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Filmkritik zu „Interview“: Hochmut kommt vor dem Fall

Das psychologische Kammerspiel „Interview“ zeigt eindrucksvoll, wie tief ein Journalist fallen kann, der seinen Gesprächspartner nicht richtig einzuschätzen weiß. Eine Filmkritik von Dobrila Kontić.

Wie ein Interview gelingt, wie ein Frage-und-Antwort-Spiel ein aufschlussreiches und spannendes Porträt wird, darüber gehen die Meinungen unter Journalisten auseinander. Es dürfte aber feststehen, dass eine gute Vorbereitung auf das Gespräch, also die vorangehende Beschäftigung mit den Taten und Werken des Gegenübers, sehr viel wert ist. Genauso wie die Bereitschaft, sich trotz aller Informiertheit und aller angestrebten Gesprächsziele vorurteilsfrei ein eigenes Bild vom Interviewten zu verschaffen.

Dies alles ist aber Pierre (Pierre Bokma), dem Journalisten in Theo van Goghs Interview (2003), schnuppe. „Das Kabinett tritt zurück und ich darf zwei Titten interviewen, die keinen geraden Satz rausbringen!“, beklagt er sich zu Beginn dieses Films. Immerhin ist er ein erfahrener Polit-Journalist, der aus den Kriegsgebieten dieser Welt, zuletzt vom Bosnienkrieg, berichtet hat. Aktuell interessiert ihn nichts mehr als die große Regierungskrise in den Niederlanden, die aus der Verstrickung niederländischer UN-Soldaten in das Massaker von Srebrenica resultiert. Doch Pierres Chefredakteur hat ihn von diesem Thema abgezogen und stattdessen auf TV-Sternchen Katja (Katja Schuurman) angesetzt, das er für ein Porträt interviewen soll. Eine Zumutung für den so seriösen Journalisten.

Aufeinanderprallen zweier Welten

Dies ist die Ausgangslage für das psychologische Kammerspiel, das sich in Katjas Wohnung entwickelt. Er kenne ihre Serie nicht, habe keinen ihrer Filme gesehen und eigentlich kein Interesse an ihr als Person, eröffnet Pierre der erstaunten Katja kurz nach seiner Ankunft. Eigentlich ein Grund, das Gespräch sofort abzubrechen, aber zur Freude des Zuschauers schmeißt Katja Pierre nicht hinaus. Die beiden öffnen einige Flaschen Wein und kommen auf das zu sprechen, was sie wirklich interessiert: Katjas Brustvergrößerung, Pierres traumatische Erlebnisse als Kriegsberichterstatter, warum Beziehungen zwischen Männern und Frauen nicht funktionieren können, warum Katja nur in kommerziellem Blödsinn mitspielt – alles kommt auf den Tisch. Regisseur Theo van Gogh lässt hier zwei Egos ungebremst aufeinanderprallen, die in mehrfachem Sinne zwei sich sowohl anziehende als auch abstoßende Welten repräsentieren: Boulevard und Politik, Kunst und Journalismus, Fiktion und Wahrheit, Mann und Frau. Zwischen Streit und Flirt pendeln die so entfachten Wortwechsel unvermittelt hin und her, wobei sich nach und nach die Schattenseiten beider Persönlichkeiten herauskristallisieren.

So ambitioniert diese Art der Charakterstudie auch ist, gehört Interview noch zu den harmloseren Werken des niederländischen Regisseurs Theo van Gogh, der ein Jahr nach Veröffentlichung dieses Films einem islamistischen Attentat zum Opfer fiel. Dies war eine Reaktion auf seinen Kurzfilm Submission (2004), in dem er seine Abneigung gegenüber dem Islam Ausdruck verliehen hatte – wie zuvor schon gegenüber dem Judentum, der niederländischen linksliberalen Politik und einfach allem, was ihm gegen den Strich ging. In den Niederlanden war er zeitlebens als lautstarker, mit Beleidigungen um sich werfender Provokateur bekannt. Nach seinem gewaltsamen Tod wurde er weltweit als streitbarer Kämpfer für Meinungsfreiheit gewürdigt.

Remake und Hommage

Über all die nach seinem Tod entbrannten Debatten um Meinungs- und Kunstfreiheit wären seine Werke jenseits von Submission in Vergessenheit geraten, hätte es nicht das „Triple Theo“-Projekt gegeben: Drei seiner Filme wurden von amerikanischen Regisseuren neu verfilmt – Blind Date, 06 und Interview. Letzteren setzte der vor allem als Schauspieler bekannte Steve Buscemi 2007 neu in Szene. In dem gleichnamigen Remake, das sich auch als Hommage an Theo van Gogh verstand, übernahmen die damals noch wenig bekannte Sienna Miller und er selbst die Hauptrollen. Das Drehbuch orientierte sich grob am niederländischen Original, verlegte die Handlung aber nach New York. Dem verstorbenen Regisseur huldigte Buscemi nicht nur mit ein paar subtilen Verweisen im Film, sondern auch, indem er van Goghs effiziente Drehweise adaptierte: Er ließ drei Kameras zugleich laufen, was ihm und Sienna Miller als Schauspielern Bewegungsfreiheit und Raum für Improvisation gewährte.

Selbstdemontage eines Interviewers

Auf diese Weise entspinnt sich in Buscemis Interview eine ähnlich bestechende Dynamik zwischen den beiden Protagonisten wie im Original. Der um Katya (im Remake mit y geschrieben) herrschende Celebrity-Kult tritt aber im US-Remake naturgemäß noch stärker hervor, da die Filmindustrie in den USA sehr viel dominanter ist. Entsprechend deutlicher zeichnet sich hier Pierres Verachtung für sein Gegenüber ab, die B-Prominente, der er sich als seriöser Journalist moralisch und intellektuell überlegen fühlt. Eine Haltung, die die keineswegs untalentierte Katya zunächst amüsiert, schließlich aber verstimmt.

Dass diese Art journalistischen Hochmuts unweigerlich zu Fall gebracht werden muss, ahnt man in beiden Versionen von Interview lange vor Pierre. Umso bemerkenswerter ist die Arroganz, mit der er seine eigene Demontage unbewusst vorantreibt. Neben Text-Manipulation, zwielichtigen Recherchemethoden und Sensationsgier ist ihm in der Nachbetrachtung vor allem ein journalistischer Fehlgriff anzulasten: die Unterschätzung seiner Gesprächspartnerin.

Interview – Nächtliche Geständnisse

(Originaltitel: Interview)

Niederlande 2003. 88 Min.

Regie: Theo van Gogh

Drehbuch: Theodor Holman, Hans Teeuwen

Kamera: Thomas Kist

Besetzung: Pierre Bokma, Katja Schuurman, Michiel de Jong u. a.

Interview

(Originaltitel: Interview)

USA/Niederlande 2007. 84 Min.

Regie: Steve Buscemi

Drehbuch: Steve Buscemi, David Schechter

Kamera: Thomas Kist

Besetzung: Sienna Miller, Steve Buscemi, Michael Buscemi u. a.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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