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Technikjournalismus: „Übertriebene Erwartungen und Ängste relativieren“

Interview mit dem freien Technikjournalisten Boris Hänßler

Ohne Technik funktioniert heutzutage nur noch wenig. Im Zeitalter des mobilen Internets kann der Verbraucher praktisch zu jeder Zeit und von überall auf Informationen und Geräte zugreifen. Umso wichtiger erscheint daher die Aufgabe von Technikjournalisten: die Vermittlung und Einordnung von Wissen über unbekannte, komplexe und zuweilen nicht ganz ungefährliche Technologien. Worauf es dabei ankommt, weiß Boris Hänßler, freier Fachjournalist – und seit längerem auf Technikthemen spezialisiert. Der „Fachjournalist“ sprach mit ihm über Anreize, um Frauen für Technik zu begeistern, darüber, warum ein spezielles Technikthema hierzulande schlecht läuft und die zunehmende Bedeutung von Corporate Publishing als Einnahmequelle für Journalisten.

Herr Hänßler, wohin geht der Trend bei Technikthemen für Journalisten?

Verbraucher- und Ratgeberthemen werden immer beliebter. Also als simples Beispiel: Wie funktioniert das neue Smartphone des Herstellers XY, das diese und jene neue Anwendung hat. Und „Special Interest“ ist, wie im Journalismus allgemein, auch in der Technik ein Trend. Von den Fans von Modelleisenbahnen bis zur Waffentechnik – jede Gruppe erhält heute ihr maßgeschneidertes Medienprodukt. Hier differenziert sich der Markt sicher noch weiter. Da werden in den nächsten Jahren noch einige neue Magazine das Licht der Welt erblicken.

Da Sie „Special Interest“ erwähnten: Technik gilt immer noch als klassisches Männerthema. Gibt es Technikmagazine, die sich speziell an Frauen richten?

Hm, ich wüsste da keines im deutschsprachigen Raum, aber es gibt inzwischen reichlich Blogs von Frauen, die sich mit Technik beschäftigen. Früher waren Technikthemen oft was für Bastler oder Leute, die wissen wollten, welche Hardware in einem Gerät steckt – und die Zielgruppe solcher Zeitschriften waren eher männliche Leser. Heute stehen viel stärker der alltägliche Nutzen und das Design im Vordergrund und somit ist Technik ein viel breiteres Thema geworden, für das sich nicht nur die typischen Nerds interessieren.

Freilich haben die Ingenieursfächer nach wie vor einen sehr hohen Männeranteil. Ich sprach mit einer Robotik-Professorin über dieses Thema – sie sagte, dass viele Maßnahmen, Frauen für solche Fächer zu begeistern, leider erfolglos geblieben sind.

Und was könnte dann ein Trigger sein, der Frauen für Technik begeistert?

Da hätte ich eine kleine Anekdote …

Bitte sehr!

An der Universität von Kalifornien in Berkeley hieß der Einführungskurs in die Informatik seit ewigen Zeiten schlicht genauso: „Einführung in die Informatik“. Und über Jahrzehnte war der Frauenanteil unterirdisch. Bis die Uni-Leitung den Kurs 2014 in „Die Freude und Schönheit der Informatik“ (The Joy and Beauty of Computing) umbenannte. Damit hatte sie einen Nerv getroffen: Ein Artikel dazu spricht von 106 Männern zu 104 Frauen unter den Kursteilnehmern.

Mancher könnte jetzt sagen, das wirkt, als ob man Technikthemen nur mit einem schönen Schleifchen versehen muss und sie funktionieren als Frauenthema …

Nein, das wäre zu platt. Der Kurs wurde auch inhaltlich neu ausgerichtet und behandelte zum Beispiel den Einfluss der Informatik auf unsere Gesellschaft. Eine Frau sagte, sie wählte den Kurs, weil es da vielleicht mehr gebe als nur „langweilige Programmierzeilen“.

Bei meinem Lieblingsthema Roboter habe ich oft mit Forscherinnen zu tun, wenn es um soziale Robotik geht. Die beschäftigen sich dann unter anderem damit, wie man Maschinen menschlicher machen kann, um sie dann zum Beispiel in der Altenpflege einzusetzen. Mit solchen Themen, in denen Technik und Soziales oder Technik und Psychologie kombiniert werden, erreicht man wahrscheinlich eher einen höheren Frauenanteil. Das sind übrigens auch die Themen, die mich am meisten interessieren.

Stichwort Forscher: Ingenieure und Programmierer haben ein „Nerd-Image“. Ist es schwierig, bei der Recherchearbeit mit ihnen umzugehen?

Früher war das generell so bei vielen Wissenschaftlern: Sie wollten, dass man Projektberichte eins zu eins für die Leser abtippt. Heute haben Wissenschaftler ein viel größeres Verständnis dafür, dass man ihre Ergebnisse beim Aufbereiten für Otto Normalverbraucher vereinfachen muss.

Problematisch für die Recherche als Technikjournalist ist aus meiner Sicht etwas anderes. Es ist die Art und Weise, wie sich Unternehmen mit Journalisten über ihre Produkte austauschen. Heute dominiert eine völlig berechnende Marketing-Logik die Kommunikation der Firmen. Das beste Beispiel sind die Giganten Google, Facebook oder Apple. Apple sucht sich genau aus, wem der Konzern Produkte für Tests zur Verfügung stellt. Seit Jahren versuche ich zudem, bei solchen Konzernen Ansprechpartner zu bekommen, die nicht aus der PR-Abteilung kommen, aber das klappt nur mit großem Aufwand. Einmal hatte ich ein Interview mit dem Google-Chef von Europa – ich glaube, ich brauchte sechs Monate, um das hinzubekommen. Selbst Start-ups werden in ihrer Kommunikationspolitik immer repressiver, wie ich in letzter Zeit feststellen muss. Traditionelle Unternehmen wie Siemens oder Bosch sind meiner Erfahrung nach noch viel eher bereit, Ansprechpartner zur Verfügung zu stellen.

Von den Start-ups zu den Startern in den Journalismus: Würden Sie Nachwuchsjournalisten den Bereich Technik empfehlen?

Warum nicht? So, wie ich den Markt überblicke, gibt es in Deutschland nicht so viele Technikjournalisten – die Themen sind aber schier unerschöpflich. Auch mein Hauptthema, die Robotik, steht erst am Anfang ihrer Entwicklung. Und gerade an der Schnittstelle Digitales und Technik tut sich derzeit sehr viel. Man muss sich nur die ganzen Technik-Gadgets im Bereich Fitness, Alltagsplanung und so weiter ansehen. Interessanterweise haben viele dieser Technologien ihre Wurzeln in der Rüstungstechnik. Solche Themen sind allerdings nicht immer leicht unterzubringen – gerade wenn ich versuche, auch einmal die Perspektive der Soldaten zu berücksichtigen. In Deutschland gibt es eine Tendenz, alles was mit der Bundeswehr zu tun hat, grundsätzlich negativ zu sehen. Jedenfalls ist das ein Gebiet, das man im Auge behalten sollte.

Sie erwähnten gerade die Akquise. Wie funktioniert ihr Geschäftsmodell als freier Technikjournalist?

Immer wichtiger, das muss man ganz klar sagen, wird für mich und viele meiner Kollegen Corporate Publishing (CP) – obwohl die meisten darüber ungern sprechen. Über das Jahr verteilt macht CP bei mir inzwischen gut 40 Prozent meiner Einnahmen aus. Online mache ich nur noch wenig, weil das zu schlecht bezahlt wird. Eine positive Ausnahme ist zum Beispiel „Spektrum der Wissenschaft„. Dasselbe gilt für viele Tageszeitungen. Bei Regionalzeitungen lohnen sich nur Zweitverwertungen oder eben Beiträge für die Großen wie die „Süddeutsche Zeitung“. Am wichtigsten im Printbereich sind für mich Magazine wie die „Technology Review“. Für Journalisten lohnt sicher auch „brand eins“; das zuletzt genannte Magazin zahlt sehr gute Honorare.

Corporate Publishing wird immer wichtiger, meinten Sie. Wie kommen Sie hier an Aufträge?

Vieles läuft über größere Agenturen , die eine breite Palette von Unternehmenspublikationen betreuen, oder Agenturen, die sich auf Technikthemen spezialisiert haben. Zwei Beispiele unter vielen sind die Agenturen Muehlhausmoers und Fink & Fuchs.

Für mich hat sich dieses Vorgehen, Corporate Publishing über Agenturen zu machen, bewährt. Der große Vorteil ist, dass die einen immer wieder anfragen, wenn die Zusammenarbeit in der Vergangenheit gut lief, und man nicht immer eigene Themen vorschlagen muss. Außerdem zahlen die ganz gut. Ich möchte bei dieser Gelegenheit auch jüngeren Journalisten raten, sich nicht zu billig zu verkaufen. Gerade am Anfang ist der Druck sehr groß und man neigt dazu, auch schlecht bezahlte Aufträge anzunehmen. Wer aber viele schlecht bezahlte Jobs annimmt, erreicht ein angemessenes Monatsgehalt nur durch Quantität und darunter leitet dann über kurz oder lang der Ruf – dann ist es noch schwieriger, sich am Markt zu behaupten.

Zu ihren Artikeln: Wie recherchieren Sie?

Extrem wichtig für mich sind meine RSS-Feeds von News-Seiten und Blogs und Google Alerts, die ich mir über die Jahre aufgebaut habe. Die sichern mir einen breiten Überblick, um Technikthemen aufzustöbern, die noch nicht verbraucht sind. Außerdem lese ich viele Zeitschriften und Sachbücher. Wie jeder Journalist habe ich dann natürlich mein organisch gewachsenes Netzwerk aus Kontakten.

Tagungen und Messen spielen bei mir keine große Rolle. Die Redaktionen haben die dortigen Themen gut im Blick – als Freier brauche ich eher Ideen, die nicht so naheliegend sind. Zumindest aus meiner Sicht stimmen daher bei Messebesuchen Aufwand und Gewinn nicht überein. Messebesuche mache ich eigentlich nur, wenn dazu konkrete Aufträge zur Berichterstattung vorliegen. Oft ergeben sich auch Themen aus den Gesprächen mit Experten.

Zum Abschluss: Was ist für Sie Best Practice im Technikjournalismus?

Artikel, die gekonnt aufzeigen, welche Auswirkungen eine Technik auf die menschliche Gesellschaft hat. Es sollte nicht ausschließlich um die Frage gehen, was technisch möglich ist, sondern ob es auch gesellschaftlich sinnvoll ist.

Ein gutes Beispiel ist die Künstliche Intelligenz, bei der viel versprochen, aber auch viel Panik geschürt wird. Der Philosoph Nick Bostrom von der Universität Oxford zum Beispiel warnt unaufhörlich von den Gefahren einer „Superintelligenz“. Auch der Physiker Stephen Hawking fürchtet, eine Künstliche Intelligenz könnte das Ende der Menschheit bedeuten. Umgekehrt hofft der Futurist Ray Kurzweil, dass wir eines Tages unser Gehirn auf einem Rechner eins zu eins nachbilden und auf diese Weise künstlich ewig weiterleben können. Da braucht es Stimmen, die übertriebene Erwartungen und Ängste relativieren. Technikgeschichten, die solche kritischen Analysen bieten, bringt zum Beispiel das US-Magazin „The Atlantic“.

Herr Hänßler, vielen Dank für das Gespräch.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Boris_HaensslerBoris Hänßler, Jahrgang 1973, ist freier Technikjournalist in Bonn. Er studierte Komparatistik in Bonn und Coimbra. Seit 2006 schreibt er über Themen der Informationstechnik, insbesondere Robotik und Künstliche Intelligenz. Seine Artikel erscheinen unter anderem in Technology Review, Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online und Focus.

 

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