RSS-Feed

Medizin- und Gesundheitsjournalismus: „Erfolgreich mit den drei P’s“

Fachjournalist-Interview mit der freien Medizinjournalistin Anke Nolte

Die Gesundheitsbranche ist ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in Deutschland: Über fünf Millionen Menschen arbeiten in diesem Sektor – Tendenz steigend. So vielfältig die Berufe in diesem Bereich, so unterschiedlich auch die Interessen von Ärzten, Krankenkassen und Co. in einem Markt, in dem es um Milliarden geht. Wie man dabei als Fachjournalist den Überblick behält und vertrauenswürdige Informationen findet, erläutert die freie Medizinjournalistin Anke Nolte, die seit 20 Jahren in diesem Bereich tätig ist. Im Gespräch mit dem „Fachjournalist“ verrät sie außerdem, wie sie mit drei P’s ihre Aufträge auswählt und worauf jüngere Kollegen achten sollten.

Frau Nolte, als Medizinjournalistin gehören Ärzte zu Ihren wichtigsten Gesprächspartnern. Sind die „Halbgötter in Weiß“ eine schwierige Klientel bei der Recherche?

Meine Erfahrung ist, dass Ärzte zugänglicher sind, als es diesem Image entspricht. Den meisten macht es Spaß, Zusammenhänge für Laien zu erklären, wenn sie merken, da ist echtes Interesse an ihrem Spezialgebiet wie zum Beispiel Rheuma oder Bluthochdruck vorhanden. Etwas anders gestaltet sich der Kontakt zu Mitgliedern derjenigen Gesundheitsberufe, die in unserem arztzentrierten Gesundheitswesen in der Hierarchie weiter unten stehen.

Was meinen Sie genau mit „arztzentriert“?

Fachkräfte wie beispielsweise Gesundheits- und Krankenpfleger oder Physiotherapeuten genießen hierzulande nicht dieselbe Achtung wie Ärzte. Leider, muss man sagen; aber im internationalen Vergleich ist das Gesundheitswesen in Deutschland stark hierarchisch organisiert. In anderen Ländern haben Berufe wie Pflegefachkräfte oder Physiotherapeuten auch akademische Grundausbildungen und sind damit auf Augenhöhe mit den Ärzten.

In Deutschland dagegen gilt immer noch das Bild der Ärzte als Halbgötter in Weiß, das Sie vorhin erwähnten – die studierten Mediziner haben das Verordnungsrecht, die Nichtakademiker führen nur aus. Diese Missachtung im System spüren die Fachkräfte in anderen Gesundheitsberufen natürlich und sind deshalb teilweise nicht ganz so souverän. Da braucht man oft viel Fingerspitzengefühl bei der Gesprächsführung.

Sie selbst haben Germanistik, nicht Medizin studiert. Wie kam es, dass Sie Fachjournalistin für Medizin wurden?

Bei mir war das ein Prozess, keine bewusste Entscheidung. Ein Interesse dafür, was im menschlichen Körper vor sich geht, war immer da. Während ich in Freiburg Germanistik studierte, fand ich es spannend, wie Hirnkrankheiten zu Sprachverlust führen. Dass es Journalismus im Bereich Medizin wurde, war trotzdem ein Zufall. Zuerst kam der Entschluss, freie Journalistin zu werden. Das war Mitte der 1990er-Jahre, als ich in einem Berliner Verlag als Lektorin arbeitete. Frustriert vom täglichen Kleinkrieg kündigte ich, habe aber noch eine Weile als freie Autorin für den Verlag weitergearbeitet. Dabei entdeckte ich meine Lust am Schreiben. Gleichzeitig merkte ich aber, dass meine Schreibe noch zu akademisch war. Also habe ich bei der Freien Universität Berlin geschaut, ob es dort Journalistenseminare gibt, die man belegen kann, ohne als Studentin eingeschrieben zu sein. Es gab genau ein Seminar – Journalismus in der Medizin. Ich hatte Glück: Die Dozentin war toll und hat mir den Medizinjournalismus schmackhaft gemacht.

Zurück zur Recherche: Der Gesundheitssektor gilt als Lobbymoloch par excellence, indem Konzerne, Apotheker & Co. um Milliarden kämpfen. Wie schwierig ist es hier, an vernünftige Informationen zu kommen?

Die Verquickung von Interessen ist in der Tat massiv. Natürlich muss man beispielsweise bei Studien zu einem Thema genau hinschauen, wer die Geldgeber sind, und die Informationen dementsprechend einordnen. Geht es um Arzneimittel, sind Fachblätter wie der „Arzneimittelbrief“ oder das „Arznei-Telegramm“ aus meiner Sicht bestens geeignet, um sich eine fundierte industriekritische Meinung einzuholen.

Generell gilt aus meiner Sicht die Faustregel, auf öffentlich finanzierte Quellen zurückzugreifen. Hier gibt es noch die größte Objektivität und den Anspruch, nach aktueller Studienlage zu beurteilen. Empfehlenswert ist für mich zum Beispiel die Seite gesundheitsinformation.de vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, oder die Veröffentlichungen der Stiftung Warentest – beide Institutionen nehmen keine Aufträge der Pharmaindustrie an und sind nicht von Anzeigen abhängig.

Stichwort „Aufträge“ – wie sieht denn Ihr Geschäftsmodell aus?

Ich habe vier Standbeine: zum einen den klassischen Journalismus. Meistens schreibe ich für Magazine wie „Psychologie Heute“ oder „Reader’s Digest“. Hier ist mir wichtig, dass ich Auftraggeber habe, mit denen ich Honorare nach Aufwand vereinbaren kann und nicht nach Zeilen. Deswegen kommen Zeitungen in meinem Auftragsportfolio auch kaum noch vor. Standbein zwei ist Corporate Publishing, Öffentlichkeits- und Pressearbeit für Verbände und Krankenkassen. Das dritte Standbein besteht aus Aufträgen als Lektorin bzw. Korrektorin – dabei knüpfe ich also an meinen alten Job an. Die sind eine gute Ergänzung zu den journalistischen Aufträgen. Die Bücher, die ich für die Stiftung Warentest schreibe – mein viertes Standbein – bedeuten ein finanzielles Risiko, sind aber wichtig für das Prestige, eines unter meinen drei P’s …

… drei P’s?

Pleasure, Prestige, Pesos. Jeder potenzielle Auftrag muss mindestens eine der Kategorien erfüllen, sonst lehne ich ihn ab. Gut in Sachen Pesos, sprich Geld verdienen, sind im Medizinsektor vor allem Aufträge von Verbänden oder großen Verlagen. Die Budgets für Pressearbeit oder Info-Kampagnen sind oft ganz ordentlich und dort freut man sich, wenn Journalisten ihre Kompetenz einbringen, beispielsweise mit Ideen für gut geschriebene Info-Broschüren oder Pressemitteilungen. Ich würde auch das Pleasure-P vergeben, denn die Kommunikation in diesem Bereich ist meiner Erfahrung nach meist entspannter und wertschätzender als mit den gestressten Redaktionen. Allerdings können komplexe interne Abstimmungsprozesse manchmal für Außenstehende undurchschaubar oder nervig sein.

Sie beschreiben das komplexe Innenleben der Verbände. Genauso komplex ist auch die Medizinbranche als Ganzes. Wie sollte man hier networken?

Man sollte seine speziellen Interessen innerhalb des Medizinbereichs herausfinden und sich nicht zu sehr verzetteln. Je nach Interesse gibt es spezielle Verbände und Fachgesellschaften mit Fachtagungen, die man besuchen kann. Pflichtveranstaltungen gibt es aus meiner Sicht nicht. Höchstens vielleicht den Hauptstadtkongress, wo einmal im Jahr vom Gesundheitsminister über Krankenkassenvertreter bis hin zu Apotheker & Co. alle zusammentreffen, um die Gesundheitspolitik zu diskutieren. Das könnte für Einsteiger in den Medizinjournalismus interessant sein, die sich mal das gesamte Panorama ansehen möchten.

Es gibt auch einen speziellen Fachverband für Medizinjournalisten – den Verband der Medizin- und Wissenschaftsjournalisten, kurz VMWJ. Wichtig für mich ist vor allem mein Stammtisch mit Kolleginnen – feste und freie Medizinjournalistinnen, Apothekerinnen, PR-Frauen –, der über die Jahre gewachsen ist. Dort findet ein lockerer, informeller Austausch statt.

Welche Tipps hätten Sie für junge Journalisten, die überlegen, in den Medizinjournalismus zu gehen?

Also, grundsätzlich würde ich sagen: Immer rein in das Themengebiet! Gerade über den demografischen Wandel nimmt die Bedeutung der Medizin für die Gesellschaft immer weiter zu. Zudem ist das Feld riesig und umfasst nicht nur Medizin im engeren Sinne. Ich denke hier beispielsweise an das Thema Pflege oder an die psychische Gesundheit. Spannend finde ich, die Schwächen im Management deutscher Krankenhäuser zu analysieren. Da ist nämlich einiges im Argen, weil die Kliniken eher starr und hierarchisch organisiert sind. Aber wer sich mit Medizin als Journalist befassen will, sollte ein echtes Interesse mitbringen. Wer nur aus Kalkül in diese Sparte geht, weil hier die Verdienstmöglichkeiten für Journalisten noch passabel sind, wird auf Dauer nicht durchhalten. Dafür sind Medizinthemen zu speziell und zu kleinteilig.

Das waren jetzt mehr Infos als Tipps. Von denen hätte ich auch noch welche, für jüngere Kollegen, die sich als freie Journalisten versuchen wollen. Wenn auch eher allgemeiner Art …

Sehr gerne. Legen Sie los!

Drei Tipps hätte ich da. Sich coachen zu lassen, um selbstbewusster die Honorare aushandeln zu können, kann ich jedem jungen Kollegen wärmstens empfehlen. Und wenn es nur darum geht, psychisch robuster zu werden, um Forderungen zu stellen. Viele warten, glaube ich, zu lange damit, konsequent auszuloten, was sie maximal herausholen können. Mir hat das viel gebracht. Zweitens können Einsteiger mit Kollegen eine Selbstcoachinggruppe gründen – nach dem Konzept namens „Erfolgsteam“. Vier bis sechs Leute treffen sich ein halbes Jahr lang alle drei Wochen und entwickeln im Diskurs ihr Geschäftskonzept als Selbstständiger weiter. Das kostet nichts und ist eine super Sache. Und drittens möchte ich betonen, dass Selbstpflege für einen Freiberufler wichtig ist. Wer jeden Auftrag annimmt, selbst wenn er kaum Pesos, kein Prestige und schon gar nicht Pleasure bringt, verbraucht sinnlos seine wichtigste Ressource – die eigene Gesundheit.

Frau Nolte, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Anke NolteAnke Nolte (Jahrgang 1964) arbeitet seit 1995 als freiberufliche Medizinjournalistin mit Büro in Berlin-Mitte. Ihre speziellen Interessen gelten der Psychologie, Psychosomatik und Psychiatrie sowie der Krankenpflege. Für die Stiftung Warentest hat sie zwei Bücher – über Bluthochdruck und Essstörungen – geschrieben. Weitere Auftraggeber sind unter anderem „Psychologie Heute„, „Reader`s Digest„, die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen, das Aktionsbündnis Seelische Gesundheit und der Verlag Springer Medizin.

Kommentare sind geschlossen.