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Personalisierte Nachrichtenagentur in Echtzeit: Twitter für die Recherche nutzen

Themen, Kontakte und Quellen finden, Reichweite aufbauen. Auch für Nischenthemen kann Twitter ein mächtiges Recherchetool sein. Eine Schritt-für-Schritt-Anleitung, wie Fachjournalisten Twitter konkret für die Recherche nutzen können.

Twitter gilt noch immer als Insider-Tool, das sich weniger Social-Media-affinen Journalisten nicht immer auf Anhieb erschließt. Dabei ist Twitter konstant auf Rang 3 der sozialen Netzwerke in Deutschland. Mit knapp vier Millionen Nutzern pro Monat ist der Dienst in etwa auf Augenhöhe mit Xing (mehr als fünf Millionen), aber weit hinter Facebook (mehr als 30 Millionen). Doch Masse ist nicht immer Klasse. Gerade wenn es um Nachrichten geht, halte ich Twitter für das deutlich ergiebigere Netzwerk. Das liegt zum einen daran, dass es (noch) keinen Algorithmus wie bei Facebook gibt, der nur bestimmte Updates anzeigt und andere herausfiltert. Vor allem aber sind die Suchfunktionen bei Twitter deutlich besser als bei Facebook.

Twitter: ergiebig bei Nachrichten, Trends und Tools

Für Fachjournalisten geht es in aller Regel darum, im eigenen Fachgebiet schnell an relevante News zu kommen. Meine eigene Erfahrung mit Twitter ist sehr positiv, ganz besonders, was meine Nische als Autor und Trainer für Trends im digitalen Journalismus betrifft. Das ist in der Tat etwas sehr Spezielles. Und da auf Twitter die digitale Avantgarde komplett vertreten und sehr aktiv ist, ist Twitter hier für das Entdecken von News, Trends und neuen Tools besonders ergiebig. Ich kann das natürlich nicht für alle Branchen beurteilen, würde aber jedem Journalisten empfehlen, es zumindest einmal zu versuchen.

Wie relevant und nützlich Twitter ist, hängt davon ab, welchen Accounts man folgt. Durch diese Abos erweitert man den eigenen Blickwinkel ungemein. Vier Augen sehen mehr als zwei – und erst recht bekommen 100 oder gar 1000 Accounts exponentiell mehr mit als man selbst.

Für die eigene Nische sind vor allem die Experten aus der Szene relevant. Es gibt verschiedene Wege, diese Leute auf Twitter zu finden:

  • Namen suchen: Eine Handvoll kennt man immer persönlich. Die gibt man von Hand in die Twitter-Suche ein, setzt den Filter auf „Personen“ und sieht, ob sie dabei sind. Manchmal gibt es auch Fake-Accounts, in der Regel aber meist bei Prominenten. Trotzdem lohnt sich ein zweiter Blick: Welche Website ist verlinkt? Ist auf dieser Website umgekehrt ein Link zu diesem Twitter-Profil?
  • Wem folgen die Experten? Wenn die Echtheit des Accounts geklärt ist, lohnt ein Blick darauf, wem dieser Account folgt: Da sind oft interessante Profile dabei, die auch für das eigene Arbeitsgebiet relevant sind, die man bisher aber nicht auf dem Radar hatte.
  • Sind Fachblogger auf Twitter? Gehen Sie Ihre RSS-Feeds oder Ihre Bookmarks durch und schauen Sie auf den Websites und Blogs nach Twitter-Accounts.
  • Twitter-Empfehlungen: Twitter hat von Haus aus die Funktion „Wem folgen?“ an Bord, die auf Basis der eigenen Twitter-Aktivität Vorschläge für interessante Accounts macht. Je länger man dabei ist und je spezifischer man auf Twitter unterwegs ist, desto relevanter sind diese Vorschläge.

Das geht nicht alles von heute auf morgen, aber wer da konstant am Ball bleibt, bekommt innerhalb einiger Monate ein nützliches Informantennetz zusammen. Je länger man dabei ist, desto dichter wird dieses Netz und desto geringer die Gefahr, dass eine branchenrelevante Nachricht durchrutscht.

Ordnung in die Timeline bringen

Wer die obigen Tipps befolgt, hat schnell einige Hundert Einträge in der Rubrik „Folge ich“ stehen. Da wird die eigene Timeline schnell unübersichtlich, vor allem, wenn man besonders aktiven Twitterern folgt. Wie kann ich nun Ordnung in meinen Twitter-Kosmos bringen?

Listen sind der beste Weg. Ich interessiere mich zum Beispiel dafür, was Medienjournalisten schreiben und verlinken und habe sie in einer Liste „Medienjournalisten“ gesammelt. Bei einem Klick auf diese Liste sehe ich ausschließlich die Tweets dieser Medienjournalisten. Ein weiterer Vorteil: Wenn man nicht unendlich vielen Leuten folgen will, kann man sie auch einfach in eine Liste einteilen. Dann sieht man ihre Tweets – aber eben nur, wenn man die entsprechende Liste aufruft. Stuft man die Liste als privat ein, bekommt der andere Account das gar nicht mit. So ist leicht zu verfolgen, was jemand twittert, ohne ihm folgen zu müssen. Macht man Listen öffentlich, können andere sie abonnieren. Umgekehrt kann man so auch anderen öffentlichen Listen folgen. „Die Zeit“ hat zum Beispiel eine Liste mit Bundestagsabgeordneten erstellt.

Hashtags sind Schlagworte und besonders sinnvoll bei Events wie Konferenzen oder Tagungen, zum Beispiel rp15 für die re:publica 2015 oder natürlich auch aktuelle Hashtags wie etwa #pegida oder #nopegida. Bei einem Klick auf ein Hashtag erhält man nur die Tweets, in denen dieses Hashtag vorkommt. Man kann natürlich auch nach spezielleren Hashtags wie #Quantenphysik suchen und bekommt dann entsprechend weniger Tweets.

Vor allem durch den geschickten Einsatz von Listen und Hashtags wird Twitter zur „personalisierten Nachrichtenagentur“, das heißt, man bekommt vor allem Nachrichten und neue Themen aus dem eigenen Fachbereich mit, „einfach so“, ohne großes Zutun. Kritiker sagen, dass man so in einer von der Außenwelt abgekoppelten Informationsblase lebt. Aber als Fachjournalist will ich doch genau das, oder?

Suchmaske funktioniert mit ähnlichen Operatoren wie Google

Twitter Operatoren

Twitter erlaubt eine Suche mit Operatoren, wie man sie von Google kennt.

Natürlich gibt es auch Situationen, in denen man zu einem Thema in die Tiefe recherchieren möchte bzw. nach einer Quelle sucht. Hierfür bietet sich die Twitter-Suchfunktion an. Unter https://twitter.com/search-home gibt es zwei sehr praktische Suchmöglichkeiten:

  1. Suchen mit Operatoren: Klar, es gibt den normalen Suchschlitz, in dem man alles Mögliche eingeben kann. Weit weniger bekannt und genutzt sind die Suchoperatoren (Link), die im Prinzip genauso wie bei Google funktionieren. Begriffe, die in Anführungszeichen gesetzt sind (search phrase), werden exakt in dieser Reihenfolge und Schreibweise gesucht. Man kann nach Tweets von bestimmten Accounts suchen, beispielsweise mit from:barackobama, und das mit weiteren Operatoren wie Hashtags, zum Beispiel #sotu15 kombinieren. Toll: Seit November 2014 hat Twitter seine komplette Datenbank für die Suche geöffnet. Es werden also alle Tweets durchsucht (sofern sie nicht geschützt sind). Mit ein bisschen Übung hat man diese Operatoren schnell verinnerlicht und kann sie dann (aneinandergereiht) direkt in den Twitter-Suchschlitz eingeben.
  2. Erweiterte Suche: Das ist der etwas bequemere Weg. Hier hat man ein Suchformular, das die Bereiche „Wörter“, „Personen“, „Orte“ und „Daten“ sowie die Stimmung (;-), ;-(, Fragen) miteinbezieht. Im Endeffekt läuft das aber auf das gleiche Suchergebnis hinaus wie die Suche mit den Operatoren. Es ist eher eine Frage der Gewohnheit und Bequemlichkeit.

Tweetdeck – permanente Kontrolle über Listen, Suchen und mehr

Für mich die beste Software rund um Twitter ist ganz klar Tweetdeck, die alle oben genannten Tipps und Tricks an einem Fleck vereint. Tweetdeck arbeitet mit sogenannten Spalten (Columns), in denen man sich ganz spezifische Twitter-Inhalte anzeigen lassen kann. Die wichtigsten Features sind:

  • Liste
  • Hashtag
  • Suchbegriff
  • Erwähnungen (wenn der eigene Twitter-Account von einem anderen Account erwähnt wird)
  • Mitteilungen (zum Beispiel über neue Follower)
  • komplette Timeline
  • Twitter-Trends
  • Aktivitäten des eigenen Twitter-Netzwerks
Mit Tweetdeck kann man verschiedene Listen, Suchbegriffe oder Interaktionen auf einen Blick verfolgen.

Mit Tweetdeck kann man verschiedene Listen, Suchbegriffe oder Interaktionen auf einen Blick verfolgen.

So kann man sich beliebig viele Spalten nebeneinander anordnen und ganz fokussiert nachschauen, je nachdem, was man gerade bei der Recherche benötigt. Ich nutze Twitter fast ausschließlich über Tweetdeck.

Ein weiterer großer Vorteil: die Filter-Funktion in den Spalten. Rechts oben kann man in jeder Spalte Filter nach Inhalt und Nutzern erstellen, die das Suchergebnis nochmal verfeinern (siehe Bild). So ist es möglich, zum Beispiel nur nach Tweets mit Links zu suchen, nur nach einem bestimmten Nutzer, bestimmte Begriffe auszuschließen – oder Tweets auf eine Sprache zu beschränken. Ein Beispiel für den Nutzen gefällig? Zur Jahreskonferenz des Netzwerks Recherche wird immer mit dem Hashtag #nr+Jahreszahl (2014: #nr14) getwittert. Im vergangenen Jahr fand zeitgleich auch das Nova Rock Festival statt, wozu ebenfalls mit #nr14 getwittert wurde, allerdings zumeist auf Englisch. Ein Klick auf den Sprachenfilter „deutsch“ brachte wieder Ordnung in die Timeline.

In die Twitter-App hat das leider immer noch nicht Einzug gehalten. Aber eine ausgiebige Fachrecherche werden die meisten vermutlich eher am Desktop oder Laptop machen.

Rund um Twitter gibt es noch ein ganzes Universum an Tools und Suchdiensten wie Twazzup, Topsy oder Socialmention. Wirklich notwendig sind diese aber nicht, seit Twitter wieder komplett durchsuchbar ist.

Twitter – für wen?

Twitter eignet sich vor allem dann für die Recherche, wenn man auch selbst aktiv ist und regelmäßig twittert – und zwar relevant twittert für die eigene Followerschaft. Relevant heißt in der Regel mit Links zu Neuigkeiten, Services, Hintergründen, spannenden Veranstaltungen, Downloads etc. Natürlich darf sich auch mal eine persönliche Bemerkung oder Humor in die Tweets einschleichen, das lockert auf.

Nur wer regelmäßig relevant twittert (und sein Profil häufig verlinkt), kann eine signifikante Anzahl von mehreren Hundert oder gar mehreren Tausend Followern und eine Autorität auf Twitter aufbauen. Das ist zum einen praktisch für die Bewerbung eigener Artikel, kann aber auch für die Recherche ungemein nützlich sein. Followerpower ist hier das Stichwort. Jeder kennt die Situation: Man hat gerade eine Frage und ist sich sicher, dass jemand aus dem eigenen Netzwerk die Antwort weiß oder Erfahrungen damit hat. Oft kann ein Frage-Tweet hier Wunder wirken, am besten noch wenn er mit dem #followerpower und dem Hinweis „bitte retweeten“ garniert ist. So kommt schnell der Schneeballeffekt zum Tragen, und manchmal ist die Antwort im Handumdrehen geliefert.

Fazit: Twitter als personalisierte Nachrichtenagentur in Echtzeit

Twitter ist der Nachrichtenlieferant unter den sozialen Netzwerken. Hier sind in vielen Bereichen sehr gut informierte und vernetzte Meinungsführer aktiv, die dafür sorgen, dass sich wichtige (Branchen-) Nachrichten schnellstens verbreiten. Durch Listen und spezielle Suchanfragen, am besten kombiniert in Tweetdeck, kann man Twitter zu einer personalisierten Nachrichtenagentur in Echtzeit machen. Je aktiver, authentischer und relevanter man als Fachjournalist selbst twittert, desto mehr Erfolg wird man auch bei Recherchefragen haben, die man an seine Follower richtet.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Foto: Andreas Unger

Foto: Andreas Unger

Der Autor Bernd Oswald ist freier Medienjournalist, Trainer und Trendscout im digitalen Journalismus. Er schreibt unter anderem für onlinejournalismus.de und betreibt das Blog www.journalisten-training.de. Sein Lieblingsthema ist multimediales Storytelling und dafür geeignete Tools. Er glaubt an die Macht der Daten für aussagekräftige Geschichten und eine transparentere Gesellschaft. Deswegen engagiert er sich bei Code for München. Er twittert unter @berndoswald.

Kommentare
  1. Ralph sagt:

    Dies ist eine schöne Zusammenfassung für die einfache Nutzung von Twitter.

    Beste Grüße

    Ralph

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