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Investigative Recherchen, Teil 2: Auskunftsrechte für Journalisten

Ob VW-Skandal, NSA-Enthüllungen oder jüngst die “Panama Papers” – ohne investigativen Journalismus kommt die Wahrheit nur selten ans Licht. Auch Fachjournalisten stoßen bei ihrer Arbeit immer wieder auf Themen, die hartnäckige Recherchen oder gar unkonventionelle Methoden erfordern. Was gilt es dabei zu beachten? Der “Fachjournalist” stellt in einer Serie Ansätze und Methoden der investigativen Recherche vor. Im zweiten Teil geht es um Auskunftsrechte für Journalisten.

Es klingt fast wie ein Politkrimi. Erster Akt: Der Spitzenkandidat einer großen Volkspartei strebt eines der höchsten Ämter im Land an. Seine politischen Freunde rühren die Trommel – unter anderem mit einem professionellen Internetblog. Das macht eine Menge Arbeit und kostet Geld. Mehrere nicht genannte Unternehmer spenden daher großzügig für das Blog, in dem sich alles um den Kandidaten und seinen Wahlkampf dreht. Nach Recherchen eines bekannten Nachrichtenmagazins kommt eine sechsstellige Summe zusammen. Mehrere Indizien deuten zudem darauf hin, dass zu den heimlichen Spendern auch ein Wasserversorgungs-Unternehmen gehören könnte. Pikant: Das Unternehmen befindet sich im Besitz zweier Stadtwerke, die wiederum von Kommunen betrieben werden, in denen mehrheitlich die Partei des Kandidaten regiert. Der Verdacht auf eine verbotene Wahlkampffinanzierung verdichtet sich.

Eine kleine Sensation: das Urteil des OLG Hamm zum Auskunftsrecht eines Journalisten

Zweiter Akt: Ein Journalist will Licht in das Geflecht um das Blog und seine Finanziers bringen und bittet das Unternehmen ganz offiziell um entsprechende Auskünfte. Bei seiner Anfrage stützt er sich auf § 4 des Landespressegesetzes von NRW, wonach Behörden gegenüber den Medien grundsätzlich zu Auskünften verpflichtet sind, wenn diese „der Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben dienen“. Das Unternehmen verweigert die erbetenen Auskünfte jedoch mit der Begründung, es sei schließlich keine „Behörde“, sondern eine privatwirtschaftliche Aktiengesellschaft (AG) und damit von der  Auskunftspflicht gegenüber der Presse ausgenommen. Der Journalist verklagt die AG daraufhin. In einem Urteil vom 16. Dezember 2015 bestätigte das Oberlandesgericht (OLG) Hamm den Auskunftsanspruch des Journalisten mit der Begründung, dass das Unternehmen im kommunalen Besitz ist, also der öffentlichen Hand gehört, und daher presserechtlich wie eine Behörde zu behandeln sei (der DFJV berichtete über den juristischen Stand des Verfahrens).

Das Urteil des OLG Hamm ist zwar noch nicht rechtskräftig, da derzeit eine abschließende Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) aussteht. Doch schon jetzt zeichnet sich eine kleine Sensation ab: Hätte der Anspruch des klagenden Journalisten Bestand, müssten sich Unternehmen, die sich ganz oder teilweise in kommunalem, landeseigenem oder staatlichem Besitz befinden, wohl künftig auf weit mehr kritische Journalistenfragen gefasst machen als bisher. Auch wären sie, anders als in der gegenwärtigen Praxis, in vielen Fällen zu einer umfassenden Auskunft gezwungen.

„Öffentliches Interesse“ fördert verborgene Fakten zutage

Dabei geht es immerhin um Tausende von deutschen Betrieben, die in privatwirtschaftlichem Gewand öffentliche Aufgaben wahrnehmen und zugleich den jeweils zuständigen politischen Gremien gegenüber regelmäßig Rechenschaft ablegen – darunter Wasserwerke, Stromversorger, Verkehrsbetriebe, Abfallentsorgungsfirmen, Sparkassen, Telekommunikationsanbieter oder Baugesellschaften. Noch sind zwar viele juristische Fragen offen – etwa wie groß der öffentliche Anteil an einem Unternehmen sein müsste, um einer Auskunftspflicht im Sinne der Landespressegesetze zu unterliegen. Doch im Zweifel gilt der Tenor des Hammer Urteils, wonach das öffentliche Interesse Vorrang vor dem wirtschaftlichen hat – zumindest dann, wenn dies glaubhaft gemacht werden kann.

Sollte der BGH das Urteil des OLG Hamm letztlich bestätigen, müssten sich künftig nicht nur kommunale Unternehmen auf eine stärkere Transparenz einstellen: Windige Auftragsvergaben, undurchsichtige Personalentscheidungen oder Unregelmäßigkeiten bei Dienstleistern und Projekten könnten Anlass zu Fragen bieten, die sich dann nicht mehr so leicht vom Tisch wischen lassen. Auch Unternehmen, die unter Beteiligung eines Bundeslandes oder der Bundesregierung betrieben werden, könnten stärker in den Fokus der Berichterstattung über Interna geraten, sofern diese von öffentlichem Interesse sind. Pfusch beim Neubau des Berliner Airports, Abgasskandal bei VW oder die hohe Unfallrate der Kölner Verkehrsbetriebe: Zu diesen und vielen anderen Themen könnten künftig weit mehr Fakten ans Licht kommen – und manch Verantwortlicher in Bedrängnis. Das „Tarnmäntelchen“ einer öffentlichen Einrichtung als Privatfirma böte schließlich kaum noch Schutz vor kritischen Journalistenfragen.

In Amtsstuben schlummern oft wichtige Informationen

Zwar sind Privatunternehmen bislang nicht zur Auskunft gegenüber der Presse verpflichtet – wohl aber gegenüber den für sie zuständigen Behörden. Journalisten, die auf ihrer Suche nach der Wahrheit auf Widerstände in der Privatwirtschaft stoßen, sollten im nächsten Schritt die jeweiligen Ansprechpartner bei den Behörden ausfindig machen. Ämter erteilen Genehmigungen, legen Verzeichnisse an, führen Register und statten Unternehmen gelegentlich Kontrollbesuche ab. All dies wird, sofern alles seine Ordnung hat, mehr oder weniger ausführlich in Akten dokumentiert. Ihr Inhalt bietet Journalisten oft eine Fundgrube von Informationen, die der Öffentlichkeit selten bekannt sind und daher in vielen Fällen auf großes Interesse stoßen.

Doch gleich, ob es um Informationen über Privatfirmen oder um Vorgänge in einer Behörde selbst geht: Der erste Schritt ist zunächst immer, herauszufinden, an welcher Stelle hilfreiche Informationen zu einem Thema vorhanden sein könnten. Dafür kommen zum Beispiel örtliche Gerichte, Stadtverwaltungen oder die jeweils zuständige Bezirks- und Landesregierung in Betracht. Bei ihren Auskunftsersuchen steht Journalisten das Pressegesetz des Bundeslandes zur Seite, in dem die zuständige Behörde residiert. Der Tenor ähnelt in allen Bundesländern dem in NRW.

Keine gesetzliche Regelung auf Bundesebene
Auf Bundesebene fehlt bislang eine solche gesetzliche Regelung für die Auskunftspflicht gegenüber Journalisten. Zwar sind auch Bundesbehörden nach §5 des Grundgesetzes gehalten, die Freiheit der Presse – und somit den Zugang zu relevanten Informationen – zu garantieren. Doch in der Praxis kommt es immer wieder vor, dass Bundespressestellen mit Hinweis auf die derzeit unklare Rechtslage Auskünfte verweigern. Der Grund für das rechtliche Vakuum: Nachdem sich Journalisten jahrelang bei ihren Anfragen an Bundesbehörden erfolgreich auf die Pressegesetze der Länder berufen hatten, kippte das Bundesverwaltungsgericht 2013 diese Praxis überraschend mit einem Urteil über die Auskunftspflicht des Bundesnachrichtendienstes. Der klagende Journalist legte Verfassungsbeschwerde ein. Derzeit steht in der Sache eine höchstrichterliche Entscheidung aus, die endlich für Klarheit sorgen soll, ob die Landespressegesetze auch bei Anfragen auf Bundesebene ausreichen – oder, ob dafür ein eigenes Gesetz erlassen werden müsste. Entwürfe dafür liegen bereits in den Schubladen der politischen Parteien.

Viele Informationen verbergen sich in der Praxis allerdings ohnehin vor Ort – vor allem in den Registern der Amtsgerichte. So lassen sich im Handelsregister meldepflichtige Eigentumsverhältnisse von Gesellschaften mit beschränkter Haftung einsehen: Wem gehört das Unternehmen? Wie hoch ist das Stammkapital? Wer hat Prokura? Welcher Unternehmenszweck wird verfolgt? Was steht sonst noch im Gesellschaftervertrag? Gibt es Niederlassungen? Wurde Insolvenz angemeldet?

Lediglich Kleingewerbe sind von der Meldepflicht gegenüber dem Handelsregister ausgenommen; Rechtsformen wie KG und OHG unterliegen nur einer eingeschränkten Mitteilungspflicht, wonach weder interne Verträge noch der sogenannte „Unternehmensgegenstand“ hinterlegt werden müssen. Tipp: Zu vielen Registerauszügen (AD für „Aktueller Abdruck“) existieren Handakten (CD für „Chronologischer Abdruck“) mit weiterführenden Informationen, die im Einzelfall gesondert erfragt werden sollten. Oft lohnt sich also ein persönlicher Besuch im zuständigen Amtsgericht.

Registerdaten auch online zugänglich
Seit 2007 sind die meisten Registerdaten zudem auch bequem über das Internet zugänglich, zum Beispiel über das Registerportal der Länder oder das Unternehmensregister des Bundesanzeigers, in dem seit 2005 die Jahresabschlüsse aller Kapitalgesellschaften erfasst sind, die nicht von Personen vertreten werden (zum Beispiel Aktiengesellschaften). Ältere Jahresabschlüsse finden sich wiederum im zuständigen Handelsregister. Eine besondere Begründung für Recherchen im Handelsregister oder in der Datenbank des Bundesanzeigers ist in der Regel nicht erforderlich, allerdings können Gebühren anfallen.

Etwas aufwendiger gestaltet sich ein Auskunftsantrag, wenn man wissen will, wem ein bestimmtes Grundstück oder Gebäude gehört, welche Höhe der Kaufpreis hatte und wer der Vorbesitzer war. Das Grundbuchamt besteht in diesem Fall auf einem schriftlichen Antrag, aus dem hervorgeht, worin das öffentliche Interesse an dieser Recherche zu sehen ist. Meist dienen Einsichtnahmen in Grundbücher dem Zweck, herauszufinden, ob bei Verkäufen von Grundstücken oder deren Finanzierung öffentliche Gelder verschwendet wurden. Geht zum Beispiel ein Gelände in bester Lage für einen allzu geringen Betrag an einen Neubesitzer, der mit dem Bürgermeister eng befreundet ist, könnte es spannend werden.

Oft bleiben die Kaufbeträge für ehedem öffentliche Flächen lange im Dunkeln. So geschehen etwa bei der Veräußerung des früheren Flughafens Zweibrücken, der zuletzt einen Buchwert von 28,3 Millionen Euro auswies. Als der Kaufbetrag von gerade einmal 4,03 Millionen Euro nach Jahren endlich publik wurde, vermutete der Bund der Steuerzahler Verschwendung von Steuermitteln durch die Landesregierung von Rheinland-Pfalz, die das Gelände einem Immobilienunternehmen – seinerzeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit – zum Dumpingpreis überlassen hatte.

Auch eingetragene Vereine sind oft eine sprudelnde Quelle für relevante Informationen: Wie lautet die Satzung des Vereins? Welche Aufgaben nimmt der ins Auge gefasste Verein (tatsächlich) wahr? Welche Querelen gab es auf der Mitgliederversammlung? Wie setzt sich der Vorstand zusammen? Wer führt die Kasse? Wie hoch sind die Einnahmen? Wofür werden die Gelder verwendet? Und: Decken sich die Geldflüsse mit dem gern genutzten Siegel der „Gemeinnützigkeit“? Anhaltspunkte zu solchen und ähnlichen Fragen erhalten Journalisten aus dem Vereinsregister, das ebenfalls beim örtlichen Amtsgericht zu finden ist.

Weitere nützliche Quellen für investigative Aktenrecherchen können zum Beispiel Gerichtsurteile oder öffentliche Ausschreibungen sein.

Der Auskunftsgeber entscheidet über die Form der Auskunft

Unter den bereits erwähnten Einschränkungen sind darüber hinaus alle öffentlichen Einrichtungen zu Auskünften gegenüber Journalisten verpflichtet – vom Gewerbeamt bis zum Bürgermeister, von der Universität bis zur Landesbank, vom Förster bis zur Polizei. Selbst Dienstleister, die von einer staatlichen Stelle mit öffentlichen Projekten betraut sind, müssen grundsätzlich Auskünfte erteilen, die für die Aufgaben der Presse erforderlich sind.

Dabei können die befragten Einrichtungen selbst entscheiden, durch welchen Mitarbeiter die jeweilige Auskunft erteilt wird (zum Beispiel durch einen Pressesprecher) und in welcher Form dies geschieht (sofern diese sachgerecht ist). Natürlich muss sich der anfragende Journalist zuvor legitimieren – zum Beispiel mit seinem Presseausweis oder einem Schreiben seiner Redaktion.

Fazit

In der Praxis sind investigative Aktenrecherchen leider selten ein „Spaziergang“, sondern meist eher ein „Hürdenlauf“. Verweigern die angefragten Behörden die erbetenen Auskünfte – sei es aus Unkenntnis über den Umfang ihrer gesetzlichen Pflichten gegenüber der Presse oder aus Sorge um das Image der Behörde – hilft oft nur der Gang zum Gericht.

In Kürze mehr über „Investigative Recherchen“: Unsere dritte Folge beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie glaubwürdig sogenannte „Whistleblower“ sind und wie sich die Aussagen von Informanten überprüfen lassen. Im ersten Teil der Serie skizzierte Uwe Herzog wichtige Ansatzpunkte für die „Suche nach der Wahrheit„.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Uwe HerzogDer Autor Uwe Herzog ist Fachjournalist für Innovationen, Design und Lifestyle. Er war langjähriger Autor der ARD und Nachrichtenredakteur bei Privatsendern wie Radio ffn und Radio Victoria. Er berichtete u.a. über Risiken der Atomwirtschaft, die „Wehrsportgruppe Hoffmann“, den Bombenanschlag von Bologna, die „Colonia Dignidad“ und das Attentat auf Henriette Reker. Darüber hinaus ist der ehemalige Mitarbeiter von Günter Wallraff Koautor zweier investigativer Sachbücher über Innere Sicherheit. Herzog plädiert für einen verantwortlichen Umgang mit den Instrumenten des investigativen Journalismus.

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