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Filmkritik zu „Schtonk!“: Knüller, Knaller, Sensationen

Helmut Dietls Satire „Schtonk!“ (1992) zeichnet den Irrsinn nach, der den bis heute größten deutschen Presseskandal verursachte. Eine Filmkritik von Dobrila Kontić.

Die humoristische Überzeichnung, die Verzerrung ins Groteske und sich zur extremen Lächerlichkeit entwickelnde Figuren gehören zu den Grundelementen der Satire. Allerdings treffen diese auf Helmut Dietls Satire Schtonk! (1992) nur bedingt zu. Allzu vieles verzerren oder übertreiben musste Dietl für seine Verarbeitung des bis heute größten deutschen Presseskandals gar nicht: die Veröffentlichung der vermeintlichen Hitler-Tagebücher durch den stern 1983.

Vielmehr hat Dietl das Gerüst für seine Handlung aus tatsächlichen Elementen des damaligen Skandals gebaut: ein dilettantischer Fälscher (Konrad Kujau), der die Nachfrage nach Nazi-Devotionalien in der Bundesrepublik bediente, ein stern-Redakteur (Gerd Heidemann) mit einem „Nazi-Tick“ und Kontakten zu Altnazis, eine Verlagsleitung (Gruner + Jahr), deren Gier nach einem Knüller keinerlei moralische Bedenken kannte und die mehr als neun Millionen Deutsche Mark für stümperhafte Fälschungen hinausschleuderte. Mit nur leichten Verfremdungen hangelt sich Schtonk! an diesem Gerüst entlang, von einer grotesken Situation zur nächsten, und erzählt nicht nur, wie sich ein um Seriosität ringendes Magazin der Lächerlichkeit preisgegeben hat. Schtonk! wirft auch einen Blick auf die Verführbarkeit von Journalisten im Angesicht eines vermeintlichen Scoop – egal, wie moralisch fragwürdig dieser sein mag.

Knüller und Weltsensationen

Am Anfang dieses Skandals steht in Schtonk! die Geldnot: Der Hamburger Journalist Hermann Willié (Götz George), der mit dem Accent aigu in seinem Nachnamen tapfer leugnet, was er ist, hat die Yacht „Carin II“ des einstigen NS-Reichsmarschalls Hermann Göring erworben und sich damit mächtig übernommen. Das Schiff ist nichts weiter als ein Wrack aus morschem Holz, das ihm nicht einmal Freya von Hepp (Christiane Hörbiger), Hermann Görings stolze Nichte, abkaufen will.

Nachdem Willié auch bei dem Versuch scheitert, die Yacht samt Story seiner Stammredaktion beim Magazin HHpress schmackhaft zu machen, ist er nah an der Verzweiflung. Das Einzige, was ihn retten könne, sei ein „Knüller“, erklärt ihm sein Ressortleiter Pit Kummer (Harald Juhnke) und liefert dessen Definition gleich nach: „So ’nen richtigen Knaller eben, verstehste? Wat wieder richtig reinknallt, wat dich so anspringt vom Kiosk runter, wenn du Leser bist!“

Wörter wie „Knüller“, „Knaller“, „Weltsensation“ fallen oft in Schtonk! und werden von Figuren ausgesprochen, die dabei ein Leuchten in den Augen haben und einen Gesichtsausdruck zwischen Besessenheit und Lüsternheit. Diese Knüller-Mentalität wird in Dietls Film zum Katalysator der Katastrophe. Entstanden aus dem Druck, schnell eine Riesenstory finden zu müssen, versperrt sie den Journalisten den Blick auf Fakten und lässt sie ihre Sorgfaltspflicht – sofern überhaupt je vorhanden – vergessen.

Auch der reale stern-Fall wurde erst durch diese ständige Jagd nach der Riesenstory möglich. In ihren Büchern zum Skandal verwiesen die Journalisten Manfred Bissinger und Erich Kuby auf die Rolle des stern in der damaligen Presselandschaft: 1948 als Unterhaltungsillustrierte gegründet strebte Henri Nannen im Lauf der Jahrzehnte deren Politisierung an, damit diese es mit dem seriösen Konkurrenzblatt Der Spiegel aufnehmen konnte. Doch die Konkurrenz war dem stern immer einen Schritt voraus – so auch 1982, als eine Enthüllungsgeschichte über die Korruption der gewerkschaftseigenen Baugesellschaft „Neue Heimat“ den Spiegel-Titel zierte. Der stern, auf den der Informant zuerst zugekommen war, hatte die Geschichte abgelehnt und stand nun als Verlierer da, der sich erst durch einen eigenen Knüller wieder hätte rehabilitieren können.

Kurzschlüsse statt Recherche

Wohin der Marktdruck auf das Blatt, die Geldnöte eines zwielichtigen Journalisten und grobe Recherchefehler schließlich führten, zeigt uns Dietl im zweiten Akt von Schtonk!: Willié überredet Freya von Hepp (nun seine Geliebte), der Einladung eines Nazi-Sympathisanten zum „Kameradschaftsabend“ zu folgen. Vor einer pompösen Kulisse aus Nazi-Reliquien präsentiert dieser die Sensation: das Tagebuch von Adolf Hitler. Beschafft hatte ihm das vermeintliche Tagebuch der sich als Kunsthändler ausgebende Fälscher Fritz Knobel (Uwe Ochsenknecht).

Willié ist überzeugt davon, hier seinen Knüller gefunden zu haben, und geht den Details aus dem verlesenen Tagebuchauszug per Recherche nach. Dieser besagt, dass ein mit persönlichen Schriftstücken Adolf Hitlers beladenes Flugzeug 1942 über dem sächsischen Örtchen Börnersdorf abgestürzt war. In einer überdreht-dramatisch inszenierten Nacht-und-Nebel-Aktion fährt Willié nach Börnersdorf und findet dort tatsächlich die Gräber der beim Absturz verunglückten Soldaten vor. Beweis genug für ihn und anschließend auch Pit Kummer, dass Hitler Tagebuch geführt haben muss!

Dies ist nur eine der vielen Stellen von Schtonk!, die in ihrer fehlenden Logik erdacht scheinen, aber unfassbar nah an die realen Begebenheiten reichen. Tatsächlich genügte dieser nicht einmal als Indiz zu gebrauchende Flugzeugabsturz dem damaligen stern-Redakteur Gerd Heidemann, seinem Ressortleiter Dr. Thomas Walde und schließlich auch der Verlagsleitung, um die ersten Millionen zur Beschaffung der Tagebücher auszugeben – ohne weitere Prüfung der Wahrscheinlichkeit für die Existenz solcher Dokumente. 20 Jahre nach dem Skandal gab sich Thomas Walde im Süddeutsche Zeitung Magazin geläutert: „Wenn mich die Fälschung der Tagebücher eines gelehrt hat, dann das: Solange wir Journalisten Fakten verifizieren, so lange werden wir Lügen aufsitzen. Helfen kann nur das Falsifizieren. Also die Suche nach Hinweisen, Belegen dafür, dass eine angenommene These nicht stimmt.“

Der eigentliche Skandal

Wie die Entscheidungsträger des stern der Lüge um die Tagebücher aufsaßen, sich nicht davon abschrecken ließen, dass die für viel Geld eingekauften Bücher voller Banalitäten und einiger von Historikern schnell identifizierbarer inhaltlicher Fehler waren, wird in Schtonk! mit viel Freude am Grotesken zelebriert. Die Charakterfehler der hier anzutreffenden Journalisten und Verleger reichen von extremer Eitelkeit über Unreflektiertheit und Opportunismus bis hin zur Rückgratlosigkeit.

Doch zugleich widmet sich Schtonk! auch dem eigentlichen Skandal, der sich hinter der Geschichte einer gigantischen Fälschung und eines vorgeführten Magazins verbirgt: Es geht um die Bereitschaft des stern, den Fund der Tagebücher Adolf Hitlers überhaupt zum journalistischen Thema zu erheben und auf das Titelblatt zu hieven. Und damit auf die anhaltende Faszination des Publikums für diesen Mann und das „Dritte Reich“ im Allgemeinen zu setzen.

Dass dieser Faszination auch eine gewisse Ehrfurcht vor der nationalsozialistischen Vergangenheit beigemischt ist, bekräftigt die Szene, in der dem Verlagsleiter Dr. Guntram Wieland (Ulrich Mühe) das erste Tagebuch überreicht wird und dieser, bevor er es öffnet, andächtig verkündet: „Wenn ich denke, dass wir hier in Händen halten, was seine Hände berührten … Und wenn ich denke, dass ich hier und heute berühre, was er damals in seinen Händen hielt, dann weht einen hier schon so was an, so ein Gefühl, so ein, ich will sagen, so ein Eishauch der Geschichte.“ Es sind Worte, die trotz Mühes großartig abstruser Darbietung an den Ausspruch des in den Skandal involvierten Verlagsleiters Dr. Manfred Fischer erinnern, der im Interview mit der Bild 1983 beschrieb, was für ein „sinnliches Erlebnis“ es gewesen sei, diese Bücher in den Händen zu halten. In demselben Interview sprach er von der „Gruppenpsychose“, die ihn und die übrige Verlagsleitung überkommen hatte.

Auch diese wird in Schtonk! zum Thema, wobei Dietl schonungslos das enthüllt, was dieser Psychose vorausging: Rückgratlosigkeit und Verführbarkeit. So steigt der von seiner Redaktion verachtete und von Wieland als „schmierig“ empfundene Willié bald zum über die Maßen geschätzten Mitarbeiter auf. Es gipfelt darin, dass Wieland, der zu Beginn nichts mit der „braunen Soße“ zu tun haben wollte, die Willié ihm angeboten hatte, schließlich nicht nur dessen Feier auf der frisch restaurierten „Carin II“ besucht, sondern Willié sogar ein selbst komponiertes Ständchen singt. Hatte sich Wieland zuvor noch damit gerühmt, dass sein Onkel während der NS-Diktatur aktiv im Widerstand war, biedert er sich nun der Göring-Nichte Freya von Hepp an, die sein „neudemokratisches Blatt“ verachtet.

Fazit

Es ist ein nur vordergründig amüsierter Blick, den Schtonk! auf den Presseskandal um die gefälschten Tagebücher wirft. In diesen Blick mischt sich auch Gehässigkeit gegenüber der im Film mehrfach bedeutsam betitelten „deutschen Pressestadt“ Hamburg, mit deren seriösem Gehabe Dietl als Süddeutscher lustvoll abrechnet. Dies mag man noch als regionalversessene Unsportlichkeit abtun, aber die Kritik an der Bereitschaft des stern, im Angesicht einer vermeintlichen Sensation jegliche moralische Hüllen fallen zu lassen, ist berechtigt. Sie trifft zudem ins Herz einer Gesellschaft, in der die Faszination für Hitlers Regime präsenter war als gedacht. Über zwei Millionen verkaufte Exemplare der damaligen stern-Ausgabe zeugen davon.

Schtonk!

Deutschland 1992, 115 Min

Regie: Helmut Dietl; Drehbuch: Helmut Dietl, Ulrich Limmer

Kamera: Xaver Schwarzenberger

Besetzung: Uwe Ochsenknecht, Götz George, Christiane Hörbiger, Harald Juhnke u. a.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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