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Digitalisierung und Medien: „Viel Angst und Schrecken, viel Science-Fiction“

Interview mit dem Medienwissenschaftler Andreas Schümchen

Technische Innovationen verändern den Alltag enorm auch den von Journalisten. Technik-Fachjournalisten sind daher gefragt wie nie. Was sie können müssen, wie in den Medien über Digitalisierung berichtet wird und inwiefern künstliche Intelligenz (KI) Journalisten in Zukunft überflüssig machen wird, beantwortet der Medienwissenschaftler Andreas Schümchen (54) im Gespräch mit dem „Fachjournalist“.

Herr Schümchen, Sie sind Professor für Technikjournalismus, mit dem Schwerpunkt Medieninnovation und Digitalisierung. Wie technikaffin sind Sie selbst?

Ich gehöre nicht zu den Menschen, die vor dem Einschlafen mit dem größten Vergnügen Zeile für Zeile einer Bedienungsanleitung studieren. Die wichtigsten Funktionen von Geräten finde ich durch Ausprobieren heraus; meine Herangehensweise ist eher intuitiv. Für etwas technikinteressierter als der Durchschnitt halte ich mich schon: Auf einer Skala von 1 bis 10 würde ich mir eine 6 geben.

Ursprünglich habe ich zwar Geisteswissenschaften studiert, das aber an einer technischen Universität, der TU Berlin. Dadurch bin ich bereits während meines Studiums immer wieder mit technischen Aspekten in Berührung gekommen.

Die Welt verändert sich rasant, insbesondere durch die digitale Transformation. Damit dürften sich die Absolventen Ihres Studiengangs für einen zukunftssicheren Bereich qualifizieren?

Ja, wir sind mitten in einem Prozess, durch den vermehrt Technikjournalisten gefragt sind. Ihre Aufgabe ist es, das, was um uns herum so passiert, zu begleiten und einzuordnen. Dafür bekommen sie während des Studiums nicht nur das journalistische Handwerkszeug vermittelt, sondern auch Grundlagen aus Informationstechnologie – IT – und Ingenieurwesen.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung bei der Erstellung journalistischer Inhalte?

Wir haben mit dem Smartphone ein multifunktionales Tool, mit dem man beispielsweise ein sendefähiges Video drehen und unterwegs schneiden kann. Früher – und da rede ich jetzt nicht vom vergangenen Jahrhundert, sondern von vor zehn, 15 Jahren – brauchte man dazu einen ganzen Lkw an Equipment. Auch Audio, Fotos und Liveberichterstattung sind mit dem Smartphone möglich.

Solche veränderten Produktionsbedingungen beeinflussen den Alltag von Journalisten ganz enorm. Die neuen technischen Möglichkeiten steigern die Anforderungen an Journalisten und führen dazu, dass der Beruf stressiger wird. Früher musste man sich vor einem Termin in die Thematik einarbeiten, dann mit dem Interviewpartner reden, vielleicht noch ein Foto machen. Aber mittlerweile wird auch erwartet, dass man die sozialen Medien bedient und nach Möglichkeit noch mit einem Video in die Redaktion zurückkommt. Auch jeder Zeitungsjournalist sollte heute in der Lage sein, ein kurzes Video zu drehen.

Dass sich das Berufsbild des Journalisten in den kommenden Jahren dramatisch wandeln wird, glaube ich nicht. Vielmehr wird sich die Entwicklung, die wir schon seit bestimmt zwei Jahrzehnten haben, noch verstärken: Auf der einen Seite sind Journalisten gefragt, die sich inhaltlich auf ein Fachgebiet spezialisiert haben, sich also in einem engen Bereich richtig gut auskennen. Auf der anderen Seite müssen Journalisten die verschiedenen, gerade aktuellen Social-Media-Kanäle beherrschen und daran angepasst ihren Content aufbereiten. Die Spezialisierung wird noch enger werden, die Kanäle, die man bedienen können muss, werden noch zahlreicher. Es reicht schon jetzt nicht mehr, zu sagen: Ich kann Print und Online. Die größte Aufmerksamkeit bekommt man mit dem Bewegtbild. Es kann und will sich kaum noch ein Onlinemedium erlauben, ohne Bewegtbild-Angebote auszukommen.

Wie wird das Thema Digitalisierung in den Medien behandelt? 

Im Augenblick steht die künstliche Intelligenz, KI, sehr stark im Vordergrund. Außerdem sind Themen akut wie Energiewende oder Elektromobilität, die unsere gesamte Gesellschaft schwerwiegend verändern könnten, bis hin zu den verschiedenen Facetten von Digitalisierung, etwa Industrie 4.0, das „Internet der Dinge“ oder Cybersicherheit. Darüber wird entweder im Wirtschaftsressort oder in den Wirtschaftsmagazinen berichtet, weil es da um Geld geht. Und dann gibt es die überwiegend kulturkritischen Betrachtungen, wo Digitalisierung hinführt, was eher etwas fürs Feuilleton ist.

Was mir generell zu kurz kommt: das Verständnis dessen, was im Zuge der digitalen Transformation passiert. Über Bitcoin und Blockchain wird sehr viel gesprochen; wie sie aber funktionieren, das wird nicht so genau erklärt. Es ist jetzt nicht so, dass ich Journalismus für den verlängerten Arm der Volkshochschule halte; Medien sind ja nicht in erster Linie für die Bildung da. Aber es geht darum, Informationen vernünftig einordnen zu können. Und dafür muss ich als Journalist – wie das immer schon war in der Technikberichterstattung – die Grundlagen selbst verstehen, um sie meinem Publikum erklären und Entwicklungen dann kommentieren und einordnen zu können. Mir fällt gerade ganz besonders deutlich auf, dass dies beim Thema Digitalisierung oftmals nicht der Fall ist. Es fehlt mir, dass der Journalist sie so erklärt, dass es dem Leser tendenziell möglich ist, eine eigene Einschätzung und Bewertung vorzunehmen. Und dafür wäre der erste Schritt nun mal, dass der Journalist es selbst versteht – was offensichtlich schon eine hohe Hürde ist. Oft sagen Journalisten sogar offen, dass sie mit Technik nichts anfangen können, dass sie sie nicht verstehen, vielleicht sogar nicht verstehen wollen. Aber das reißt eine große Lücke in die Möglichkeiten. Wer sich nur widerwillig mit dem Thema beschäftigt, wird nicht richtig gut sein. Ein gewisses Interesse und Spaß an der Technik, die sich in rasanter Geschwindigkeit immer wieder ändert, sollte man schon mitbringen.

Sind jüngere Technikjournalisten besser als ihre älteren Kollegen?

Es ist nicht so, dass jüngere Menschen generell technikaffiner wären als ältere: Ich kenne ältere Journalistinnen und Journalisten, die mit großer Begeisterung und großem Interesse mitspielen bei den ganzen technischen Neuerungen, und genauso gut auch jüngere, die das alles nicht so spannend finden. In Redaktionen, in denen sehr routiniert gearbeitet wird, ist die Bereitschaft, sich auf neue Dinge einzulassen, nicht ganz so groß wie in denen, wo ohnehin ein bisschen mehr Kreativität möglich ist, weil man nicht so unter Zeitdruck steht. Also eher im Magazin als in der Tageszeitung, eher gedruckt als online.

Was zum Thema Digitalisierung so publiziert wird: viel Angst und Schrecken, viel Science-Fiction. Funktioniert etwas nicht, gibt es Katastrophen wie einstürzende Brücken, abstürzende Flugzeuge oder Kraftwerksunfälle, ist das ein Anlass für die Medien, über Technik zu berichten – negative Schlagzeilen sorgen bekanntlich für Auflage. Und vieles, was mit Digitalisierung oder mit künstlicher Intelligenz möglich ist, kann man natürlich auch ins Negative hineindenken, kann Ängste und Befürchtungen schüren. Das fängt bei einem vergleichsweise banalen Thema wie der Abschaffung des Bargelds an, die auch eine Folge der Digitalisierung ist. Und wenn es dann um weitaus komplexere Themen wie Predictive Policing geht, also das Vorhersehen von Straftaten durch den Einsatz von Big Data und künstlicher Intelligenz, kann es einen bei diesen Möglichkeiten der technischen Überwachung schon ein bisschen gruseln.

Digitalisierung scheint vor allem in Onlinemedien ein Thema zu sein

Menschen, die sich online informieren, sind sowieso schon sehr technikaffin. Daher ist in den Onlinemedien das Thema Technik weit mehr repräsentiert als in den Printmedien oder im Radio. Insofern gibt es dort eine große Nachfrage nach Technikjournalisten.

In manchen Onlinemedien geht es vorrangig um Service-Themen, darum, Produktneuheiten vorzustellen oder Geräte zu testen. Da gibt es einen regelrechten Wettbewerb, wer am schnellsten informiert. Die verständliche Aufbereitung von Informationen und ihre Einordnung allerdings – also etwas, was einen journalistischen Anspruch hat – findet, wenn überhaupt, am ehesten noch in den Printmedien statt.

Wie wird im Fachjournalismus über das Thema Digitalisierung berichtet? Welche Unterschiede gibt es im Vergleich zur Berichterstattung im Allroundjournalismus? 

Das lässt sich so pauschal nicht beantworten, denn Fachjournalismus ist ja ein sehr weites Feld – von IT-nahen Fachmedien hin zur „Allgemeinen BäckerZeitung“. Was man aber sagen kann: Es gibt einen großen Informationsbedarf bei den Lesern und Nutzern von Fachmedien, die sich mit digitalen Transformationen beschäftigen – und immer mehr Medien, die das tun.

Welche Zielgruppen sind bei der Berichterstattung über Digitalisierung für Journalisten besonders interessant?

Da sehe ich zwei Zielgruppen, die man ganz unterschiedlich mit Informationen zur Digitalisierung versorgen muss:

Zum einen sind es ältere Menschen, die einen Großteil ihres Lebens analog verbracht und insofern Nachholbedarf haben. Sie müssen computeraffiner werden, um in Zukunft beispielweise all ihre Bankgeschäfte online abwickeln und im Supermarkt ihre Waren selbst einscannen zu können.

Zum anderen sind Schulkinder in dem Zusammenhang eine sehr interessante Zielgruppe für Medien. Es gilt, sie möglichst frühzeitig über Digitalisierung zu informieren. So wie es das Schlagwort der Medienkompetenz gibt, so braucht es sicher auch eine Digitalkompetenz. Damit meine ich nicht, dass man Digital Natives erklären müsste, wie man ein Tablet ein- und ausschaltet oder den Akku des Smartphones lädt. Damit meine ich Themen wie Datenschutz, Datensicherheit und ethische Fragen, Stichwort: Cybermobbing. Weil jeder mit jedem vernetzt ist, kann das eine ganz brutale Intensität bekommen.

Jeder sollte sich einer gewissen Verantwortung bewusst sein – und da ist Aufklärung nötig. Wenn man an einer viel befahrenen Straße aufwächst, weiß man ja auch nicht von selbst, dass man nicht vor ein Auto laufen sollte. Natürlich wachsen Kinder heute automatisch hinein in den Umgang mit der Technik. 17-, 18-jährige Studienanfänger gehen mit den neuen Medien souverän um, sind aber keineswegs technikeuphorisiert. Sie betrachten manche Entwicklungen durchaus kritisch und mit einer gewissen Skepsis. Sie finden beispielsweise nicht alle sozialen Medien gut, auch wenn sie sie nutzen, um nicht sozial isoliert zu sein. Auch Jüngere werden zunehmend sensibel dafür, dass sie ihre Daten an Google, Facebook, Instagram, WhatsApp & Co. abgeben. Datenschutz ist eines der großen Kernthemen im Zusammenhang mit der Digitalisierung.

Wie schätzen Sie die Risiken der Digitalisierung ein?

Meine generelle Haltung ist, dass Fortschritt ohnehin nicht aufzuhalten ist. Deswegen, denke ich, ist es wichtig, dass man sich frühzeitig gründlich mit dem beschäftigt, was möglich ist und was kommen wird, um das Beste daraus zu machen und das Schlimmste zu verhindern.

Da sehe ich eine ganz wichtige Kontrollfunktion, eine „Wachhund-Funktion“ der Medien. Sie müssen bellen, wenn eine Entwicklung in die falsche Richtung geht, damit sich eine gesellschaftliche Diskussion darüber entwickelt. Das funktioniert einigermaßen gut bei politischen Entwicklungen – und das muss genauso bei technischen Entwicklungen funktionieren, gerade wenn sie so universell sind wie die Digitalisierung. Die Digitalisierung verändert alles – von Industrie 4.0 bis zum Inhalt unseres Kühlschranks. Diese Tatsache verlangt Medien, die diese Entwicklung kontinuierlich kritisch beobachten.

Die Technik formt unsere Welt heute genauso sehr wie die Politik und muss deshalb auch in der journalistischen Berichterstattung gleichermaßen stattfinden. Viele technische Entscheidungen sind auch politische Entscheidungen. Das autonome Auto ist weit weniger ein technisches als ein politisch-rechtliches Problem: Will man das? Ermöglicht man das?

Inwiefern beeinflussen ihrerseits die Medien die Digitalisierung?

Medien beeinflussen generell die Akzeptanz von Innovationen. Unternehmen haben schon lange begriffen, dass sie in erster Linie darauf schauen müssen, dass ihre technischen Entwicklungen von der Öffentlichkeit angenommen werden. Und dass die Medien dazu einen großen Teil beitragen.

Was prognostizieren Sie für die ferne Zukunft? Machen Roboter und automatisierte Texte Journalisten arbeitslos?

Künstliche Intelligenz oder Roboterjournalismus werden sicher eine Rolle spielen – aber wohl nicht in dem Maße, wie das jetzt als Schreckensbild an die Wand gemalt wird. Schwer vorstellbar, dass ein Algorithmus einen Kommentar schreiben wird.

Es gibt natürlich eine ganze Reihe von sehr routinierten journalistischen Tätigkeiten, bei denen man schon heute relativ problemlos Algorithmen Texte verfassen lassen kann: überall dort, wo Daten und Zahlen eine Rolle spielen – sei es in der Sportberichterstattung, bei der Wettervorhersage oder bei Aktienkursen. Vielleicht wird man daher in Zukunft weniger Praktikanten brauchen.

Aber Journalisten, die die Relevanz von Informationen beurteilen, die in der Lage sind, professionell zu recherchieren und Entwicklungen dann auch kommentieren können – da sehe ich nicht, dass die so leicht durch künstliche Intelligenz zu ersetzen sein werden.

Herr Schümchen, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

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Foto: Hochschule Bonn-Rhein-Sieg/Eric Lichtenscheidt

Prof. Dr. Andreas Schümchen (Jahrgang 1964) ist Journalist, Medienwissenschaftler und Hochschullehrer. Er studierte Medienwissenschaften, Neuere Deutsche Philologie, Psychologie und Kunstwissenschaft an der Technischen Universität Berlin. 1998 war er an der Konzeption des Studiengangs „Technikjournalismus“ an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg beteiligt, dort ist er bis heute Professor für Journalistik und außerdem Direktor des Instituts für Medienentwicklung und -analyse (IMEA). Schümchen ist Mitbegründer des Deutschen Preises für Innovationsjournalismus, leitete das Referat „Kommunikation und Publizistik“ beim Adolf-Grimme-Institut, wo er die Medienfachzeitschrift „grimme“ aufbaute, war Chefredakteur der Fachzeitschrift „Medien Bulletin“ sowie des Fachmagazins „Technikjournalist“ und ist Herausgeber und Chefredakteur des Onlinemagazins „innovations-journalismus.de“. 2008 gab er das Buch „Technikjournalismus“ heraus.

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