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Fußball satt! Aber was läuft da eigentlich? Eine Analyse zu Fußballübertragungen im Fernsehen

Wenn sich das Team von Bundestrainer Joachim Löw bei der Europameisterschaft in Frankreich anschickt, den nächsten Titel folgen zu lassen, werden auch die Medien wieder nah dran sein. Großturniere dieser Art sorgen im Fernsehen für starke Einschaltquoten und Marktanteile. Den Rekordwert hält aktuell das WM-Finale 2014 zwischen Deutschland und Argentinien mit 34,57 Millionen TV-Zuschauern. Eine Längsschnittstudie analysiert regelmäßig die Struktur der Übertragungen.

Der immense zeitliche Umfang von TV-Großfußballabenden sowie die Frage nach Qualität und Vielfalt in entsprechenden Sportübertragungen waren Anlass, Muster und Entwicklungen der Fernsehsportberichterstattung im Längs- und Querschnitt zu untersuchen.1 Die vorliegende Analyse greift auf einen Datensatz von inzwischen insgesamt elf Turnieren seit der Weltmeisterschaft 1994 in den USA zurück (Stiehler/Marr 2001 bzw. Horky/Grimmer 2011). Hierbei handelt es sich um das jeweils letzte Spiel der deutschen Nationalmannschaft bei einer WM- oder EM-Endrunde.

WM-Berichterstattung im Längsschnitt

Die Kodierung des digital vorliegenden Materials erfolgt mithilfe einer inhaltsanalytischen Sequenzanalyse, in der für zusammenhängende Aussagen (Sequenzen) der Sendeblock, die Präsentationsform sowie das Thema bestimmt werden. Untersuchungseinheit ist die Sequenzdauer, gemessen in Sekunden. Übertragungsbeginn und -ende sind jeweils durch den offiziellen Trailer bestimmt, der vom übertragenden Sender zur Kennzeichnung der Sendung eingesetzt wird. Die quantitativen Daten zur Beschreibung des Medienfußballs erlauben auch qualitative Rückschlüsse auf die Berichterstattung. Aus Gründen der Darstellung und Veranschaulichung werden im vorliegenden Beitrag nur die WM-Begegnungen verwertet (siehe Tab. 1).

Tabelle 1

Tab. 1: Anteile der Sendeblöcke im Längsschnitt 1994-2014 (Quelle: 1994 und 1998 vgl. Stiehler/Marr 2001; 2002-2014 eigene Berechnungen)

Während 1994 und 1998 noch jeweils rund dreieinhalb Stunden berichtet wurde, waren es 2006 und 2010 etwa fünfeinhalb bis sechs Stunden. Somit ist über die Jahre eine deutliche Ausdehnung der Gesamtsendezeit erkennbar. Die Verlängerung des WM-Endspiels zwischen Deutschland und Argentinien ist sicherlich eine Ursache für die mehr als neunstündige Übertragung im Jahr 2014.

Interessant scheint insbesondere der Vergleich mit dem Jahr 2002, da es sich bei der Begegnung gegen Brasilien im Rahmen der WM in Japan und Südkorea ebenfalls um ein Endspiel handelt. Auch damals wurde schon fast sieben Stunden gesendet.

Abbildung 1

Abb. 1: Anteil der Sendeblöcke in Prozent; 1994-2014 (Quelle: 1994 und 1998 vgl. Stiehler/Marr 2001; 2002-2014 eigene Berechnungen)

Die Grafik zum Anteil der Sendeblöcke (Abb. 1) verdeutlicht, dass sowohl Vor- als auch Nachberichterstattung schon seit einigen Jahren mehr Zeit beanspruchen als das eigentliche Spiel. Gegenüber 1994 und 1998 ist der Anteil des Live-Spiels drastisch zurückgegangen und liegt bei den Finalspielen 2002 und 2014 bei lediglich 23 bzw. 24 Prozent. Dagegen gewinnt die rahmende Berichterstattung zunehmend an Bedeutung. Seit der Jahrtausendwende beträgt der Anteil der Vorberichterstattung zwischen 29 und 41 Prozent, der Anteil der Nachberichterstattung pendelt sich zwischen 29 und 38 Prozent ein. Hierbei ist aber kein einheitliches Muster erkennbar – 2014 lagen beide Werte mit nur drei Prozentpunkten Unterschied so nah beieinander wie noch nie. Dies spricht für eine ausgeglichene Wertigkeit. Gut möglich aber, dass der Nachlauf im Falle einer deutschen Endspiel-Niederlage kürzer ausgefallen wäre, wie es 2002 der Fall war. Tendenziell hat die Vorberichterstattung im Zeitverlauf deutlich an Relevanz gewonnen, während der Anteil der Nachberichte im Längsschnitt relativ ausgeglichen erscheint.

Das WM-Finale 2014 im Querschnitt

Um 17.53 Uhr, und damit mehr als drei Stunden vor dem Anpfiff, startete die ARD ihre Final-Übertragung. Schluss war dann gegen 3.03 Uhr nachts, bevor das Endspiel nochmal wiederholt wurde. Die Gesamtsendezeit beträgt damit neun Stunden und zehn Minuten. Mit insgesamt 229 Minuten war ARD-Kommentator Tom Bartels fast vier Stunden auf Sendung und damit für die Zuschauer prägender Begleiter in dieser historischen Fußballnacht. Der reine Live-Kommentar – verstanden als Kommentar, während der Ball rollt – entspricht der Brutto-Spielzeit. Darüber hinaus kommentierte Bartels zusätzlich exakt 100 Minuten des sonstigen Geschehens, davon 35 Minuten in der Vorberichterstattung und 65 Minuten im Anschluss an das Endspiel inklusive der Siegerehrung mit Pokalübergabe an DFB-Kapitän Philipp Lahm.

Wichtigste Präsentationsform neben diesen beiden Merkmalsausprägungen zum Kommentar war die Kategorie Beitrag/Reporterschalten mit ebenfalls mehr als zwei Stunden (siehe Tab. 2). Hier fließen sowohl vorbereitete („gebaute“) Beiträge ein als auch Schalten etwa zu Reportern auf Fanmeilen in Deutschland. Die nähere Betrachtung zeigt, dass von insgesamt 129 Minuten 76 auf den Vorlauf entfallen und 53 auf die Nachberichterstattung.

Tabelle 2

Tab. 2: Anteil der Präsentationsformen; 2014 (Quelle: eigene Berechnungen)

Insgesamt 54 Minuten unterhielt sich Moderator Matthias Opdenhövel mit ARD-Experte Mehmet Scholl. Hiervon entfallen 33 Minuten auf die Vorberichterstattung und vier Minuten auf die Halbzeitpause. Nach dem Endspiel analysierten beide das Geschehen weitere 17 Minuten. Bemerkenswert sind die Umfänge der Kategorien Interview (36 Minuten), Statement und Gesprächsrunde (jeweils 0 Minuten). Diese Werte legen den Schluss nahe, dass die Zeit kurzer Flash-Interviews vorbei ist. Einschätzungen der Beteiligten (Spieler, Trainer) sowie darüber hinaus von Funktionären (DFB-Präsident) und weiteren Prominenten (Bundespräsident) haben in der Sportberichterstattung an Relevanz gewonnen und werden umfangreich genutzt.

Die Gesprächsrunde „WM-Club“ von Moderator Alexander Bommes mit den ehemaligen Fußballern Pierre Littbarski, Thomas Berthold und Markus Babbel sowie Tennislegende Boris Becker war als Extrasendung ausgewiesen und wurde als solche kodiert (43 Minuten). Die Kategorie Sonstiges im Umfang von 29 Minuten setzt sich zusammen aus der längeren Tagesschau vor dem Spiel sowie den Tagesthemen in der Halbzeitpause und innerhalb der Nachberichterstattung.

Überschaubare Themenvielfalt
Von einer bedeutenden Themenvielfalt im neunstündigen Datenmaterial kann nicht gesprochen werden (siehe Tab. 3). Knapp sechs Stunden sind dem Sportlichen gewidmet, wovon etwa die Hälfte dem eigentlichen Live-Ereignis zukommt (Spiel inklusive Minuten vor dem Anpfiff mit Hymne und Siegerehrung nach dem Endspiel). Die weiteren Bestandteile sind Vorbericht (sportlich) und Nachbericht (sportlich), also die tatsächliche Anbahnung bzw. Nachbereitung des Finalspiels.

Wichtigstes Thema neben den drei unter sportlichen Gesichtspunkten differenzierten Kategorien ist die Stimmung. Insgesamt 83 Minuten verwendete die ARD, um Fans und Fanmeilen zu zeigen bzw. über die Stimmung im Gastgeberland Brasilien oder „daheim in Deutschland“ zu sprechen. Mit einer halben Stunde liegt die Kategorie Talk dank des von Bommes moderierten WM-Clubs auf Rang fünf. In dieser Extrasendung auf einem Badeschiff in Berlin ging es aber nur wenig um das aktuelle sportliche Ereignis, sondern in erster Linie um ein seichtes, wenig analytisches Gespräch mit den eingeladenen Gästen.

Tab. 3: Verteilung der Themen; 2014 (Quelle: eigene Berechnungen)

Tab. 3: Verteilung der Themen; 2014 (Quelle: eigene Berechnungen)

Dass eine Vielzahl der Themenkategorien nur wenig oder gar nicht vertreten ist, zeigt eine insgesamt eher geringe thematische Vielfalt und betont die Konzentration auf das Live-Ereignis, die begleitende sportliche Einordnung durch Vor- und Nachbericht sowie den Transport von Emotionen über Aspekte wie Stimmung und Fans.

Thematische Feinanalyse der Präsentationsform „Beitrag/Reporterschalten“
Mit 129 Minuten stellte die Präsentationsform Beitrag/Reporterschalten fast ein Viertel der gesamten Berichterstattung zum WM-Finale 2014. Prominent vertreten ist auch hier die Kategorie Nachbericht (sportlich) mit 60 Minuten (siehe Tab. 4). In einer Rückschau vor Anpfiff des Endspiels wird ein Rückblick auf die WM gezeichnet, immer wieder geht der Blick darin auf die Leistungen der deutschen Mannschaft. Finalgegner Argentinien wird indes kaum in Augenschein genommen.

Tab. 4: Verteilung der Themen in der Präsentationsform Beitrag; 2014 (Quelle: eigene Berechnungen)

Tab. 4: Verteilung der Themen in der Präsentationsform Beitrag; 2014 (Quelle: eigene Berechnungen)

Auch in den Stimmungsbildern (29 Minuten) überwiegen deutsche Fans im In- und Ausland; nur gelegentlich finden sich Anhänger des argentinischen Teams. Ausgeglichen ist dagegen die Kategorie Porträtbeiträge: Zweieinhalb Minuten entfallen auf Miroslav Klose und weitere zweieinhalb Minuten auf Argentiniens Ausnahmefußballer Lionel Messi und Torhüter Sergio Romero, der im Halbfinale gegen die Niederlande im Elfmeterschießen zwei Schüsse pariert hatte. Alle weiteren Themen sind in der Präsentationsform Beitrag/Reporterschalten ebenfalls mit maximal fünf Minuten vertreten.

Zusammenfassung

Die Einordnung der Analyse 2014 im Längsschnitt der vergangenen 20 Jahre belegt eine deutliche Ausweitung der Gesamtsendedauer. In erster Linie ist diese einer zunehmend umfangreichen Vor- und Nachberichterstattung geschuldet. Trotz der Bruttospielzeit von 129 Minuten ist 2014 der Anteil des Live-Sports mit 23 Prozent im Vergleich mit den vorausgegangenen Turnieren am geringsten. Vor- und Nachberichterstattung stellen damit inzwischen fast drei Viertel der Gesamtsendezeit. Analysen, Pokalübergabe und weitere Feierlichkeiten nach dem 1:0-Triumph gegen Argentinien bescherte mit 206 Minuten einen neuen Spitzenwert für die Nachberichterstattung.

Abb. 2: Übertragung der Pokalübergabe nach dem WM-Finale 2014 (Quelle: Screenshot ARD-Übertragung)

Abb. 2: Übertragung der Pokalübergabe nach dem WM-Finale 2014 (Quelle: Screenshot ARD-Übertragung)

Eine neue Ausnahmerolle ließ das Endspiel 2014 dem Kommentator zukommen. Mit mehr als 40 Prozent Sendezeit – bestehend aus Live-Kommentar (129 Minuten; 23,5 Prozent) und rahmendem Kommentar (100 Minuten; 18,2 Prozent) bestritt Tom Bartels knapp vier der neun Stunden. Auch das Expertengespräch nimmt mit fast zehn Prozent der Sendezeit eine wichtige Funktion ein. Auffällig ist, dass die diskursive Auseinandersetzung im Medienfußball eine noch wichtigere Rolle spielt als in den Jahren zuvor. Flash-Interviews sind nicht mehr zu finden, stattdessen gewinnen ausführliche Gespräche mit Beteiligten bzw. Funktionären und Prominenten an Stellenwert.

Trotz der umfangreichen Gesamtsendezeit bleibt die Themenvielfalt überschaubar. Im Mittelpunkt steht das Sportereignis, begleitet von einer auf Stimmung und Emotionen fixierten Unterhaltung. Der „WM-Club“ als Talk-Element sorgt zu nächtlicher Stunde für ein seichtes Ende. Bei einer Rahmenberichterstattung von insgesamt mehr als sechs Stunden wäre eine kritischere Auseinandersetzung am Rande des Fußballspiels denkbar gewesen. Es hätten nicht nur Rückblicke auf vorausgegangene Spiele, sondern etwa auch kulturelle bzw. soziale Aspekte wie Favelas und gesellschaftliche Proteste gegen Großereignisse in Brasilien aufgegriffen werden können – so wie dies im Ansatz im Rahmen der WM 2010 in Südafrika bei einem rund einstündigen Bericht im Vorlauf des Spiels um Platz drei zwischen Deutschland und Uruguay umgesetzt worden war.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Foto: privat

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Foto: Valeria Witters

Foto: Valeria Witters

Foto: privat

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Die Autoren: Dr. Christoph G. Grimmer ist Lehrkraft für besondere Aufgaben im Arbeitsbereich Sportökonomik, Sportmanagement und Sportpublizistik am Institut für Sportwissenschaft der Universität Tübingen. Seine Forschung widmet sich u.a. Social Media und Public Relations im Sport.
Prof. Dr. Thomas Horky arbeitet als Professor für Sportjournalistik an der Hochschule Macromedia in Hamburg. Er ist Mitherausgeber der Buchreihe „Sportkommunikation“ im Herbert von Halem Verlag.
Sabine Winkler studierte Katholische Theologie und Medienwissenschaft an der Universität Tübingen. Hierüber sowie durch ihr Praktikum bei SBS Radio in Melbourne hat sie Bezüge zum Sport.

Kontakt: christoph.grimmer@uni-tuebingen.de, t.horky@macromedia.de

Twitter: @C_Grimmer, @thomashorky

Literatur

Horky, T./Grimmer, C.G. (2011): Journalismus, Experten und Comedy – große Fußballturniere im Fernsehen. Eine Längs- und Querschnittanalyse zur Qualität der Fernsehberichterstattung von Großfußballabenden, in: M.-P. Büch/W. Maennig/H.-J. Schulke (Hrsg.): Internationale Sportevents im Umbruch? Instrumentalisierung, Digitalisierung, Trivialisierung, Aachen, S. 94-113.

Stiehler, H.-J./Marr, M. (2001): Das Ende der Ausreden. Mediale Diskurse zum Scheitern im Sport, in: G. Roters/W. Klingler/M. Gerhards (Hrsg.): Sport und Sportrezeption, Baden-Baden, S. 111-131.

  1. Während bei Längsschnittstudien dieselbe Untersuchung zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchgeführt wird, um Ergebnisse vergleichen und hiermit Veränderungen beschreiben zu können, werden Querschnittstudien bzw. -auswertungen im Hinblick auf einen Zeitpunkt durchgeführt.

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