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#MeToo: Von der Kraft, die Gesellschaft zu verändern

Rezension zu „Missbrauch, Macht & Medien. Was #MeToo in Deutschland verändert hat“ (2024).

Die schon mehrfach für ihre Arbeit ausgezeichnete Journalistin Juliane Löffler zeigt in ihrem Buch „Missbrauch, Macht & Medien“, wie Recherchen über Machtmissbrauch und sexualisierte Gewalt ablaufen und was es für die Betroffenen bedeutet, sich öffentlich gegen (über)mächtige Männer zu stellen. Anhand von Beispielen und Interviews legt sie die dahinterliegenden Strukturen offen und stellt dabei nicht nur die positive Kraft des Journalismus unter Beweis, sondern gibt auch Einblicke in problematische Bereiche des Mediensystems.

Juliane Löffler blickt hinter die Kulissen der investigativen Arbeit. In ihrem Buch Missbrauch, Macht & Medien. Was #MeToo in Deutschland verändert hat spürt sie den Anfängen der Bewegung nach. Sie beschreibt, wie viel Mut es als betroffene Person braucht, an die Öffentlichkeit zu gehen, und zeigt die Machtstrukturen auf, die diesen Schritt so schwer machen. Es ist kein Enthüllungsbuch mit neuen Informationen zu vergangenen Recherchen und Artikeln, sondern eine Analyse des Status quo. Die Pflicht des Journalismus zur Objektivität und zur Anhörung aller Seiten ist unbestritten, doch Löffler ergänzt: „Es gibt die Pflicht, bei den Fakten zu bleiben und sich an die Regeln zu halten, aber nicht die, keine Haltung zu haben.“

Mundtot machen

Die zehn Kapitel des Buches behandeln die Vorläufer und Anfänge von #MeToo und das Überschwappen der Bewegung von Amerika nach Deutschland. Es beschäftigt sich mit sexualisierter Gewalt, Missbrauch und Übergriffen und der ungleich verteilten Macht, die Unrecht begünstigt.

Löffler räumt anhand von bekannten Fällen wie Till Lindemann oder Julian Reichelt bis hin zu Thao Nguyen, Auslöserin einer MeToo-Vorgängerbewegung, mit althergebrachten Vorurteilen auf – denn bei sexualisierter Gewalt geht es nicht um Sex, sondern um Machtmissbrauch. Sie thematisiert den schwierigen Umgang mit traumatisierten Betroffenen und deren immer wieder von den TäterInnen, den AnwältInnen und der Gesellschaft angezweifelten Erinnerungen. Dabei behandelt sie die Problematik und die Folgen einer (Nicht-)Veröffentlichung und das mächtige Narrativ der vermeintlichen Mitschuld, die viele betroffene Menschen mundtot macht.

Mundtot gemacht werden sollen aber nicht nur die Betroffenen, sondern auch die JournalistInnen und die Medien, deren Arbeit gezielt diskreditiert wird. So merkt Löffler unter anderem an, dass es oft Recherchen zu Missbrauch und sexualisierter Gewalt sind, die „als niveaulos oder Boulevardpresse gelabelt werden. Einer von Till Lindemanns Anwälten verurteilte in einem Interview den sensationsheischenden, reißerischen Stil des SPIEGEL und befand, das Magazin sei seinem Eindruck nach, mittlerweile auf einem Bild-Zeitungs-Niveauʻ angelangt.“

Doch die billige Stimmungsmache hat noch ein anderes Gesicht: Ein Vorwurf, den Löffler im Buch aufgreift, lautet, „Medien wollten sich mit derartiger Berichterstattung bereichern, vermeintlich reißerische Texte zu sexualisierter Gewalt sollten Klicks und Abos generieren“. Und in der Tat zeigen Auswertungen, dass MeToo-Recherchen viel gelesen werden. Woran es liegt? An der Allgegenwärtigkeit des Problems. Frauen (aber nicht nur) kennen sexualisierte Übergriffe und Belästigungen aus ihrem Alltag und auch Journalistinnen sind in den Redaktionen ebenso wie online stark betroffen. „Die Starjournalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa dokumentierte, dass sie zeitweise mehr als 90 Hassnachrichten pro Stunde auf Facebook erhielt“, führt Löffler an und verweist auf eine 2022 veröffentlichte Befragung von 700 Journalistinnen in über 100 Ländern, die das Ausmaß der Bedrohungen und Angriffe stützt. Auch Löffler dokumentiert akribisch und in den Anmerkungen, die sich auf mehr als dreißig Seiten erstrecken, sind die Recherchen ausführlich belegt. Der Anhang liefert darüber hinaus Definitionen zu den verwendeten Begriffen, ein ausführliches Literaturverzeichnis und eine Auflistung von AnsprechpartnerInnen für den Notfall.

Anfänge und neue Aufmerksamkeit

Während das im Jahr 2017 binnen weniger Tage millionenfach verwendete Hashtag im Tweet der US-amerikanischen Schauspielerin Alyssa Milano „Wenn alle Frauen, die sexuell belästigt oder angegriffen wurden, als Status Me too schreiben würden, könnten wir den Menschen ein Gefühl für das Ausmaß des Problems vermitteln“ wohl vielen geläufig ist, ist Thao Nguyen eher unbekannt. 2005 masturbierte ein Mann vor ihr in der New Yorker U-Bahn. Nguyen fotografierte ihn und ging mit dem Bild zur Polizei. Doch dort konnte oder wollte man ihr nicht weiterhelfen. Ein Fehler, wie Löffler anmerkt, denn zum einen sei das Verhalten des Mannes mindestens ordnungswidrig und zum anderen landete das Bild später auf der Titelseite der New York Daily News. Dieses Bild war der Beginn einer Bewegung gegen öffentliche Belästigung.

Fast zwanzig Jahre sind seither vergangen. Der Umgang vieler Medien mit Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt hat sich verändert und MeToo werde vermehrt als investigatives Thema wahrgenommen, so Löffler. Als Beispiel nennt sie die Recherchen zu Till Lindemann und der Band Rammstein, jene über Larry Nassar, den ehemaligen Arzt des Turnverbands USA Gymnastics, oder einen deutschen HIV-Spezialisten, dem Missbrauch vorgeworfen wird. „Zu MeToo zu recherchieren, bedeutet, sich detailliert in andere Branchen einzuarbeiten, um verstehen zu können, wo und warum ein System versagt hat. Es bedeutet zu verstehen, wie ein Netzwerk aus Tausenden Turnverbänden strukturiert ist“ oder „welche Durchgriffsrechte Approbationsbehörden für Mediziner haben …“, schreibt Löffler.

Probleme in den eigenen Reihen

Wenngleich MeToo als „Thema“ gesehen wird, gibt es doch einen Wermutstropfen: Die aufwendigen Recherchen muss man sich als Medienhaus finanziell und personell leisten können – und wollen. Berichtet man darüber, müsse man mit einer Abmahnung rechnen. Dies haben Löffler und ihre KollegInnen des Investigativ-Teams bei Ippen nach monatelangen Recherchen zum damaligen Bild-Chefredakteur Julian Reichelt selbst erfahren müssen, als die geplante Veröffentlichung platzte. Nicht aus juristischen, sondern aus inhaltlichen Gründen, wie Löffler in einem Interview mit ZAPP erklärt. Im Buch begründet sie das Vorgehen der „höchsten Ebene“ so: „Man wolle, so die offizielle Argumentation, einen Mitbewerber auf dem Medienmarkt nicht derart beschädigen.“ Das Investigativ-Team, bestehend aus Juliane Löffler, Katrin Langhans, Daniel Drepper und Marcus Engert, verlässt geschlossen das Unternehmen. Die Story erscheint später im SPIEGEL. Die vier ReporterInnen wurden 2021 vom medium magazin als JournalistInnen des Jahres ausgezeichnet. Der Rest ist Geschichte.

Durch die Recherchen zu Reichelt wird Löffler als Rechercheurin zum Gegenstand der Beobachtung. Sie erlebt selbst die Kraft der Recherche und des Journalismus und weiß, wie es sich anfühlt, die Kontrolle zu verlieren. Die Recherchen und Gespräche mit traumatisierten Betroffenen, die Schilderungen verstörender Details sind belastend. Der intensive Austausch mit ihrer Kollegin Pascale Müller hilft, doch schließlich holen sich die beiden Hilfe beim Dart Centers for Journalism and Trauma, einem Thinktank für JournalistInnen, die über Gewalt, Konflikte und Katastrophen berichten.

Fundierte Aufarbeitung

Die Verknüpfung von MeToo und investigativem Journalismus liegt zwar auf der Hand, doch wurde diese wohl noch nie so fundiert und detailliert aufbereitet wie von Löffler. Schicht um Schicht legt sie die Strukturen des Machtmissbrauchs offen und beschreibt dabei die Prozesse und Widrigkeiten der journalistischen Recherchearbeit. Einfühlsam und dabei stets sachlich fundiert erzählt die Autorin nicht nur von den Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen der Betroffenen, sondern beschreibt auch die eigene Enttäuschung, wenn nach monatelangen Recherchen und der finalen Berichterstattung der öffentliche Aufschrei ausbleibt. Der Autorin ist eine Art Erklärstück gelungen, welches das Zeug hat, die festgefahrene Haltung mancher MeToo-SkeptikerInnen ins Wanken zu bringen.

Sprengkraft: Prozess in Avignon

„MeToo ist politisch, aber immer auch persönlich. Viel hat sich verändert, aber wer den Mund aufmacht, um sich zu wehren, muss bis heute damit rechnen, selbst beschuldigt, beschimpft und beschämt zu werden. MeToo hat die Kraft, ganze Gesellschaften zu verändern“, heißt es im Buch. Dass die Journalistin und Autorin damit recht hat, beweist der aktuelle Fall von Gisèle Pelicot in Frankreich. Die 72-Jährige, die schon jetzt als feministische Ikone gehandelt wird, beweist ungeheuren Mut und spricht aus, wofür viele Betroffene und JournalistInnen kämpfen: „Die Scham muss die Seite wechseln.“

Im Buch lässt Löffler auch unterschiedliche ExpertInnen zu Wort kommen, wie die Psychologin und Trauma-Therapeutin Marianne Rauwald. Die Journalistin fragt sie, was sie einer Klientin rate, die überlegt, ihren Fall via Presse öffentlich zu machen. Die Antwort ist, dass das Aufdecken von Täterstrukturen gesellschaftlich wichtig sei, aber auch, „dass nicht alle die Stärke haben, das auszuhalten (…). Und es kann eine Gefahr sein, sich so zu entblößen und sich einer Bewertung auszusetzen, bei der jemand die eigenen Erfahrungen anzweifelt oder hinterfragt“. Im Fall von Pelicot sollten derartige Zweifel wegfallen, da es Videos und Fotos der Vergewaltigungen nicht nur gibt, sondern die Tatvideos auf ihren Wunsch hin im Prozess gezeigt wurden. Ein Umstand, den Pelicot und ihr Anwalt erst erkämpfen mussten.

Fazit

Die Journalistin Juliane Löffler beschreibt in ihrem Buch anhand der MeToo-Bewegung sowie der Berichterstattung über Machtmissbrauch und sexualisierter Gewalt nicht nur, was sich in Deutschland seither verändert hat, sondern verweist auch auf eine der Kernaufgaben des Journalismus: Missstände und mutmaßliches Fehlverhalten mächtiger Personen aufzudecken. Ein wichtiges Buch, das sachlich einordnet und dabei empathisch sowie ohne erhobenen Zeigefinger Erklärungen liefert wie: „Es ist eines der größten Missverständnisse von MeToo, dass es in einvernehmlichen Beziehungen keinen Machtmissbrauch geben kann.“

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).


Porträtbild von Juliane Löffler / Foto: Dominik Butzmann

Foto: Dominik Butzmann

Juliane Löffler, geboren 1986, studierte Kulturwissenschaften, Spanische Philologie und Deutsch als Fremdsprache an der Universität Potsdam und Design Thinking am Hasso-Plattner-Institut. Danach arbeitete sie bei der Zeitung der Freitag und war Senior Reporterin bei BuzzFeed News, später Ippen Investigativ. Seit März 2022 ist sie als Redakteurin für den SPIEGEL tätig. Zu ihren Themengebieten gehören sexualisierte Gewalt und Machtmissbrauch. 2021 wurde Löffler samt Team für ihre Recherchen zu Ex-Bild-Chef Julian Reichelt vom medium magazin als „Journalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Sie erhielt u. a. das „Reporters in the Fields“-Stipendium der Robert Bosch Stiftung, den Bert-Donnepp-Preis sowie den STERN-Preis 2022.

 

 

 

Buchdaten:
Autorin: Juliane Löffler
Titel: Missbrauch, Macht & Medien. Was #MeToo in Deutschland verändert hat
Preis: 23 € (D) und 23,70 € (A) (Hardcover)
Umfang: 272 Seiten
Erscheinungsjahr: 2024
Verlag: DVA
ISBN: 978-3-421-07039-5

 

 


Die Rezensentin Carola Leitner, Dr. phil., promovierte 2016 im Fach Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien und arbeitet(e) als Buchhändlerin, Buchproduzentin, Lektorin und Reise- und Kulturjournalistin. Tätigkeit für den Residenz Verlag, Ueberreuter, Metro Verlag, die Tageszeitung Der Standard oder ORF.at. Sie unterrichtet Journalismus an der FH Wien der WKW sowie Verlagswesen an der Universität in Wien, wo sie derzeit lebt und arbeitet.

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