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Der neue Umgang mit Lesern

Was Fachjournalisten von Huffington Post und Buzzfeed lernen können

Keine Debatte kommt ohne sie aus: Die Huffington Post und Buzzfeed sind zwei Publikationen, die früher oder später in Diskussionen um die Zukunft des Journalismus immer wieder genannt werden. Was machen sie in Deutschland anders als die etablierten Medien? Und können Fachjournalisten daraus etwas lernen? Eine Annäherung.

Der Unterschied besteht nur aus ein paar Buchstaben hinter einem Punkt. Doch diese sagen viel darüber aus, wie unterschiedlich die beiden Onlinemedien Buzzfeed und Huffington Post in Deutschland agieren. Die deutsche Ausgabe der Huffington Post ist unter der eigenen Domain huffingtonpost.de zu erreichen und agiert unabhängig von der Mutterausgabe. Das deutsche Buzzfeed dagegen hat keine eigene Domain. Wer Buzzfeed.de im Browser eingibt, landet auf der Seite buzzfeed.com. Eine eigenständige und unabhängige deutsche Ausgabe gibt es also nicht, nur deutschsprachige Artikel innerhalb der Buzzfeed-Seite.

Dennoch haben beide Publikationsorgane einiges gemeinsam: Beide sind in den USA entstanden, unabhängig von Verlagen, haben in wenigen Jahren ein enormes Publikum erreicht und verbreiten neben redaktionellen Inhalten auch User-generated Content, also Beiträge von Nutzern, die diese kostenlos zur Verfügung stellen. Ihre größte Stärke liege aber im Umgang mit den Lesern, findet Stephan Weichert, Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hochschule Macromedia in Hamburg: „Beide haben verstanden, wie das Dialogprinzip funktioniert. Sie initiieren und nehmen an Debatten mit den Nutzern teil.“

Sebastian Matthes

Sebastian Matthes (Huffington Post): „Social ist die neue Startseite“.

Der Chefredakteur der Huffington Post, Sebastian Matthes, formuliert das in einem Beitrag über den Medienwandel so: „Wo der Leser schon beim Wandel von print zu online in den Mittelpunkt rückte, wird er nun, als Leser und Multiplikator der Nachrichten über Facebook, noch viel, viel wichtiger.“ Eine Aussage, die wohl auch Buzzfeed-Chefredakteurin Juliane Leopold so unterschreiben würde.

Ist das denn überhaupt noch Journalismus? Natürlich, findet Weichert: „Journalismus hat bestimmte Grundregeln: die Berufsethik oder die Notwendigkeit von Recherche. Ist das erfüllt, ist es Journalismus. Das, was als Endprodukt entsteht, muss sich aber wandeln dürfen.“

Respekt haben sich die beiden Webseiten in der traditionellen Journalismus-Welt durch investigative Recherche erarbeitet. Der Huffington Post brachte das in den USA sogar einen Pulitzer-Preis ein. Buzzfeed hat Korrespondenten in der Ukraine und berichtet über den Kampf gegen Ebola in Westafrika. Die deutschen Ableger konnten in dieser Hinsicht jedoch bisher noch nicht glänzen.

Journalismus ja – aber anders

Es läuft also darauf hinaus: Journalist ist, wer journalistisch arbeitet. Buzzfeed will sich an diesen Ansprüchen messen lassen. Das zeigt sich an ihrem „Editorial Standards and Ethics Code“, der zu Jahresbeginn veröffentlich wurde. Darin hat das Zwei-Quellen-Prinzip genauso Platz wie der transparente Umgang mit Verbesserungen, aber auch Verhaltenshinweise für Situationen, die es so erst seit wenigen Jahren gibt: Keine Selfies mit Prominenten!

Das Internet verändert den Journalismus auch sprachlich. „Viele Medien denken da bisher zu konventionell“, findet Weichert. Titel, Teaser und Text sind auch im Digitalen eine gängige Form. Dazu kommen neue Darreichungsformen: Eine der bekanntesten ist das „Listicle“. Der Begriff bezeichnet Inhalte, bei denen Schlagworte aufgelistet und mit kurzen Kommentaren, Bildern oder Videos versehen werden. Das Format scheint gerade für Social-Media-Nutzer sehr attraktiv zu sein. Immer mehr Medien adaptieren es für ihre jeweilige Zielgruppe.

Die Huffington Post Deutschland und Buzzfeed Germany finanzieren sich über Werbung. Buzzfeed sucht dabei nach globalen Werbepartnern, nicht nach nationalen, deren Werbung sich auf ein Land bezieht – ein Ansatz, der widerspiegelt, dass es keine selbstständigen nationalen Ableger gibt. Bei beiden News-Anbietern ist Native Advertisement zu finden, also Werbung, die aussieht wie redaktionelle Inhalte. Bei dieser Finanzierungsform scheiden sich die Geister: Ist das der Ausverkauf des Journalismus oder eine notwendige Art der Einnahmen, ohne die es nicht geht?

Expansion: zwei unterschiedliche Modelle

Die Huffington Post setzt jedenfalls bei der weltweiten Expansion nicht nur auf diese diskutable Art der Finanzierung, sondern auch auf einheimische Verlage als Partner. In Deutschland ist das die Burda-Tochter Tomorrow Focus, in Spanien El País, in Frankreich Le Monde. Eine Kooperation mit einem etablierten Verlag verspricht Aufmerksamkeit beim Start – und hat finanzielle Vorteile.

Aber auch Nachteile, wie Tobias Schwarz, Blogger und Projektleiter des Onlinemagazins Netzpiloten.de, findet: „Bis auf das Logo und das Design hat Huffington Post in Deutschland nichts mit der US-Ausgabe gemeinsam.“ Der als Kritiker der Huffington Post Deutschland bekannte Blogger meint das nicht als Kompliment. In den USA habe die Huffington Post große Bedeutung, weil sie als eines der wenigen Medien beiden politischen Polen eine Plattform biete, sagt Schwarz. „In Deutschland ist sie für mich an den Boulevard verloren. Sie ist nicht mehr als ein Abklatsch von Focus Online. Ich bin maßlos enttäuscht.“ Auch Stephan Weichert ist nicht ganz überzeugt: „Das Modell ist etwas in die Jahre gekommen.“

Buzzfeed dagegen sammelt Investorengelder, inzwischen fast 100 Millionen US-Dollar. Der größte Coup waren 50 Millionen US-Dollar des bekannten Risikokapitalgebers Andreessen Horowitz, der Buzzfeed nicht als Content-Firma sieht, sondern als Technologieunternehmen.

Die Rolle der sozialen Medien

Der Ruf als Technologieunternehmen gründet sich darauf, wie Buzzfeed Daten sammelt und auswertet. Ein Beispiel, das die Chefredakteurin Juliane Leopold bei einer Veranstaltung im Hamburger Betahaus beschrieben hat: Alle Autoren geben nicht nur ihren Text ab, sondern auch vier bis fünf verschiedene Überschriften und Vorschaubilder, die auf der Startseite erscheinen. Dort werden die Varianten zufällig aufgespielt. Diese statistische Methode bestimmt die Kombination, die am meisten Erfolg verspricht, und dann in den sozialen Medien geteilt wird.

Juliane Leopold (Buzzfeed Deutschland): Die statistische Methode bestimmt die Kombination, die am meisten Erfolg verspricht.

Juliane Leopold (Buzzfeed Deutschland, Foto: Caroline Pitzke): Die statistische Methode bestimmt die Kombination, die am meisten Erfolg verspricht.

Buzzfeed zeigt Geduld mit seinen Inhalten. Sie sind selten nachrichtengetrieben und können deshalb auch nicht veraltet sein: „Wenn das Stück heute nicht funktioniert, dann warten wir, bis es die richtige Community erreicht“, sagt Leopold in Hamburg. Die Viralität, nach der Buzzfeed strebt, entsteht innerhalb bestimmter Interessengruppen: „Sie gehen extrem in die Nische“, sagt Blogger Schwarz.

Auch für die Huffington Post mit ihrem Sitz in München sind die sozialen Medien zentral. Chefredakteur Sebastian Matthes propagiert sogar: „Social ist die neue Startseite“. Soziale Medien, allen voran Facebook, sind Verbreitungskanal, Kommunikationsplattform und Recherchewerkzeug in einem. Diese Ansicht beschert der Huffington Post Besucher, die zu einem Drittel über soziale Medien kommen – eine deutlich höhere Zahl als bei anderen Nachrichtenseiten, bei denen diese Art des Traffics häufig die 15 Prozent nicht übersteigt.

Über 100.000 Fans bei Facebook haben also großen Anteil daran, dass die Seite anderthalb Jahre nach ihrem Start bei dem Dienst SimilarWeb, der Zugriffszahlen abschätzt, die Nummer 31 in der Kategorie „News and Media“ in Deutschland (Stichtag: 22.04.2015) ist: Weit hinter Schwergewichten wie Spiegel Online, Focus Online oder Welt.de, aber immerhin vor den Onlineausgaben des Tagesspiegels und des Handelsblatts.

Buzzfeed bezieht sogar die Hälfte der User über Facebook, Twitter oder andere Social-Media-Plattformen. Während die Huffington Post konventionell Links zur Webseite postet, gilt Buzzfeed als Vorreiter darin, beispielsweise Videos direkt im Facebook-Stream zu posten ­– ohne unbedingt den Klick zur Webseite provozieren zu wollen.

Buzzfeed-Gründer Jonah Peretti hat vor Kurzem beim South by Southwest-Festival, einer der zentralen Konferenzen für Entwicklungen der Tech-Industrie, die Beziehungen zu anderen Plattformen skizziert: Buzzfeed ist es grundsätzlich egal, wo Inhalte publiziert werden – solange Nutzer sie konsumieren. Buzzfeed-Content gibt es deshalb neben der eigenen Webseite und App auf allen Kanälen, bei denen Buzzfeed zwei Dinge bekommt: „Daten, damit wir weiter lernen, was unsere Nutzer wollen. Und Einnahmen, um weiter investieren zu können“, sagte er dem Technologie-Magazin Re/Code. Dabei haben sich vier soziale Netzwerke heraus kristallisiert: Facebook, YouTube, Twitter und Pinterest.

Nächste Hürde: Mobile

Die nächste Herausforderung steht bereits in den Startlöchern: Journalismus findet immer mehr auf Smartphones statt. Das ohnehin schon herausfordernde Geschäftsmodell, das auf Werbung basiert, erhält ein zusätzliches Schwierigkeitslevel: Wo sollen auf den kleinen Displays noch Banner untergebracht werden?

Was allerdings auf Smartphones funktioniert, sind Apps, allen voran Facebook, deren Marktmacht im Mobile-Bereich noch stärker ist. Nicht zuletzt deshalb soll bald Wirklichkeit werden, was man schon lange munkelt: Facebook soll nicht mehr nur Inhalte verteilen, sondern selbst bereitstellen. Mehrere Medien sollen mit Facebook gerade darüber verhandeln. Wenig überraschend: Unter ihnen ist Buzzfeed – aber auch die New York Times und National Geographic. Unklar ist noch das Geschäftsmodell. Wahrscheinlich ist eine Aufteilung der Werbeeinnahmen, so wie das Facebook und die amerikanische Football-Liga NFL bereits beim letzten Superbowl ausprobiert haben.

Journalismusforscher Weichert sieht eine solche Zusammenarbeit kritisch: „Redaktionelle Inhalte nur noch für Social Media zu erstellen, finde ich schwierig. Medien geben damit Webseiten als Anker auf. Letztendlich hat dann Facebook die Kontrolle über die Inhalte.“ Damit einher geht eine noch größere Abhängigkeit von Facebook – die vielleicht unvermeidbar ist. „Ich bin unsicher, ob es grundlegend ohne Abhängigkeit geht“, sagt Tobias Schwarz. Optimieren die einen für Google und seine Suchmaschine, tun das Buzzfeed oder die Huffington Post für soziale Medien. „Sie tauschen Google einfach gegen Facebook.“

Fazit: Vier Lehren für Fachjournalisten

  1. Technologie nutzen: Digitale Werkzeuge sind nicht bloß Mittel zum Zweck. Sie sind ein Wettbewerbsvorteil.
  2. Social Media – mehr als die eigenen Inhalte verlinken. Diskussionen, Recherche oder Inhalte direkt dort posten: Es geht immer noch ein bisschen mehr – auch wenn es nicht ohne Risiko ist.
  3. Schreiben für das Internet: Die kurze Überschrift mit dem intelligenten Wortspiel funktioniert im Print wohl besser als im Internet. Dort sind die Regeln andere, ein Cliffhanger in der Überschrift nur selten eine schlechte Idee.
  4. Wer sich gerade im Onlinejournalismus eingerichtet hat, soll es sich nicht zu bequem machen: Die neueste Herausforderung ist das mobile Internet – sie reißt die Finanzierung über Werbebanner möglicherweise endgültig in den Abgrund.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Brunner_KatharinaDie Autorin Katharina Brunner, Jahrgang 1988, hat Volkswirtschaftslehre in Regensburg studiert und volontiert derzeit bei der Mittelbayerischen Zeitung. Ihre Schwerpunktthemen sind Netzökonomie und digitaler Journalismus – darüber hat sie u. a. für Wired.de und Netzpiloten.de geschrieben. Unter katharinabrunner.de bloggt sie, auf Twitter ist sie unter dem Namen @cutterkom zu finden.

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