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Radio zum Lesen, Sehen, Klicken

Anregungen für Radiomacher, die Audios multimedial ins Netz bringen wollen.

Es ist und bleibt ein Problem: Das Internet hat keine Zuhörer. Meistens jedenfalls. Denn reine Audios werden im Netz kaum geklickt. Was ankommt, sind Texte, Bilder, Videos, nicht Radiobeiträge. Dennoch sind Klänge, Töne, Sounds im Netz gerade im Kommen. Als Teil der neuen Multimedia-Reportagen. Denen verleihen oft erst gute Audios die besondere Wirkung. Radiomacher sollten sich darüber freuen und im Umkehrschluss ihre Audios multimedial aufbereiten. Warum und wie, erklärt dieser Beitrag.

Warum Multimedia? Was ist möglich und warum nötig?

Alles redet von Multimedia und Webdokus, von Scrollytelling und „Snowfall„. Denn mit der gleichnamigen scrollbaren Internetreportage der New York Times ist der Knoten geplatzt. Plötzlich versteht alle Welt, welche neuen Möglichkeiten des Erzählens das Netz bietet. Dass sich Text, Bild, Video und Ton auf neue Art verknüpfen lassen. Dass man Geschichten für User im Netz interaktiv erzählen muss. Denn klicken, scrollen, weiterspringen: Die User sind das gewohnt. Sie wollen mitbestimmen. Eingreifen in die Geschichte. (Inter-) Aktiv lesen, hören, sehen.

Vor allem die Onlineredaktionen großer Zeitungen springen auf das neue Format an. Neben der NewYork Times zum Beispiel die ZEIT, der SPIEGEL, der Guardian. Außerdem Fernsehsender wie ARTE und der WDR. Multimediales von Radiosendern ist dagegen noch selten. Und das ist schade. Denn die neuen multimedialen Erzählformen haben viel Ähnlichkeit mit dem, was auch radiophones Erzählen ausmacht: Sie schaffen Nähe. Tiefe. Wirken authentisch. Intensiv. Und sie entwickeln da ihre besondere Stärke, wo sie sich menschlichen Geschichten widmen. Zu Recht vergleicht der Journalist Urs Spindler sie mit dem Radiofeature.

In der Tat sind es oft gerade Sounds, Stimmen, Musik, die diese neuen Netzreportagen so eindringlich machen. Nicht umsonst hat sich der Guardian dafür eine der renommiertesten Feature-Autorinnen der BBC geholt: Francesca Panetta. Ihre Multimediastücke sind beeindruckend radiophon. Manche sogar schlicht interaktive Klangcollagen.

Warum also spielen wir Radiomacher so wenig mit diesen Möglichkeiten? Warum geben wir unseren Tönen, Sounds, Erzählungen nicht mit multimedialen Effekten mehr Wirkung im Netz? Nötig wär’s. Denn reine Audios werden online wenig gehört. Ganz einfach, weil Internetnutzer an Interaktion und optische Reize gewöhnt sind. User, die ohne Blick- und Klickführung nur zuhören sollen, sind deshalb schnell gelangweilt oder abgelenkt.

Genau da kann multimediale Audiogestaltung helfen. Durch sie entstehen Töne, die auch Hingucker sind, und Audios, die Hörer selbst steuern können. Kurz: Radio, das man auch lesen, sehen, klicken kann.

Zugegeben: Multimediales à la „Snowfall“ ist aufwendig und nur im Team zu schaffen. Doch es muss ja nicht gleich das Großprojekt sein. Audios lassen sich auch im kleinen Stil multimedial aufrüsten, interaktiv und sichtbar machen. Auch im Ein-Mann/Frau-Betrieb.

Audio goes Multimedia. Was machen, versuchen, ausprobieren?

 
Beispiel 1: Die Audio-Slide-Show

Die Audio-Slide-Show (ASS) macht Töne im Netz sichtbar. Sie macht, was der Name „Ton-Bild-Schau“ verrät: Sie zeigt Bilder zum Ton. Das klingt (und ist) banal, wirkt aber erstaunlich. Denn: Weil man etwas sehen kann – Fotos, Standbilder –, kann man konzentriert zuhören. Oft wirken Audios zusammen mit starken Momentaufnahmen sogar besonders intensiv. Vor allem emotionale O-Töne werden durch ruhige Bilder noch stärker, eindrucksvoller, packender. Eine ASS ist, so gesehen, Radio mit Bild.

Zu machen sind ASS einfach. Mit Soundslides zum Beispiel. Geeignet sind – mit kleinen Abstrichen in der Bildqualität – aber auch Video-Schnittprogramme wie Windows Movie Maker und iMovie. Die meisten dieser Programme sind in ihren Grundfunktionen recht intuitiv zu bedienen.

Radiomacher ohne Vorerfahrung sollten zunächst einfach einen einzelnen längeren O-Ton bebildern. Oft kann man dafür Audios oder Töne verwenden, die für den Hörfunk schon zurechtgeschnitten wurden. Besonders geeignet sind O-Ton-Collagen.

Die Originaltöne erzählen dann auf authentische Art die Geschichte. Die Bilder liefern die blickfesselnden Eindrücke. Wo weitere Infos nötig sind, können Schrifteinblendungen den fehlenden Reporter (-text) ersetzen. Bei komplizierten Sachthemen helfen Grafiken.

Größtes Hemmnis für viele Radiomacher: die Bilder. Denn „gute Fotos machen“ gehört nicht standardmäßig zu unserem Beruf. Aber was hilft’s? Für die Onlineangebote der Zeitung machen Fotografen und Printreporter längst Töne und gebaute Beiträge zum Bild. Warum also nicht auch wir Radiomacher Bilder zum Ton? Es kommt auf einen Versuch an. Und auf ein wenig Lust am Lernen.

Für erste ASS-Experimente eignen sich Themen, die im Freien spielen, bei Tageslicht. Dort sind Fotos einfacher zu machen als in tendenziell schlecht oder künstlich ausgeleuchteten Räumen. Außerdem gilt: Nur Querformat-Bilder in 16:9 machen. Denn hochformatige und 4:3-Bilder erscheinen in den meisten Playern mit schwarzen Rändern links und rechts. Bei der Bildgestaltung helfen zu Beginn einige populäre und schnell zu verstehende Grundregeln. Bei der Montage zählt vor allem Rhythmusgefühl: Eine ASS erzählt ruhig und intensiv. Schnelle Schnitte sind (meist) fehl am Platz. Stilbildend sind bis heute die Multimedia-Regeln von MediaStorm.

Übrigens: Manchmal reicht schon ein einzelnes ausdrucksstarkes Bild, zusammen mit einem gut gemischten Audio, um das Zuhören im Netz zu einem echten Erlebnis zu machen. Das zeigen Ex-Radiomacherin Francesca Panetta und ihre Kollegen vom Guardian in diesen „Bild-O-Tönen“ zum Irak-Krieg. Zu machen sind sie wie eine ASS mit nur einem Bild. Wer HTML-Grundkenntnisse hat, kann sich wie ASS-Pionier Matthias Eberl aber auch schnell einen eigenen Bild-Audio-Player basteln.

 
Beispiel 2: Der Radiobeitrag, der erst beim Hören/Klicken entsteht.

Im Radio ist ein Beitrag ein fertig gebautes Audio. Vom Reporter gemacht. Vom Hörer zu hören. Am Stück. Im Netz muss das nicht so sein. Das zeigen zwei interaktive Audio-Onlineprojekte von rbb und Deutschlandradio: „M zehn“ und „Radiopuzzle„. Beides sind Feature-Collagen, die auf raffinierte Art modular aufgebaut sind. Einzelne kleine Audios lassen sich vom User per Klick aufrufen, abbrechen, überspringen. Das große Ganze klingt deshalb für jeden User anders. Genau genommen entstehen die Features erst durch die Klicks des jeweiligen Hör-Users. Klar: Beide Projekte sind aufwendig programmiert. Doch das Grundprinzip lässt sich auf einfache Art nachahmen. Auf der kostenlosen Audioplattform SoundCloud zum Beispiel.


Der Trick: Man unterteilt ein Audio in mehrere Teilaudios, lädt die dann aber gemeinsam bei Soundcloud hoch. Das Ergebnis ist eine Audiosammlung, die User sich am Stück anhören oder aber selbst zusammenklicken und dabei Passagen überspringen können: ein Radiobeitrag mit Skip-Funktion. Auch lange Features oder ganze Radiosendungen kann man auf diese Art mit einzeln klickbaren Kapitelmarken versehen. Weil man bei Soundcloud außerdem jedem Audioschnipsel ein eigenes Bild zuweisen kann, bietet so ein Klickaudio zusätzlich optische Reize. Einfach, schnell, multimedial.

Bei ThingLink, einer kostenlosen Multimediaplattform im Internet, lassen sich Audios außerdem direkt in ein Bild einbauen – als Klickpunkte. Auch Videos, weitere Bilder und Texte sind integrierbar. Natürlich erneut interaktiv.

Der User kann also Bilder sprechen lassen. Und erneut entscheidet er selbst, wann er was hören, lesen, sehen will. Der Radiobeitrag wird so multimedial. Für komplizierte Themen lassen sich auch Grafiken einbauen. Das Gestalten mit ThingLink ist extrem einfach: per Drag and Drop. Genauso einfach funktioniert die Einbettung von Soundcloud-Audios. Da auch diese sich wiederum bebildern lassen, ergeben sich schöne optische Effekte.

Wichtig dabei: Die einzelnen Audioelemente dürfen nicht zu lang sein. Sie sind eher einzusetzen wie O-Töne in einem kurzen Beitrag. Der User soll immer wieder die Chance haben, selbst zu bestimmen, wo er weiterhören, -lesen, -schauen will.

 
Beispiel 3: Das animierte Audio

Eine schöne und sehr kunstvolle Art, Audios im Netz sichtbar zu machen, sind Animationen. Zu sehen zum Beispiel bei „Blank on Blank„, einem US-amerikanischen Non-Profit-Projekt, das (überwiegend alte) Interviews mit Stars zeichnerisch ins Bild setzt.

Ähnlich auch „Storycorps“ – ein Radioprojekt, das seit Jahrzehnten US-amerikanische Lebensgeschichten sammelt und inzwischen einige animiert ins Netz verlängert hat.

Beides ist höchst gekonnt produziert und nichts für Anfänger. Dennoch können sich auch Einsteiger an Tonanimationen versuchen, zum Beispiel mit Adobe Photoshop und Adobe After Effects. Mit diesen Programmen lassen sich Bilder und Schriften bearbeiten, montieren und animieren. Für beides braucht man Anleitung und Zeit. Auch Kurzanimationen sind aufwendig. Der Effekt ist indes frappierend.

Ausprobieren ist inzwischen übrigens günstig: Beide Programme (Photoshop und AfterEffects) gibt es test- und monatsweise übers Internet, als Cloud-Service.

Was bringt das alles? Wer bezahlt dafür?

Noch ist es für Radiomacher schwer, mit derart multimedialen Audios Geld zu verdienen. Denn viele Hörfunkredaktionen haben bedauerlicherweise weder Erfahrung mit solchen Formen noch Geld dafür. Gelegentlich fehlt es auch an den technischen Voraussetzungen. Manche Redaktionen können und wollen online keine Plattformproduktionen einbinden. Wer Multimediales zusätzlich zum „normalen“ Radiobeitrag verkaufen will, muss deshalb in jedem Fall geschickt verhandeln und fast immer in Vorleistung gehen. Oft erkennen die Redaktionen erst dann, dass sie mit solchen les-, klick- und sichtbaren Audios online punkten können.

Erfolgversprechend scheinen für den Anfang überschaubare Angebote wie einzelne multimediale O-Töne oder bebilderte Collagen. Hörfunkredaktionen können sie im Netz als Teaser oder Trailer einsetzen und damit für Podcasts und Radio in der klassischen Form werben. Außerdem lassen sich solche multimedialen Ministücke gut via Facebook und Twitter verbreiten – und zwar erfolgreicher als reine Audioclips. Wer selbst ein gutes soziales Netzwerk hat, kann die Redaktionen damit locken.

Sinnvoll scheinen auch Angebote zu Serien. Denn hat eine Redaktion sich erst mal entschieden, ein Thema als Serie ins Programm zu nehmen, ist sie oft auch leichter für eine multimediale und werberische Zusatzverwertung im Internet zu begeistern.

Weil die wenigsten Radioredaktionen Bezahlmodelle und etablierte Honorarsätze für multimediale Audios haben, sind außerdem kreative Angebote nötig. Gelegentlich honorieren die Redaktionen die multimedialen Stücke zum Beispiel einfach wie weitere Radiobeiträge. Dem Arbeitsaufwand dahinter wird das aber oft nicht gerecht.

Wann lohnt sich der Aufwand? Und wofür lohnt sich wie viel Aufwand? Das sind und bleiben deshalb die zentralen Fragen. Und zweierlei ist dabei zu bedenken. Erstens: Multimediale Audios lassen sich zum Teil auch low budget produzieren. Man muss sich dann eben bewusst sein, dass und welche Abstriche man macht. Und zweitens: Auch mäßig honorierte Angebote können sich lohnen. Denn die eigenen Audios im Netz sichtbar zu machen ist in jedem Fall eine Chance auf zusätzliche Reichweite. Radiomacher Moritz Metz hat deshalb mit viel Aufwand und für wenig Geld seine Radioserie „Wo das Internet lebt“ multimedial ins Netz verlängert. Seine Motivation: „Ich will einfach, dass meine Beiträge im Netz gut rüberkommen und weitere Hörer, User, Nutzer finden.“

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Sandra MüllerDie Autorin Sandra Müller ist seit über 20 Jahren Hörfunkerin. Sie arbeitet als Redakteurin, Moderatorin, Reporterin überwiegend für den Südwestrundfunk. Sie bloggt und twittert unter anderem über zu wenig multimediale Experimentierfreude der deutschen Hörfunker. Sie lehrt Radio (sowie Audio-Slide-Shows und anderes) machen unter anderem an der Universität Tübingen und der Hörfunkschule Frankfurt. Ihr Buch „Radio machen“ erscheint 2014 in 2. Auflage im UVK-Verlag.

Kommentare
  1. Sehr schöner Artikel, den sich die Chefs der Radiostationen einprägen sollten.
    Leider geht es gerade bei den Privaten nur darum, Kosten zu sparen. Fotografische Qualität ist da nicht gewollt, kostet nur Geld.

    Ich habe sowas heuer zu Ostern mal ausprobiert, und es hat Spaß gemacht. Das Ergebnis ist hier zu sehen:
    https://www.youtube.com/channel/UCd1ehryQSWuKuz9y2nBLa1g

    Für die Erstellung der Video-Diaschau wurde Photoshop Lightroom benutzt.

    • Hallo Herr Rosenbauer,

      schön, dass Ihnen der Artikel gefallen hat.
      Und Kompliment: die verlinkte Audio-Slide-Show hat wirklich sehr schöne Bilder.

      Allerdings ist sie sehr lang. Und im Netz schreckt das die User leider oft ab.
      Ich denke wir müssen da kleinteiliger denken.

      Oder bei längeren Stücken mit zusätzlichen Tricks arbeiten.
      Einige davon, habe ich jüngst in meinem Blog beschrieben:
      http://www.radio-machen.de/2014/07/30/so-wirken-audio-slide-shows/

      Weitere Ideen und Erfahrungen sind willkommen.
      Herzlich
      Sandra Müller