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Auf dem Weg zu einem ganzheitlichen Wirtschaftsjournalismus

Der Wirtschaftsjournalismus befindet sich in einer ernsten Sinnkrise. Dies zeigte auch der 13. „Tag des Wirtschaftsjournalismus“ in Köln. Die Macher haben noch allzu oft einen BWL-Tunnelblick auf ökonomische Fragen und schreiben vor allem für Manager und Investoren. Zukunftsträchtig ist dagegen ein Wirtschaftsjournalismus, der kritisch analysierend nach den Auswirkungen von Unternehmenspolitik auf die gesamte Gesellschaft fragt – und damit ein breites Publikum anspricht.

Der Krisengipfel des bürgerlichen Mainstreams

Etwas steif kündigt die Kölner Journalistenschule für Politik und Wirtschaft (KS) ihren alle zwei Jahre stattfindenden „Tag des Wirtschaftsjournalismus“ als „zentrales Diskussionsforum der deutschen Wirtschaftsjournalisten“ an. Das ist untertrieben. Tatsächlich handelt es sich um das größte Schaulaufen der Großkopferten aus der Branche: Verlagsstrategen und Chefredakteure wechseln sich am Rednerpult ab, Unternehmenschefs und Wirtschaftspolitiker kommentieren die Arbeit der Medien. In diesem Jahr schrieb Jens Weidmann, Präsident der Deutschen Bundesbank, den Wirtschaftsjournalisten Kritisches ins Brevier.

Bundesbank-Chef Jens Weidmann las den Wirtschaftsjournalisten in Köln die Leviten

Bundesbank-Chef Jens Weidmann las den Wirtschaftsjournalisten in Köln die Leviten

Von den rund 230 Journalisten, die sich Mitte März in Köln die Medienschelte Weidmanns anhören mussten, arbeitet ein Großteil für überregionale Tageszeitungen oder auflagenstarke Wirtschaftsmagazine. Viele von ihnen sind Absolventen der Kölner Journalistenschule.

Die „Kaderschmiede“ des deutschen Wirtschaftsjournalismus bringt einen bestimmten Typus von Wirtschaftsjournalist hervor: wirtschaftstheoretisch sehr versiert, aber meist mit einem marktliberalen Tunnelblick auf das Wirtschaftsgeschehen. Durchaus investigativ orientiert, aber in der Regel stärker darauf erpicht, eine schlechte Profit-Performance von Managern „aufzudecken“ als etwa den Finger in die Wunde gesellschaftlich problematischer Unternehmenspolitik zu legen. Die KS-Schüler fühlen sich meist als Insider, sehr nah an den Unternehmen dran.

Auf einen kurzen Nenner gebracht: Die Elite des deutschen Wirtschaftsjournalismus steht für einen bürgerlichen, zum Teil konformistischen Mainstream. Und dieser drückt dem Denken in diesem Ressort fast allen deutschen Verlagshäusern seinen Stempel auf. Was die KS und ihre Jünger predigen, wird zum Standard in den Großraumbüros der Wirtschaftsredaktionen dieser Republik.

Daran gemessen waren die Beiträge am Pult und auf den Podien in diesem Jahr größtenteils überraschend selbstkritisch. Was zeigt: Die Branche befindet sich in einer ernsthaften Sinnkrise. „Wir können auch anders – Wirtschaftsjournalismus im Medienwandel“ lautete das offizielle Motto des 13. Tags des Wirtschaftsjournalismus. Doch schnell zeichnete sich ab, dass nicht allein die schwierige Transformation ins digitale Zeitalter im Vordergrund stand, sondern vor allem die Frage: Wohin muss der Wirtschaftsjournalismus konzeptionell steuern, damit er auf Dauer seine Existenz sichern kann?

Weite Teile der Bevölkerung fühlen sich durch die schweren Wirtschaftskrisen der vergangenen Jahre stark verunsichert und haben – eng damit verbunden – kein Vertrauen mehr in Banken und Unternehmen – aber auch nicht mehr in die Politik. Dies ist eines der Ergebnisse der umfassenden empirischen Studie „Neuorientierung im Wirtschaftsjournalismus“, die die Kommunikationswissenschaftlerin Claudia Mast im vorigen Jahr vorgelegt hat. (Nach einer repräsentativen Umfrage vom September 2011 schenken 73,7 % der Bundesbürger den Aussagen von Banken und Versicherungen keinen Glauben mehr. Die Werte für die Bundesregierung und für Unternehmen liegen bei 69,6 bzw. 53,2 % (Mast 2012, S. 21). Alle weiteren zitierten Umfrageergebnisse in diesem Text stammen ebenfalls aus Mast (2012).)

Demnach stehen die Bürger inzwischen auch den Wirtschaftsmedien mit einer gewissen Skepsis gegenüber, doch genießen diese immer noch eine relativ hohe Glaubwürdigkeit: Eine ihrer Hauptaufgaben bestehe deshalb darin, so der Tenor der Studie, die oft sehr komplexen Vorgänge in der Welt der Wirtschaft den Bürgern verständlich zu machen und dabei die manchmal stark verklausulierten, oft zugleich ebenso aufgeblähten wie blutarmen Statements der Entscheider zu übersetzen und einzuordnen. Nicht immer scheint dieses kritische Durchleuchten bisher gelungen zu sein. Der Tod der „Financial Times Deutschland“ im Herbst 2012 und die ungewisse Zukunft der restlichen Wirtschaftsmedien von Gruner & Jahr standen bei dem Kölner Kongress als Menetekel an der Wand.

Gefahr erkannt – Gefahr gebannt? Die Erkenntnisse der Chefredakteure

Wie weit reichten die Erkenntnisse auf dem Kölner Krisengipfel, um dem Wirtschaftsjournalismus in neue, zukunftsträchtige Bahnen zu lenken? Einen Eindruck geben die Kernaussagen, die auf dem Podium getroffen wurden. Dazu fünf ausgewählte Zitate:

„Früher wurde fast huldvoll von der Bilanz-Pressekonferenz der Deutschen Bank berichtet. Journalisten traten oft auf, als seien sie selbst Vorstandsmitglieder der deutschen Großunternehmen. Der Wirtschaftsjournalismus ist über die Zeit viel kritischer geworden.“ Gabor Steingart, Mitglied der Geschäftsführung der Verlagsgruppe Handelsblatt, früher Leiter des Spiegel-Hauptstadtbüros

Wolfram Weimer Heike Goebel Gabor Steingart

Vertreter des tradierten Wirtschaftsjournalismus: Wolfram Weimer (links), Verleger und Publizist, Heike Göbel, leitende Redakteurin bei der FAZ, und Gabor Steingart, Mitglied der Handelsblatt-Geschäftsführung

Die Zeit der Huldigungen für die Deutsche Bank endete 2002 mit dem Amtsantritt von Josef Ackermann als Vorstandssprecher, für andere Großbanken mit der Finanzkrise 2007/08. Einige andere DAX-Konzerne gerieten infolge ihrer überambitionierten Strategieprojekte, die sie im Zeichen der Globalisierung modellierten, ins Visier der Medien. Zum Beispiel Daimler mit seiner letztlich gescheiterten Übernahme von Chrysler. Doch dies sind spektakuläre Ausnahmen. Eine umfassende Inhaltsanalyse der führenden Print-Wirtschaftstitel im Rahmen der Mast-Studie hat ergeben, dass das Gros der Artikel die Unternehmens- und Managerperspektive einnimmt und davon nicht einmal ein Fünftel kritische Töne anschlägt (Mast 2012, S. 331-332).

„Die Krise des Journalismus ist die Folge von zu großer Nähe zu den gesellschaftlichen Eliten. Wir müssen stärker auf die Lebenswirklichkeit der Leser eingehen.“ Joachim Braun, Chefredakteur Nordbayrischer Kurier

Braun sprach dabei zwar in erster Linie von der Krise des Lokaljournalismus, doch das Phänomen übertrug er auch auf den Wirtschaftsjournalismus. Zu Recht, denn gerade bei der Unternehmensberichterstattung herrscht eine reine Binnensicht vor: Aus dem Blickwinkel des Betriebswirtes bewertet der Wirtschaftsreporter Unternehmen nach ihrer Profitabilität. Nach der Mast-Umfrage wollen die Bürger vor allem aber selbst mehr mit ihren Interessen und Anliegen Gehör finden. Das scheint inzwischen angekommen zu sein. „Wir müssen unbedingt die Sozialen Medien als Kommunikationsplattform nutzen“, hieß es unisono in Köln, „denn die Leser suchen den Dialog mit uns.“ Dies reicht aber noch nicht aus: Die Bürger/Mediennutzer wünschen sich darüber hinaus, dass verstärkt gesellschaftliche Organisationen wie Bürgerinitiativen, Nicht-Regierungsorganisationen etc. zu Wort kommen. Schließlich sollen auch häufiger Wissenschaftler um Rat gefragt werden. Das Problem derzeit: Professoren und Experten werden zwar immer wieder zitiert, aber immer wieder dasselbe Dutzend.

In Zeiten knapper Ressourcen sollten wir nicht in die Breite investieren, sondern vielmehr die Tiefe der Recherche suchen. Wir müssen uns von einer falsch verstandenen Chronistenpflicht verabschieden. Die reinen Fakten bekommt man auch anderswo im Internet.“ Lutz Knappmann, stellvertretender Leiter von sueddeutsche.de und dort Leiter des Wirtschaftsressorts

Knappmann plädierte dafür, nicht über jede Bilanzpressekonferenz oder jeden Quartalsbericht zu schreiben. Im Zeitalter der Informationsflut müssten die Redakteure ihre alte Rolle als „Gatekeeper“ umso ernster nehmen und die relevantesten Themen für ihr Publikum auswählen. Diese Themen müssten die Journalisten dann intensiv recherchieren und ihren Lesern erklären und für sie analysieren.

„Seit der Finanzkrise haben wir eine ganz andere Einflugschneise beim Publikum. Spätestens seit diesem Zeitpunkt ist jedem klar geworden, dass es um sein Erspartes oder um seine Rente geht. Deshalb haben wir den Anspruch, ein breites Publikum zu erreichen.“ Ellen Ehni, Leiterin der Programmgruppe „Wirtschaft und Recht“ beim WDR Fernsehen

Ellen Ehni hat mit dem „Markencheck“ frischen Wind in den Wirtschaftsjournalismus gebracht

Ellen Ehni hat mit dem „Markencheck“ frischen Wind in den Wirtschaftsjournalismus gebracht

Diesem Anspruch wird die Wirtschaftsredaktion des WDR durchaus gerecht. Bei der ARD-Montagabend-Sendung „Markencheck“ haben die Autoren die Angebote von H&M, TUI, Coca Cola, REWE und anderen Großunternehmen kritisch unter die Lupe genommen und es dabei nicht bei einem reinen Produkttest belassen, bei dem es nur um den materiellen Vorteil des Verbrauchers geht. Der „Markencheck“ bietet Nutzwert in einem breiteren Sinne. So werden zum Beispiel auch die Produktionsbedingungen in die Betrachtung mit einbezogen – die Verbraucher erfahren so, ob und wie sie gesellschaftlich verantwortungsbewusst konsumieren (können). Auf die Spitze getrieben haben die WDR-Journalisten dieses Prinzip im Februar 2013 im Rahmen der Sendereihe „die story“ (ebenfalls im Ersten), als sie teils menschenunwürdige Arbeitsbedingungen bei dem Online-Händler Amazon aufdeckten. Damit hat die WDR-Redaktion eine öffentliche Diskussion in der gesamten Republik ausgelöst und zugleich ein stilprägendes Muster für einen neuen Wirtschaftsjournalismus „von unten“ entwickelt.

Erfolgreiche Wirtschaftszeitschriften müssen klare Du-Botschaften an ihre Leser formulieren. ‚Brand eins‘ zum Beispiel sagt: Dieser Mensch hat sein Leben verändert. Das kannst du auch! ‚Business Punk‘ sagt: Das ist ein cooler Unternehmer. So kannst du auch sein!“ Horst von Buttlar, ab Juni 2013 Chefredakteur von „Capital“

Wirtschaftszeitschriften, auch die Wirtschaftsteile von Tageszeitungen, müssen sicher den Ton ihrer Zielgruppen treffen und ein möglichst hohes Maß an Identifikation zulassen. Wenn es nach den Lesern geht, hat dies aber auch seine Grenzen. Die Mast-Umfrage (2012, S. 145-47) zeigt, dass die Bürger keine übertriebene Personalisierung von Themen wünschen und deren Emotionalisierung ablehnen – und schon gar keine Unterhaltung wollen. Dafür ist ihnen die Sache zu ernst. Zudem lehnen sie den typischen Magazin-Journalismus ab, der mit steilen Thesen arbeitet und überspitzt. Aus Sicht des Publikums nimmt dies dem Wirtschaftsjournalismus die Glaubwürdigkeit.

Fazit

Was bleibt als Quintessenz vom Kölner Journalistenkongress – gespiegelt an den Umfrageergebnissen von Mast?

  • Der Wirtschaftsjournalismus in Deutschland ist meist zu unkritisch. Dies wird in der Branche aber noch anders wahrgenommen.
  • Langsam aber sicher registriert der Wirtschaftsjournalismus, dass er nicht allein für Entscheider da ist, sondern für die gesamte Bevölkerung. Das Fernsehen hat dies bisher am schnellsten erkannt und am besten umgesetzt. Wie schnell die anderen Mediengattungen nachziehen, zeichnet sich noch nicht deutlich ab.
  • Nutzwert bekommt eine Bedeutung über den geldwerten Vorteil hinaus, denn der Leser ist nicht nur Anleger, sondern auch Arbeitnehmer und/oder verantwortungsbewusster Staatsbürger. Hier gibt es aber noch viel zu tun für die Wirtschaftsmedien.
  • Die Bürger wünschen sich, dass die Medien eine thematische Vorauswahl für sie treffen und diese Themen dann ausgiebig recherchieren, um sie dann anschaulich zu erklären und kritisch zu analysieren. In der realen Welt des Wirtschaftsjournalismus gibt es schon ziemlich klare Tendenzen in diese Richtung.
  • Angesichts des wirtschaftlichen Drucks liegt der mentale Fokus vor allem darauf, wie man seine Zielgruppen am geschicktesten ansprechen kann. Über die zunehmende Personalisierung und den notorischen Drang zum Überspitzen im Wirtschaftsjournalismus wurde in Köln kaum reflektiert. Ein Defizit.

Lesen Sie hier Teil II:
Eine ganzheitliche Wirtschaftsberichterstattung muss nicht nur ökonomische, sondern auch soziale und ökologische Aspekte berücksichtigen. Doch wie genau kann ein Konzept für einen ganzheitlichen Wirtschaftsjournalismus Gestalt annehmen?

Titelillustration: Esther Schaarhüls
Fotos: Lutz Frühbrodt

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

 

Literatur:
Mast, C. (Hrsg.)(2012): Neuorientierung im Wirtschaftsjournalismus. Redaktionelle Strategien und Publikumserwartungen. Wiesbaden.

FruehbrodtDer Autor Prof. Dr. Lutz Frühbrodt ist seit 2008 Leiter des Studiengangs „Fachjournalismus und Unternehmenskommunikation (Wirtschaft/Technik) an der Hochschule Würzburg-Schweinfurt. Zuvor war er Wirtschaftsreporter der WELT-Gruppe in Frankfurt/Main.

 


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