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Ressort Auto & Motor: „Natürlich kann Autojournalismus objektiv sein“

Interview mit dem freien Autojournalisten Thomas Geiger

Seit 25 Jahren schreibt er über alles, was mehr als zwei Räder hat: Neuwagen, Old- und Youngtimer, Rennwagen, Designstudien, Showcars, Technologieträger und die Unternehmen, Ingenieure, Entwickler und Designer, die dahinter stehen. Thomas Geiger (47) gilt als der freie Motorjournalist Deutschlands, der mit seiner Auto-Berichterstattung mit Abstand die größte Reichweite hat. Der Vielschreiber und bestens vernetzte Selbstvermarktungsprofi liefert Messeberichte, Reportagen, wirtschaftliche Analysen und Einschätzungen zu allen Themen rund um Auto und Mobilität. Zu seinen Kunden zählen regionale und landesweite Tageszeitungen im In- und Ausland, Nachrichtenagenturen, Fachmagazine und Onlinemedien.

Wie sind Sie zum Autojournalismus gekommen? Haben Sie Ihre Jugend unter dem Auto liegend beim Schrauben verbracht?

Als Kind eines Eisenbahner-Haushalts, das die Welt schon früh auf der Schiene erobert hat, habe ich das Auto erst sehr spät für mich entdeckt. Dann aber umso begeisterter. Weniger wegen der Technik als der Mobilität und der persönlichen Freiheit wegen, die es ermöglicht. Das hat mir als geborenem „Rumtreiber“ so gut gefallen, dass ich dem Auto irgendwann komplett verfallen bin … In Kombination mit glücklichen Zufällen wie den richtigen Kontakten und Urlaubsvertretungen in Redaktionen, in denen das Ressort Auto & Motor gerade nicht besetzt war, hat das dazu geführt, dass ich seit über 20 Jahren über nichts anderes mehr schreibe. Nach dem Abitur habe ich ein Volontariat bei einer Tageszeitung gemacht, danach Publizistik studiert und gleichzeitig schon selbstständig als Autojournalist gearbeitet.

Was macht einen guten Autojournalisten für Sie aus?

Dass er einerseits eine kritische Distanz zu den Autoherstellern und ihren Produkten hat, sich aber auch Begeisterung für das Produkt erlaubt. Dass er meinungsstark ist und verständlich über ein komplexes technisches Machwerk berichten kann; das funktioniert nur, wenn man weiß, wovon man spricht. Und auch die Angebote der Wettbewerber kennt, um es richtig einordnen zu können. Wie jeder andere Journalist auch sollte er kreativ und zielgruppengerecht schreiben, gut recherchieren, glaubwürdig, zuverlässig und aktuell sein – und nicht zuletzt unterhalten.

Was sind Spezifika des Autojournalismus? 

Beim Produktjournalismus generell gibt es jeweils nur einen kleinen Kreis von Journalisten und darunter einen noch kleineren Kern von denen, die erfolgreich sind. Ich glaube, dass man Produktjournalismus auf hohem Niveau nur machen kann, wenn man sich spezialisiert. Ein Generalist, der alles bedienen kann, aber nur an der Oberfläche bleibt – das funktioniert in unserer heutigen Medienwelt nicht mehr. Mein Gebiet erfordert so viel Arbeit, Wissen, Engagement, dass ich mir nicht vorstellen kann, das noch in einem weiteren Bereich hinzubekommen. Die Automobilwelt ist dermaßen breit gefächert – von Verbrennungsmotoren und Fahrdynamik über Design bis hin zu neuen Technologien und alternativen Antrieben –, dass es schon innerhalb des Auto & Motor-Ressorts schwierig ist, Generalist zu sein. Es gibt Kollegen, die beschäftigen sich ausschließlich mit dem Thema Elektromobilität …

Wie haben Sie es geschafft, ein so großes Netzwerk aufzubauen und als einer der gefragtesten Fachjournalisten Deutschlands zu gelten?

Die Motorjournalisten-Branche ist, wie gesagt, relativ klein. Das ist ein Zirkus, in dem die immer gleichen Spieler immer wieder aufeinandertreffen. Und vor den Zeiten der Onlinemedien war der Kreis noch kleiner. Früher waren Freiberufler in der Unterzahl, und die festangestellten Redakteure mussten so viele Themen abdecken, dass sie das gar nicht schafften. Da kam ich ins Spiel. Aus dieser Zeit stammen viele meiner heutigen Kunden. Wobei: Die besten Kontakte in die Redaktionen nützen nichts, wenn man nicht ebenso gute Kontakte in die Autowelt hat: zu Entwicklern, Autoherstellern, Sammlern etc. Und für die bin ich interessant, weil ich Kontakte in die Redaktionen habe, sodass ich meine Geschichten auch platzieren kann. Ich habe um die zehn sehr feste Stammkunden, zum Teil mit Pauschalverträgen, eine große Anzahl von Kunden, für die ich alle paar Wochen oder Monate arbeite, und ein, zwei Dutzend, denen ich alle ein, zwei Jahre eine Geschichte verkaufe.

Wie würden Sie Ihr persönliches Geschäftsmodell als freier Journalist beschreiben?

Es fußt auf langjährigen, gut gepflegten Kontakten zu Redaktionen. Für einen freien Journalisten ist es wichtig, auf mehreren Beinen zu stehen, sich abzusichern durch mehrere Verträge. Und dabei sehr transparent zu sein, damit nicht eine Redaktion den Eindruck bekommt, sie habe den Autor exklusiv. Ich beliefere erstens mehrere Redaktionen, zweitens mehrere Medientypen – ich schreibe für Print und Online (Fachpublikationen, Nachrichtenagenturen, Tageszeitungen) und drehe Videos – und drittens arbeite ich auch für ausländische Redaktionen. Österreich und die Schweiz habe ich schon immer beliefert. Aber seit sechs Jahren habe ich meine Fühler auch nach England, in die USA und nach China ausgestreckt. Und zwar aus einem Pessimismus heraus, weil die Honorartöpfe in Deutschland immer leerer werden.

Deutsche Autohersteller stehen im Ausland hoch im Kurs, und als deutscher Journalist hat man da natürlich einen leichteren Zugang. Ein anderer Grund für die Internationalisierung war, dass ich keine Lust habe, mein Geld eines Tages von einem bestimmten Automobilhersteller zu bekommen – Stichwort „owned media“.

Das war die einzige strategische Entscheidung meiner beruflichen Laufbahn. Ansonsten bin ich da so reingewachsen. Ich habe nie gesagt: Ich muss unbedingt einen Wirtschaftstitel im Portfolio haben – der nächste Schritt hat sich jeweils so ergeben.

Sie gelten als Meister der Mehrfachverwertung und kommen dabei dem Wunsch der Redaktionen nach Exklusivität nach, indem Sie unterschiedliche Textversionen unter verschiedenen Pseudonymen schreiben. Wird das nicht kritisch gesehen?

Diese Tatsache war von Anfang an bekannt: Die anderen Journalisten wussten es, die Redaktionen und die Unternehmen, über die ich berichte. Was sollte daran kritisch sein? Schmeckt ein Joghurt schlechter, wenn er einen anderen Namen hat, auch wenn er von der gleichen Firma kommt? Oder ist ein Lied von Elton John weniger gut, wenn er es nicht unter seinem richtigen Namen Reginald Kenneth Dwight veröffentlicht?

Würden Sie einem Studienabsolventen empfehlen, Autojournalist zu werden?

Ich würde sagen: Wenn dich das Thema Auto interessiert, geh da gerne rein. Aber: Der Produktjournalist in der Art, wie wir ihn heute kennen, und das gilt nicht nur für mein Ressort – stirbt aus. Ich glaube nicht, dass es in zehn Jahren noch eine nennenswerte Anzahl von Journalisten geben wird, die von Redaktionen oder Internetportalen ihr Honorar bekommen. Die Hersteller werden ihr eigenes Heer von Bloggern und Journalisten auf der Payroll haben. Da ist dann die Frage: Ist das noch Journalismus? Das muss jeder für sich mit seinem Gewissen ausmachen. Ich jedenfalls habe keine Lust, meine Tage als Hausberichterstatter zu beschließen.

Schon jetzt wird oft eine zu große Nähe zwischen Autojournalisten und Automobilkonzernen unterstellt – ist unabhängiger, kritischer Journalismus in diesem Ressort die Ausnahme?

Natürlich kann Autojournalismus objektiv sein. Sicher: Wir sind darauf angewiesen, Zugang zu den Autos zu haben, denn keine Redaktion kann es sich leisten, alle Autos zu kaufen oder zu leihen, über die sie schreibt. Zumal das Interesse daran schon besteht, bevor sie auf dem Markt sind. Kritisch und unabhängig bleiben kann man vor allem dann, wenn man eine Position im Medienmarkt hat, bei der die Autohersteller darauf angewiesen sind, dass man über ihr Auto berichtet – selbst, wenn es negativ ausfallen sollte. Wenn man eine gewisse mediale Bedeutung, eine Marktmacht hat, müssen Audi, BMW, Mercedes & Co. riskieren, dass man auch mal etwas negativ darstellt – und einen beim nächsten Mal trotzdem wieder zulassen, damit in großer Breite berichtet wird.

Daneben gibt es aber auch Geschichten über Oldtimer oder Sammler, bei denen man nicht auf den Goodwill von Autoherstellern angewiesen ist, sondern auf seine journalistische Spürnase. Teilweise kommen auch Leute mit Themen auf mich zu. Und das sind ohnehin die Themen, die mehr Spaß machen. Das Salz in der Suppe oder die Kür.

Was würden Sie einem jungen Fachjournalisten mit auf den Weg geben?

So desillusionierend es vielleicht für viele Berufsanfänger sein mag: Viel wichtiger, als dass der Artikel von vorne bis hinten verschlungen wird, sind Kriterien wie Liefertreue, Pünktlichkeit, Verlässlichkeit, Unabhängigkeit. Jede Redaktion wird solche Journalisten einer Edelfeder vorziehen, auf die man drei Tage warten muss, der man fünfmal hinterhertelefonieren muss, deren Texte zu lang oder zu kurz sind, die keine Bilder beibringt, Termine oder Themenvorgaben nicht einhält. Wenn sein Artikel auch nur halbwegs lesbar ist, ist der Zuverlässige klar im Vorteil.

Was ich außerdem wichtig finde: bereit zu sein, sich immer wieder auf unbekanntes Terrain zu wagen, offen für neue Entwicklungen zu sein. Ich bin einmal von einem Lifestyle-Portal gefragt worden, ob ich nicht ein Video mitdrehen könnte, wenn ich schon mal vor Ort sei. Als das Video dann im Netz war, sind andere ebenfalls auf mich zugekommen.

Mein Tipp: Einfach alles mal ausprobieren! Und dann kann man sich immer noch überlegen, ob man das leisten kann oder will, ob das ein lohnenswertes Geschäft ist …

Herr Geiger, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Thomas Geiger

Foto: LEVC


Thomas Geiger
(redaktionsbuero-geiger.de), geboren 1970 in Radolfzell, gilt als Deutschlands bestvernetzter Motorjournalist. Er volontierte bei der Gießener Allgemeinen Zeitung, machte sich 1992 als freier Autojournalist selbstständig. Nebenher studierte er Publizistik, Politikwissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mainz. Dort betrieb er Forschung zu Krisenkommunikation und dem Umgang der Medien mit politischen Skandalen. Er hat ein Redaktionsbüro in Wetzlar, ist aber ständig in Sachen Autos unterwegs.

 

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