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Medienwandel: „Erst das Digitale hat einen Rückkanal zum Leser geschaffen, der ernsthaft bedient wird“

Interview mit Medienmanagerin Jennifer Schwanenberg

Der digitale Medienwandel in Deutschland – damit kennt sich Jennifer Schwanenberg aus. Als Innovation Manager der dpa-infocom stöbert sie nach neuen Ideen für den Journalismus. Am morgigen Donnerstag moderiert sie in Hamburg das scoopcamp, eine Innovationskonferenz für Medien. Dem Fachjournalist erläutert sie, wie die Digitalisierung den Journalismus verändert, was sie vom Digitalkiosk Blendle hält und warum Teamwork die Zukunft für Journalisten ist.

Frau Schwanenberg, im scoopcamp soll digitaler Journalismus vorgedacht werden. Die diesjährige Keynote-Speakerin Natalia Antelava folgt jedoch einem alten Journalistentraum: Mit ihrem Projekt „Coda“ will sie Krisenthemen langfristig begleiten, anstatt – wie üblich – nur ein Schlaglicht darauf zu werfen. Aber ist „Aufmerksamkeit für wirklich Relevantes“ nicht ein ewiger Nonseller?

Das sehe ich nicht so. Es gibt ja bereits journalistische Medienprojekte, die ähnlich funktionieren und erfolgreich sind, auch bei harten Themen. Ein Beispiel ist „Politico„, das jetzt auch einen Ableger in Brüssel hat. Die „North Korea News“ sind ein weiteres Beispiel. Die Seite begleitet, was in Nordkorea passiert; das interessiert nicht die Massen, aber doch eine spezielle Gruppe.

Projekte wie „Coda“ kommen der zunehmenden Individualisierung des Userinteresses entgegen. Entscheidend für den Erfolg ist weniger das Thema selbst, sondern das richtige Format zu finden und die richtige Vermarktungsstrategie. Publisher haben heute den Vorteil, dass sie mithilfe von Tracking sehr viel über ihre Leser erfahren können. Sie können dann Inhalte entsprechend ausspielen und mehr Menschen erreichen.

Martin Blankensteijn vom Digitalkiosk „Blendle„, das in Deutschland Mitte September gestartet ist, kommt auch zum scoopcamp. Dessen Geschäftsidee – der User bekommt statt einer Zeitung eine „Finest Selection“ aus verschiedenen Blättern – gilt einigen als kommendes Standardgeschäftsmodell. Wie sehen Sie das?

Ich glaube, dass wir weit weg davon sind, Standards zu haben. Blendle kommt dem Nutzer entgegen, weil er nicht mehr das Gefühl hat, wie bei einem Print-Produkt für Inhalte zu zahlen, die er nicht braucht, nur um wenige zu bekommen, die er lesen möchte. Ich selbst bin trotzdem kein Nutzer des Dienstes.

Warum nicht?

Die Inhalte, die auf Blendle verkauft werden, konsumiere ich derzeit ja auch nicht. Ich fühle mich durch Twitter ausreichend informiert, außerdem habe ich RSS-Feeds in Feedly. Das sind die Inhalte, die ich brauche und konsumieren möchte. Ich stoße hier auch nicht auf Paywalls und wenn dann reicht mir die Überschrift des Artikels auch aus. Für die Dienste zahle ich mit den Daten, die ich hinterlasse – das finde ich einen guten Deal.

Zum Aspekt „modernes Storytelling“ im Journalismus – wie ist da der Stand in Deutschland?

Ich sehe eigentlich zwei Entwicklungen: Bei der einen wird die Zeitung einfach ins Internet gestellt. Es wird ein bisschen am SEO geschraubt, Bilderstrecken hinzugefügt – aber das Format hat sich eigentlich nicht geändert.

Bei der anderen wird exzessiv mit interaktiven Formaten experimentiert – frei nach dem Motto: Das Internet gibt so viele Möglichkeiten, wir sollten sie nutzen. Leider ist das oftmals reine Spielfreude und eher eine Marketingmaßnahme, als dass es ein Nutzerbedürfnis trifft.

Inzwischen ist man da glücklicherweise fokussierter geworden. Wie „Zeit“ und „Süddeutsche“ inzwischen mit Bullet Points arbeiten, finde ich sehr gelungen. Meinem Leseinteresse kommt das sehr entgegen.

Zum Medienwandel gehört auch der Trend, dass die Redaktionen der klassischen Medien schrumpfen und die Zahl der Freien wächst. Wie sollten junge Journalisten damit umgehen?

Teams bilden, wenn es in die Selbstständigkeit geht. Und damit meine ich nicht, mit anderen Journalisten, sondern in erster Linie mit Leuten, die verkaufen oder programmieren können. Journalisten sollten sich auf ihre Kernfähigkeiten konzentrieren. Gerade für Freie, die nur sich selbst als Ressource haben, wäre es also clever, mit Profis in Sachen Vermarktung zu kooperieren oder diese Aufgabe auszulagern.

Die jetzige Struktur der deutschen Medienlandschaft passt immer noch nicht in die Zeit: Es gibt zu viele Journalisten und zu wenig Technikkompetenz in den Verlagen. Dass beispielsweise Buzzfeed profitabel arbeitet, hat auch damit zu tun, dass sie ein riesiges Sales-Team haben und Inhalte sehr gut ausspielen können.

In den Verlagen wird immer noch nach dem Ideal ausgebildet, das gute Inhalte von selbst Aufmerksamkeit erregen und man ein Alleskönner sein muss. Das funktioniert aber nicht mehr.

Zum Abschluss: Wie verändert die Digitalisierung den Journalismus?

Der Meinungsaustausch auf Augenhöhe zwischen den Medien und den Usern – das ist für mich die entscheidende Neuerung. Erst das Digitale hat einen Rückkanal zum Leser geschaffen, der ernsthaft bedient wird. Die sozialen Netzwerke haben die Hemmschwelle gesenkt, auch den Medien gegenüber die eigene Meinung zu äußern.

Es gab davor zwar die Leserbriefe, aber das war eine große Hürde. Es haben quasi nur pensionierte Oberstudienräte Leserbriefe geschrieben. Journalisten haben sich als Autorität gesehen und nur mit denen diskutiert, die sie auch auf Augenhöhe gesehen haben. Durch die Digitalisierung ist das jetzt anders. Die digitalen Formate laden alle Nutzer offensiv ein, sich zu Wort zu melden.

Das ist für die Medien ein Lernprozess. Der Umgang mit Kommentaren unterschiedlicher Qualität wird gerade erst gelernt. Der Umgang ist souveräner geworden, Medien schießen jetzt auch mal zurück, wenn sie ohne Argumente angefeindet werden. Dieses Hinabsteigen vom hohen Ross ist eine verdammt positive Entwicklung.

Frau Schwanenberg, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Jennifer SchwanenbergJennifer Schwanenberg ist Media Innovation Manager bei der dpa-Dienstleistungstochter infocom. Als Program Manager betreut sie den sogenannten „next media accelerator„, der mediennahe Start-ups fördert. Schwanenberg, Dozentin des Deutschen Journalistenkollegs, studierte Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg, wo sie anschließend wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Elektrotechnik, Maschinenbau und Technikjournalismus war. Als Referentin der Institutsleitung hat sie das Institut für Medienentwicklung und -analyse an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg mitaufgebaut. Bis Anfang 2014 war Schwanenberg zudem stellvertretende Chefredakteurin des Magazins Technikjournalist.

 

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