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Filmkritik zu „Almost Famous“: Die doppelte Reifeprüfung

In der Coming-of-Age-Komödie Almost Famous – Fast berühmt (2000) erzählt Cameron Crowe vom goldenen Zeitalter des Rockjournalismus. Eine Filmkritik von Dobrila Kontić.

San Diego, 1969: „Eines Tages wirst du cool sein.“ Als seine ältere Schwester Anita (Zooey Deschanel) diese Worte zum Abschied vor ihrem Aufbruch nach San Francisco ausspricht, erscheinen sie dem jungen Protagonisten William Miller (Patrick Fugit) wie ein Heilsversprechen. Auch vier Jahre später ist es noch nicht eingelöst: William ist inzwischen 15 Jahre alt und aufgrund seiner Hochbegabung bereits in der Abschlussklasse seiner Highschool. Er ist ein Außenseiter mit einer liebevoll-strengen Mutter (großartig: Frances McDormand) und einer großen Leidenschaft für Rock’n’Roll. Mithilfe von Anitas zurückgelassener Plattensammlung hat er sich solide Kenntnisse zu Led Zeppelin, Jimi Hendrix, Lou Reed und Co. angeeignet, die er als Rockkritiker im Schulblatt und für ein Underground-Magazin in seiner Heimatstadt weitergibt.

Im weiteren Verlauf des ersten Aktes von Almost Famous könnte man den Eindruck gewinnen, dass hier ein Hang zum Fantastischen die Handlung steuert. Fakt ist aber, dass Regisseur und Drehbuchautor Cameron Crowe (Jerry Maguire, Vanilla Sky) für Almost Famous auf seine eigenen Erfahrungen als Rockjournalist zurückgegriffen hat und tatsächlich schon im zarten Alter von 16 Jahren für das Musikmagazin Rolling Stone schrieb. Sechs Wochen lang tourte er damals mit der Allman Brothers Band durch die USA und führte mit ihnen Interviews.

Fan oder Journalist?

Und so verfolgt man mit einigem Erstaunen Williams weiteren Werdegang in dieser ungewöhnlichen Coming-of-Age-Geschichte mit. Kurz vor seinem Highschool-Abschluss trifft er auf den berühmten Rock-Kritiker Lester Bangs (Philip Seymour Hoffman), dem er schon einige seiner Kritiken geschickt hat. Als ebenso sympathischer wie abgehalfterter Mentor bläut er William zwei Prinzipien des Musikjournalismus ein: Sei ehrlich und sei unbarmherzig. Auf gar keinen Fall dürfe er sich mit den Musikern, die er für seine Kritiken und Reportagen interviewt, anfreunden.

Wie schwierig dieser Ratschlag mitunter zu befolgen ist, soll William bald klar werden. Nach seiner ersten Veröffentlichung im von Lester Bangs herausgegebenen Magazin Creem wird er vom Chefredakteur des Rolling Stone kontaktiert. William ergreift seine Chance und schlägt dem Redakteur einen Artikel über die aufstrebende (fiktionale) Rockband Stillwater vor. Doch bereits die erste Begegnung mit der Band verdeutlicht ihm, dass er mit einem betont professionellen Auftritt als Journalist nicht weiterkommt: Als „Bleistiftrocker“ wird er vom Frontmann Jeff (Jason Lee) verspottet und auch der etwas sanftmütigere Gitarrist Russell (Billy Crudup) lehnt es ab, mit dem „Feind“ zu sprechen. Erst als William ihnen schmeichelt, ihren Sound lobt und ihnen den Eindruck vermittelt, er sei mehr Fan als Journalist, wird er von ihnen in den inneren Kreis gelassen – was heißt: in den Backstage-Bereich und in den Tourbus.

Das goldene Zeitalter des Rockjournalismus

Dass es in den 1970er-Jahren keineswegs ungewöhnlich war, dass Musikjournalisten mit einer Band auf Tour gingen, hat jüngst der Dokumentarfilm Ticket to Write. The Golden Age of Rock Journalism (2016) dargelegt: Zahlreiche US-Musikjournalisten, die von Ende der 1960er- bis in die 1980er-Jahre hinein tätig waren, berichten darin, wie nah man damals Band-Größen wie Led Zeppelin, Lynyrd Skynyrd oder The Clash kommen konnte. Erst mit Beginn der Achtziger seien Rockstars stärker von ihren PR-Leuten abgeschirmt worden und die Zeitfenster für Interviews immer schmaler geworden.

Und so ist Almost Famous nach seinem Erscheinen zwar hinsichtlich seiner etwas zurückhaltenden, jugendfreien Darstellung des ausschweifenden Lebensstils von Rockstars kritisiert worden, aber der Film legt mit Williams Erfahrungen einen durchaus realistischen Konflikt von Musikjournalisten – damals wie heute – dar: Für ein gelungenes Bandporträt muss man den Rockstars so nahe wie möglich kommen, ohne dabei seine journalistische Distanz und Integrität zu verlieren. Wann immer William diesen Spagat versucht, wird er von Russell zum Verbündeten erklärt und dahingehend manipuliert, dass er sich bald selbst als Teil des Bandgefolges aus Groupies und Roadies begreift. Während der Rolling Stone ein schockierend ehrliches Bandporträt von William verlangt, bringt Russell den Wunsch der Band auf den Punkt: „Lass uns einfach cool aussehen.“ Für einen 15-jährigen Jungen, der sich immer danach gesehnt hat, dazuzugehören, eine schwierige Bewährungsprobe.

„Industrie der Coolness“

Almost Famous zieht eine Menge seines warmherzigen Witzes aus diesem entlarvenden Blick auf die Beziehung zwischen Rock’n’Roll und Journalismus und dem Vermarktungssinn, der sich in den 1970er-Jahren immer stärker ausprägte. Die Worte von Lester Bangs in diesem Film wirken dabei fast schon prophetisch: Er warnt William davor, scheinheilige, wohlwollende Storys über Rockstars zu schreiben, da dies eine „Industrie der Coolness“ („Industrie of Cool“) fördern und damit den wahren Rock’n’Roll zerstören würde. Mit der zunehmenden Popularität von Videomaterial und der Entstehung des Musikfernsehens Ende der 1980er-Jahre sollte diese Industrie bald Realität werden.

Und dennoch tut es gut, am Ende von Almost Famous mitzuerleben, wie William seine Integrität doch wahrt, nachdem seine Idole ihn enttäuschen und er eine harsche Erkenntnis hat: Er ist nicht cool und wird es niemals sein – ebenso wenig wie Lester Bangs und jeder andere Musikjournalist. Ihr Wissenseifer und der Wille, hinter Fassaden zu blicken, laufen der Abgeklärtheit und Erhabenheit zuwider, die hier Coolness ausmachen. Und egal, wie nahe man dem Leben der Rockstars bei der Recherche kommt: Ihre Coolness strahlt niemals auf die sie porträtierenden Kritiker aus. Was wie eine bittere Pille erscheinen mag, ist für William die bestandene Reifeprüfung und der Eintritt in eine Profession, für die er gerade wegen seines Außenseitertums wie geschaffen scheint. Wer nirgendwo so recht dazugehört, kann zu jedem Thema die gleiche persönliche Distanz wahren. Eine Voraussetzung für ehrliche und faire Berichterstattung.

Almost Famous – Fast berühmt

(Originaltitel: Almost Famous)

USA 2000. 118 Min.

Regie & Drehbuch: Cameron Crowe

Kamera: John Toll

Besetzung: Billy Crudup, Kate Hudson, Patrick Fugit, Philip Seymour Hoffman, Frances McDormand, Jason Lee u. a.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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