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Fachmedien: Digitales Publizieren als Steigbügel für die komplexe Story

Längst sind die Onlineportale der Fachmedienhäuser aus den Kinderschuhen herausgewachsen. Die verantwortlichen Redakteure bezeichnen ihre digitalen Nachrichtenkanäle als Segen für den Fachjournalismus, da die Möglichkeiten ihrer Nutzung weit über die in Sekundenschnelle verbreitete Branchennews und das Abbilden von Marktdaten hinausgehen. Die Digitalisierung hat das Storytelling verändert und führt von der Onlinemeldung hin zum Printprodukt und der komplexen Story, die sich dadurch weiterentwickelt hat.

„In der Sache beobachten wir heute Nachrichtenentwicklungen. Online und Print befruchten sich“, sagt Jörg Schiffeler, Chefredakteur der Redaktion Fleischwirtschaftliche Fachmedien in der Mediengruppe Deutscher Fachverlag mit Sitz in Frankfurt. Seine Kollegen Hans Wörle, Herausgeber des Onlineportals „agrarheute“ und Chefredakteur der Titel „Food & Farm“ und „Joule“ im Deutschen Landwirtschaftsverlag mit Sitz in München, sowie Armin Scheuermann, Chefredakteur der Print- und Online-Zeitschrift „Chemie Technik“ im Verlag Hüthig der Mediengruppe Süddeutscher Verlag mit Sitz in Heidelberg, bestätigen diese Aussage.

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Jörg Schiffeler, Chefredakteur „allgemeine fleischer zeitung“

Der positive Nebeneffekt dabei: Print ist nicht tot. Zwar kämpften auch Titel wie etwa die „allgemeine fleischer zeitung“ (afz) und die „Fleisch Wirtschaft“, für die Jörg Schiffeler die Onlineredaktion verantwortet, mit den für die gesamte Medienlandschaft typischen Entwicklungen, doch seien die Fachzeitschriften heute mehr denn je Navigatoren im Informationsdschungel. „Die Ergänzung durch Online hat letztendlich das Kernprodukt verändert und das Angebot erweitert. Wir arbeiten auf beiden redaktionellen Plattformen mit demselben journalistischen Qualitätsanspruch und erleben einen Übergang von der schnellen Information mit relevantem Newscharakter für unsere Leser zu einer hintergründigen Rechercheaufbereitung. Der Rezipient in diesem Very-Special-Interest-Segment zieht daraus einen viel größeren Mehrwert als noch vor einigen Jahren.“

„Online first“ längst mehr als ein geflügeltes Wort

Ein Beispiel für den gestiegenen Mehrwert sind vollkommen neue journalistische Elemente, die von Redaktionen installiert werden und bei denen News anders aufbereitet werden, wie etwa bei der „afz am Dienstagmorgen„. Hier scannt die Redaktion die Welt und präsentiert sie mit der Schlagzeile ‚Fünf Dinge, die Sie heute wissen sollten‘. „Der digitale Wandel zwingt uns zum Nachdenken und Handeln. Online ist keine Blackbox, sondern eine Herausforderung. Die definierte Anweisung ‚online first‘ hat sich letztendlich erst mit diesem Zeitalter eingeschlichen. Mittlerweile bedeutet es für uns, viel schneller zu sein als noch vor ein paar Jahren“, sagt Jörg Schiffeler. Der Fachredakteur weiß, dass die Erwartungen seiner Print- und Onlineleser nicht deckungsgleich sind, bei ihnen jedoch eine große Schnittmenge besteht. Deshalb sei das Brancheninteresse auch immer noch maßgeblich für die Einschätzung des Nachrichtenwertes. Die Entscheidung für die sofortige Veröffentlichung auf dem Onlineportal oder das verzögerte Erscheinen im Printprodukt nehme aber meist der Wettbewerb ab. Denn der Druck um die „erste Aufmerksamkeit“ sei gewachsen. „Wir arbeiten ständig mit der Herausforderung, dass die News raus muss und wir in Print mit der Hintergrundanalyse nachlegen müssen“, so Jörg Schiffeler. Dass bei der Einschätzung auch Fehler entstehen, gibt er zu: „Manchmal werden News deshalb auch zu schnell rausgehauen.“ Insofern unterliegt auch das Online-first-Prinzip längst der branchenspezifischen journalistischen Sorgfaltspflicht.

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Hans Wörle, Herausgeber des Onlineportals “agrarheute”

Hans Wörle spricht im Zusammenhang mit den Veröffentlichungen auf Onlineportalen auch von anteasern. Auf „agrarheute“, das aus den Themen von fünf entsprechenden Titeln des Verlages gespeist und auf dem vornehmlich für die Zielgruppen Landwirte, landwirtschaftlicher Handel und verarbeitende Industrie publiziert wird, erscheine die Kurzfassung, im Printprodukt zeitversetzt die fachliche Expertise. Und Wörle mutmaßt, dass sich schon aufgrund dieser Verlagerung die journalistische Qualität in den Printtiteln noch weiter verstärken wird. Dennoch sei Qualität immer auch eine Frage der Wahrnehmung. Einigen Lesern genügten zunächst Bildstrecken, andere fühlten sich über Videos gut informiert, die auf Plattformen wie Youtube hochgeladen und auf dem Onlineportal der Fachzeitschrift eingebunden werden. „Es gibt Leser, für die bedeutet Qualität, dass sie schnell informiert werden. Andererseits ermöglicht uns die moderne Technik heute, exakt zu analysieren, auf welchen Kanälen die Leser ihre Inhalte präsentiert haben möchten. In all diesen Punkten sehe ich große Chancen für Verlage, denn es ist bei der Digitalisierung ein wenig wie bei der Erfindung des Autos. Es kommt darauf an, was man daraus macht“, beschreibt Hans Wörle diesen anhaltenden Prozess.

„Long Burner“ zu Themen mit gesteigertem Informationsbedürfnis

Den digitalen Prozess hat der Deutsche Landwirtschaftsverlag bereits 2007 eingeleitet. Bis heute wird viel Expertise und Aufwand in die damals gegründete Abteilung Digitale Medien investiert, in der die Arbeitsfelder sehr eng ineinandergreifen. Das Personal wurde entsprechend aufgestockt. Hinzu kam das Know-how außerbetrieblicher Experten, die gemeinsam mit den Kollegen im Verlag das Gerüst für die heutige Arbeitsweise entwickelten. „Wir legen sehr viel Wert auf Schnelligkeit und führen unsere Leser mit der Berichterstattung auf dem Onlineportal hin zu den Printprodukten. Hier arbeiten wir auch mit boulevardesken Themen sowie mit News, die eine kurze Halbwertszeit haben. Die erscheinen dann oft gar nicht mehr in den Printtiteln. Darüber hinaus setzt die Onlineredaktion verstärkt auf sogenannte ‚Long Burner‘, die eine höhere Klickrate über einen längeren Zeitraum versprechen. Außerdem analysieren wir den Traffic der Onlinethemen und vertiefen das Thema in den Printprodukten nochmals, wenn wir ein verstärktes Interesse bemerken“, beschreibt Hans Wörle die konzeptionelle Arbeit an den journalistischen Inhalten.

Armin Scheuermann arbeitet ähnlich: „Print hat überhaupt keine Existenzberechtigung, wenn wir dort nur die Onlineinhalte publizieren. Unsere Leser sind Generalisten, arbeiten bei Unternehmen wie Bayer oder BASF im mittleren Management. Sie erwarten den Hintergrund zu unseren Schlagzeilen und Onlinemeldungen, mit denen wir bereits ihr Informationsbedürfnis adressieren“, sagt Armin Scheuermann. In der Summe sieht er eine Weiterentwicklung für den Fachjournalismus – nicht nur inhaltlich, sondern auch in der Form und Anzahl der Medien. Der Rezipient sei mehr in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Zudem hätten sich die Frequenz der Informationsvermittlung sowie die Reichweite der journalistischen Beiträge durch die Nutzung von Suchmaschinen erhöht. „Die Digitalisierung erhöht die Produktivität der Journalisten um ein Vielfaches. Auch für den Leser ist es interessanter geworden, weil er auswählen kann. Deshalb setzen wir vornehmlich auf Reichweite, um unsere Zielgruppe mit den Fachinformationen aus dem chemischen Anlagenbau zu erreichen“, sagt Scheuermann. Seine Redaktion arbeitet konsequent nach dem Prinzip von Online zu Print, checkt täglich die Nachrichtenlage und veröffentlicht branchenrelevante Meldungen sofort, wenn nicht sogar schon Monate zuvor, wie im Fall Bayer-Monsanto. Für den Chefredakteur ein Filetstück journalistischer Qualität.

Der Informant analysiert die Gerüchteküche und unterstützt den Redakteur

Armin Scheuermann

Armin Scheuermann, Chefredakteur von “Chemie Technik”

„Wir wissen mehr über den Fall als jedes andere Medium“, sagt Armin Scheuermann, der von dem Deal folglich nicht überrascht wurde. Vielmehr bahnte sich der Wirtschaftskrimi bereits an, brodelte die Gerüchteküche und war die Redaktion bereits mit ihren Informanten im Gespräch, sodass Scheuermann schon im März 2016 über den Fall berichtete. Auf dem Onlineportal wird die Story heute mit „Wirtschaftskrimi in Bildern: Der Bayer-Monsanto-Deal“ promotet. In der aktuellen Oktoberausgabe ist ein weiterer ausführlicher Hintergrundbericht mit Fakten zu den Auswirkungen auf Bayer und der Einschätzung einer Ratingagentur zu lesen. Scheuermann selbst hat der Berichterstattung darüber zudem einen Leitartikel gewidmet. Journalismus, wie er im Lehrbuch steht also, jedoch mit der zusätzlichen Raffinesse der erhöhten Aufmerksamkeit. Die Journalisten des Fachtitels „Chemie Technik“ hätten noch vor Jahren mit ihrer Story bei Weitem nicht die Reichweite erzielt wie heute durch die Veröffentlichung auf dem Onlineportal. Und auch wenn der Leser, der zufällig auf diese Seite im Internet stieß, nicht zu der Leserschafts des Blattes oder Portals gehört, wird er doch durch die Story auf die journalistische Arbeit der Kollegen aufmerksam und hat außerhalb der Mainstream-Medien eine weitere journalistische Quelle entdeckt.

Deshalb verweist Hans Wörle darauf, dass die Redakteure der fachjournalistischen Portale sich längst dauernd mit der Frage beschäftigen sollten, ob und warum ihr Beitrag noch weiter an Traffic zulege. Die Beobachtung des Lese- bzw. Konsumverhaltens der bereits bekannten Rezipienten sowie der neu hinzugewonnenen ist ein Dauerthema für die Verlagshäuser und verbessere dadurch sogar ihre Arbeit.

Natürlich gelingt es nicht täglich, eine Story wie den Wirtschaftskrimi um Monsanto zu veröffentlichen. Doch auch außerhalb der Sternstunden journalistischer Inhalte könne der Redakteur heute viel besser nachvollziehen, was der Rezipient lesen möchte. „Man spürt das Informationsbedürfnis viel direkter, wenn etwas viel geklickt wurde“, sagt auch Jörg Schiffeler. Daraus zieht die Redaktion ihre Schlüsse und veröffentlicht die Story viel umfangreicher im Printformat.

Der Mehrwert für den Leser bedeutet heute eben auch, durch die Kombination von Print- und Onlineberichterstattung Themen noch einmal aufzufrischen, sie umfangreicher zu präsentieren oder auf Trends zu reagieren und die Ideen daraus der eigenen Leserschaft als Anreiz anzubieten. „Zu aktuellen Themen wie etwa Street-Food-Märkte oder Food Trucks kreieren wir beispielsweise die Idee für den Metzger, sich dies anzuschauen und aus dem Trend selbst etwas zu entwickeln. Dies kombinieren wir in unseren Printtiteln mit Wirtschaftsthemen und emotionalen Momenten, indem wir persönliche Porträts von Menschen aus der Branche veröffentlichen. Natürlich kommen wir auch nicht daran vorbei, über Freisprechungen und Innungsversammlungen zu berichten, weil dies Teil unserer Identität ist. Doch sind diese Themen heute nur noch Meldungen im einspaltigen Format“, sagt Schiffeler.

Fazit

Generell haben sich die Redaktionspläne der Printtitel durch die zusätzliche digitale Publizität verändert. Managementthemen und Public-Interest-Themen stehen mehr im Vordergrund als die üblichen Branchennachrichten, zu denen auch Personalien zählen. Die erscheinen möglichst sofort auf den Onlineportalen der Fachmedienhäuser und oft überhaupt nicht mehr in den Printtiteln. Dafür ist hier mehr Platz für Artikel, aus denen die Rezipienten einen wahren Nutzwert ziehen können – zumindest unterwerfen sich die Redaktionen diesem Anspruch. Hierzu zählt unbedingt auch die Hintergrundberichterstattung, die über die Branchennachricht hinausgeht, die bereits online publiziert wurde. Meist sind dies dann Stories und Analysen über die Big Player der Branche, die etwa in ihre Unternehmen investieren, Personal einstellen oder entlassen.

Durchgesetzt haben sich zudem Bildstrecken, mit denen eine Story auf dem Onlineportal begleitet oder beinahe live erzählt wird, sowie die Authentizität und die Glaubwürdigkeit der journalistischen Recherche erhöht wird. Videos als Transportmittel für die Berichterstattung haben sich hingegen nicht in dem Maße etabliert, wie es sich einige Verlagshäuser gewünscht hätten, weil sie für ein Fachpublikum mit einer hohen Expertise offenbar nicht so relevant sind. Demnach hat sich auch die journalistische Arbeitsweise lediglich dahingehend verlagert, dass ein weiterer Ausspielungskanal hinzugekommen ist. Von daher bedienen die meisten Redaktionen Print und Online gleichzeitig oder die Print- und Onlineredakteure arbeiten Hand in Hand gemeinsam an den journalistischen Produkten und ergänzen sich.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Silke Liebig-Braunholz studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, ist staatlich geprüfte Kommunikationswirtin und Fachjournalistin (DFJS). Nach ihrer Tätigkeit im Lokaljournalismus hat sie 2002 ihr Redaktionsbüro gegründet. Mit diesem ist sie auf die Themenschwerpunkte Gastronomie, Hotellerie und Tourismus spezialisiert. Sie berichtet vornehmlich in Fachpublikationen und für den Deutschen Fachverlag. Zudem betreibt sie unter der Adresse www.narrare-blog.com ihr Blog „Narrare“, das im vergangenen Jahr rund 1,2 Mio. Page Views zählte.

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