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Aus Liebe zur Ferne – Reisejournalisten unter der Lupe

Ausgewählte Ergebnisse einer Onlinebefragung zum beruflichen Handeln und Denken von Reisejournalisten

Die Deutschen sind krank. Die Diagnose heißt Fernweh. Kaum ein Volk liebt das Reisen so sehr wie die Bürger der Bundesrepublik. Der deutsche Reisesektor generiert eine größere Gesamtwertschöpfung als die Automobil- und die Finanzdienstleistungsbranche. Kein Wunder also, dass nicht etwa an Produktinformationen zu Autos oder Smartphones hierzulande das größte Interesse besteht, sondern an dem Produkt „Reise“. Aber wer sind eigentlich die Journalisten, die über das Reisen berichten?

Beim Informieren über Reisen kommen die Massenmedien ins Spiel. Diese bieten durch ein immens differenziertes Angebot zu touristischen Themen eben diese nachgefragten Informationen. In den Printmedien, im Fernsehen, im Radio und im Internet finden sich viele Publikationen und Formate, die sich speziell der Reisewelt widmen.

Der Einfluss der Massenmedien

Die gesellschaftliche Relevanz des Reisens ermöglichte die Etablierung des Reisejournalismus als eines der bedeutendsten journalistischen Fachressorts. Dies wiederum legitimiert dessen wissenschaftliche Beachtung, denn massenmediale Reiseberichterstattung besitzt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. Bei der großen Zahl der den Reisenden zur Verfügung stehenden touristischen Ziele sind es die Massenmedien und damit die Reisejournalisten, die mitbestimmen können, welche Destinationen in das Bewusstsein der Menschen rücken. Damit übernehmen sie eine Vorauswahl für die spätere Urlaubsentscheidung.

Beiträge über ferne Länder und Kulturen haben zudem das Potenzial, Erwartungshaltungen zu schaffen, aber auch das bestehende Bild zu verzerren: Das heißt, sie können ein in der Bevölkerung bestehendes Bild von der jeweiligen Region beeinflussen. Diese von Medien vermittelten Images sind nicht nur für jene von Bedeutung, die auf der Suche nach dem nächsten Reiseziel sind – vielmehr wirken sie im Rahmen der bildenden und sozialisierenden Funktion der Massenmedien auf alle Menschen, die Reisejournalismus rezipieren. Dessen Präsentationen formen individuelle Bilder von Ländern mit, denn viele Orte – gerade die exotischsten – sind dem größten Teil des Publikums nicht aus eigener Erfahrung bekannt bzw. werden wohl nie besucht werden. Reisejournalismus gestaltet also das Weltbild mit und beeinflusst, ob man sich ein realistisches oder von Pauschalisierungen und Stereotypen durchsetztes Bild fremder Orte und Gebräuche macht.

Der Reisejournalist – das unbekannte Wesen

So allgegenwärtig und einflussreich die massenmediale Reiseberichterstattung ist, so anonym sind leider auch jene, die diese produzieren, also Form und Richtung ihrer Wirkung vorgeben. Darüber, wie Reisejournalisten in ihrem beruflichen Alltag handeln und denken, ist wenig bekannt.

Eine Onlinebefragung setzte sich nun das Ziel, dies zu ändern. Sie nutzte hierzu das Expertenwissen führender Reisejournalisten Deutschlands. Die Teilnehmer der Befragung qualifizierten sich dadurch, dass sie Mitglied einer Berufsvereinigung für Reisejournalisten sind, der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ): In diese wird man nur aufgenommen, wenn man unter anderem durch Arbeitsproben ein professionelles Verhältnis zur Reisejournalistentätigkeit nachweisen kann.

Unter dieser Voraussetzung wurden 127 Journalisten eingeladen, an der Onlinebefragung teilzunehmen. 41 davon sagten zu und nahmen sich die Zeit dafür. Anhand eines Vergleichs von ausgewählten soziodemografischen Variablen zeigte sich, dass diese Stichprobe ein nahezu exaktes Abbild aller eingeladenen Journalisten repräsentierte. Die Ergebnisse der Befragung können somit als für die Grundgesamtheit repräsentativ bezeichnet werden.

Leidenschaft für die Ferne lockt in das Ressort

Nur ein geringer Teil der Befragten ist seit Beginn des Berufslebens im Reisejournalismus aktiv. Der Großteil fand erst in späteren Karrierephasen als Quereinsteiger den Weg in das Ressort. Dieser Schritt war für die meisten kein Zufall, sondern Ergebnis einer bewussten Entscheidung für den reisejournalistischen Beruf. Diese wurde meist aus einer Kombination aus Leidenschaft für Journalismus und der Freude am Reisen getroffen. Oft kehrte man anderen Ressorts oder anderen Berufen den Rücken.

Hatte der Großteil der Befragten zum Zeitpunkt des Einstiegs in das Ressort zwar schon journalistische Erfahrung bzw. eine journalistische Ausbildung, so ist eine touristische Lehre oder ein entsprechendes Studium die Ausnahme. Die für die Bearbeitung des komplexen Themenfeldes „Reise und Tourismus“ erforderlichen Kenntnisse erarbeitete man sich auf eigene Faust „on the job“, durch „learning by doing“. Dies tut die große Mehrheit der Angehörigen der VDRJ als völlig freie Berichterstatter und bestätigt damit das Bild vom Reise-Ressort als Tummelplatz für Freelancer.

Arbeitsverhältnis

Reisejournalismus allein reicht zum Leben meistens nicht

Das oft vermutete romantische Bild vom unabhängigen Urlaubsschreiber, der durch die Welt reist und dafür auch noch bezahlt wird, entspricht jedoch meist nicht der Realität. Zu großen Teilen finanzieren die Reiseberichterstatter ihren Lebensunterhalt nämlich nicht nur mit der Arbeit für die Reisethemen, sondern bringen ihre Talente zusätzlich in Nebentätigkeiten ein. Trotzdem schätzen die Journalisten ihre redaktionelle Unabhängigkeit und wollen sie trotz schwieriger Bedingungen auf dem Markt des freien Journalismus nicht aufgeben.

Der Arbeitsalltag der Befragten ist geprägt durch großes Engagement. So findet man Inspiration für Themen nicht vorrangig am heimischen Schreibtisch – etwa durch Informationsdienste, Onlinerecherche oder die mitunter von Marketingabsichten geprägten Anregungen von Tourismusunternehmen oder Fremdenverkehrsämtern. Am liebsten spüren die Journalisten die Themen „vor der Tür“, in der Ferne, auf. Die dazu nötigen Reisen finanzieren sie üblicherweise selbst. Auch private Urlaubsreisen werden häufig genutzt, um Themen für Berichte zu finden.

Berichte über Reiseziele: Nähe übertrumpft Exotik

Aber was ist nach Meinung der Reiseprofis berichtenswert und was nicht? Favorisiert werden Reiseziele, denen der Vorrang vor Servicethemen gegeben wird. Die einfacher zu erreichenden Regionen Europas gelten als wertvoller für ein Thema als ausgefallene, exotische Regionen anderer Kontinente. Überraschende „Aha-Momente“ will man vor allem durch die Präsentation von Neuem im Bekannten bieten. Reiseziele sind zudem das häufigste Thema, wenn es um Spezialisierung innerhalb des Reisejournalismus geht.

Themenbereiche

Argwohn gegenüber Recherchehilfen aus der Reisebranche

Bei der Recherche werden Informationen primär aus Quellen gewonnen, die viel Eigeninitiative fordern. Favorisiert wird das persönliche Gespräch mit Einheimischen. Quellen, von denen die Gefahr interessengeleiteter Einflussnahmen auf die Berichterstattung ausgehen kann, behandeln die Journalisten skeptisch. Informationsmaterial von touristischen Unternehmen wird zwar vereinzelt genutzt, man lässt es die Recherche jedoch nicht beherrschen.

Gleiches gilt für die teils verlockenden Pressereisen touristischer Anbieter: Als zwar generell hilfreich für Reisejournalisten bewertet, zeigt man trotzdem abwägende Umsicht und nimmt Einladungen hierzu nur gelegentlich an. In einem Ressort, das aufgrund einer den neutralen Journalismus gefährdenden Nähe zum Berichterstattungsgegenstand oft ein dubioses Image besitzt, zeigen sich die Befragten somit verantwortungsbewusst.

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Bewusstsein des eigenen Einflusses

Ähnlich groß ist das Bewusstsein für den eigenen Einfluss auf die Reisepläne und das Weltbild des Publikums. Auch wenn man sich der unterhaltenden Funktion des Reisejournalismus gewahr ist und dem Publikum immer auch Zerstreuung und Muße bieten möchte, gibt man journalistischen Idealen stets Priorität. Als Hauptaufgabe sehen die Befragten nämlich eine objektive Berichterstattung mit einer realistischen Abbildung der Welt. Besonderes Fingerspitzengefühl wird daher im Umgang mit stereotypisierten Darstellungen von Ländern und Kulturen bewiesen: Man ist primär missionarisch unterwegs und möchte diese korrigieren, auch auf die Gefahr hin, damit Publikumserwartungen zu enttäuschen.

Im reisejournalistischen Feld, das sich zwischen den Polen Information und Unterhaltung erstreckt, wird so eine Position als umsichtiger Infotainer eingenommen – und zwar langfristig, denn man ist sich sicher: Die Informationsfunktion des eigenen Ressorts wird infolge der aktuell stetig steigenden Informationsflut an Bedeutung gewinnen. Man distanziert sich somit von oft zu vernehmenden Einschätzungen, die Reisejournalisten zukünftig ausschließlich als Geschichtenerzähler sehen, die Startbahnen zu mentalen Reisen bieten.

Leidenschaft für das Thema größer als das Verlangen nach Geld und Ansehen

Bei allem Optimismus verschließt man aber nicht die Augen vor negativen Aspekten des Berufes. Gerade die finanziell begrenzten Möglichkeiten der Tätigkeit und die Vorwürfe, man sei verlängerter Arm der Reiseindustrie, sind ein Stimmungsdämpfer: Man hadert mit der Höhe der Bezahlung und antwortet auf Fragen nach Beliebtheit bei Publikum und Kollegen zurückhaltend, scheint sich also darüber im Klaren, dass das eigene Ressort noch immer mit Vorurteilen verbunden ist.

Erneute Berufswahl

Und dennoch: Gäbe man den Befragten die Gelegenheit, erneut einen Beruf zu wählen, so würde sich die deutliche Mehrheit wieder für die Berichterstattung über die Reisewelt entscheiden. Es zeigt sich also: Eines ist bedeutender als mehr Geld oder ein glänzendes Image. Es ist jene intrinsische Motivation, die einst aus anderen Ressorts oder Berufen in den Reisejournalismus lockte. Es ist das, was motivierte, sich selbstständig in die Komplexität des Reisesektors einzuarbeiten und im Dienste journalistischer Ethik und Faktizität auf teils reizvolle Verlockungen der Tourismusbranche zu verzichten. Es ist dies jener gemeinsame Nenner, der unter dem gesamten beruflichen Denken und Handeln der befragten Reisejournalisten steht und dem Berufsbild am Ende doch noch einen Hauch Romantik verleiht: Es ist die Möglichkeit, die eigene Freude am objektiven Berichten verbinden zu können mit einer echten Liebe für die Ferne.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Andre Rieger 2Der Autor André Rieger machte eine Ausbildung zum Reiseverkehrskaufmann. Im Anschluss studierte er Publizistik, Amerikanistik und BWL in Mainz und Texas. Er forscht und promoviert gegenwärtig im Themenbereich Medien und Tourismus und ist als Steward und Human-Factors-Trainer für eine große deutsche Fluggesellschaft tätig. Kontakt: andre.rieger@uni-mainz.de

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