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Storytelling und Klimawandel: Klimageschichten statt Statistik

Ein Forschungsprojekt an der Hochschule Darmstadt sucht nach Möglichkeiten und Formen, wie sich das Megathema Erderwärmung neu erzählen lässt. Erste Befunde sind ermutigend.

Die Forschung zum Klimawandel und seinen Folgen ist in den vergangenen Jahren immer regionaler geworden; selbst für einzelne Kommunen sind Wissenschaftler mittlerweile in der Lage, Prognosen abzugeben. Beispiel Mühltal im südhessischen Landkreis Darmstadt-Dieburg: Die Hochwassergefahr ist in der 13.000-Einwohner-Gemeinde größer als in Nachbarkommunen, da die Grundwasserquellen hier nicht sehr tief liegen und der Wald aufgrund seiner Struktur besonders hitzeempfindlich ist. Die Folgen sind weitreichend: Das Kanalsystem ist bei Unwettern schnell überlastet, die Keller laufen voll. Im Umkehrschluss versiegen Mühltals Quellen bei Hitze schneller – das heißt Ernteausfall und Waldbrandgefahr, auch im Frühjahr. All das zeigen die Ergebnisse des Forschungsprojekts Kladadi (Klimawandelanpassung im Landkreis Darmstadt-Dieburg), das für jede Kommune im Landkreis Ergebnisse vorgelegt hat.

Journalismus als Frühwarnsystem

Wie also können sich die Mühltaler künftig besser auf Unwetter vorbereiten, wie ihre Keller und Kanäle schützen? Diese und ähnliche Fragen stellen sich für viele Kommunen – und auch Journalisten. Sie müssen sich im Kontext des Klimawandels einmal mehr als Frühwarnsystem verstehen, das recherchiert, bevor etwas passiert. Und nicht nur reagiert, wenn Schäden aufgetreten sind. Doch das ist nur ein Aspekt bei der Berichterstattung über das Megathema Klimawandel, das letztlich alle Lebensbereiche betrifft – auch die sozialen und kulturellen. Und genau hier können Journalisten konstruktiv zeigen, wie sich mit dem Klimawandel und der Perspektive auf eine nachhaltige Entwicklung neue Chancen ergeben, das eigene Umfeld positiv zu verändern.

Viele der in den vergangenen Jahren entstandenen Graswurzel-Initiativen versuchen genau das. Und liefern Journalisten Unmengen an Geschichten mit lokalen Bezügen: Energiegenossenschaften und Transition-Town-Gruppen versuchen, auf fossile Brennstoffe zu verzichten. Mitfahrzentralen und Carsharing-Gruppen wollen eine neue Mobilität. Teil- und Tauschringe, Kleiderkreisel und Repair-Cafés propagieren ein Ressourcen schonendes Wirtschaften, das die Menschen zusammenführt – beim Reparieren, Verhandeln, (Mit-)Teilen.

Es gibt eine neue Lust an Lebens- und Wirtschaftsgestaltung. Und deshalb liegen viele neue Geschichten auf der Straße, viele davon sind Klimageschichten. Medien berichten bereits darüber, aber die neuen sozialökologischen Bewegungen und Experimentierlabore bieten noch viel erzählerisches Potenzial, das bei Weitem nicht ausgeschöpft ist – eine große Chance für Medien. Mit entsprechender Recherche, Expertise und Fantasie kann durch konkrete, „menschelnde“ Geschichten das Metathema Klimawandel neu erzählt werden: lebendiger, sozialer, kultureller, lustvoller, konstruktiver als bisher  – ergänzend zu bestehenden und nötigen Deutungen, die vor allem mit Katastrophen, Technologien und Kosten zu tun haben. Denn der Klimawandel kostet Geld. Und er ist, neben allen Chancen, vielfach eine Bedrohung und keine Unterhaltungsshow, die alle zum Lachen bringt.

Ungenutzte Erzählpotenziale erschließen

Ein Team an der Hochschule Darmstadt will mit dem Forschungsprojekt „Neues Erzählen: Klimageschichten“ (Laufzeit 2015-2018) herausfinden, welche erzählerischen Potenziale der Klimawandel noch bietet. Von Interesse sind dabei zum einem attraktive Erzählformen, die Medien noch zu wenig nutzen, und zum anderen größere erzählerische Stränge, die gerne als „Narrative“ bezeichnet werden. Was ein Klimanarrativ ist und welche Erzählstränge in der Klimaberichterstattung dominant sind, soll mithilfe von Experteninterviews und Inhaltsanalysen erforscht werden. Geprüft wird die These, dass zwar viele Perspektiven in der Klimaberichterstattung eingenommen werden, aber nur wenige dominieren: wissenschaftliche Bezüge, Kostenfragen und Technologien. Klimaschutz und Kunst, als Thema in der Literatur, Gegenstand in der Schule, Chance für den Artenschutz – solche Bezüge werden dagegen seltener von Journalisten angegangen.

Chance für narrative Formen

Eine differenzierte Sichtweise eröffnet Journalisten neue Herangehensweisen und Möglichkeiten, narrative, ausführlichere Formen anders anzudenken und auszuprobieren. Und das Klimathema eben nicht mit Wissenschafts- und Technikberichten oder wirtschaftlichen Stücken zu beschreiben, sondern mit Porträts und Reportagen neu zu erzählen – und die Leserinnen so auch in bislang weniger präsente Klimawelten zu entführen.

Neue Erzählformen könnten dazu beitragen, die Perspektiven zu verändern und mehr Verknüpfungen herzustellen – ein Ziel des Projekts „Klimageschichten“, dessen  Ergebnisse schrittweise auf Grüner-Journalismus veröffentlicht werden.

Stand der Forschung

Die mediale Klimaberichterstattung ist vielfach erforscht.1 Narrative Fragestellungen fehlen im deutschen Forschungskontext jedoch weitestgehend. Dabei gibt es in den USA bereits einzelne Projekte wie das Climate Narrative Project an der University of Iowa oder das private Blog ClimateStoryTellers. In diesem Rahmen sucht „Klimageschichten“ nach internationalen Vergleichen.2 Denn nach der Analyse der Klimaberichterstattung in Deutschland werden die Klimadebatten in Vietnam, Norwegen und Marokko in den Blick genommen. Es werden vor Ort und telefonisch Umweltjournalisten und Medienwissenschaftler interviewt. Dazu kommen Inhaltsanalysen zu einzelnen Fallbeispielen.

Gesucht wird nach inhaltlichen Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Erzählkulturen in diesen vier Ländern, die sich in ihrer politisch-kulturellen und damit auch journalistischen Prägung teils deutlich unterscheiden. Dass vielerorts mehr berichtet wird als früher, ist belegt. Wie Journalisten aber über das jeweils gleiche Thema berichten, zu welchen Stilmitteln und Deutungen sie greifen, ist Gegenstand der Forschung.

Alternative Erzählformen

Der Kommunikationswissenschaftler Tobias Eberwein hat gezeigt, dass literarische Ansätze im Journalismus zunehmend an Bedeutung gewinnen: „Nur randständig ist Literarischer Journalismus somit nicht mehr. Vielmehr gehören literarisch inspirierte Strategien der Themenfindung und -bearbeitung in vielen Redaktionen zum gängigen Arbeitsprinzip – und werden von den Rezipienten offenbar in besonderem Maße geschätzt“.3 Wir gehen davon aus, dass der Blick auf literarischen Journalismus bei der Suche nach alternativen Erzählweisen helfen kann. So sammelt „Klimageschichten“ national wie international, im handwerklich-praktischen Sinn alternative Erzählformen für komplexe Themen. Durch Sekundäranalysen der journalistisch-praktischen Literatur konnten bereits erste mögliche alternative Erzählformen zusammengestellt werden. Sie können teils auch kombiniert werden; neue Erzählinstrumente wie das Internet-Reportagetool Pageflow machen dies möglich.

Erste Übersicht zu alternativen Erzählformen

  • Selbsterfahrung/Kurs: Diese Form ist im grünen Spektrum relativ oft zu finden und damit nur noch als semi-alternativ zu bezeichnen. Der Reporter nimmt an einem Kurs (Vegan leben, Survival-Techniken) teil, verzichtet auf etwas für eine gewisse Zeit (Plastik, Fleisch, Auto), testet Produkte (E-Bike, Solarauto) oder begleitet andere bei solchen Versuchen.
  • Vorbilder: Immer spielen hier Menschen oder Gruppen eine Rolle, die bereits etwas Unerwartetes geschafft haben oder es zumindest versuchen. Über sie mit Reportagen oder Porträts zu berichten, kann inspirieren und zur Nachahmung einladen. Es gab bereits einige Serien zu „grünen Vorbildern“ („Green Minds„, Financial Times Deutschland; „Werkstatt Zukunft„,GEO)
  • Rundgang: Beim Storytelling gibt es drei Elemente: Protagonist („Held“), Handlung und Ort. Wenn kein starker Ort existiert, kann man auch einen Helden oder alternativ einen Experten an einen Ort holen und mit ihm/ihr einen thematischen Rundgang machen – etwa zur Frage, wie sich eine Stadt im Zuge des Klimawandels verändern muss oder wie öffentlicher Raum familien- oder fahrradfreundlich umgestaltet werden kann.
  • Patchwork-Erzählung: Viele kleine Geschichten oder Porträts setzen sich zu einem bunten Puzzle zusammen. Das kann sowohl international als auch regional funktionieren. Mit dieser Form lässt sich eine große Vielfalt zeigen und gegenseitiges Lernen fördern. Hier ist ein Team von Korrespondenten förderlich, der Aufwand ist hoch.
  • Produktgeschichte: Im Beitrag wird die Produktion eines Gutes rund um den Globus thematisiert und dabei oft nach dem ökologischen Fußbadruck gefragt. So lassen sich besonders gut ökonomische Seiten der Nachhaltigkeit, etwa Produktion und Konsum, andenken. Klassiker dieser Form sind der italienische Schuh oder die vielzitierte Nordseekrabbe, die in Marokko gepult wird.
  • Visionen/Utopien/Träume: Hier kommen fiktionale und fiktive Elemente ins Spiel; diese Formen sind vielleicht auch deshalb etwas seltener zu finden. Ein Beispiel ist die Serie im ZEIT-Magazin „Ich habe einen Traum“.
  • Briefe: Briefe an Politiker und Unternehmer sind wenig aufwendig. Sie lassen sich aber als subjektive Form und Spielart eines Kommentars mit fiktionalen Aspekten aufladen, sodass sie neben der Unmittelbarkeit in der Ansprache auch komplexe Inhalte frei verdichten können.
  • Fiktive Gerichtsverhandlung: Sie bedarf der Schreibkunst, hat aber viele Vorteile, da Rollen zugeteilt werden wie etwa Richter, Anwalt, NGO-Vertreter oder Industriesprecher. So kann sehr kontrovers und gleichzeitig zielgerichtet ein komplexer Stoff aufgespaltet und aus ganz verschiedenen Perspektiven dargestellt und erzählt werden. ZEIT Wissen hat es mit einer fiktiven Verhandlung zur grünen Gentechnik 2013 vorgemacht.
  • Alternative Protagonisten: Hier beginnen die Erzählelemente innerhalb der Form. Aber es spricht nichts dagegen, eine Umweltgeschichte einmal aus der Perspektive einer bedrohten Art darzustellen, also etwa, die Schwierigkeit der Wanderfische beim Flussaufstieg aus dem Blickwinkel eines Lachses zu erzählen, der in seinen Heimatbach gelangen möchte. Das ist anspruchsvoll und rechercheintensiv, für den US-amerikanischen Journalismusprofessor Michael Pollan aber eine gute Möglichkeit, neue Wege in der Umweltberichterstattung zu gehen.4
  • Stoffströme: Auch hier gibt Pollan gute Hinweise. Wer konsequent einem Stoff im Ökosystem folgt, einer Chemikalie wie etwa Nitrat, der ist einer organischen Dramaturgie auf der Spur, die eine ganz eigene Spannung enthält. Selten gemacht und wissenschaftlich anspruchsvoll, aber sicher ein Experiment wert.
  • Geld suchen: Auch Geld kann ein Stoff sein. Wer die Reporterregel „Follow the money“ beachtet, hat einen roten Faden für seine Geschichte, die so womöglich investigativ und sehr hintergründig wird, auf jeden Fall aber aufwendiger Recherchen bedarf. Im Klimafeld wäre das machbar bei CO2-Zertifikaten und deren Vergabe.
  • Helden benennen: Dies ist eher ein Stilelement denn eine Form. Aber wer am Anfang der Geschichte die Hauptdarsteller mit Bildern vorstellt, sorgt zusätzlich für Spannung. Dies macht etwa das Portal InsideClimate News, das den Pulitzer-Preis für seine Klimageschichten erhielt.

Fazit

Damit neue Geschichten und Formen auch bessere Geschichten und Formen sein können, ist immer auch die Frage nach journalistischer Qualität zu stellen. Aktuelle Forschungen von Prof. Dr. Peter Seeger (Hochschule Darmstadt) zeigen, dass insbesondere bei der Berichterstattung zu komplexen Nachhaltigkeitsthemen der Faktor Zeit journalistisch neu angedacht werden muss. Denn ohne Zeit können Kreativität und Recherche, die Kernstücke guter Geschichten, nicht funktionieren.

Gleichzeitig kommt die Zeit vielen Journalisten immer öfter abhanden, weil sie in kürzeren Spannen und mit weniger Kollegen komplexe Themen recherchieren sollen. Diesem Paradoxon wird sich „Klimageschichten“ im Ausblick widmen müssen, um den nötigen, weiteren Betrachtungskontext zu wahren. Denn für das Projekt wertvolle Erkenntnisse liefern auch Literaturwissenschaften, Umweltsoziologie und Psychologie. In diese Fächer muss die Journalistik eintauchen, um ihre Fragestellung richtig aufbauen zu können.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Foto_SchaeferDer Autor Torsten Schäfer ist seit 2013 Professor für Journalismus und Textproduktion an der Hochschule Darmstadt. Dort koordiniert und leitet er zusammen mit Peter Seeger das Medien- und Rechercheforum “Grüner Journalismus”. Zuvor arbeitete Schäfer zehn Jahre als Wissenschafts- und Umweltjournalist, u. a. als fester und freier Redakteur für „GEO International“ und die „Deutsche Welle“.

 

  1.  Vgl. Engesser, Sven; Brüggemann, Michael (2015): Mapping the minds of the mediators: The cognitive frames of climate journalists from five countries, in: Public Understanding of Science. Vgl. Neverla, Irene; Schäfer, Mike S. (Hrsg.) (2012): Das Medien-Klima. Fragen und Befunde der kommunikationswissenschaftlichen Klimaforschung. Wiesbaden. Vgl. Post, Senja (2008): Klimakatastrophe oder Katastrophenklima? Die Berichterstattung über den Klimawandel aus Sicht der Klimaforscher. München.
  2. Vgl. Machill, Marcel (Hrsg.) (1997): Journalistische Kultur. Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich. Opladen.
  3.  Eberwein, Tobias (2013): Literarischer Journalismus. Theorie – Traditionen – Gegenwart. Dissertation, Universität Dortmund, S. 192.
  4. Vgl. Pollan, Michael (2007): Natural Narratives. Nieman Storyboard, 16.02.2007; http://niemanstoryboard.org/stories/natural-narratives
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  1. […] Storytelling und Klimawandel: Klimageschichten statt Statistik. Fachjournalist online, 15.6.2016. URL: http://www.fachjournalist.de/storytelling-und-klimawandel-klimageschichten-statt-statistik […]