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Recherchestrategien, Teil 2: Die Nachrichtensperre gekonnt umschiffen

Am Ende einer Recherche sind handfeste Fakten gefragt. Doch was tun, wenn alle Verantwortlichen eisern schweigen? Nicht selten wird die Nachforschung für den Reporter vor Ort damit zu einer „Achterbahnfahrt“ mit ungewissem Ausgang. Im zweiten Teil seiner Miniserie über geeignete Recherchestrategien bei heiklen Themen zeigt Uwe Herzog „sieben goldene Regeln“ auf, mit deren Hilfe eine solche „Mauer des Schweigens“ durchbrochen werden kann – und wie dadurch handfeste Informationen ans Licht kommen.

Im ersten Teil unserer Serie „Recherchestrategien“ wurde ein Praxisbeispiel beschrieben, wie es Journalisten so oder ähnlich in vielen Städten und Gemeinden begegnen könnte. Dabei ging es um ein Bauprojekt, das auf den ersten Blick Vorbildcharakter zu haben schien. Bei näherem Hinsehen stellte sich jedoch heraus, dass mit dem Bau erhebliche Umweltgefahren verbunden sind.

Zum Zeitpunkt der Recherchen befanden sich die Baupläne – trotz bereits erteilter Baugenehmigung durch die örtliche Stadtverwaltung – in einer erneuten Sicherheitsüberprüfung durch die übergeordnete Bezirksregierung. Die Aufgabe des Reporters bestand nun vor allem darin, noch während dieses behördlichen Verfahrens Informationen zu erhalten. Denn gerade bei Themen, in denen es um Gefahren für Mensch und Umwelt geht, hat die Öffentlichkeit ein Recht auf eine zeitnahe und umfassende Berichterstattung.

Die Crux: Die Verantwortlichen in unserem Beispiel teilten auf Anfragen des Reporters mit, dass sie – mit Rücksicht auf das laufende Verfahren bei der Bezirksregierung – bis zu dessen Abschluss keine öffentliche Stellungnahme abgeben wollten. Andere erklärten sich für nicht zuständig. Dennoch gelang es dem Reporter bereits nach wenigen Tagen, an die bis dahin unter Verschluss gehaltenen Unterlagen und Fakten zu diesem Fall zu gelangen. Dabei nutzte er Recherchestrategien, die auch bei hartnäckigen „Nachrichtensperren“ zu ähnlichen Themen hilfreich sein können.

Im Folgenden werden einige der „goldenen Regeln“ beschrieben, mit denen Reporter auch unter schwierigen Bedingungen ihr Ziel erreichen und schließlich die Öffentlichkeit doch noch über ihre Erkenntnisse informieren können.

1. Liste mit Ansprechpartnern erstellen

In einem ersten Schritt gilt es, die möglichen Ansprechpartner zu sondieren: Wer ist Eigentümer eines Betriebs, Grundstücks, Gebäudes oder Transportmittels, um das sich das Thema dreht? Wer gilt – rechtlich oder praktisch – als Betreiber, Pächter oder Mieter der Sache? Wer hat die erforderlichen Genehmigungen für ein Projekt, ein Unternehmen oder ein Vorhaben erteilt? Wer profitiert von alledem, wer hat den Schaden? Wer ist dafür, wer dagegen (aus welchen Gründen und Interessen heraus)? Last, but not least: Wer gilt als ausgewiesener Experte in der Sache?

Je länger die Liste möglicher Ansprechpartner, desto größer ist die Chance, handfeste Informationen zu erhalten. Oft staffeln sich die infrage kommenden Recherchekontakte in Hierarchien, die weitere Quellen erschließen. Das Spektrum reicht in der Privatwirtschaft von der kleinen Tochterfirma bis zum dahinter stehenden (multinationalen) Konzern. Bei öffentlichen Einrichtungen sind es zunächst die Amtsstuben vor Ort, dann ist es die jeweils zuständige Bezirks-, Landes- oder Bundesverwaltung oder es sind Ministerien auf Länder- und Bundesebene. Hinzu kommen lokale, regionale, landes- oder bundesweit agierende Vereine, Verbände oder unabhängige Institutionen, die mit der Sache vertraut sind.

Allerdings: Nicht selten kommt es vor, dass sich am Ende niemand für zuständig erklärt und auf den jeweils anderen Pressesprecher verweist. Ein Tipp: Macht der Reporter deutlich, dass in seiner Berichterstattung auch die mangelnde Auskunftsbereitschaft zu seinen Fragen thematisiert werden soll, steigt die Chance, doch noch Informationen zu erhalten.

2. Presseanfragen: Termine setzen, erinnern, nachhaken

Presseanfragen ohne Termin für ihre Beantwortung ergeben nur dann Sinn, wenn ein Thema absolut zeitlos und wenig kontrovers ist. In der aktuellen Tagesberichterstattung reichen bei Anfragen an professionelle Pressestellen meist Fristen von wenigen Stunden oder Tagen aus. Bei komplexeren Fragen, die aufwendige Recherchen der Pressesprecher im eigenen Haus erforderlich machen, sollten Fristen von ein bis zwei Wochen eingeräumt werden. Bleibt die Antwort trotz Fristsetzung aus, ist zunächst eine freundliche Erinnerung fällig. Dazu genügt es in der Regel, die E-Mail mit der ursprünglichen Presseanfrage einfach erneut zu versenden und dabei im Betreff den Vermerk „Erinnerung/Reminder“ hinzuzufügen.

Werden nicht alle Fragen beantwortet, erscheinen die Auskünfte unzureichend oder unklar, unbedingt nachhaken und um eine entsprechende Konkretisierung bitten!

3. Behörden und Ministerien an ihre Auskunftspflicht erinnern

Alle lokalen, regionalen oder im betroffenen Bundesland zuständigen Behörden und Ministerien sind per Gesetz zu Auskünften gegenüber der Presse verpflichtet, sofern diese „zur Erfüllung ihrer Aufgaben“ erforderlich sind und das zugrunde liegende Thema von öffentlichem Interesse ist. Diese Auskunftspflicht ist in den Landespressegesetzen festgelegt und kann zur Not bei den örtlich zuständigen Verwaltungsgerichten eingeklagt werden (der „Fachjournalist“ berichtete in einem früheren Beitrag bereits ausführlich über die gesetzlichen Auskunftsrechte für Journalisten). Leider fehlt vielen Pressesprechern die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang sie gesetzliche Auskunftspflichten gegenüber der Presse haben.

Ausgenommen von gesetzlichen Auskunftspflichten sind Behörden und Ministerien des Bundes. Der Grund: Bislang hat der Gesetzgeber kein Bundespressegesetz verabschiedet. Seit einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts herrscht zudem Unsicherheit darüber, ob die Landespressegesetze auch für Pressestellen des Bundes gelten. Trotz des derzeit bestehenden rechtlichen „Vakuums“ erteilen Pressesprecher von Bundesbehörden in der Regel gegenüber Journalisten dennoch Auskünfte – es sei denn, es liegen (tatsächliche oder vermeintliche) Gründe dafür vor, diese zu verweigern. Bis zur Verabschiedung eines seit Langem geplanten Bundespressegesetzes bleibt Journalisten in solchen Fällen meist nichts anderes übrig, als sich an die auf Länderebene zuständigen Behörden zu halten.

Anders als kommunale und staatliche Stellen sind Unternehmen der Privatwirtschaft übrigens nicht zur Auskunft gegenüber den Medien verpflichtet – es sei denn, es handelt sich um privatwirtschaftlich betriebene Tochterfirmen kommunaler oder staatlicher Einrichtungen und Körperschaften. Auch einzelne (Privat-)Personen müssen gegenüber der Presse Auskünfte erteilen, sofern diese im Zusammenhang mit öffentlichen Aufträgen der Person stehen.

Tipp: Wird die gewünschte Auskunft verweigert, ist es oft sinnvoll, den zuständigen Ansprechpartner auf die entsprechenden Landespressegesetze sowie die einschlägigen Gerichtsentscheide hinzuweisen.

4. Nützlich: Fotos, Videos, Augenzeugenberichte und Expertenstatements

Anfragen bei Behörden brauchen oft ihre Zeit – erst recht dann, wenn es um heikle Themen geht oder gar amtliche Versäumnisse dabei eine Rolle spielen. In der Zwischenzeit gilt es, eigene Recherchen vor Ort anzustellen und diese zu dokumentieren: Fotos, Videos oder Berichte von Betroffenen können dazu beitragen, Vorwürfe zu untermauern (oder zu entkräften), die beim jeweiligen Thema im Raum stehen.

Erscheinen bestimmte Aussagen fragwürdig oder ist eine spätere rechtliche Auseinandersetzung über den Wahrheitsgehalt einzelner Behauptungen zu befürchten, sollte man die Interviewpartner in jedem Fall um gerichtsfeste eidesstattliche Erklärungen bitten. Auch das Statement eines ausgewiesenen Experten kann hilfreich sein, um weiteres Licht in einen Zusammenhang zu bringen.

5. Eigenes Recherchematerial bei Presseanfragen einsetzen

„Leider können wir uns derzeit nicht in dieser Sache äußern“ lautet eine der Standardformulierungen von Pressestellen, denen bestimmte Presseanfragen unangenehm sind. Meist werden laufende Gerichtsverfahren oder Bearbeitungen durch die Verwaltung  vorgeschoben, um Journalistenanfragen auszuweichen. Ein anderes Mal kommt die Anfrage „zu früh, um etwas zu sagen“ oder die Behörde erklärt sich schlicht für „nicht zuständig“, obwohl das Thema de facto in ihren Verantwortungsbereich fällt. Was also tun?

Zunächst sollte geklärt werden, ob die Beantwortung der gestellten Fragen tatsächlich das Abwarten einer bestimmten Entscheidung oder eines Verfahrens erforderlich macht – oder ob die notwendigen Fakten bei der zuständigen Behörde nicht längst auf dem Tisch liegen. Doch selbst wenn ein ausstehendes Gerichtsurteil oder eine Amtsentscheidung den Fortgang in der Sache verändern könnte: Die Öffentlichkeit hat im Zweifel grundsätzlich zu jedem Zeitpunkt der Entwicklung eines Sachverhalts ein Recht darauf, umfassend informiert zu werden. Anderenfalls wären die Medien schließlich oft jahrelang zum Schweigen verurteilt, nur weil etwa eine juristische Auseinandersetzung in der Sache bis zur letzten Instanz durchgefochten wird. Und auch die einzelnen Etappen von behördlichen, gerichtlichen oder politischen Auseinandersetzungen zu einem Sachverhalt können und müssen nun einmal weiterhin Teil der journalistischen Berichterstattung sein.

Um der oft mühsamen Überzeugungsarbeit gegenüber hartnäckig schweigenden Gesprächspartnern handfeste Argumente beizusteuern, kann es sinnvoll sein, bei Presseanfragen bereits recherchiertes Material einzusetzen. Mit dem Satz „In den Anlagen sende ich Ihnen Fotos (oder ein Video) von dem erwähnten Vorfall“ könnte zum Beispiel eine – erneute – Presseanfrage eingeleitet werden. Oder aber die Anfrage wird mit Zitaten von Augenzeugen, Anwohnern oder Betroffenen angereichert. Auch das Statement eines Experten wirkt oft Wunder. Denn werden Vorwürfe konkret benannt, steigt die Bereitschaft der zuständigen Behörde oft deutlich, ihrerseits mit handfesten Aussagen und Fakten darauf einzugehen. Dieses Vorgehen erfordert allerdings ein wenig diplomatisches Geschick, getreu dem Motto: „Hart (in der Sache), aber fair (in der Kommunikation).“

6. Ansprechpartner vom Nutzen ihrer Auskunft für sie selbst überzeugen

Unangenehme Presseanfragen haben immer zwei Seiten: Bleiben sie unbeantwortet, verliert der Angesprochene oft jeden Einfluss auf die Berichterstattung. Geht er jedoch transparent mit Fragen um, die er eigentlich nur ungern beantworten würde, kann er unter Umständen in der Öffentlichkeit verloren gegangenes Vertrauen zurückgewinnen. Eine Behörde, die eine Baugenehmigung erteilt hat, bei der nicht alle Umweltauswirkungen ausreichend berücksichtigt wurden, muss zum Beispiel den Unmut der Betroffenen fürchten. Nur die „Flucht nach vorn“ kann in solchen und ähnlichen Fällen noch retten, was zu retten ist.

Journalisten, denen es gelingt, schweigsame Pressesprecher vom Nutzen ihrer Auskünfte für sie selbst zu überzeugen, können die Öffentlichkeit wiederum mit dem guten Gefühl unterrichten, wirklich alle Seiten gehört zu haben und alle wesentlichen Fakten zu kennen. Selbst stark kontroverse Themen können auf diese Weise konstruktive, lösungsorientierte Diskussionen auslösen, die letztlich allen Beteiligten zugutekommen.

7. Im Notfall: Auskunftsklage ankündigen und erheben

Wer nicht hören will, muss fühlen: Das gilt auch für Pressestellen, die sich ungeachtet der Landespressegesetze und der einschlägigen Rechtsprechung ihrer Informationspflicht entziehen. Da hilft oft nur die Ankündigung einer gerichtlichen Klage für den Fall, dass die erbetenen Auskünfte innerhalb einer letzten Frist weiterhin nicht erteilt werden. Wird die Klage erforderlich, ist zunächst das Verwaltungsgericht an dem Ort zuständig, an dem die verklagte Behörde ihren Sitz hat.

In bestimmten Fällen kann eine solche Auskunftsklage auch als Eilantrag bei Gericht eingereicht werden. Damit ist sichergestellt, dass die Entscheidung darüber nicht Monate auf sich warten lässt. Voraussetzung für einen Eilantrag ist ein „gesteigertes öffentliches Interesse“ und ein „starker Gegenwartsbezug“. Für alle anderen Auskunftsanträge reicht ein grundsätzliches öffentliches Interesse an den einzuklagenden Auskünften als Begründung aus.

Der Streitwert in der ersten Instanz beträgt in der Regel 1.000 Euro (an diesem Wert bemessen sich die anfallenden Anwalts- und Gerichtskosten). Kann der klagende Journalist nachweisen, dass die von ihm verklagte Behörde oder Institution nach den Bestimmungen des jeweiligen Landespressegesetzes zur Auskunft verpflichtet gewesen wäre, diese jedoch bis zur gerichtlichen Klärung verweigert hat und unterliegt somit die Behörde, muss sie auch die Kosten des Verfahrens tragen.

Nach Schätzungen von Rechtsexperten investieren deutsche Behörden jährlich Hunderttausende Euro in Anwalts-und Gerichtskosten, um Auskünfte gegenüber Journalisten oder Bürgern abzuwehren. Offizielle Zahlen gibt es zwar nicht, aber die Erfahrungen von Fachanwälten zeigen, dass die meisten Auskunftsklagen von deutschen Journalisten in der Vergangenheit zu Recht erhoben wurden und die „Mauer des Schweigens“ somit in vielen Fällen per Gerichtsbeschluss durchbrochen werden konnte.

Fazit

Licht ins Dunkel zu bringen – das ist die vornehmste Aufgabe des Journalismus. Dabei müssen es nicht immer gleich die „Paradise Papers“ sein, die mit großem Aufwand von Hunderten Journalisten in monatelanger Teamarbeit ausgewertet wurden und dabei die Schattenseiten der glitzernden Welt der Superreichen erhellten. In fast jeder Stadt oder Gemeinde, in vielen Unternehmen, Organisationen oder Gruppierungen finden sich – bei genauem Hinsehen – Missstände, die es aufzudecken gilt. Eine Nachrichtensperre der Verantwortlichen kann ein Indiz dafür sein, dass mehr hinter einer Geschichte steckt, als es zunächst den Anschein hat. Um herauszufinden, ob es wirklich so ist, sind Ausdauer und Sorgfalt gefragt. Am Ende wird es immer darauf ankommen, jeden einzelnen Fall akribisch zu recherchieren und die so gewonnenen Fakten mit Augenmaß auszuwerten. Merke: Gute Journalisten sammeln Informationen – sie jagen ihnen nicht hinterher.

Im ersten Teil unserer Miniserie „Recherchestrategien“ bei heiklen Themen berichtete Uwe Herzog über ein Beispiel aus seiner journalistischen Praxis, bei dem er zunächst auf eine „Mauer des Schweigens“ stieß: Der geplante Neubau eines Wohnquartiers in Köln entpuppte sich dabei als Umweltskandal. Solchen und ähnlichen Fällen begegnen auch viele andere Fachjournalisten in ihrer täglichen Arbeit. Dabei gilt es stets, die „Gretchenfragen“ des jeweiligen Themas zu beantworten: Top oder Flop? Gut angelegtes Geld oder Verschwendung? Segen oder Gefahr für Mensch und Umwelt?

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Uwe HerzogDer Autor Uwe Herzog ist Fachjournalist für Innovationen, Design und Lifestyle. Er war langjähriger Autor der ARD und Nachrichtenredakteur bei Privatsendern wie Radio ffn und Radio Victoria. Darüber hinaus ist der ehemalige Mitarbeiter von Günter Wallraff Koautor zweier investigativer Sachbücher über Innere Sicherheit. Derzeit arbeitet Uwe Herzog an einem Buch über Ethik in der journalistischen Praxis.

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