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Medienjournalismus: „Die Vielseitigkeit ist hochspannend“

Interview mit der Medienjournalistin Ulrike Simon

Sie gilt als bestens vernetzte und informierte Medienjournalistin. Seit 25 Jahren schreibt Ulrike Simon (49) über Branchen-Interna, davon ein Jahrzehnt als freie Fachjournalistin. Hier erzählt sie, was genau ein Medienjournalist macht und was sie Nachwuchsjournalisten, die in ihrem Ressort arbeiten wollen, rät.

Frau Simon, Sie seien eine echte Qualitätsmarke im deutschen Medienjournalismus, heißt es. Was haben Sie richtig gemacht?

Ich liebe meinen Beruf. Deshalb versuche ich, ihn so gut wie möglich zu machen. Journalismus ist ein Handwerk. Ein Medienjournalist, der anderen Journalisten handwerkliche Fehler unter die Nase reibt, muss umso mehr auf das eigene achten. Dass mir mein Beruf so viel Spaß macht, liegt auch daran, dass Medienjournalismus ein Querschnittsressort ist, in das Politik, Feuilleton, Wirtschaft und sogar das Vermischte reinspielt. Diese Vielseitigkeit ist hochspannend.

Außerdem hilft mir, dass ich mich wirklich interessiere für die Menschen, mit denen ich es zu tun habe, für die Fragen, die ich stelle, die Themen, zu denen ich meine Haltung entwickle – und das jedes Mal von Neuem. Ich knie mich mit Leidenschaft in meine Geschichten rein. Das macht sicher einen Unterschied.

Medienjournalismus ist ein weites Feld; das reicht von Film- und Fernsehkritiken über neue technische Entwicklungen etwa bei Kameras bis zum Umgang mit den Neuen Medien. Wofür sind Sie die Fachfrau?

Film- und Fernsehkritiken zu schreiben überlasse ich anderen. Davon gibt es mehr als genug. Ich begreife mich auch nicht als Medienkritiker, der mit dem Finger auf andere zeigt, im bloßen Herumnölen eine Befriedigung empfindet und sich bequem auf dem Sessel fläzend über jeden blöden Fehler Dritter echauffiert. Mir geht es darum, Hintergründe zu beleuchten und zu erklären. Um die vernünftig analysieren zu können, muss man auch die strategischen und kaufmännischen Grundlagen dieses Geschäfts verstehen, muss wissen, wie Vermarktung und Vertrieb funktionieren, welche neuen Entwicklungen es bei Bezahlsystemen gibt, wie sich das Leserverhalten und die Nutzung verändert und welcher Medienmacher welche Stärken und Schwächen hat.

Am meisten liegt mir das Publizistische am Herzen. Um zu wissen, welcher Titel wie gemacht ist, wer worüber schreibt und wie andere ein Thema angehen, lautet eine meiner Hauptbeschäftigungen: lesen, lesen und noch mehr lesen. Und schließlich muss ich die Handelnden kennen, weshalb ich entsprechend viel unterwegs bin. Das Mediengeschäft ist ein Menschengeschäft – und die Menschen, die die Medien machen, prägen die Marken.

Was ist Ihnen in Ihrem Arbeitsalltag wichtig?

Rauszugehen. Die alten Kontakte zu pflegen und immer wieder neue zu knüpfen. Mal einen Kaffee gemeinsam zu trinken – einfach so, ohne einen bestimmten Anlass und erst recht, ohne nebenher ein Band mitlaufen zu lassen. Vertrauen ist extrem wichtig, das ist Beziehungsarbeit. Außerdem kann ich sowieso keinen Beitrag schreiben, ohne dass ich nicht mindestens vorher mit drei Leuten geredet habe. Selbst wenn es um meine Kolumnen geht. Mögen andere Locken auf der Glatze drehen können – ich kann das nicht. Mir geht es nicht darum, meine in der dunklen Stube selbstgefertigte Meinung kundzutun. Also recherchiere ich, was es Neues gibt in der Branche, wer was plant und welche unterschiedlichen Sichtweisen es zu einem Thema gibt.

Viele Geschichten ergeben sich nebenbei, weshalb ich viel auf Terminen bin, zum Beispiel auch auf Kongressen, oft ohne vorher zu wissen, ob und was dabei herumkommt. Irgendeine interessante Beobachtung mache ich immer, schnappe etwas auf oder treffe einen, der Spannendes zu erzählen hat. Ich verstehe sowieso nicht, weshalb andere sich so wenig aus persönlichen Kontakten machen. Nichts ist langweiliger, als Fragen per Mail zu verschicken. Viel schöner ist doch, sich in die Augen zu schauen und einfach miteinander drauflos zu reden. Schwupps, schon hat man Stoff für die nächste Geschichte und obendrein auch noch Atmosphärisches notiert.

Für wen wird Medienjournalismus gemacht, für welche Zielgruppen schreiben Sie?

Ich habe durch meine beiden Hauptauftraggeber zwei Zielgruppen: „Horizont“ ist ein Fachmedium, da ist es ganz klar die Medienbranche. Anders ist es bei meiner Online-Kolumne für den „Spiegel“. Die lesen einerseits zwar auch Journalisten und Verantwortliche aus Medienhäusern, andererseits aber auch schlicht interessierte Medienkonsumenten, die wissen wollen, wie wir arbeiten.

Was wünschten Sie sich für Ihren Bereich?

Ich würde mich freuen, wenn es mehr Kolleginnen und Kollegen gäbe, die handwerklich guten Medienjournalismus betreiben. Dazu mehr Verlage, die um die Bedeutung von unabhängigem Medienjournalismus wissen und es ernst damit meinen. Viele Medienseiten sind leider Gottes ganz verloren gegangen, zu Kampfinstrumenten wider die Konkurrenz oder zum Sammelort harmloser Fernsehtipps verkommen.

Das hat auch damit zu tun, dass nicht wenige Chefredakteure, Verleger und Konzernmanager lieber nicht auch noch im eigenen Medium lesen wollen, was in der Branche schiefläuft und welche Probleme sie hat. Medienjournalismus ist kein bequemes Terrain. Umso wichtiger ist es, als Medienjournalist entweder einen Verleger oder einen Chefredakteur mit Mumm zu haben – am besten beides. Ohne diese Unterstützung lässt sich schwer unabhängig und frei arbeiten. In diesem Fall ist man gut beraten, zu gehen. Ich habe das immer so praktiziert.

Was sollte man als Medienjournalist vermeiden?

Den Beruf zu missbrauchen, indem man sich, bei wem auch immer, lieb Kind macht.

Was muss man Ihrer Meinung nach als Selbstständiger beachten?

Man braucht ein Geschäftsmodell, dazu ein Spezialgebiet, auf dem einem keiner etwas vormacht; und man darf nicht darauf vertrauen, dass einem am Schreibtisch sitzend von irgendwoher Aufträge zuflattern. Ich hatte das Glück, mir einen Namen erarbeitet zu haben, bevor ich mich in die Selbstständigkeit begab. Damals schwor ich mir, niemals gegen Zeilenhonorar zu arbeiten. Daran habe ich mich gehalten.

Stattdessen hatte ich von Anfang an Autorenverträge und damit kalkulierbare monatliche Einnahmen. Und da es immer passieren kann, dass einem ein Auftraggeber abspringt – oder man selbst abspringen möchte –, lautet mein Rat: immer wachsam sein, immer die Fühler ausgestreckt halten. Das gilt übrigens auch für Festangestellte, deren Jobs nur vermeintlich sicherer sind.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung Ihres Ressorts? Wie stehen die Chancen für Nachwuchsjournalisten, Fuß zu fassen?

Einfach ist es im Journalismus nie. Man muss es schon wollen und man muss gut darin sein, dann kann man auch selbstbewusst auftreten. Ganz wichtig ist Disziplin. Insgesamt stehen die Chancen für Medienjournalisten gut. Gerade in unserer medial unübersichtlichen Zeit mit all ihrer Dynamik und Komplexität besteht die schiere Notwendigkeit für ernsthaften Medienjournalismus. Die Menschen interessieren sich dafür, wie wir arbeiten, sonst hätten wir ja nicht diese Debatte zur Glaubwürdigkeit und zum Vertrauen in Medien.

Wie wichtig sind soziale Medien für Sie?

Durchaus wichtig: um zu wissen, wie sie funktionieren, um für mich wichtige Beiträge nicht zu verpassen und um jenen Menschen, über die ich schreibe, zu folgen und zu sehen: Was interessiert die, wie ticken, wie argumentieren die? Und schließlich generiere ich über diesen Verbreitungsweg meine eigenen Leser, mit denen ich dann wiederum interagiere, sei es per Mail, über Twitter oder Facebook. Ohnehin ist es ja nicht mehr so, dass man sich als Journalist nach getaner Arbeit zurücklehnen und das nächste Thema angehen kann.

Halten Sie es für eine gute Idee, einen Blog aufzusetzen?

Wer damit kein Geld verdienen muss, kann das gerne tun. Für mich war das keine Option. Ich fand es immer hilfreich, eine große Marke, ein etabliertes Medium im Rücken zu haben. Der Content-Friedhof ist auch ohne mich groß genug.

Frau Simon, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

ulrikesimon2Die Berliner Medienjournalistin Ulrike Simon (49) deckt Hintergründe und Zusammenhänge in deutschen Verlagen, Sendern und der Medienpolitik auf und erhielt dafür 2015 den Bert-Donnepp-Preis. Sie war mitverantwortlich für die Medienseite des Berliner „Tagesspiegel“, Reporterin bei der „Welt“ und arbeitete freiberuflich für das „Medium Magazin“, die „Berliner Zeitung“ und „Frankfurter Rundschau“. Seit 2015 ist sie Autorin bei „Horizont“, seit 2017 arbeitet sie für den „Spiegel“ und schreibt donnerstags eine Medienkolumne. Twitter: @ulrikesimon

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