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Rezension: Redigieren ist mehr als Fehler zu tilgen

Welcher Fachjournalist kennt das Problem nicht? Man muss als Redakteur einer Fachzeitschrift einen Text von 10.000 auf 3.000 Zeichen kürzen, obwohl es der Autor (ein Professor) für ausgeschlossen hält, dass man das Ganze in 3.000 Zeichen sagen könne. Oder es muss ein längerer Fachbeitrag redigiert werden, obwohl man von diesem Spezialgebiet keine große Ahnung hat. Mit der Ausdifferenzierung und Komplexität der Gesellschaft und Technik wird regelmäßig auch der Fachjournalist konfrontiert. Damit ist schon gesagt, dass „Redigieren mehr ist als eine simple Fehler-Tilgung“, wie Stefan Brunner, Professor für Journalistik an der Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation in München, in seinem Band „Redigieren“ festhält.

Physiognomie eines Artikels

Die ersten 43 Seiten des Buches behandeln die üblichen Journalismus- und Textweisheiten („Physiognomie eines Artikels“):

  • Was macht einen guten Artikel aus?
  • Wie soll ein Text dramaturgisch aufgebaut sein?

Dazu finden sich Beispiele und auch die DIN-Vorschriften fürs Redigieren. Nutzwertorientiert werden dem Leser eine Reihe übersichtlicher Listen – etwa zu häufigen Sprachfehlern – und das Hamburger Verständlichkeitsmodell vorgestellt. Zudem ein Redigier-Raster: Auf einer Seite sind bspw. alle Fragen gelistet, die der Redigierende bei Spiegel-Online beim Schluss-Check abarbeiten sollte.

Technik des Redigierens

Interessant ist der Redigier-Ansatz von Hans-Joachim Nöh, dem Textchef des Hamburger Abendblatts:

  • Das erste Lesen auf Papier soll einen Eindruck vom Einstieg und Aufbau der Geschichte geben.
  • Beim zweiten akribischen Lesen – am Besten durch halblautes Vorlesen – wird dann Wort für Wort geprüft.
  • Das dritte Lesen dient dem Feinschliff und Nachbessern.

Der frühere Journalistik-Professor Michael Haller empfiehlt:

  • Erstens den Text auf sprachliche Richtigkeit prüfen und die Verständlichkeit steigern: Wie wird formuliert? Wie gegliedert? Wie prägnant wurde getextet?
  • Zweitens muss die Intention des Verfassers zu verstehen sein. Und: Werden attraktive Themenaspekte herausgearbeitet? Wie steht es um die Originalität des Ausdrucks?
  • Drittens: Der Redigierende soll die Perspektive des Publikums übernehmen. Ist der Text mit dem Vorwissen und der Lebenssituation kompatibel? Wo ist der Nutzwert?

Zusammenfassend lässt sich sagen: Es gibt keine standardisierte Redigier-Methode.

Der Band beinhaltet längere Befragungen von vier Textchefs. Hier hätte sich der Rezensent auch ein paar kritische Fragen gewünscht: Die Medien haben in der Berichterstattung über Finanzmarkt und Finanzkrise versagt, was haben da eigentlich die Redigierenden und die Textchefs gemacht? Fehlte hier das Wissen, obwohl viele kritische Anmerkungen zum Finanzhandeln und zu möglichen Auswirkungen bereits vor Ausbruch der Krise zugänglich waren? Man würde als Journalist auch gerne wissen, wie man sich in der folgenden Situation verhalten sollte: Der Textchef schreibt einen Lead, der der nachfolgenden Geschichte einen völlig anderen Dreh gibt. Ganz zu schweigen von spannenden und vielversprechenden Online-Leads, obwohl der folgende Text wenig zum Lead passt.

Redigieren als Chance

Schließlich behandelt Stefan Brunner das Verhältnis des „Redigierenden“ zum Autor; ein Feld, auf dem die Akteure leicht Kommunikationsfehler begehen können. Konstruktive Kritik – Hinweise auf gute Passagen, aber auch Schwächen – sollten im privaten Gespräch, mindestens aber per Telefon erfolgen. Sowohl dem Autor als auch dem Redigierenden sollte klar sein, dass sie ein gemeinsamer Freund (der Leser) verbindet. Letztlich gilt: den Autor nach vorne bringen. Das Umschreiben darf nur die allerletzte Maßnahme sein.

Fazit

Der Band ist brauchbar und verständlich und enthält eine Menge Tipps zum Redigieren. Zugleich wird dem Leser – Zielgruppe dürften vor allem Textverantwortliche sein – die Problematik des Redigierens vor Augen geführt. In einer der nächsten Auflagen sollten auch die beiden Ausgangsfragen dieser Rezension beantwortet werden. Vielleicht wären ein paar praktische Übungen für den Leser auch nicht schlecht.

Informationen-Buch

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

 

Manfred_WeiseDer Rezensent Manfred Weise, geboren 1955, ist Soziologe und Politikwissenschaftler und arbeitet als Fachjournalist (IT, Telekommunikation) und Sozialwissenschaftler.

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