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Geliebter Feind − Die Abhängigkeit der Verlage und Sender von der Konkurrenz

Wie frei und unabhängig ist Journalismus heute? In einer Zeit, in der die klassischen Medien einerseits immer weniger Geld verdienen, weil die Einnahmen aus Werbung ins Internet verloren gehen, und andererseits Leser:innen, Zuhörer:innen und Zuschauer:innen ihre Informationen zunehmend aus sozialen Netzwerken beziehen?

Einige Medien tendieren zu Kooperationen: Sie nutzen Dienste wie zum Beispiel Facebook live oder auch Instagram live, um Pressekonferenzen zu übertragen oder Debattenrunden. Es ist günstig, man erreicht viele Leute, und die Server sind robust genug, um auch großen Andrang zu verkraften. Allerdings ist das eine Allianz mit Partnern, die der Verbreitung von Fake News ausdrücklich keinen Riegel vorschieben wollen. Mit denen, die auch den Feind:innen der Demokratie eine Plattform bieten, die »Lügenpresse, Lügenpresse« schon so lange und laut skandieren, dass sich diese Mär ihren Weg längst bis in die Mitte der Gesellschaft gebahnt hat. Es ist eine Allianz mit denjenigen, die durch ihre Algorithmen bestimmen, welche Auskopplungen aus Zeitungen und Sendungen in den Newsfeeds, der Startseite bei Facebook, aufgelistet werden, ihren Nutzer:innen angezeigt werden. Zwar soll der neue, für 2021 geplante Rundfunkstaatsvertrag, der nun zeitgemäß »Medienstaatsvertrag« heißt, Unternehmen wie Facebook dazu verpflichten, künftig transparent darzustellen, warum und in welcher Reihenfolge sie Inhalte präsentieren.

Es ist aber fraglich, ob sie sich daran halten. Durch den Streit um die Rundfunkgebührenerhöhung, der Sachsen-Anhalt im Winter 2020 davon abhielt, den Vertrag zu unterschreiben, ist nun ohnehin offen, ob er und wann er in seiner Ursprungsform in Kraft tritt. Die Medien hierzulande haben sich aus all diesen Gründen lange vor dieser Zusammenarbeit gesträubt. Nur haben sie eben Jahre verschlafen, zu wenig Budget eingesetzt, um nun mithalten zu können. Sie haben mit dem Festhalten an alten Programmschemata, mit der langjährigen Fokussierung auf lineares Fernsehen viele von denen verprellt, denen sie nun mühsam hinterherlaufen müssen, wollen sie nicht noch weiter an Relevanz verlieren. Sie machen nun gemeinsame Sache mit den Plattformen, die Bestandteil der eigenen kritischen Berichterstattung sein müssen.

Ein etwas anders gelagerter Interessenkonflikt entsteht zum Beispiel bei der Zusammenarbeit der größten deutschen Nachrichtenagentur dpa sowie der Rechercheplattform correctiv.org mit Facebook. Beide, sowohl die dpa als auch correctiv, gehören zu einem internationalen Netzwerk, dem sogenannten Third-Party Fact-Checking Program. Das bedeutet: Sowohl im Auftrag von Facebook als auch aus Eigeninitiative prüfen die beiden Unternehmen Meldungen auf der Plattform auf ihren Wahrheitsgehalt. Stellt sich eine Geschichte als falsch heraus, wird sie für die Nutzer:innen markiert und von Facebook in der Sichtbarkeit herabgestuft.

Problematisch bleibt, dass Facebook es ablehnt, politische Werbung zu verbannen, wenn sie Lügen enthält. Das ist nicht allgemein bekannt – und so müssen viele User:innen davon ausgehen, dass die Wahlinformationen auf Facebook von der dpa und correctiv geprüft wurden. Diese kooperieren nun mit einem Unternehmen, das im Zweifel Lügen verbreitet. Wie das Medienportal Übermedien 2019 berichtete, beendete die niederländische Nachrichtenseite nu.nl genau aufgrund dieses Gewissenskonflikts die Zusammenarbeit mit Zuckerberg. Anders dpa und correctiv.org. Auf Nachfrage von Übermedien sagt die Nachrichtenagentur, sie bedauere es, »dass Facebook in der Kooperation mit den Faktencheck-Partnern gewisse Faktenchecks nicht übernimmt«. Dies habe man auch in Gesprächen mit Facebook »wiederholt betont«. Wenn das so ist – welchen Grund gibt es dann, mit Facebook zusammenzuarbeiten? »Nach reiflicher Überlegung hat sich dpa dennoch dafür entschieden, ihre Faktenchecks auch Facebook zur Verfügung zu stellen. Der gesellschaftliche Nutzen durch Faktenchecks in den sozialen Netzwerken ist sehr hoch, da damit die Verbreitung von Falschbehauptungen eingeschränkt wird. Dieser Effekt spielt aus Sicht der Deutschen Presse-Agentur eine entscheidende Rolle, selbst wenn Facebook leider keine Faktenchecks zu Politiker-Behauptungen in ihr Netzwerk einspeist.« Einschränken, statt zu tilgen − das ist der niedrige Anspruch, der nach vielen Jahren Social Media geblieben ist. Er zeigt die Machtlosigkeit von Redaktionen, die glauben, ohne Facebook nicht bestehen zu können.

So gern die Europäer:innen, deutsche Grünen-Politiker: innen, aber auch Journalist:innen immer mal wieder von einem eigenen, europäischen Facebook träumen – einen Großteil seines Charmes ziehen das Netz und seine Plattformen daraus, dass es sich selbst aufgebaut hat, von unten. In den ersten Jahren, in denen wichtige Weichen gestellt wurden, war das Internet ein Konglomerat von Subkulturen und schuf neue Formen der Kommunikation. Nicht nur im technischen Sinne. Zudem wäre der Aufbau eines »europäischen Facebooks« der Schwenk weg vom ursprünglichen, vom Original. Dies würde weiter verkommen zum Kröpfchen, während die »Guten«, die zivilisiert und respektvoll debattierenden User:innen, rüberwandern würden ins Töpfchen. Und während es dort konstruktiver zuginge, würde auf der anderen Seite eine kaum noch beachtet, Gegenöffentlichkeit wachsen, die sich jedes Korrektivs entzöge. Das kann niemand wollen.

© 2021 Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln

Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch Die Shitstorm Republik“ von Nicole Diekmann, erschienen im Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2021.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Die Autorin Nicole Diekmann studierte Politik, Sozialwissenschaften und Geschichte in Hamburg und Münster und besuchte im Anschluss die deutsche Journalistenschule in München. Sie ist Hauptstadtkorrespondentin des ZDF und Kolumnistin bei t-online.

 

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