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Rezension: Informantenschutz als IT-Frage

Einen umfassenden und spannenden Überblick über den Informantenschutz bieten Peter Welchering und Manfred Kloiber mit ihrem Buch „Informantenschutz. Ethische, rechtliche und technische Praxis in Journalismus und Organisationskommunikation“. Der Schutz beinhaltet vor allem spezielles Informatikwissen.

Vor 45 Jahren trafen sich Journalisten und Informanten an abgelegenen Orten, um ihr Geheimnis zu bewahren – im Watergate-Skandal 1972 beispielsweise in einer düsteren Tiefgarage. Diese Zeiten sind mit dem Aufkommen von Internet und mobilen Telekommunikationsgeräten vorbei. Heute heißt es für Informanten und Journalisten: Vorsicht vor Vorratsdatenspeicherung, vor Videoüberwachung, vor Trackingsoftware usw. Davon handelt das Buch „Informantenschutz. Ethische, rechtliche und technische Praxis in Journalismus und Organisationskommunikation“ von den IT-Fachjournalisten Peter Welchering und Manfred Kloiber.

Im Anfangskapitel „Die tägliche Datenspur“ vermerken die Autoren lapidar, dass der Mehrheit der Journalisten nicht klar ist, welche Daten sie Tag für Tag hinterlassen (Stichworte: Gerätenummer des Smartphones, Internet-Protokolladressen, Fingerprint des eigenen Browsers etc.), und sich kaum ein Journalist um Informantenschutz kümmert. Weiter geht es mit den gesellschaftlichen und rechtlichen „Grundlagen des Informantenschutzes“ (Informantenschutz und Demokratie, rechtliche und medienethische Betrachtungen, Zeugnisverweigerungsrecht). Achtung: Obwohl Informanten vielfach Wächter der Demokratie sind, ist der Informantenschutz in den letzten Jahren eher abgebaut worden.

Übermächtige Gegner

Dass der Schwerpunkt des Bandes auf der technischen Praxis liegt, zeigen die weiteren Kapitelüberschriften: „Datenspuren bei der Recherche und ihre Analyse“, „Informanten im Netz schützen“ und „Der PC und seine verräterischen Spuren“ (temporäre Dateien, bleibende Daten beim Löschen, Cookies usw.). In einem Beispiel aus der Recherchepraxis findet sich ein perplexer Journalist, als ihm das Verteidigungsministerium zufällig Einblick in ein Briefing Book gewährt, wo detailliert verzeichnet war, welche Dokumente und Seiten er sich bei einem Besuch auf der Website des Ministeriums angesehen hat. Auch dass Metadaten von Dokumenten (PDF-Dateien, Word-Dateien etc.) Rückschlüsse auf Urheber zulassen, ist noch nicht zu jedem Redakteur durchgedrungen. An manchen Stellen lesen sich die Beispiele wie ein Thriller, auch wenn längst bekannt ist, dass Geheimdienste Zugriff auf große Knoten des Internets haben.

Es steht außer Zweifel und durchzieht fast alle Kapitel: Sicherheitsbehörden, Firmen und öffentliche Verwaltungen haben ihren Aufwand für die Journalistenüberwachung verstärkt. Die Auswertung von Social-Media- und Mail-Kontakten ist Standard, öffentliche Stellen nutzen ferner Autokennzeichen-Scanning und Videokameras an Bahnhöfen. Nicht wenige Großfirmen haben auch hier ihre „Netzwerke“ über interne Mitarbeiter, die wiederum von Spezialdetekteien unterstützt werden. Zudem sind neue Techniken im Anmarsch: Prognosesoftware kann mögliche Informanten oder Skandale recherchierende Journalisten ausfindig machen. Bei Tonaufnahmen lassen sich mithilfe elektrischer Netzfrequenzanalysen Umgebungsgeräte und Orte ausmachen. Keine schönen Aussichten.

Spezifisches Informatikwissen

Da bleibt dem Journalisten nichts weiter übrig, als mit Abwehr- und Schutzmaßnahmen dagegenzuhalten. Dagegenhalten heißt etwa „Surfen ohne Spuren“ (Surfen via anonymisiertem Tor-Netzwerk) oder „Mails verschlüsseln“. Vieles ist leichter gesagt als getan, das zeigen auch die Kapitel „IT-Grundschutz ist Informantenschutz“ (Zugriffsschutz auf eigenen PC/eigenes Notebook, Überprüfung genutzter Software, Virenscanner, Backup usw.), „Sichere Kommunikation mit Informanten“ (Krypto-Handys, Möglichkeiten, unerkannt eine Sim-Karte zu erwerben, öffentliche Telefonzellen usw.) und „Heikle Besuchsvorbereitungen für Informanten-Treffen“.

Es stellt sich die Frage, wie ein durchschnittlicher Journalist das alles leisten soll. Vielleicht kann er bei einer größeren Zeitung oder einem größeren Magazin auf organisationsinterne Hilfe zurückgreifen, aber nicht bei einer durchschnittlichen Zeitung. Das kleine Agenten-Einmaleins können Journalisten wohl lernen: Verwendung von Einmalnummern, Einsatz öffentlicher Fernsprecher, Tarnidentitäten. Aber wie soll das bei einem schwierigen Gebiet wie der Mailverschlüsselung funktionieren? Ohne Kryptogrundkenntnisse bleiben Schlüsselaustausch, öffentliche Schlüssel, digitale Unterschriften und Schlüsselverwaltung ein Buch mit sieben Siegeln. Fehler in der Anwendung – auch wenn es sich nur um kleine Zusatzprogramme für Browser oder Mailprogramme wie Firefox und Thunderbird handelt – machen schnell gute Absichten zunichte.

Fazit

Eine grundlegende und lesbare Einführung auf 146 Seiten nicht nur für Journalisten, sondern auch für Informanten und Whistleblower. Da und dort hätten die Autoren (Aufdecker mehrerer Daten- und Überwachungsskandale) besser mit konkreten Tipps, Checklisten und Maßnahmenkatalogen gearbeitet (etwa bei der Arbeit mit Anonymisierungsplattformen); vielleicht hätte man auch auf die speziellen Bedingungen von Lokalskandalen im Nahbereich eingehen sollen. Allerdings bleibt der durchschnittliche Journalist an vielen Stellen ob der komplexen Thematik staunend und überfordert zurück. Zumal die Autoren zum Abschluss in „Quo vadis, Informantenschutz?“ festhalten: Der Aufwand für Journalisten, ihre Informanten wirksam vor Enttarnung zu schützen und Kontakte zu verschleiern, wird immer größer.

Informantenschutz_CoverAutoren: Peter Welchering/Manfred Kloiber

Titel: Informantenschutz. Ethische, rechtliche und technische Praxis in Journalismus und Organisationskommunikation

Preis: EUR 29,99

Umfang: 146 Seiten

Erscheinungsjahr: 02/2017, 1. Auflage

Verlag: VS Verlag für Sozialwissenschaften

ISBN: 978-3-658-08718-0

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Manfred_WeiseDer Rezensent Manfred Weise, geboren 1955, ist Soziologe und Politikwissenschaftler. Er lebt in der Schweiz  und arbeitet als freier Journalist für Tageszeitungen wie die „Neue Zürcher Zeitung“ und das „St. Galler Tagblatt“. Als Fachjournalist ist er auf die Bereiche IT, Telekommunikation und Sport spezialisiert.

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