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Sportjournalismus: RB Leipzig – neutrale Berichterstatter als Spiegel der Kritik?

Inhaltsanalytische Untersuchung an der Hochschule Darmstadt

Seit seiner Gründung schlägt dem Fußballklub RB Leipzig eine Welle der Feindseligkeit entgegen, die es in der Geschichte des deutschen Profifußballs noch nicht gegeben hat. Unter den Kritikern befinden sich neben Fans konkurrierender Vereine auch Funktionäre und Experten. Wie sich die deutsche Medienlandschaft zu der Kontroverse positioniert, blieb bislang allerdings unerforscht: Wie gehen deutsche Sportmedien mit der Kritik um? Teilen sie diese unter Umständen sogar? Antworten darauf gibt eine inhaltsanalytische Untersuchung, die an der Hochschule Darmstadt durchgeführt wurde.

Ablehnung, Protest, Kritik und Boykott: Kaum ein Verein wurde in den vergangenen neun Jahren so oft in Zusammenhang mit diesen Begriffen gebracht wie RasenBallsport (RB) Leipzig. Noch bevor der auf Initiative des österreichischen Getränkeherstellers Red Bull gegründete Klub im Mai 2009 sein erstes Pflichtspiel bestreiten konnte, hatten feindselige Fans auf dem Vereinsgelände schon ein Grab ausgehoben, auf dem ein Kreuz mit der Aufschrift „Hier stirbt der Fußball“ prangte (vgl. Dreßlein 2009). Ein Ereignis, das heute sinnbildlich für das steht, was den Verein noch erwarten sollte, denn seitdem ziehen sich Protestaktionen, Boykottaufrufe und öffentlich geäußerte Kritik gegen RB wie ein roter Faden durch die Klubgeschichte. RB Leipzig polarisiert – und das nicht nur aufseiten der Fans. Immer wieder äußern sich auch Funktionäre, Experten und andere prominente Akteure kritisch zu der Thematik. Fast scheint es so, als hätte jede fußballinteressierte Person im Land eine Meinung zu RB.

Umso interessanter ist deshalb die Frage, wie jene Seite mit der Kontroverse umgeht, die sich ihrem Berufsstand gemäß eigentlich jeglicher Meinungsäußerung enthalten sollte, damit aber vor größere Herausforderungen gestellt wird als zunächst angenommen. Die Rede ist vom deutschen Sportjournalismus.

„Infocomment“ als neue Berichtsform

Bereits vor 14 Jahren gelangte der Sportjournalist Christoph Fischer zu der Einschätzung, dass sich im Sportjournalismus „eine Berichtsform herausgebildet hat, die Information und Meinung verbindet“ (Fischer 2004, S. 64). Dieser sogenannte Stil des „Infocomment“ zeichnet sich in erster Linie durch den Gebrauch von Zitaten, Übertreibungen sowie die Auslassung und Hervorhebung einzelner Fakten aus (vgl. Schmalenbach 2011, S. 177 f.), sollte deshalb aber nicht pauschal als verwerflich eingestuft werden. Erst wenn nicht mehr erkennbar sei, ob es sich um gesicherte Fakten oder um reine Spekulation handele, so Hanna Schmalenbach in ihrer Dissertation, würden die Rezipienten zu Recht an der Glaubwürdigkeit des Mediums zweifeln (vgl. Schmalenbach 2011, S. 179).

Dass sich ausgerechnet der Sportjournalismus mit dieser Thematik auseinandersetzen muss, ist kein Zufall. Vielmehr ist die vorherrschende Situation wohl mit dem Fan-Dasein eines Großteils der Sportberichterstatter zu erklären. So schreibt der Sportjournalist Christoph Biermann beispielsweise über die Verhältnisse im deutschen Fußballjournalismus: „Ich kenne keinen Fußballjournalisten, der nicht Fan ist oder zumindest einmal war“ (zit. nach Bölz 2013, S. 170). Der Verdacht liegt nahe, dass ein Journalist über das Spiel „seiner“ Mannschaft‘ anders urteilt als ein neutraler Zuschauer. Gleiches gilt für Sportler oder Vereine, die dem Berichterstatter aufgrund privater Präferenzen eher unsympathisch sind. Kann also ein Sportjournalist, der das Modell RB privat ablehnt, seiner Rolle als neutraler Nachrichtenvermittler überhaupt noch gerecht werden?

Berichten Sportjournalisten objektiv?

Diese Frage stand im Mittelpunkt einer inhaltsanalytischen Untersuchung, die exemplarisch Aufschluss darüber geben sollte, wie sich die deutschen Sportmedien rund um das Thema positionieren und ob sie im Extremfall sogar die Ansicht der Kritiker teilen. Da eine ähnliche Studie bereits im Jahr 2015 die Print-Ausgabe des Sportmagazins Kicker auf subjektive Tendenzen hin analysierte, beschränkte sich die aktuelle Arbeit auf Onlinemedien. Exemplarisch wurden hierfür mit Kicker Online und Sport1.de die beiden reichweitenstärksten deutschen Sportmedienplattformen herangezogen. Um dennoch möglichst tief gehende Erkenntnisse zu erhalten, wurde die Analyse mit einer Kombination aus quantitativen und qualitativen Elementen durchgeführt.

Das Studiendesign

Als Fundament der inhaltsanalytischen Untersuchung diente die Bundesligaspielzeit 2016/17, in der RB Leipzig nach vier Aufstiegen in acht Jahren erstmals erstklassig spielte. Die Vermutung lag nahe, dass mit einer Steigerung des öffentlichen Interesses auch die Kritik am Verein noch einmal lauter werden würde. Um jedoch nicht nur die Eigenheiten der Berichterstattung zu erfassen, sondern auch mögliche Veränderungen im Laufe der Saison zu protokollieren, wurde der Untersuchungszeitraum in zwei Phasen unterteilt. Analysiert wurden sämtliche Inhalte der beiden Onlineportale, die entweder in den ersten oder den letzten drei Wochen der Bundesligasaison 2016/17 veröffentlicht wurden. Am Ende der Eingrenzung standen insgesamt 164 Inhalte, von denen jeweils 93 auf das Angebot von Kicker Online und 71 auf das von Sport1.de zurückgingen.

Gründe für kritische Tendenzen

Um die Berichterstattung der beiden Sportmedienplattformen überhaupt angemessen auf kritische Tendenzen hin untersuchen zu können, stellte sich grundsätzlich die Frage nach dem Kern des Unmuts. Woran liegt es, dass RB Leipzig seit dem Tag seiner Gründung mit Anfeindungen und Schmähungen zu kämpfen hat wie kein Fußballverein zuvor?

Patrick Bresemann und Gabriel Dutler (2017, S. 141) haben das Phänomen untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass der Protest gegen RB grundsätzlich durch eine antikommerziell ausgerichtete Haltung gekennzeichnet sei. So würden die Fans in RB die „Spitze der Kommerzialisierung“ (Bresemann/Duttler 2017, S. 137) sehen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Vorwurf, Red Bull habe den Verein lediglich zu Werbezwecken gegründet, um den hartnäckigsten und gleichzeitig am häufigsten aufgegriffenen Kritikpunkt an dem Projekt. Schaut man jedoch genauer hin, fällt auf, dass es bei Weitem nicht der einzige ist. Insbesondere dem harten Kern der Fanszene geht es ebenso sehr um die fehlende Tradition des Klubs. So erklärt Sportwissenschaftler Gunter Bauer: „Fußballfans sind sehr rückwärtsgewandt. Sie sehen sich als letzte ehrenvolle Amateure und hassen es, wenn ein Verein keine Tradition hat“ (zit. nach Ashelm 2014). Die Rede ist vom „Ausverkauf der Fußball-Tradition“ (zit. nach Ashelm 2014).

Weitere Aspekte wie die als unfair empfundene Finanzkraft durch Eigentümer Red Bull, der vereinsinterne Umgang mit den Statuten des Deutschen Fußballbundes (DFB), die zweifelhafte Transferbeziehung zu Schwesterklub RB Salzburg und die von vielen Vereinen als moralisch grenzwertig eingestuften Abwerbeversuche minderjähriger Nachwuchsspieler zeugen von einem vielschichtigen und schwer zu durchblickenden Gesamtkonstrukt. Um im Rahmen der  Analyse dennoch den Überblick zu bewahren, wurden die Inhalte getrennt voneinander auf die jeweiligen Vorwürfe geprüft. So wurden Unterschiede in der Berichterstattung bis ins kleinste Detail ersichtlich.

Unterschiede in der Berichterstattung

Generell wurde deutlich, dass über den Klub auf beiden Plattformen mit unterschiedlichen Schwerpunkten berichtet wurde. So lag der Anteil an Berichten, die sich direkt oder indirekt mit der öffentlich geäußerten Kritik beschäftigten (hier: „Sonderberichte“), auf Sport1.de durchgehend höher als bei Kicker Online. Bemerkenswert war, dass der Anteil an Sonderberichten zu Beginn der Saison auf beiden Plattformen mehr als die Hälfte der gesamten Berichterstattung ausmachte. Dass die Anzahl an Artikeln, die sich mit dem Geschehen abseits des Spielfelds beschäftigten, auf beiden Portalen während der Spielzeit teilweise deutlich abnahm, ist mit einem „Gewöhnungseffekt“ zu erklären. Die Vermutung liegt nahe, dass der Klub mit seinem überraschend guten Abschneiden in der Liga selbst dazu beitrug, dass er zunehmend als „normaler Verein“ wahrgenommen wurde. Die Ergebnisse dürfen jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Anteil an Berichten, die sich mit Kritik und Protest beschäftigten, auch am Ende der Saison noch vergleichsweise hoch war.

Beide Sportmedienplattformen griffen die Kritik an RB Leipzig zwar inhaltlich auf, stimmten ihr aber keinesfalls uneingeschränkt zu. Während Kicker Online generell seltener und zurückhaltender auf die Aspekte einging und sich auf das sportliche Geschehen konzentrierte, hinterließ Sport1.de den Eindruck, als wolle das Portal die bestehenden Zweifel zumindest thematisch anreißen: Oft drehten sich die Veröffentlichungen beispielsweise um Eigentümer Red Bull oder die Streitbegriffe Tradition und Kommerzialisierung. Auch die klubinterne Finanzkraft, die von einer Vielzahl fußballbegeisterter Menschen als unfair erachtet wird, kam auf Sport1.de wesentlich häufiger zur Sprache. Abwertende Tendenzen zeigten sich in der Verwendung von diffamierenden Wortspielen („Brauseklub“) oder einer offen formulierten Kritik („zurecht kritisiert“) an den vereinsinternen Strukturen zwar auch – diese waren unter den 164 erfassten Inhalten jedoch die absolute Ausnahme.

Fazit

Kicker Online und Sport1.de kamen der Norm der journalistischen Objektivität über weite Strecken nach. Dass sich die Berichterstattung von Sport1.de verglichen mit der von Kicker Online als weitaus provokanter erwies, zeigte allerdings auch, wie heterogen die Sportberichterstattung im Internet sein kann. Umso wichtiger ist deshalb die Erkenntnis, dass die Ergebnisse lediglich als Tendenz, nicht als allgemeingültiges Urteil für eine gesamte Sparte zu verstehen sind.

Fest steht, dass der Fußballverein RB Leipzig auch in Zukunft interessant für wissenschaftliche Untersuchungen bleiben wird. Die „Kommerzialisierung des Fußballgeschäfts“ schreitet voran, Investoren gewinnen zusehends an Einfluss und durch die Champions-League-Teilnahme des Klubs in der Saison 2017/18 hat die Thematik schon früh die europäischen Grenzen überschritten.

Fraglich bleibt, ob der beschriebene Gewöhnungseffekt weiter voranschreitet und RB Leipzig in wenigen Jahren tatsächlich als etablierter Verein anerkannt wird. Eine entscheidende Rolle wird dabei auch der deutsche Sportjournalismus spielen.

Quellen:

Ashelm, Michael (2014): Wehe, wenn der Bulle kommt. In: faz.net; http://www.faz.net/aktuell/sport/fussball/bundesliga/rb-leipzig-wehe-wenn-der-bulle-kommt-13089948.html (13.07.2018).

Bölz, Marcus (2013): Fußballjournalismus. VS Springer, Wiesbaden.

Bresemann, Patrick; Duttler, Gabriel (2017): Kritik an RasenBallsport Leipzig. Marketing contra Tradition? In: Schneider, André; Köhler, Julia; Schumann, Frank (Hrsg.): Fanverhalten im Sport. Phänomene, Herausforderungen und Perspektiven, S. 137 – 158. Springer VS, Wiesbaden.

Dreßlein, Detlef (2009): Krieg um Leipzig. In: focus.de; http://www.focus.de/pa-norama/welt/best-of-playboy/menschen-und-storys/tid-16234/playboy-reportage-krieg-um-leipzig_aid_454901.html (13.07.2018).

Fischer, Christoph (2004): Bedeutungswandel des Sports – Aufwertung des Sportjournalismus? In: Hackforth, Josef; Fischer, Christoph (Hrsg.): ABC des Sportjournalismus, S. 50 – 77. UVK, Konstanz.

Schmalenbach, Hanna (2011): Qualität im Sportjournalismus. Entwicklung eines Konzepts zur Beurteilung des Sportressorts im Print. Dissertation. Technische Universität München, München.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Jonas Bormann - 2016Der Autor Jonas Bormann studierte Online-Journalismus an der Hochschule Darmstadt und arbeitete währenddessen als freier Mitarbeiter für eine Lokalzeitung aus Hanau. Nach mehreren Praktika – unter anderem in der Online-Redaktion von Sport1 in München – entschied er sich Anfang des Jahres für einen Umzug nach Hamburg, wo er seitdem als Redakteur bei einem lokalen Magazinverlag arbeitet.

 

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