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Reiseblogs – den Kinderschuhen entwachsen?

Die Deutschen gelten als äußerst reisefreudig. Jahrelang trug Deutschland gar den inoffiziellen Titel des „Reiseweltmeisters“. Die Leidenschaft fürs Reisen spiegelt sich hierzulande auch im publizistischen Angebot wider: Ob Print, TV, Radio oder Online – die Auswahl an reisejournalistischen Formaten ist vielfältig. Hinzu kommen zahlreiche Reiseblogs, die dem Leser bei der Auswahl des nächsten Reiseziels behilflich sein wollen. In einem Fachjournalist-Themenspecial wollen wir Ihnen in den nächsten Wochen verschiedene Aspekte des Reisejournalismus näherbringen. Im ersten Beitrag zum Thema geht es um Reiseblogs und ihre wachsende Bedeutung im Onlinezeitalter.

Seit rund fünf Jahren mischen Reiseblogs den deutschsprachigen Reisejournalismus auf. Mit zunehmendem Erfolg, da Anbieter touristischer Dienstleistungen und vor allem die von ihnen engagierten PR-Agenturen die bisher nicht vorhandenen Möglichkeiten der digitalen Informationsvermittlung zu schätzen gelernt haben und damit ihre Reichweite enorm erhöhen konnten. Steckt dahinter die Gefahr, dass Blogs in der PR-Maschinerie verkommen und die Leser lieber die seit Jahrzehnten vertrauten Reisegeschichten in den Tages- und Wochenzeitungen, Reisezeitschriften oder Special-Interest-Magazinen lesen? Oder hat sich die kleine Schwester gemausert und den Reisejournalismus um neue Inhalte und eine neuartige Erzählweise ergänzen können?

Johannes Klaus

Johannes Klaus: „Reisedepeschen“

Im vergangenen Jahr wurden die Reisedepeschen von Johannes Klaus mit 129 Stimmen von 165 Juroren zum Reiseblog des Jahres 2016 gewählt. Der Blog überzeugte vor allem durch die Sprache, Optik und Transparenz. Zudem bescheinigte die Jury dem Projekt, dass es Lust auf Reisen macht. Eine starke Leistung für ein Medium, das erst 2010 als persönlicher Blog an den Start gegangen ist, im letzten Jahr etwa 700.000 Seitenaufrufe und damit Leser verzeichnete und von einem Grafikdesigner betrieben wird, der die Eindrücke seiner Weltreise einst lediglich mit seinen Freunden und der Familie teilen wollte. „Gerade wenn man alleine reist, ist es schön, die Erlebnisse auf diese Weise zu verarbeiten und festzuhalten“, erklärt der Betreiber dazu, der seit 2013 mit einem Autorenteam zusammenarbeitet und auf Reisedepeschen neben seinen eigenen Storys mittlerweile deutschsprachige Reisegeschichten, -fotos und -videos von ausgewählten Reisebloggern aus der ganzen Welt veröffentlicht, oft auch aus selten bereisten Regionen.

Die Story soll persönlich und unterhaltsam sein

Die Erklärung von Johannes Klaus zum Wesen eines Reiseblogs ist beinahe sinnbildlich für so viele Blogs und ihre Betreiber: Sie möchten ihre Erlebnisse teilen und geben dabei sehr Persönliches von sich preis. Dies lässt Blogs für die Leser authentischer erscheinen. „Mir ist es wichtig, eine Geschichte zu erzählen“, sagt Klaus. „Oft vermisse ich bei Reiseberichten dieses Gefühl zu bekommen, dass ich selbst vor Ort bin und die Geschichte miterlebe. Das funktioniert meiner Meinung nach besser, wenn die Story persönlich und unterhaltsam ist“, wie die Geschichte von Katharina Wulffius zeigt, die für den Piper Verlag gemeinsam mit Johannes Klaus ein weiteres Blogprojekt namens The Travel Episodes betreibt.

Diese Geschichte trifft exakt den Nerv vieler Leser, die zu Bloggern sogar ein persönliches Verhältnis aufbauen, wie Yvonne Zagermann berichtet. Sie betreibt ihren Blog JUST travelous seit 2011 und hat bei der Wahl zum Reiseblog des Jahres 2016 den 7. Platz belegt. „Ich bekomme oft sehr private E-Mails von meinen Lesern. Viele sehen mich als eine Art Freundin und fragen nach Dingen, die ich beschrieben habe“, erzählt sie. Damit ist die Bloggerin, die ein Volontariat als TV-Journalistin absolviert hat und ihr Blogprojekt professionell betreibt, gut beschäftigt. Die rund eine Million Leser pro Jahr schätzen die Kompetenz und die persönlichen Empfehlungen der „Flashback-Travellerin“, wie sich Zagermann aufgrund ihrer Arbeitsweise – aus der Erinnerung heraus und in der Rückschau auf das Erlebnis – gern selbst beschreibt.

Yvonne Zagermann

Yvonne Zagermann: „Just travelous“

Mit der Typisierung ihrer Kernleserschaft (Personen mittleren Alters, davon rund 65 Prozent Frauen und 35 Prozent Männer) unterstreicht der Blog JUST travelous der 38-jährigen Reisebloggerin die These, dass sich die Leser nach Geschichten sehnen, die ihnen Menschen erzählen, mit denen sie sich identifizieren können. „Ich gehe zum Beispiel bei Städtereisen nicht in Museen oder besuche die klassischen Sehenswürdigkeiten, sondern geh viel lieber einen Kaffee trinken oder suche nach coolen Läden und Street Art“, sagt Zagermann, die exakt zu diesen Dingen auch Tipps auf ihrem Blog gibt und ihre Reiseziele nach spannenden bzw. vielversprechenden Neuentdeckungen auswählt. „Ich lasse mich aber auch gern überraschen und gehe immer unvoreingenommen an eine Destination heran. Meine Authentizität ist mir wichtig, daher schließe ich auch kritische Berichterstattungen nicht aus, die aber auch dabei immer eine individuelle Note hat“, erklärt sie.

Lobhudeleien mag niemand lesen

Letztendlich bewegen sich Blogger mit ihrer individuellen Berichterstattung auch auf einem Terrain außerhalb jeglicher journalistischer Vorgaben; darauf stößt der Leser jedoch erst bei genauer Betrachtung. Solange der Blogger sich seiner persönlichen Verantwortung bewusst ist, für Authentizität steht und sich an journalistischen Kriterien orientiert, wie es Elke Weiler von MEERBLOG umschreibt, kann der Leser jedoch nur profitieren: „Ich verorte Blogger mittlerweile viel lieber im Autorenbereich und sehe Reiseblogs als sinnvolle Ergänzung zu den klassischen Medien.“

Elke Weiler

Elke Weiler: „Meerblog“

Für diese These spricht auch, dass viele Medien selbst Blogs betreiben und die Blogger einen Reiseblogger-Kodex entwickelt haben, dessen Vorgaben sie beim Berichten – per Selbstverpflichtung – einhalten müssen. Dazu gehört auch, dass gekennzeichnet wird, wer einen Teil der hohen Kosten, die Reiseberichterstattungen seit jeher verschlingen, trägt. „Wer sich dem Kodex verschrieben hat, kennzeichnet die Sponsoren der Reise im Sinne der Transparenz. Lobhudeleien in der Berichterstattung mag ohnehin niemand lesen. Letztendlich geht es um Geschichten mit Ecken und Kanten, die sich lohnen, erzählt zu werden. Dabei bedauere ich allerdings, dass es Destinationen gibt, die sich keine PR-Agenturen leisten können und deshalb in den Berichterstattungen nicht so viel Raum einnehmen“, sagt Elke Weiler. Sie selbst ist allerdings auch Journalistin und erzählt auf ihrem Reiseblog Geschichten für Slow Traveller und Genießer zwischen 30 und 70 Jahren. Als sie 2011 damit begann, wollte sie zunächst einige der Geschichten, die sie als freie Printjournalistin bereits veröffentlicht hatte, auf einer schlicht gebauten, magazinartigen Internetseite publizieren – als Visitenkarte im Netz. Heute erreicht sie damit rund 18.000 Leser im Monat und hat den 2. Platz unter den Reiseblogs des Jahres 2016 belegt. Zurückzuführen ist dieser Erfolg vermutlich auch auf die stetige Weiterentwicklung der Konzeption ihres Meerblog-Projekts. „Ich möchte meine Leserschaft mit meinen Erzählungen und Geschichten unterhalten, zum Lachen und Weinen bringen, zum Nachdenken anregen, ein bisschen glücklich machen; und wenn es nur für fünf Minuten ist“, sagt sie. Manchmal sei ihr eine Geschichte für diesen Anspruch aber nicht gut genug, weshalb sie sich mehr Raum dafür wünscht und künftig ihre Bloggeschichten zusätzlich und umfangreicher in E-Books veröffentlichen möchte.

Der schnelle emotionale Effekt

Angelika Mandler-Saul

Angelika Mandler-Saul: „Wiederunterwegs“

So haben mittlerweile auch Reiseblogger wie Elke Weiler erkannt, dass eine Geschichte, die auf ihrem Medium in Sekundenschnelle transportiert werden kann, manchmal dennoch in Ruhe erzählt werden möchte. Doch oft ist es der emotionale Effekt, der sie zur Echtzeitkommunikation treibt und einige der Blogger ihre Geschichte meist noch auf der Reise publizieren lässt. Für Weiler ist diese Erzählweise mittlerweile nicht mehr genug. Sie wünscht sich mehr Zeit vor Ort, um interessanten Dingen, denen sie während ihrer Reise begegnet, nachspüren zu können. Sie möchte diese Erlebnisse dann auch zunächst verarbeiten. Für die österreichische Reisebloggerin Angelika Mandler-Saul hingegen ist gerade die Schnelligkeit Wesen jeder Reiseblog-Berichterstattung: „Wir berichten schon während einer Pressereise multimedial auf diversen Kanälen, bearbeiten Fotos und Posten bereits erste Eindrücke“, sagt sie. Zudem seien Reiseberichte von Bloggern mit Keywords hinterlegt, werden meist Google-optimiert und sind auch nach Jahren online für interessierte Reisende auffindbar – ein Vorteil der Berichterstattungen auf Reiseblogs gerade auch für die Auftraggeber bzw. PR-Agenturen, die zu diesen Reisen einladen.

Mandler-Saul betreibt ihren Blog Wiederunterwegs seit 2013 und nutzt die Möglichkeit des Sponsorings durch die Agenturen für die Berichterstattung auf ihrem Blog. Ihre Leser sind zum größten Teil weiblich, zwischen 25 und 54 Jahre alt und kultur- sowie naturinteressiert. In ihren Geschichten berichtet sie über ihre Unternehmungslust und ihre Reisen mit Hund, die gerade für Hundebesitzer äußerst interessant zu lesen sind. Im vergangenen Jahr erreichte sie mit Wiederunterwegs bereits rund 70.000 Pageviews bei 35.000 Unique Visitors – für ihren Blog mit der zugespitzten Zielgruppe ein großer Erfolg.

Vielfalt statt Größe

Schließlich kann und muss auch nicht jeder Blog auf eine stattliche Größe anwachsen. Viel wichtiger ist die Vielfalt, die in der Reiseberichterstattung immens zugenommen hat und ein hohes Niveau erreicht hat. Im Pressehandbuch „Touristik Medien 2017“ stehen im deutschsprachigen Raum bereits 263 der wichtigsten deutschsprachigen Reiseblogs den 677 Reiseredaktionen gegenüber. Allein in Deutschland haben sich 218 Reiseblogs in dem renommierten und für die Reisebranche wichtigen Handbuch aufnehmen lassen. Dazu kommen 18 Blogs in Österreich, 15 in der Schweiz, ein Blog in Luxemburg und weitere elf Blogs in deutscher Sprache, deren Betreiber aber in Frankreich, Spanien, den Niederlanden, Schweden, Israel und Kanada wohnen.

Daniel Dorfer

Daniel Dorfer: „Fernwehblog“

Unter den Reiseblogs findet sich auch der Fernwehblog von Daniel Dorfer, der in den Jahren 2009 und 2010 als hauptberuflicher Discjockey sein Geld an Bord des Clubschiffs AIDAvita verdient und auf seinen Reisen vom Schiff aus daneben einen Blog betrieben hat. „Als 2008 klar wurde, dass ich auf der AIDA anheuere, wollte ich mit dem Blog mit den Daheimgebliebenen meine Eindrücke und Erlebnisse auf der Kreuzfahrt im Mittelmeer und in der Karibik teilen. Dabei war mir nicht bewusst, wie professionell die Szene schon damals arbeitete. Ich hatte im Laufe der Zeit einiges dazuzulernen“, erzählt er. So hat er aus seinem einst ausschließlich mobil betriebenen Blog fünf Jahre nach der Gründung und der Teilnahme an einem Blog-Camp 2013 in Frankfurt seine Blogpräsenz komplett erneuert und unter einer neuen Domain online gestellt. Mittlerweile verzeichnet er mit seinen Berichten über das Reisen im Allgemeinen und das Thema Kreuzfahrt 330.000 Seitenaufrufe pro Jahr bei mehr als 110.000 Unique Visitors. Dazu kommen – wie bei allen Betreibern von Reiseblogs – die zahlreichen Follower in den sozialen Netzwerkern auf Facebook, Twitter und Instagram.

Fazit

Zweifellos haben die deutschsprachigen Reiseblogs den Reisejournalismus revolutioniert und können in der Menge bereits mit den Reiseredaktionen mithalten. Zwar unterscheiden sich beide Arten von Medium in Inhalt und Form, doch ergänzen sie sich dadurch auch. Für den Leser ist die hinzugewonnene Vielfalt demnach genauso ein Gewinn wie für die Reisebranche, die sich mittlerweile mit Blogger Relations explizit auf Reiseblogs eingestellt und die Trennung zwischen klassischem Reisejournalismus und den erzählten Geschichten auf Reiseblogs vollzogen hat. Reiseblogger sind demnach erwachsen geworden und haben einen nicht mehr unerheblichen Anteil an den Berichterstattungen über Destinationen. Mit ihrer Arbeit helfen sie aber auch, Vorurteile über andere Kulturen abzubauen und den Blick nicht nur auf die Destinationen zu richten, sondern über die Menschen und ihre Geschichten zu berichten.

Von daher ist die neue Vielfalt auch ein Gewinn für die etablierten Medien, die wir demnächst in einem weiteren Beitrag zum Themenspecial „Reisejournalismus“ zu Wort kommen lassen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Silke Liebig-Braunholz studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, ist staatlich geprüfte Kommunikationswirtin und Fachjournalistin (DFJS). Nach ihrer Tätigkeit im Lokaljournalismus hat sie 2002 ihr Redaktionsbüro gegründet. Mit diesem ist sie auf die Themenschwerpunkte Tourismus & Hotellerie, Gastronomie & Lebensmittel spezialisiert. Sie berichtet vornehmlich in Fachpublikationen und für den Deutschen Fachverlag. Zudem betreibt sie unter der Adresse www.narrare-blog.com ihr Blog „Narrare“, das rund 1 Mio. Page Views pro Jahr zählt.

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