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Filmkritik zu „Citizen Kane“: Medienmogul und Manipulator

Von nachhaltiger Relevanz: Orson Welles‘ Citizen Kane (1941) verhandelt konsequent, wie die Faktoren Mensch, Medien und Macht aufeinander einwirken. Eine Filmkritik von Dobrila Kontić.

„Bester Film aller Zeiten“ – diesen gewichtigen Titel (verliehen von der britischen Filmzeitschrift Sight & Sound und den französischen Cahiers du Cinéma) musste Citizen Kane 2012 an Alfred Hitchcocks Vertigo abtreten. Doch weiterhin gilt Orson Welles‘ Hollywood-Debüt von 1941 unter Filmschaffenden, -kritikern und -wissenschaftlern als bedeutender Meilenstein der Filmgeschichte. Dies liegt zum einen an seinen formalen Besonderheiten, etwa dem non-linearen Erzählen und dem Einsatz von Schärfentiefe in weitwinkligen Aufnahmen, was alle Details der gezeigten Räume hervortreten lässt. Zum anderen zeigt sich die Vielschichtigkeit von Citizen Kane aber auch in seiner Thematik.

Im Kern geht es um das Leben eines Mannes, das über die Jahre viele Wendungen erfuhr und nach dessen Tod der Deutung bedarf. Diese fiktive Figur, Charles Foster Kane (gespielt von Orson Welles), war zudem ein bekannter Medienunternehmer und damit in zweifacher Hinsicht an die Öffentlichkeit gebunden. Jahrzehntelang prägte er durch seine Zeitungen die öffentliche Meinung und zugleich gab es eine wechselhafte öffentliche Meinung über ihn. Citizen Kane behandelt damit zu wesentlichen Teilen die Verschränkung der Faktoren Mensch, Medien und Macht und deren gegenseitige Beeinflussung.

Der fehlende Aufhänger

Dieser zweifache Fokus auf Kane als Privatmensch sowie als Medienmacher und öffentliche Figur lässt sich bereits in den vielbesprochenen beiden Anfängen dieses Films erkennen.

Da ist zunächst der düstere Einstieg, in dem sich die Kamera Aufnahme für Aufnahme einem Schloss auf einem Hügel nähert und das Ende des Privatmenschen Kane zeigt. In Großaufnahme sehen wir einen Mund ein Wort aushauchen („Rosebud“), bevor eine Schneekugel zu Boden fällt und zerbricht. Eine Krankenschwester tritt ein und deckt den Leichnam eines alten Mannes zu. Charles Foster Kane ist tot.

Der zweite Anfang besteht aus einem zehnminütigen Nachruf von „News on the March“, einer karikaturesken Anspielung auf die bedeutsam daherkommenden Fernseh-Wochenschauen jener Zeit. Alle Lebensstationen von Charles Foster Kane werden hier, versehen mit dem passenden Filmmaterial, im Schnellverfahren abgehandelt: von seiner bescheidenen Herkunft über seine steile Karriere als „bedeutendster Zeitungsmagnat seiner Generation“ und „Meister der Massenbeeinflussung“ bis hin zum Scheitern seiner politischen Ambitionen und dem anschließenden Rückzug aus der Öffentlichkeit. Dieser Beitrag ist noch im Entwurfsstadium, wie wir kurz darauf erfahren. Im verrauchten Dunkel des Vorführraums diskutieren die verantwortlichen Redakteure über dessen Qualität, wobei sie mit dem Rücken zur Kamera stehen oder ihre Gesichter von Schatten verdeckt werden. Chefredakteur Rawlston (Philip Van Zandt) bemängelt den fehlenden Aufhänger des Beitrags. Er hofft, dass „Rosebud“ diesen liefern könnte und beauftragt den Reporter Jerry Thompson (William Alland) herauszufinden, was es mit diesem letzten Wort Kanes auf sich hat.

Die idealistischen Anfänge

Thompsons Recherchen führen ihn zu fünf Weggefährten Kanes, die entscheidende Momente in dessen Leben miterlebt haben und diese nacheinander zum Besten geben. Aus ihren Erinnerungen ergibt sich stückchenweise ein lebendiges Porträt von der komplexen Persönlichkeit Kanes. Die Übernahme der Tageszeitung New York Inquirer ist dabei für drei dieser Weggefährten ein wichtiger Ansatzpunkt. Im Nachlass des inzwischen verstorbenen Vormundes von Kane, Walter Thatcher (George Coulouris), recherchiert Thompson, unter welchen Umständen Kane Herausgeber wurde: Als Kane noch ein Kind war, übernahm der Bankier Thatcher auf Bitte von Kanes Mutter die Vormundschaft über ihn. Dies ermöglichte dem kleinen Charles den Besuch teurer Privatschulen und die Aussicht darauf, mit 25 Jahren ein Millionenvermögen zu erben. Zugleich verbrachte er seine Kindheit und Jugend fernab seiner Eltern und seiner Heimat Colorado.

Nach Antritt seines Erbes übernahm Kane dann ohne jegliche Erfahrung den New York Inquirer. In den Erinnerungen seines Prokuristen Bernstein (Everett Sloane) sehen wir, wie ein junger Kane voller Tatendrang in die verstaubten Redaktionsräume dieses Blattes rauscht und seine Ideale in einer Grundsatzerklärung festhält: „Ich werde den Bürgern dieser Stadt eine Zeitung geben, die alle Nachrichten wahrheitsgetreu bringt. Ich gebe ihnen einen unermüdlichen Verfechter ihrer Rechte. Ihrer Rechte als Bürger und als Menschen.“ Zugleich ist dieser Idealismus aber durchtränkt von einem Willen, dem Blatt populistische Schlagkraft zu verleihen: Die Überschriften müssen größer werden und sensationelle Kriminalfälle aufs Titelblatt, fordert Kane. Als ihm der greise Chefredakteur empört mitteilt, die Nachricht über eine vermisste Frau in Brooklyn sei wohl kaum groß genug fürs Titelblatt, entgegnet der neue Herausgeber: „Eine größere Schlagzeile macht auch die Nachricht größer.“

Das Vorbild: Yellow-Press-Begründer William Randolph Hearst

Mit entsprechender Typografie zur Relevanz aufgebauschte, sensationalistische „human interest“-Stories – das ist bis heute die Basiszutat der Yellow Press. Ende des 19. Jahrhunderts keimte dieses Phänomen im Auflagenkrieg zwischen Joseph Pulitzers Tageszeitung New York World und William Randolph Hearsts New York Journal auf. Letzterer war neben einigen weiteren Tycoons jener Zeit das zentrale Vorbild für die Figur des Charles Foster Kane. Zum Ärger des zum Erscheinen von Citizen Kane noch lebenden und mächtigen Hearst wurden die Parallelen zwischen der fiktiven Figur und dem realen Hearst von Orson Welles und seinem Co-Autor Herman Mankiewicz kaum verschleiert.

So behandelt Citizen Kane unter anderem Hearsts äußert erfolgreichen, aber moralisch fragwürdigen Geschäftssinn als Zeitungsherausgeber: Mit aufrührerischen, eine Intervention befürwortenden Schlagzeilen soll Hearst 1898 etwa den Spanisch-Amerikanischen Krieg herbeigeführt haben, der von Zeitgenossen entsprechend auch als „The Journal’s War“ bezeichnet wurde. In einer Szene sehen wir den jungen Herausgeber Kane einem Korrespondenten auf Kuba telegrafieren: „Du lieferst die Gedichte, ich liefere den Krieg.“ Dies ist eine direkte Anspielung auf eine damals bekannte, aber bis heute nicht belegte schriftliche Anweisung Hearsts an seinen Kuba-Korrespondenten.

Medienmogul oder Manipulator?

Was sich bereits in Bernsteins Erinnerungen an Kane angedeutet hat, führt der im Pflegeheim von Thompson interviewte Jedediah Leland (Joseph Cotten) weiter aus: Im Laufe seiner Karriere wandelt sich Kane immer mehr vom Meinungsbildner zum Manipulatoren – und dessen ist er sich durchaus bewusst. In der berühmten Frühstücksmontage, die zeigt, wie sich das Ehepaar Kane über die Jahre immer weiter entfremdet und die Distanz zwischen ihnen am Frühstückstisch wächst, fällt ein entscheidender Dialog: „Was werden die Leute denken?“, fragt ihn seine Ehefrau Emily, die seiner kritischen Haltung gegenüber dem Präsidenten (ihrem Onkel) müde wird. „Sie denken das, was ich ihnen sage!“, erwidert Kane. Leland, Kanes ehemals bester Freund seit Studienzeiten und seit dem ersten Tag im Inquirer Teil der Redaktion, beschreibt, wie sich Kane nach und nach ebenfalls von den Prinzipien seiner Grundsatzerklärung distanziert.

Eine Amour fou mit der Öffentlichkeit

„Alles, was er im Leben gewollt hat, war Liebe.“ So lautet Lelands resigniertes Resümee über seinen ehemaligen Freund. Und tatsächlich lässt sich Kanes Beziehung zur Öffentlichkeit als tragische Liebesgeschichte lesen: Als Verfechter ihrer Rechte und Würde war er angetreten, bis er vom Willen getrieben wurde, sie nicht nur zu beeinflussen, sondern auch zu beherrschen. Fast kommt es auch zu Letzterem, als Kane als unabhängiger Kandidat bei den Wahlen zum Gouverneur des Staates New York antritt. In seiner Wahlkampfrede jubelt ihm ein begeistertes Publikum zu. Amtsinhaber und Gegenkandidat Jim Gettys (Ray Collins), gegen den Kanes Zeitungen eine Schmierenkampagne gefahren hatten, holt zum Gegenschlag aus. In der konfrontativsten Szene des Films stellt er dem verheirateten Kane, der sich seit Monaten heimlich mit der Amateursängerin Susan Alexander (Dorothy Comingore) trifft, ein Ultimatum: Entweder Kane tritt als Kandidat zurück oder Gettys informiert die Presse über Kanes Affäre. Kane setzt alles auf eine Karte, im Glauben, dass die Öffentlichkeit ihn niemals verschmähen würde. Ein Fehlschluss: Als der Skandal die Konkurrenzzeitungen erreicht, ist der Wahlkampf verloren und jegliche Hoffnung Kanes auf eine politische Karriere für immer begraben. Gettys hat ihn mit seinen eigenen Mitteln und unter Zuhilfenahme der nicht gänzlich von Kane beherrschten Presse geschlagen.

Das letzte Wort

Am Ende seiner Recherchen hat Thompson aus fünf unterschiedlichen Blickwinkeln auf Kane als Privatmensch und als Medienunternehmer geblickt. Dennoch kann er sich keinen Reim darauf machen, was für ein Mensch Kane eigentlich war. Anders als der Zuschauer erfährt er auch nicht, was es mit „Rosebud“ auf sich hat. Doch diese dramatische Ironie wird abgemildert durch das Bild, das Citizen Kane überhaupt vom Journalismus und von der Macht der Medien vermittelt: Die in der Zeit nach Kanes Tod recherchierenden Journalisten sind charakterlose Schattenwesen, die wir nie gänzlich zu Gesicht bekommen. Sie stellen viele Fragen, tappen aber im Dunkeln, wenn es darum geht, ein Menschenleben im Kern zu erfassen. Und der mächtige Medienmogul, der sein Wirken mit scheinbar hehren Idealen begann, offenbart sich schließlich als von persönlichen Defiziten Getriebener, der der Masse nicht zu ihren Rechten verhelfen, sondern von ihr zeitlebens bewundert werden wollte. So stellt Orson Welles‘ Citizen Kane die Grenzen des Journalismus und die Hybris der ihn steuernden Mächte dar. Und eine Liebeserklärung an den Film, der das komplexe Zusammenwirken solcher Faktoren genau durchleuchten kann.

Citizen Kane

USA 1941, 119 Min.

Regie: Orson Welles; Drehbuch: Orson Welles, Herman J. Mankiewicz

Kamera: Gregg Toland

Besetzung: Orson Welles, Joseph Cotten, Dorothy Comingore, Everett Sloane u. a.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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