RSS-Feed

Der Ruf nach exzellenten Fachjournalisten wird lauter

Die Corona-Pandemie hat gnadenlos verdeutlicht, wie wichtig Fachkompetenz in journalistischen Beiträgen ist. Das Virus steckt in einer Dauerschleife, die den Rezipienten wenig Erkenntnisgewinn liefert. Doch nicht alle Redaktionen verspielen in der bloßen Berichterstattung über das Virus ihr Alleinstellungsmerkmal als Medienmarke und werden austauschbar. Einige ergreifen auch die Chance und muten den Rezipienten neuerdings sogar evidenzbasierten Wissenschaftsjournalismus zu.

Dieses Jahr ist auch für den Journalismus kein leichtes. Der Druck, täglich über die Corona-Pandemie informieren zu müssen, verstellt den Blick auf das Wesentliche. Die Berichterstattung mag ausführlich sein, kritisch und einordnend ist sie jedoch selten. Die Medien schalten gern in den „Repeat-Modus“ und sorgen permanent für Verwirrung, wie auch der Medienwissenschaftler Michael Haller in seinem Beitrag „Corona-Krise und die Medien“ beschreibt.

Nur wenige Redaktionen erkennen, dass genau jetzt die Zeit für mehr fachliche Kompetenz in den journalistischen Beiträgen gekommen ist − ohne dabei in wissenschaftliche Ausarbeitungen verfallen zu müssen. Dabei könnten sie damit die Hoheit über die Berichterstattung zurückgewinnen und sich von den Verlautbarungen der Politiker und Virologen abheben. „Die Corona-Krise hat gezeigt, wie groß der Bedarf an qualitativ hochwertigem Fachjournalismus ist. Wir haben eine eigene Wissenschaftsredaktion, die wir mit freien Wissenschaftsjournalistinnen im Bereich Gesundheit verstärkt haben“, sagt dann auch der Chefredakteur der Frankfurter Rundschau, Thomas Kaspar.

Leider ist er neben der Chefredaktion des Stern (Gruner + Jahr) und der Zeit, die sich nicht an der Umfrage beteiligen wollten, der Einzige, der sich auf den Rundruf an insgesamt elf Chefredakteure von regionalen und überregionalen Zeitungen sowie Zeitschriften wie etwa Volksstimme, Hannoversche Allgemeine, Rheinische Post, Badische Zeitung, Sächsische Zeitung, Spiegel, Der Tagesspiegel oder Hessische/Niedersächsische Allgemeine überhaupt zurückgemeldet hat. Die Frage war, ob es in den Redaktionsstuben einen Erkenntnisgewinn über eine möglicherweise mangelnde Fachkompetenz in den Redaktionen gegeben habe, die für die aktuelle Berichterstattung und vor allem die Einordnung und Themensetzung als problematisch empfunden wurde. Thomas Kaspar reagierte innerhalb weniger Minuten und verwies sogleich auf viele Neuerungen in der Berichterstattung, etwa auf eine „feste wissenschaftliche Kolumne“, die jeden Tag veröffentlicht würde, sowie auf „zahlreiche eigene Fakten-Checks und Dossiers, zum Teil als eigene Lexikon-Beilagen zum Herausnehmen“. Die Frankfurter Rundschau glaube an Wissenschaft und gebe ihr Raum, um auch durch „tolle Journalistinnen“ vermittelt zu werden. „Wir säen Aufklärung, Haltung und konstruktiven Journalismus durch wissenschaftliche Fundierung und klare Fokussierung auf die Bedürfnisse der Menschen (siehe auch dieses Beispiel zur Mondlandung). Wir ernten die beste und loyalste Leserschaft“, betont der Chefredakteur.

Konstruktiver Journalismus als Lösung?

Für einen „Konstruktiven Journalismus“ plädiert auch die Neurowissenschaftlerin Maren Urner, die sich in ihrem Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“ vornehmlich unseren überforderten Gehirnen widmet, die mit der modernen Informationsflut nicht zurechtkommen. Dabei bezieht sie sich nicht einmal auf die Berichterstattung in der Corona-Pandemie und fragt dennoch: „Wie kann Journalismus aussehen, der uns nicht mit einem zu negativen Weltbild gestresst und hilflos zurücklässt?“

Maren Urner: „Journalisten brauchen Fachwissen und müssen im Team arbeiten.

Maren Urner hat festgestellt, dass die weitverbreitete Journalisten-Maxime, die Berichterstattung nach dem Leitsatz „bad news are good news“ auszurichten, weil sich die Menschen über die beschriebenen Zustände dann empören, nicht nur falsch, sondern auch „hochgradig problematisch“ ist. „Alles, was wir aus der Psychologie über das Thema wissen, widerspricht dieser weiterverbreiteten journalistischen Überzeugung“, schreibt sie. Das Modell des „Konstruktiven Journalismus“ hingegen, das in der Journalismusforschung und Journalistenausbildung längst Anerkennung gefunden hat, betrachtet Journalismus durch eine konstruktive Brille, „die mich als Trägerin ständig daran erinnert, immer und überall zu fragen: Was jetzt?“, sagt Urner. Sie möchte ermutigen, „eine gehörige Portion Demut vor sprachlichen Unzulänglichkeiten“ und vor „der eigenen Begrenztheit“ aufzubringen. Die Welt da draußen sei komplex und alles, was es über sie zu erfahren gebe, sei immer nur ein kleiner Ausschnitt. „Dieser wiederum ist sowohl von der Wahrnehmung und Weltanschauung der Menschen geprägt, die mir von ihr erzählen, als auch von meiner eigenen Geschichte, meinen persönlichen Überzeugungen und meinen kognitiven Unzulänglichkeiten“, schreibt sie in ihrem Buch.

Maren Urner: „Viele Journalisten sind im Alltag aus Zeit- oder sonstigen Gründen nicht in der Lage, den Teil der methodischen Einschränkungen, die sogenannten Limitations, nachzulesen. Wären sie es, würden sie auch öfter feststellen müssen, dass die Ergebnisse keiner Erwähnung wert sind.

Ist es Aufgabe von Journalismus, Lösungen für alles zu bieten?

Doch kann Journalismus nicht nur Missstände aufzeigen, sondern auch die Lösungen für alle Übel der Welt mitliefern? Welche Rolle können Fachjournalisten dabei spielen und wer ist überhaupt ein Fachjournalist?

Prof. Dr. Beatrice Dernbach, Fotocredit: privat

Die Professorin für „Praktischen Journalismus“ im Studiengang Technikjournalismus an der Technischen Hochschule Nürnberg, Prof. Dr. Beatrice Dernbach, ist skeptisch: „Ist es Aufgabe von Journalismus, für alles Lösungen zu präsentieren?“, fragt sie. Seit Jahrzehnten lehrt sie unter anderem in den Bereichen Journalismusforschung und Fachjournalismus und sagt: „Selbstverständlich soll der Journalismus bei vielen Quellen Lösungsvorschläge sammeln und diese nach den Vorstellungen des evidenzbasierten Journalismus auch verlässlich überprüfen und darstellen. Dennoch habe ich noch ein eher traditionelles Verständnis von Journalismus im Hinblick auf Informieren, Kritisieren und Kontrollieren und damit zur Meinungsbildung beitragen.“

Die Medien sieht sie unter enormen Druck. In der Corona-Pandemie sei vielen Redaktionen bewusst geworden, dass es nicht nur eine Wissenschaft gibt, sondern innerhalb der Wissenschaft auch die verschiedensten Disziplinen − sowie einen Ethikrat und Rechtswissenschaftler. „Jetzt braucht es eben nicht die Eier legende Wollmilchsau, sondern Journalisten, die wissen, wie in der Wissenschaft gearbeitet wird und was ihre Methoden sind“, sagt Dernbach. Die Expertise sei − gerade im freien Journalismus − vorhanden. Lediglich das Verständnis von Journalisten als Dienstleister müsse zunehmen, damit spezialisiertes Wissen eingekauft werden könne.

Prof. Dr. Maren Urner, Fotocredit: Michael Jungblut

Maren Urner empfiehlt ebenfalls, auf Fachjournalisten zurückzugreifen, die idealerweise über theoretische und praktische Fachkenntnisse verfügen. „Wenn ich als Neurowissenschaftlerin für einen Artikel eine Neurowissenschaftlerin interviewe, kann ich andere Fragen stellen als jemand, dem dieser fachliche Hintergrund fehlt. Das Gleiche trifft auf die Recherche von Quellen zu: Statt nur die Pressemitteilungen zu lesen, kann ich auch eine Originalstudie einordnen und dazu Fragen stellen“, sagt sie.

Dennoch wird Fachjournalisten und im konkreten Fall der Corona-Berichterstattung den Wissenschaftsjournalisten, die früher übrigens als die Experten schlechthin galten, heute meist gar keine Kompetenz mehr zugestanden. Das Vorurteil überwiegt, dass diese Journalisten ihr Wissen nicht verständlich präsentieren könnten. Deshalb werden dann lieber gleich die Virologen als Experten präsentiert, die in diesem Jahr − wie das Beispiel des NDR-Podcasts mit Christian Drosten zeigt − zu Medienstars aufgestiegen sind.

Lieber Experten anstatt Journalisten?

Dr. Daniel Nölleke, Fotocredit: Michael Winkelmann

Aus der Distanz beobachtet die Journalismusforschung diese Entwicklung jedoch eher kritisch: „Viele Virologen sind gar nicht in der Lage, ihr Wissen rüberzubringen“, sagt dann auch Dr. Daniel Nölleke, der 2012 mit der Dissertation „Experten im Journalismus“ promovierte und heute an der Universität Wien forscht. Er sieht Journalisten auf einem riesigen Drahtseilakt bei dem Spagat, dieses Wissen zu vermitteln, daneben aber viele andere Dinge im Journalistenalltag leisten zu müssen. „Ich glaube, dass Journalisten meist viel kompetenter sind, als sie in ihren Beiträgen darstellen können“, sagt er. Deshalb sollten Journalisten es nicht nur „der Selbstdarstellung der Experten überlassen, die Dinge zu erklären“.

Es stelle sich die Frage, wie sehr Journalisten auch „Knowledge-Broker“ sein sollten. „Im NDR-Podcast bekommt Drosten oft Stichworte geliefert. Die Journalistinnen wählen die Themen, aber die Expertise vermittelt alleine der Virologe“, sagt Nölleke. Er kritisiert das mangelnde Verständnis für die Fachjournalisten. „Jetzt wäre gerade die Zeit, sich abzugrenzen von dem ganzen Geschrei und der reflexhaften Auswahl der immer wiederkehrenden Experten. Es ist die Zeit, in der man seine solide Fachexpertise darstellen kann“, sagt er. Wenn sich mit diesem Ansatz ein Stück weit die Aufregung nehmen ließe, wäre das für alle ein Gewinn.

Uwe A. Kohrs, Fotocredit: privat

Auch der Vorsitzende des Deutschen Rats für Public Relations (DRPR), Uwe A. Kohrs, der die Arbeit der PR-Agentur Storymachine für die Studie des Virologen Hendrik Streeck gerügt hat, wünscht sich Entwirrung: „Ich finde es problematisch, Virologen auf die Öffentlichkeit loszulassen. Da treffen zwei Welten aufeinander, die sich nicht verstehen“, sagt er. Der Stil von Wissenschaftskommunikation laufe dem Interesse von Laien im Medienpublikum schließlich diametral entgegen. „Laien erwarten Wahrheiten, während Wissenschaftler den Diskurs suchen und dadurch primär Verwirrung stiften. Gerade hier bräuchten wir Journalisten, die dies als Filter für uns einordnen und übersetzen“, mahnt er. Jeden Tag werde die Sau wieder neu durchs Dorf getrieben. Dabei versuche jeder, inklusive der Kanzlerin, das Narrativ zu bestimmen und ungefiltert am Medienmarkt durchzukommen. „Hier wären ein paar Regeln für den Umgang mit wissenschaftlichen Themen hilfreich. Wir arbeiten im DRPR daran und versuchen derweil, die schlimmsten Fehlschüsse wie zum Beispiel im Storymachine-Fall der Heinsberg-Protokolle aus dem Verkehr zu ziehen“, so Kohrs. Es werde Zeit, dass Verlage wieder ein Verständnis für ihr Kerngeschäft entwickelten und ihr journalistisches Produkt stärkten. Angesichts der Content-Flut in sozialen Medien und im Mainstream brauche es eine klare Positionierung als Lieferant qualifizierter Hintergrund- und Wissensstories.

Neue Ansätze für den Fachjournalismus?

Diese qualitativ hochwertigen Informationen liefern bereits einige öffentlich-rechtliche Medien. Dem NDR ist mit dem Podcast „Coronavirus-Update“ sicherlich etwas gelungen, das als „vorbildlich“ eingestuft werden kann. Mehr als 80 Millionen Abrufe in der ARD Media- und Audiothek, auf Spotify, iTunes und YouTube sowie online auf der Seite des NDR wurden seit dem 26. Februar gezählt. Ideengeber war der NJOY-Programmchef und Leiter des AudioLab beim NDR, Norbert Grundei. Die Umsetzung übernahm die kleine Wissenschaftsredaktion von NDR Info mit der Redakteurin Korinna Hennig, die mehr als 50 der mittlerweile 70 Folgen des Podcasts produziert hat, und ihren Kolleginnen Katharina Mahrenholtz und Anja Martini.

„Ich komme während der Aufnahme oft ins Schwitzen, gerade wenn wir über die Evolution des Virus reden“, gibt Hennig zu. Es bedürfe einer sehr gründlichen Vorbereitung, diesen Podcast zu produzieren. Sie habe nicht in der Wissenschaft gearbeitet, aber den Anspruch, die Themen zu durchdringen. Die Notwendigkeit der Zusammenarbeit mit Kollegen und anderen Wissenschaftlern habe sie bei der Arbeit an dem Podcast und bei der Recherche immer wieder vor Augen geführt bekommen. „Wenn Corona vorbei ist, werden wir andere Themen haben. Erst, wenn wir sie für die Allgemeinheit aufarbeiten können, wird richtig sichtbar, wie relevant sie sind“, sagt sie. Dafür brauche es Fachjournalisten, die sich richtig gut auskennen. „Denn erst dann kann ich entscheiden, ob etwas wichtig ist oder nicht.“

Hennig: „Nur dem Impuls zu folgen, da ist eine Studie erschienen, da müssen wir mal etwas drüber machen, kann es nicht sein.

Auch in anderen öffentlich-rechtlichen Medienhäusern hat der Erkenntnisgewinn aus der Notwendigkeit für mehr Fachkompetenz neue Impulse ausgelöst. Federführend für das Papier „Leipziger Impuls II“ hat der MDR auf Anfrage des Fachjournalist erklärt: „Viele Fragen unserer Zeit sind sehr komplex. Es gibt kaum noch einfache Antworten. Vieles hängt immer auch mit vielem zusammen.“ Da im Prinzip alle Themen komplex seien und Zusammenhänge vielschichtig und nicht immer sofort erkennbar, sei es von Vorteil, wenn in Wissenschaftsredaktionen Menschen mit unterschiedlicher Fachkompetenz zusammenarbeiten. „Es braucht hier Journalistinnen und Journalisten, die einen breiten Blick auf Forschung und Wissenschaft haben“, heißt es.

Zudem lieferten moderne Formen des Datenjournalismus tägliche Zahlenupdates, wie etwa zur Situation rund um die Intensivbetten in Deutschland. Viele verschiedene Werte und einordnende Hintergrundtexte würden den Nutzerinnen dabei helfen, den tatsächlichen Ernst der Lage zu erfassen. Die Zahlen reichten dabei bis auf die Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte. „Wir liefern also mehr relevante Zahlen, stellen Zusammenhänge her und erklären umfassend“, so der Unternehmenssprecher.

Fazit

In einer immer komplexer werdenden Welt kann der Journalismus ohne die Mitarbeit von Fachjournalisten seiner Aufgabe längst nicht mehr vollends gerecht werden. Zunehmend greifen zudem verschiedene Formen und Strömungen des Journalismus, wie der Datenjournalismus oder der Konstruktive Journalismus ineinander und bereichern die Qualität der Informationen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Silke Liebig-Braunholz studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, ist staatlich geprüfte Kommunikationswirtin und Fachjournalistin (DFJS). Nach ihrer Tätigkeit im Lokaljournalismus hat sie 2002 ihr Redaktionsbüro gegründet. Mit diesem ist sie auf die Themenschwerpunkte Tourismus & Hotellerie sowie Gastronomie & Lebensmittel spezialisiert. Sie berichtet vornehmlich in Fachpublikationen und für die dfv Mediengruppe mit Food-Titeln wie der Lebensmittel Zeitung.

Kommentare sind geschlossen.