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Dopingberichterstattung im Fußball: Das Nähe-Distanz-Problem

König Fußball“ regiert den deutschen Sportjournalismus und ist das Verkaufsargument vieler Sportmedien. Doch anders als beim Radsport, in der Leichtathletik oder beim Schwimmen wird die Frage nach Doping nicht gestellt. Welche Mechanismen schützen den liebsten Sport der Deutschen und welche Rolle spielen die Journalisten?

Ein Blick in die offizielle Datenbank der Nationalen Anti-Doping Agentur Deutschland (NADA) genügt anscheinend, um zu belegen, dass Doping im Fußball kein flächendeckendes Problem ist. Im Zeitraum vom 1. Juli 2011 bis zum 1. Juli 2016 finden sich gerade einmal sieben Einträge zu Dopingvergehen. Der hochklassigste Spieler ist Branimir Bajic vom damaligen Zweitligisten MSV Duisburg. Der Bosnier nahm ein verbotenes Asthmaspray seines Sohnes und meldete dieses Versehen eigenständig der NADA. Es blieb bei einer Verwarnung. So lesen sich viele der Meldungen, die aus dem Fußball zum Thema Doping an die Öffentlichkeit dringen. Immer, so scheint es, war ein individueller Ausrutscher eines Spielers der Ausgangspunkt für Dopingverstöße. Ein flächendeckendes System hinter diesen Fällen ist nicht erkennbar. Während Aktive im Radsport und seit den Enthüllungen von Hajo Seppelt, Journalist der „ARD/WDR“-Dopingredaktion, in der Leichtathletik fast schon unter Generalverdacht stehen, scheint der Fußball ein Musterbeispiel für sauberen Profi- und Leistungssport zu sein. Dementsprechend ist Doping in der Fußballberichterstattung aktuell kein Thema.

Ganz anders sieht das Thomas Kistner, Journalist der „Süddeutschen Zeitung“. Auf 400 Seiten zeichnet der Sportjournalist des Jahres 2006 in seinem Buch „Schuss – Die geheime Dopinggeschichte des Fußballs“ ein düsteres Bild der fernen und nahen Fußballvergangenheit sowie der Gegenwart. Das Wunder von Bern, die internationale Dominanz von Marseille und Juventus Turin sowie das Abschneiden der russischen Nationalmannschaft bei der Fußball-Europameisterschaft 2008 bringt Kistner mit Doping in Verbindung. In seinen Recherchen zeichnet er ein ganz anderes Bild, als der Großteil seiner Sportjournalismus-Kollegen in Deutschland.

Warum gibt es diese Diskrepanz in der Berichterstattung? Ist der Fußball als systemrelevanter Bestandteil des Sportjournalismus „too big to fail“? Dies war die Fragestellung unserer wissenschaftlichen Projektarbeit im Masterstudiengang Medienentwicklung an der Hochschule Darmstadt. Eine tief gehende Recherche sowie sechs Experteninterviews mit Journalisten, Anti-Doping- und Medienexperten bildeten die Grundlagen der Studie. Hinzu kam die Abschrift des Dopingsymposiums zu Ehren Prof. Dr. Gerhard Treutleins, das am 25. Oktober 2015 in Nürnberg stattfand.

Der Preis der Information

Thomas Sulzer, Sportredakteur der „Bild“-Zeitung, wird im Gespräch deutlich. „Die Nachricht ist nach wie vor der König“, so der Olympiachef der auflagenstärksten Tageszeitung Deutschlands. Sie sei die DNA und habe daher höchste Priorität. Damit bringt Sulzer das Dilemma in der Dopingberichterstattung im Fußball auf den Punkt. Denn positive Dopingkontrollen, deren Ergebnisse den Nachrichtenfaktoren entsprechen, gibt es kaum. So bleibt nur die investigative Recherche zur Aufdeckung eventueller Missstände im Fußball. Dazu benötigen Journalisten Insider und eine Nähe zu den Vereinen. Diese Nähe gibt es. Gerade im Boulevard.

„Wir legen viel Wert darauf, ganz nah an den Vereinen zu sein. Wenn Eintracht Frankfurt beispielsweise ein Trainingslager auf dem Mond absolvieren würde, wären wir dabei“, sagt Sulzer. Für Prof. Dr. Marcus Bölz, Medienprofessor an der Fachhochschule für Mittelstand Hannover, ist diese Nähe elementar für die tägliche Arbeit. Dadurch entstehen allerdings Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Protagonisten und Journalisten. Gerade in Zeiten der professionellen Öffentlichkeitsarbeit der einzelnen Vereine. „Sie müssen jeden Tag diesem Druck standhalten, ein bis zwei Seiten füllen zu müssen. Dazu müssen Sie Informationen aus dem Verein rausholen. Wenn Sie dann das Problem haben, dass sie es sich mit zu vielen Leuten verscherzt haben, stehen Sie vor leeren Seiten und wissen nicht, was Sie jetzt machen sollen“, erklärt Bölz.

In diesem Umfeld der Abhängigkeit zum Thema Doping zu recherchieren, scheint daher mit einem großen Risiko behaftet. Denn es gibt den Vereinen eine privilegierte Position im Kampf um die Informationen. Auch deshalb beschreibt Jonathan Sachse, Mitglied des Rechercheverbundes „Correctiv“, die Wahrung der Distanz zu den Protagonisten als „besondere Herausforderung“. Die Problematik zwischen der notwendigen Nähe zum Erfassen der Informationen und der gebotenen Distanz zur kritischen Auseinandersetzung mit den Geschehnissen erschwert die Dopingberichterstattung im Fußball. Durch die herausragende Stellung dieser Sportart und damit verbunden der Bedeutung in den Medien entsteht bei positiver Berichterstattung eine Win-win-Situation für beide Seiten. Negative Schlagzeilen beeinträchtigen das Verhältnis zwischen Journalisten und Protagonisten und sind anscheinend auch von den Konsumenten nicht gewollt. Treutlein, ehemaliger Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Anti-Doping Experte, spricht vom „abstumpfenden Leser“ – und auch Sulzer sagt deutlich: „Was wir nur von unseren Klickzahlen her sehen, ist, dass Doping zum Beispiel nicht funktioniert.“

Da passt es ins Bild, dass nach den Enthüllungen der Freiburger Untersuchungskommission im März 2015 Mehmet Scholl, Robin Dutt und Jürgen Klopp Dopinganschuldigen einfach aus dem Weg räumen konnten. Prominent in den Medien platziert sagten sie damals, Doping habe im Fußball keine Wirkung. Damit war das Thema von der medialen Agenda gestrichen. Die Nähe zu den Protagonisten scheint in diesem Fall wichtiger zu sein als eine kritische Auseinandersetzung.

Journalisten als Dopingjäger?

Die Deutschen wollen anscheinend keine kritische Fußballberichterstattung. Dennoch verschreiben sich einige Journalisten der investigativen Recherche. Mit ihren Publikationen zeichnen sie ein anderes Bild vom Sport. Die „WDR“-Dopingredaktion um Seppelt brachte mit ihren Dokumentationen in der „ARD“ die Leichtathletik-Szene ins Wanken. Sportler und Verbände wurden gesperrt. Dabei sieht sich Seppelt nicht mehr als Sportjournalist. Beim Dopingsymposium in Nürnberg, wo er zusammen mit Kistner und „FAZ“-Sport-Ressortleiter Anno Hecker an einer Podiumsdiskussion teilnahm, charakterisierte Seppelt seine Arbeit folgendermaßen: „Ich glaube, dass das, was wir machen, letztendlich ein Stück weit investigativer Journalismus ist, der nur zufälligerweise noch im Sport stattfindet.“

Dieser Perspektivenwechsel ist vor allem aufgrund der Problematik von Nähe und Distanz zwischen Sportjournalisten und -protagonisten interessant. Seppelt agiert außerhalb des Sportsystems und versucht so, Informationen für seine Arbeit zu erhalten. Dies beschreibt Kistner als „kriminalistische Arbeit“, um ein „Eindringen in den Zirkel des Sports“ zu erreichen. Er sieht die Sportjournalisten als „Fans, die es über die Absperrung geschafft haben“. Beide Journalisten kritisierten in Nürnberg die Prozesse innerhalb des Sports und im Kontrollsystem der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA). Durch die starke Kritik am Sportsystem und dessen Akteuren nehmen sie eine externe Haltung ein und unterscheiden sich dadurch von ihren Kollegen im Tagesgeschäft, die im Dilemma der Abhängigkeiten agieren müssen oder, wie Hecker beispielsweise, sich der Aufklärung der Dopingsozialisation verschrieben haben. Die vorgelebte Distanz birgt auch Gefahren, die auf die Fußballberichterstattung bezogen vor allem in Kistners Buch festzustellen sind.

Eine Gefahr besteht zum Beispiel darin, Dopingindizien überzuinterpretieren. Journalisten werden zu Dopingjägern, weil sie die Fehler innerhalb des Systems so stark wahrnehmen, dass sie Verbesserungen ausblenden und Ereignisse immer mit diesem fehlerhaften System in Verbindung bringen.

Für Kistner ist beispielsweise der Sieg der russischen Nationalmannschaft über die Niederlande im EM-Viertelfinale 2008 bereits ein Indiz für Doping. „Die russischen Einzelwerte stachen ebenso heraus. Die Liste der laufstärksten Spieler im Viertelfinale führten drei Russen unter den besten fünf an. Warum hat so ein durchschlagendes Erfolgsmodell nie langfristig Schule gemacht?“ (Kistner, T., 2015, S. 211). Auch die Niederlage der Russen im Halbfinale gegen den späteren Europameister Spanien ist für ihn ein Anzeichen für ein ausgeklügeltes Dopingsystem innerhalb der Mannschaft: „Nicht zwei oder drei, praktisch alle standen neben sich – ein Phänomen, für das es eingedenk der Daten und Darbietungen zuvor kaum eine schlüssige Erklärung gab“ (Kistner, T., 2015, S. 213). Hat das russische Dopingsystem also gerade im Halbfinale versagt? Es fällt schwer, dieser Argumentationskette zu glauben. Russland traf mit Spanien auf die erfolgreichste Nationalmannschaft Ende der 2000er-Jahre. Nach dem EM-Triumph gewannen die Spanier zwei Jahre später auch den WM-Titel. Die Spieler von der iberischen Halbinsel zeigten zudem schon in der Vorrunde mit einem 4:1-Sieg, dass sie gegen Russland gewinnen können.

Fazit

So ist die Dopingberichterstattung eine Gratwanderung. Auf der einen Seite fehlen die handfesten Beweise, da es keine oder kaum positive Dopingbefunde im Fußball gibt. Auf der anderen Seite fällt es schwer, zu glauben, dass gerade das millionenschwere Fußballgeschäft sauber sein soll. Denn hier entscheidet Erfolg oder Misserfolg nicht über Medaillen, sondern über Millionen.

Die Journalisten scheinen gefangen in einem System Fußball, dessen Selbstverteidigung immer besser wird. Einige versuchen sich als Dopingjäger und verlassen den objektiven Pfad im Sportjournalismus. Mit der professionellen Ausrichtung der Vereine, gerade im Bereich Öffentlichkeitsarbeit und PR, verstärkt sich die Abhängigkeit der Journalisten, um Informationen zu erhalten. Nur ein Insider, der auspackt und ein eventuelles System offenlegt, oder ein erster großer Dopingfall im Fußball können daran etwas ändern.

Quellen:

Aufzeichnung Dopingsymposium Nürnberg 2015

Experteninterview mit Professor Dr. Marcus Bölz am 7. Dezember 2015 (Telefon)

Experteninterview mit Jonathan Sachse am 3. Dezember 2015 (Telefon)

Experteninterview mit Thomas Sulzer am 5. Januar 2016 (Telefon)

Experteninterview mit Professor Dr. Gerhard Treutlein am 14. Dezember 2015

Kistner, Thomas (2015): Schuss – Die geheime Doping-Geschichte des Fußballs, München, Droemer Verlag

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Belmann SchönwetterDie Autoren Moritz Belmann und Paul Schönwetter sind Masterstudenten im Fach Medienentwicklung an der Hochschule Darmstadt. Belmann (24 Jahre/Twitter: @MoBelmann) studierte Sportjournalismus und Sportmanagement an der medienakademie Hamburg und der Hochschule Mittweida. Seit 2010 ist er nationaler und internationaler Anti-Doping-Jugendbotschafter der Deutschen Sportjugend. Schönwetter (22 Jahre) studierte bis 2015 an der Hochschule Darmstadt Onlinejournalismus. Er arbeitet als freier Sportjournalist für die „Frankfurter Rundschau“.

Kommentare
  1. Thomas R. sagt:

    Ich fasse zusammen:
    „Für systematisches Doping im Fußball gibt es erstmal keine Indizien. Wir wollen das so nicht glauben und haben mit vielen Experten gesprochen. Das Ergebnis: Für systemisches Doping im Fußball gibt es immer noch KEINERLEI Indizien. Wir haben aber einen Reporter gefunden, der behauptet, alle viele der großen Fußballerfolge der letzten Jahrzehnte seien dem Doping geschuldet. Er vertritt eine Randmeinung und hat keinerlei Belege.
    Unser Ergebnis: Wir glauben das alles nicht! Die müssen dopen! Ein eventuelles System muss offengelegt werden!“

    Soviel zur Qualität im Sportjournalismus.

    • Moritz Belmann sagt:

      Hallo Thomas R.

      Gerne wollen wir unseren Standpunkt noch einmal erklären.

      Sie haben Recht. Es gibt momentan keine Beweise für systematisches Doping im Fußball in Deutschland. Zumindest kaum positive Dopingproben. Wir sagen deshalb nicht: „Wir glauben dem nicht. Es muss Doping im Fußball geben!“. Wir stellen nur Fragen und wollten mit Hilfe unserer Arbeit wissen, ob ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Fußballvereinen und Journalisten eine kritische Berichterstattung in diesem Fall verhindert. Wir haben Punkte in der Berichterstattung gefunden, die uns nachdenklich machen, sehen aber auch das Dilemma des Journalismus täglich Inhalte zu liefern und dabei faktenbasiert zu berichten. Wenn es Doping im Fußball gibt, was ich auf jeden Fall nicht ausschließe, dann muss dies durch einen Kronzeugen oder durch positive Kontrollen belegbar sein. Weitere Spekulation sehen wir als nicht zielführend an. Deshalb kritisieren wir ja auch in einigen Punkten Thomas Kistner und dessen Argumentationslinie im Buch „Schuss“(Unterüberschrift: Journalisten als Dopingjäger).

      Mit sportlichen Grüßen

      Moritz Belmann und Paul Schönwetter

  2. Thomas sagt:

    Daß sich Seppelt nicht mehr als Sportjournalist sieht, kann ich nachvollziehen, schließlich hat sich in D nahezu der gesamte Sportjournalismus in Print und TV/Radio in Richtung Boulevard bewegt. Tiefergehendes und Kritisches findet man dort leider selten.
    Richtig peinlich wird es, wenn sich die ARD erst (mit Recht) für Seppelts Arbeit auf die Schulter klopft, dann aber das ganze konterkariert, indem sie Dr. Müller-Wohlfahrt während der Olympiaberichterstattung zum Geburtstag gratuliert.