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Schreiben für die Ohren: Praktische Tipps für Journalisten

Lesen und Hören sind zwei recht unterschiedliche Arten, um Inhalte aufzunehmen. Warum das so ist und was Sie tun können, damit Ihre Inhalte auch hörend gut verstanden werden, lesen Sie im folgenden Beitrag.

Ob Radio, Podcast oder Hörbuch: oft nutzen wir diese Medien „nebenbei“. Leicht werden wir abgelenkt, weil wir uns auf den Straßenverkehr oder unsere Joggingstrecke konzentrieren müssen. Und auch, wenn wir uns auf die Inhalte konzentrieren, verlieren wir leicht den Anschluss, da Hören linear abläuft und wir, im Unterschied zum Lesen, das Tempo nicht selbst bestimmen können. Wir sind der Sprechgeschwindigkeit des Sprechers ausgeliefert. Wir können nicht eine Zeile zurückspringen oder einen Satz noch einmal lesen Rein technisch geht das natürlich bei Podcasts oder heruntergeladenen Audiodateien. Da können wir „zurückspulen“ oder die Geschwindigkeit ändern. Doch ganz ehrlich: Wer macht das und wie oft?

Beim Schreiben von Texten, die für die Ohren bestimmt sind, lassen sich die Unterschiede zwischen Hören und Lesen berücksichtigen. Und gute Sprecher werden dann dafür sorgen, dass man Ihren Hörbeiträgen gut folgen kann und dass das Gehörte auch im Kopf bleibt.

Hören ist ein Blindflug

Beim Hören haben wir keinen Überblick über das, was kommt. Keine Überschriften, keine Absätze, keine Spiegelpunkte, keine Grafiken oder Bilder, keine Satzzeichen. Oft wissen wir nicht einmal, wie lang der „Flug“ dauert.

Doch Sie können den Hörern eine Orientierung geben, indem Sie den Inhalt klar strukturieren. Am Anfang wollen Ihre Hörerinnen und Hörer wissen, worum es geht. Eine Untersuchung, die im Rahmen einer Diplomarbeit am Dortmunder Institut für Journalistik durchgeführt wurde, fragte, welche Einstiegsarten zum Weiterlesen verführten. Und das war nicht der schöne und kunstvolle Einstieg, sondern einer, der den Lesern zeigt, dass sich das Weiterlesen lohnt, und der sie das Kommende richtig einordnen ließ. Warum sollte das beim Hören anders sein?

Auch im weiteren Verlauf ist es leicht möglich, den Hörern Orientierung zu geben. In einem Beitrag wie diesem könnte ich beispielsweise sagen: „Ich möchte Ihnen fünf Tipps geben, damit das Gehörte nicht zum einen Ohr hinein und gleich zum anderen Ohr wieder hinaus geht.“ Nun kann ich die einzelnen Tipps durchnummerieren oder auch Formulierungen nutzen wie, „… mein fünfter und letzter Tipp betrifft …“ Auch in Interviews hören Sie oft den Satz „… und zum Abschluss noch eine ganz andere Frage …“, die den Zuhörern signalisiert, dass die Landung bevorsteht.

Mehr Worte für weniger Information

Schreiben Sie einen Text, der für das Lesen verfasst wurde, so um, dass er auch für Hörer verständlich ist, wird er danach länger sein. Denn die Informationsdichte muss für einen Hörtext verringert werden. Das heißt beispielsweise: keine eingeschobenen Nebensätze. Und für jede neue Information reservieren Sie einen Satz. Jeder Satz sollte so formuliert sein, dass er auf Anhieb verstanden werden kann. Und auch wenn Sie vermutlich einige Tricks kennen, um einen Text zu kürzen, weil Sie bereits häufiger über die mit dem Redakteur verabredete Zeichenzahl hinausgeschossen sind: Lassen Sie bei Hörtexten die Finger davon.

Für Verständlichkeit beim Hören sorgen Wiederholungen. Und für eine kurze Zusammenfassung zwischendrin sind Ihre Hörer dankbar. Besonders bei komplexen Inhalten. Auch in Interviews können Sie Hörer so gut halten. Nachdem Ihr Interviewpartner einen Sachverhalt erläutert hat, bringen Sie das Gesagte nochmals in wenigen Worten auf den Punkt. Und eingeleitet mit den Worten “Habe ich Sie richtig verstanden, dass …“ weisen Sie die Zuhörer auch gleich auf die Wiederholung hin.

Auch bei der Wahl der Worte ist Wiederholung gefragt: Die Suche nach Synonymen ist überflüssig und irritiert die Hörer eher. Ein Polizist oder eine Polizistin wird nicht zum Hüter des Gesetzes und Autoren werden nicht zu Schreiberlingen.

Sätze und Silben

Weder beim Lesen noch beim Hören geht es darum, nur einzelne Worte zu verstehen: Es geht um ganze Sätze. Diese werden in Einzelteile zerlegt und im Arbeitsgedächtnis „zwischengelagert“. Daraus erfassen wir dann den Gesamtzusammenhang. Dabei hat das Arbeitsgedächtnis nur begrenzte Kapazitäten – meistens werden sieben Informationseinheiten genannt. Deshalb sollten bevorzugt kurze Sätze genutzt werden: empfohlen werden 14 bis 16 Wörter für Lesetexte. Das ist auch eine gute Anzahl fürs Hören.

Wolf Schneider schreibt in „Deutsch für Profis. Wege zu gutem Stil“: „Hühner höre ich noch gackern, Geflügel nicht.“ Er empfiehlt, kurzen Wörtern den Vortritt zu lassen. Sie sind anschaulicher und verständlicher.

Beim Zählen der Wörter und Silben unterstützt Sie beispielsweise das kostenlose Textanalyse-Tool. Wenn Sie eine Zeit lang damit arbeiten, werden Sie sensibilisiert für die Länge von Sätzen und Wörtern, sodass Sie es schon bald nicht mehr brauchen.

Kopfkino erzeugen mit Verben und anschaulichen Worten

Am Hören sind verschiedene Regionen unseres Gehirns beteiligt. Innerhalb von Millisekunden registrieren wir Untertöne, verarbeiten Satzbau und Grammatik, verstehen das Gesprochene und entschlüsseln die Bedeutung des Gehörten.

Abstrakte Begriffe werden vorwiegend in den Bereichen verarbeitet, die für Sprache zugängig sind. Üblicherweise liegen diese in der linken Gehirnhälfte. Konkrete Begriffe hingegen aktivieren Bereiche, in denen Empfindungen verarbeitet werden. Diese befinden sich sowohl in der linken als auch in der rechten Hälfte unseres Gehirns. Somit passiert bei Ihren Hörern im Kopf mehr, wenn Sie „Gefängnis“ oder „Knast“ sagen statt „Justizvollzugsanstalt“ oder „Kuh“ statt „Großvieheinheit“.

Verben hauchen Ihren Texten Leben ein und lassen Bilder in den Köpfen der Hörer entstehen: Kopfkino. Und Verben, die eine Bewegung ausdrücken, wie „ziehen“, „drehen“ oder „laufen“, regen auch Regionen im Gehirn an, die (eigentlich) für die Bewegung zuständig sind.

Substantive, die auf „ung“ enden, sind versteckte Verben. Machen Sie daher aus „Tilgung“ „tilgen“, aus „Gestaltung“ „gestalten“ und aus der „Eröffnung“ „eröffnen“. Hörer (und Leser) werden es Ihnen danken, wenn Sie keine schwerfällige Amtssprache serviert bekommen.

Ein Nominalstil wirkt außerdem verschleiernd, weil Sie nicht sagen müssen, wer etwas tut. Das ist ganz ähnlich, wenn Sie die Passivform eines Verbs benutzen: „Die Herde wurde auf die Weide getrieben.“ Vielleicht ist es nicht relevant, wer die Herde auf die Weide trieb, doch wie sieht es aus, wenn Demonstranten getrieben werden? Das Verb in der aktiven Form ist also genauer und lebendiger.

Bei Konstruktionen mit Hilfsverben können Sie außerdem darauf achten, dass das Verb nicht zu weit am Ende des Satzes landet. Lösen Sie Hilfsverb-Konstruktionen besser auf und platzieren Sie Verben am Satzanfang, damit Ihre Hörer nicht zu lange im Ungewissen bleiben.

Vorsicht bei Fremdwörtern und Zahlen

Ganz gleich, ob wir lesen, hören, sprechen oder schreiben: Wir greifen jeweils auf das gleiche „mentale Lexikon“ zurück. Ein uns vertrautes Wort erkennen wir innerhalb von 300 bis 400 Millisekunden. Untersuchungen zeigen1, dass wir beim Lesen ein Wort schneller erfassen, je häufiger es im allgemeinen Sprachgebrauch auftaucht. Doch beim Hören spielt das keine Rolle: Hier zählt alleine die Vertrautheit des Hörers mit dem Wort für die schnelle Erkennbarkeit. Das ist besonders bei der Verwendung von Fachbegriffen, Fremdwörtern und Anglizismen zu bedenken. Derselbe Text kann lesend gut verständlich sein, hörend jedoch nicht.

Wie Zahlen auch beim Hören – ohne Tabellen und Diagramme – anschaulich dargestellt  werden, zeigt uns der Kinderfunk. Hier sind 20 Liter Wasser zwei Eimer voll und die Oberfläche des Darms ist so groß wie ein Tennisplatz. Sagen Sie auch besser „fast die Hälfte“ statt „48,2 Prozent“ oder „knapp 10 Prozent“ statt „9,8 Prozent“. Runden Sie auf und veranschaulichen Sie. Und machen Sie es Ihren Hörern einfach, Relationen zu erkennen.

Fazit

Schreiben für die Ohren orientiert sich sehr an der gesprochenen Sprache. Viele der hier gegebenen Tipps gelten auch für andere Texte, besonders für Texte im Internet, wo häufig mehr gescannt als gelesen wird.

Wenn Sie die Unterschiede zwischen Lesen und Hören bedenken und Ihnen Ihr Text gut über die Lippen geht, dann wird er auch von Ihren Hörerinnen und Hörern gut verstanden werden.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Brigitte HagedornDie Autorin Brigitte Hagedorn ist Journalistin, Autorin und Podcast-Trainerin. Als freie Journalistin hat sie u. a. für den „RBB“, die „Deutsche Welle“ und „Deutschlandradio Kultur“ gearbeitet. Brigitte Hagedorn unterstützt Trainer, Berater und Coachs sowie Organisationen bei der Umsetzung ihrer Audio-Projekte. Außerdem leitet sie Podcast-Kurse – offline und online. Für den Deutschen Fachjournalisten-Verband und das Deutsche Journalistenkolleg betreut sie das Nachwuchsprojekt Fachjournalist-Podcast. Im vergangenen Jahr erschien ihr zweites Buch „Podcasting – Konzept , Produktion, Vermarktung“ im mitp-Verlag.

  1. Vgl. hierzu: Connine, C. M. et al.: Word Familiarity and Frequency in Visual and Auditory Word Recognition. In: Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory and Cognition 16, S. 1084-1096, 1990

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