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Sicherheitspolitik als fachjournalistisches Thema: „Ein gut gepflegtes Adressbuch zahlt sich aus“

Interview mit dem Fachjournalisten und Experten für Sicherheitspolitik Thomas Wiegold

Naher Osten, Ukraine, Libyen – drei Kriegsschauplätze bestimmen derzeit die Nachrichtenlage. Die Zahl der Krisenherde in der Welt steigt seit geraumer Zeit rapide an. Und das in dem Jahr, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs zum 100. Mal jährt. Gründe genug also, um sich dem Thema „Sicherheitspolitik“ einmal aus fachjournalistischer Sicht zu nähern und zu fragen: Was kennzeichnet die Berichterstattung auf diesem schwierigen Terrain? Im Interview mit dem Fachjournalist beantwortet der freie Journalist, Blogger und Experte für Militärthemen, Thomas Wiegold, diese und weitere Fragen. Wiegold verrät dabei unter anderem, worauf es beim Netzwerken mit Militärs ankommt, wie er sich selbst vermarktet, und warum es wichtigere Dinge gibt, als Clausewitz zu lesen.

Herr Wiegold, Sie haben einst den Wehrdienst verweigert. Inzwischen dreht sich Ihre Arbeit völlig um die Bundeswehr. Wie passt das zusammen?

Der Somalia-Krieg von 1993 war entscheidend. Zum Militär hatte ich nie eine Affinität, aber als die Bundeswehr dort ihren ersten bewaffneten Einsatz hatte, war ich überzeugt: Das ist eine Zäsur für Deutschland und seine Armee, darüber muss unbedingt ein Deutscher berichten. Also beackerte ich meinen damaligen Arbeitgeber, die Nachrichtenagentur Associated Press, mich darunter zu schicken. Eigentlich hatte AP amerikanische Kollegen vor Ort. Für die ist Deutschland aber nur die 17 Nation, nach den Marokkanern und vor den Türken. Es klappte, und ich fand mich in Mogadischu wieder. Dann bin ich an den Themen „Sicherheitspolitik“ und „Bundeswehr“ hängengeblieben.

Können Sie das „hängengeblieben“ präzisieren?  Was reizte Sie auf einmal an der Bundeswehr?

Das hört sich jetzt ein bisschen überhöht an: Ich finde, für eine Demokratie ist es wichtig, dass ihre Streitkräfte kontinuierlich journalistisch begleitet werden. Das hilft der Gesellschaft, sich konstruktiv mit diesem Nischenthema auseinanderzusetzen.

Würden Sie Nachwuchsjournalisten empfehlen, sich in der „Nische“ Sicherheitspolitik einzurichten?

Eher weniger. Sicherheitspolitik ist ein Minderheitensport in Deutschland. Dass viele junge Kollegen dort ihren Einstieg finden könnten, sehe ich eher skeptisch. Da ist beispielsweise das Thema „Energie“, das über die Energiewende Bevölkerung und Wirtschaft intensiv bewegt, wohl besser geeignet.

Fakt ist: Die Häufigkeit der Krisen nimmt zu und es geht um die große Frage von Krieg und Frieden. Ist da kein Potenzial vorhanden?

Es gilt, je weiter weg von meiner Tür, desto geringer das Interesse. Hinzu kommt: Bei den Gruppen, die sich kontinuierlich für das Thema interessieren, pflegt man sehr einseitige Sichtweisen. Das betrifft beispielsweise die Rüstungsindustrie, aber auch die Friedensbewegung. Da bleibt wenig Spielraum für eine ausgewogene Berichterstattung mit vielen Abnehmern.

Aber Sie können von der Marktnische „Sicherheitspolitik“ leben. Wie sieht ihr Geschäftsmodell aus?

Mein Markenkern ist der Blog „Augen geradeaus!“. (Anm. d. Red.: Der Name stammt von einem Kommando-Befehl der Bundeswehr). Dort versuche ich, an Sicherheitspolitik Interessierte tagesaktuell zu informieren. Das sind dann beispielsweise Neuigkeiten zu geplanten Kasernenschließungen oder zur Drohnentechnik. Über den Blog kann ich meine Reputation als Experte abbilden. Die Einnahmen kommen aber vor allem über Aufträge für Online-, Print- und Hörfunkbeiträge.

Was bringt am meisten ein?

Rundfunk. Und zwar das typische Erklär-Stück. Also meistens ein Drei- bis Fünf-Minüter, der ein bisschen Hintergrund zu einer aktuellen Diskussion liefert. Zum Beispiel: Wie funktionieren Raketen, warum gibt es überhaupt noch U-Boote? Das wird morgens angefragt, nachmittags von mir geliefert und bringt zwischen 70 und 170 Euro. Hier ärgere ich mich immer über die Öffentlich-Rechtlichen, die keine Mehrwertsteuer zahlen; die muss dann noch rausgerechnet werden.

Der Blog spielt in Sachen Einnahmen keine Rolle?

Im letzten Jahr kamen über den Abo- und Spendenbutton 10.000 Euro rein. Was wenig ist, wenn man bedenkt, dass die Pflege von „Augen geradeaus!“ deutlich weniger als die Hälfte meiner gesamten Jahreseinnahmen einbringt, aber den Großteil meiner Arbeitszeit ausmacht. Außerdem kriege ich nicht die Werbung, die ich gerne hätte. Meine Leserschaft sind vor allem Soldaten und Ex-Soldaten zwischen 25 und 30 Jahren. Da würde Outdoor-Werbung wie für Jack Wolfskin gut funktionieren. Aber solche Anbieter wollen mit dem Thema „Krieg“ nichts zu tun haben. Genauso wie ich keine Werbung der Rüstungsindustrie auf meinen Blog nehme, damit meine Reputation als Fachjournalist nicht den Bach runtergeht.

Welche Themen funktionieren am besten auf „Augen geradeaus!“?

Technikthemen und die Funktion als Diskussionsplattform. Meine Leserschaft liebt es, bis ins letzte Detail über Munitions- und Hubschraubertypen zu debattieren. Hier versuche ich, regelmäßig auf interessante Fachartikel zu verweisen oder Links dazu in meine Berichte einzubetten. Und die Möglichkeit zur  Diskussion ist für meine User wichtiger, als ich anfangs dachte.  Hier biete ich vor allem Soldaten eine Plattform, um Debatten auszutragen, die ihnen am Herzen liegen, die sie aber sonst nirgends führen können. Interessanterweise auch nicht bei der Bundeswehr selbst. Vor Kurzem berichtete ich darüber, dass das deutsche Heer seinen Fallschirmjägern den Wahlspruch „Treue um Treue“ verboten hatte, weil dieser auch Bezüge zu den Fallschirmjägern der Wehrmacht hat. Das führte dann zu einer lebhaften Diskussion auf „Augen geradeaus!“. Es gab fast 1000 Kommentare.

Haben Social Media generell die Kommunikation im Bereich „Sicherheitspolitik“ verändert?

Auf jeden Fall. Die Kommunikationswege sind schneller und kürzer geworden, gerade im internationalen Bereich. Das beste Beispiel ist Twitter, das ich intensiv nutze. Hier kriege ich über die weltweit tätigen Kollegen viel schneller als früher mit, wenn sich an aktuellen Hotspots wie Afghanistan etwas tut. Und die Nutzung des Internets durch Staaten bedeutet auch immer einen gewissen Kontrollverlust in deren Kommunikation – was wir Journalisten bestens nutzen können. Ein Beispiel: Kriege sind heute oft Koalitionskriege. Mehrere Nationen führen einen gemeinsamen Krieg, haben aber unterschiedlichste Herangehensweisen an ihre Öffentlichkeitsarbeit. So berichtete die niederländische Armee ganz offen über Bombardements ihrer Luftwaffe in Afghanistan, angefordert von den Deutschen. Die wollten das wiederum geheim halten.

Was würden Sie einem Journalisten empfehlen, der sich an das Nischenthema „Sicherheitspolitik“ wagt?

Es geht weniger darum, dass man Clausewitz lesen sollte. Wichtig ist, ein Gespür für die Institution Bundeswehr zu entwickeln, in der klare Hierarchien eine große Bedeutung haben. So sollte man den Unterschied zwischen einem Ober- und einem Oberstleutnant kennen. Der Erstgenannte ist die zweite Offiziersstufe von unten. Als Oberstleutnant sind sie nur noch zwei Stufen vom Generalsrang entfernt. Ein charmantes Kokettieren mit der Unwissenheit in solchen Dingen geht am Anfang, aber auf Dauer wird man so nicht ernst genommen.

Gerade weil es in breiten Kreisen der Bevölkerung Vorbehalte und Vorurteile gegen das Militär gibt: Sind Militärs als Gesprächspartner „scheue Rehe“?

Militärs sind vorsichtig. Man muss ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Und da geht es weniger darum, dass die Leute vorziehen, die das Militär toll finden. Die wollen einfach fair behandelt werden. Meine Haltung dazu nenne ich „kritische Solidarität“. Um es zu verdeutlichen: Sollte man der Meinung sein, dass die CSU eine widerliche, rechtskonservative Partei ist, ist es auch wenig sinnvoll, als Redakteur mit dem Spezialgebiet „CSU“ zu arbeiten. Netzwerken mit Militärs kann für einen Journalisten sogar ertragreicher sein als in anderen Themenbereichen.

Wir sind gespannt …

Eine Eigenheit des Militärs ist es, dass die Leute sehr lange im System bleiben. Länger als ich das aus anderen Ministerien kenne, von der freien Wirtschaft ganz zu schweigen. Wenn jemand General wird und sie kennen ihn schon seit zehn Jahren, ist das natürlich hilfreich. Ein gut gepflegtes Adressbuch zahlt sich aus.

Haben Sie sonst noch Tipps in Sachen Recherche?

Es hilft, sich Google-Alerts auf Lokalzeitungen von Kasernenstandorten zu setzen. Dort findet man dann immer wieder Interviews mit dem örtlichen Bataillonskommandeur, der auch zu den Ortshonoratioren zählt und sich freimütiger zu Einsätzen äußert, als dies auf Bundesebene passiert. Viele denken nicht daran, dass der „Kreisbote“ heutzutage einen Klick von mir entfernt ist. Oft ist das langweiliger Tran, aber hin und wieder gibt es ein paar Perlen aus der Provinz, die man in Berlin nie erfahren hätte.

Was sind generell die Must-Reads in diesem Bereich?

Die einschlägigen Veröffentlichungen. Dazu gehören „Europäische Sicherheit & Technik“ oder auch das Magazin des Reservistenverbandes, „loyal“. Die sind natürlich alle interessengeleitet, bilden aber ab, welche Debatten in der Sicherheitspolitik gerade laufen. Auf internationaler Ebene gibt es viele lesenswerte englischsprachige Publikationen wie das „Small Wars Journal“. Richtig gut war der Blog „Danger Room“ des „Wired-Magazins“, bis die ursprünglichen Macher ihn nicht mehr betreut haben.

Im englischsprachigen Raum berichten Fachmagazine wie „Foreign Policy“ oft lockerer über Sicherheitspolitik. Da wird dann das Innenleben der NATO mit dem Familienleben der Simpsons erläutert. Fehlt dieser Ansatz in Deutschland und würde er hier funktionieren?

Solche Sachen gelten in Deutschland schnell als nicht seriös; ein spezifisch deutsches Problem. Sicherheitspolitik wird hierzulande immer besonders honorig diskutiert. Das sehen wir auch in der Wissenschaftspublizistik: Amis erklären locker und elegant, der deutsche Kollege kommt zu demselben Thema steif und überladen daher, aus Angst, nicht mehr ernst genommen zu werden. Es gibt auf jeden Fall den Bedarf nach neuen Spielarten, um verschachtelte Themen wie Drohnen und Co. prägnant zu erläutern. Ein gelungenes Beispiel ist hier „Jung und Naiv“ von Thilo Jung, mit dem Ansatz, Politik für Desinteressierte zu erläutern. Ob es dafür auch die Refinanzierungsmöglichkeiten gibt, ist leider die andere Frage.

Herr Wiegold, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Wiegold_okt2011Thomas Wiegold (Jahrgang 1960) ist einer der bekanntesten deutschen Journalisten in Sachen Sicherheitspolitik und Bundeswehr. Mit den Themen beschäftigt er sich seit dem Somalia-Krieg von 1993. Über Rüstungsskandale wie den Dauerclinch um das G36 und den Panzerdeal mit Saudi-Arabien berichtete er oft als Erster. Wiegold arbeitete für die Nachrichtenagenturen „dpa“ und „Associated Press“, danach lange Jahre als Korrespondent für den „Focus“. Seit 2010 ist er freier Journalist in Berlin und betreibt den sicherheitspolitischen Blog „Augen geradeaus!“.

 

Kommentare
  1. Guten Tag Herr Wiegold,
    leider haben Sie bei den einschlägigen Magazinen nicht unser cpm forum: Das Magazin für Wehrtechnik und Logistik erwähnt, das es nun auch schon seit 25 Jahren gibt. Wir sind inhaltlich absolut auf dem Level der ES, da unsere Autoren in der Regel dieselben sind, wie in der ES.
    Entscheidende Unterschiede gibt es im Layout, das wir ungestraft als das Beste in der Branche bezeichnen können: Große Bilder, zweispaltiger Text bei Artikeln und Interviews, herausheben von Textzeilen, zwei Seiten bebilderte Inhaltsangabe etc. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal ist, dass Sie unsere Magazine kostenfrei im Internet lesen können (s. Website).
    Bei uns können Sie auch einmal ein kritisches Wort und somit einen Rest von Journalismus finden (z. B. in den Editorials, Ausgabe 2-2014 „Die neuen Kleider der Frau von der Leyen“), was Ihnen gerade in der ES schwer fallen dürfte.
    Mit freundlichen Grüßen
    Rudolf Schiwon
    PS: Zu meiner Person: Fast 40 Jahre Bw von der Gruppe bis zum MInisterium, Consultant bei einem Konsortium von sechs Rüstungskomzernen (Airbus Defence, Northrop Grumman, Thales …), Chefredakteur der Wehrtechnik und seit gut zwei Jahren Chefredakteur des cpm forum. Als Experte u. a. bei Monitor, DAS, Aktuelle Stunde.