungen beleuchtet werden.

    Trotz aller Fortschrittlichkeit vieler Argumente werden dennoch in diesem Artikel ein paar klassische – und aus meiner Sicht veraltete – Sichtweisen verbreitet.

    These 2 behauptet, dass moderne Content-Management-Systeme Wandel bringen. Das wäre schön, ist aber nicht so.

    Systeme können Wandel verhindern, indem Sie benötigte Funktionen nicht zur Verfügung stellen oder gewünschte Prozesse nicht unterstützen und sie können Wandel ermöglichen – aber ihn „bringen“, nein, das tun sie nicht.

    Der Wandel muss aus den Köpfen heraus kommen und darf dann nicht durch Systeme verhindert werden.

    Ebenfalls in These 2 wird behauptet, durch „New Media Producer“ müssten Änderungen in der Software in der Redaktion kommuniziert werden.

    Das ist nicht ganz verkehrt, aber der wesentliche Punkt ist ein anderer: Wenn es so weit gekommen ist, dass die Redakteure nach einem Update nicht mehr mit ihrer Software arbeiten können, hat die Konzeptions- und IT-Abteilung des Systemherstellers versagt.

    Wie würden Web.de-Nutzer es beurteilen, wenn Sie urplötzlich dieses E-Mail-Programm nicht mehr bedienen könnten? Stellen Sie sich vor, von einem Tag auf den anderen könnten Sie nicht mehr Ihren Backofen zu Hause bedienen? Wäre das dann jeweils der Fehler der Nutzer, oder der der Hersteller?

    Die Autoren verwenden die Formulierung in einem etwas anderen Zusammenhang, aber die Technik darf eben nicht „den Takt angeben“.

    Passend dazu vertreten z.B. die anerkannten Medienexperten Anderson, Bell und Shirky in ihrem neuen Report „Post-Industrial Journalism“ die These, dass Content Management Systeme hackbar sein müssen, um den notwendigen Wandel in der Redaktion nicht zu unterbinden (http://towcenter.org/research/post-industrial-journalism/).

    Von Mitarbeitern, die die oft viel zu komplexen Systeme dann zusätzlich noch erläutern sollen, ist dort nicht die Rede.

    In eine ähnliche Kerbe schlägt das Stichwort „Consumerization of IT“, welches den Wandel der Unternehmens-IT weg von komplexen, nutzer-unfreundlichen On-Premise-Systemen hin zu einfachen und oft cloud-basierten Software-Lösungen beschreibt, die ähnlich einfach zu beidenen sind, wie Konsumer-Software (z.B. Google, iPhone).

    Niemand bestreitet, dass die IT für Redaktionen und die IT-Kompetenz der Redakteure eine immer wichtigere Rolle einnimmt. Aber der Treiber von Veränderungen kann nur der Mensch sein, nicht das System.

    (Disclaimer: Ich bin selber Lieferant eines cloud-basierten Systems für Medienhäuser)