Sportjournalismus: Nur dabei statt mittendrin
Meinungen von Trainer*innen zur Dopingberichterstattung sowie zur Kompetenz und Mitverantwortung von Sportjournalist*innen beim Thema Doping. Eine Studie der TU München.
Nur fünf positive Dopingfälle gab es nach mehr als 6.000 Tests bei 4.150 Athlet*innen bei den diesjährigen Olympischen Spielen in Paris. Das sind 0,0008 Prozent. Wer nun aber glaubt, der Spitzensport sei damit fast dopingfrei, der dürfte sich gewaltig irren. Doping bleibt eine der negativsten Begleiterscheinungen des Spitzensports und weiterhin ein wichtiges Thema des Sportjournalismus. Denn Doping ist der Stoff, „aus dem Medienträume sind“ (Bette/Schimank 2006a, S. 30). Das Thema erfüllt nämlich gleich drei relevante Nachrichtenfaktoren, und zwar „Negativismus“, „Skandalisierung“ und „Personalisierung“. Je gravierender der Normverstoß und je höher die Reputation des Delinquenten oder der Delinquentin, desto größer ist die Attraktivität für die Medien – gemäß dem Motto „bad news are good news“.
Dass Sportjournalist*innen, wenn es um Doping geht, vor allem einzelne Athlet*innen fokussieren, beruht auf dem täterfixierten Umgang der Spitzensportverbände mit den Dopingsündern. Dieser steht im Einklang mit dem traditionellen Personalisierungsbedarf im Sportjournalismus sowie den klassischen Publikationsmustern der Sportmedien (vgl. Bette/Schimank 2006a, S. 28). Doch dies hat sich durch die ARD-Dokumentationen der Doping-Redaktion um Hajo Seppelt zum Staatsdoping in Russland (vgl. Seppelt 2014, 2016a und 2016b) seit etwa zehn Jahren tendenziell geändert. Die Einzeltäterperspektive wird erweitert, in dem die systemischen Dimensionen des Dopings intensiver beleuchtet werden. Auch Sportjournalist*innen erkennen sukzessive, dass Doping nicht nur auf das kriminelle Fehlverhalten einzelner Sportler*innen zurückgeführt werden sollte, sondern als „Konstellationseffekt“ betrachtet werden muss, „der durch eine Vielzahl von Akteuren erzeugt wird, ohne dass alle Beteiligten sich überhaupt als solche wahrnehmen“ (Bette/Schimank 2006a, S. 19).
Zu diesen für Doping mitverantwortlichen Akteur*innen zählen die Soziologen Karl-Heinrich Bette und Uwe Schimank Protagonisten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Medizin und auch Journalismus sowie Vertreter*innen aus dem Spitzensport, allen voran Trainer*innen (Bette/Schimank 2006a, S. 19 – 21). Den wohl engsten Kontakt zu Sportler*innen besitzen zweifellos die Coaches, denen daher ein großer Einfluss auf die Haltung der Athlet*innen zu Doping attestiert wird (vgl. Pöppel/Büsch 2019, S. 168).
Umso überraschender ist, dass die Trainer*innen lange Zeit weder im Journalismus noch in der Wissenschaft beim Thema Doping eine große Rolle gespielt haben. Daher wurde an der Technischen Universität (TU) München die Studie mit dem Titel: „Spitzentrainer*innen und Medien. Eine Analyse zur Wahrnehmung und Bewertung der Dopingberichterstattung und die Auswirkung auf die Trainingsarbeit“ durchgeführt. Das Projekt wurde vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISp) gefördert und von der Trainerakademie Köln des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) sowie von der Nationalen Anti-Doping Agentur (NADA) unterstützt.
Methode, Stichprobe, Rücklauf
Die Studie wurde als Onlinebefragung durchgeführt, die sich an Spitzentrainer*innen vom Nationalkader bis zum C-Kader richtete. Die Feldzeit umfasste die Zeitspanne vom 08. Dezember 2020 bis zum 26. März 2021. Angeschrieben wurden 2.442 Personen. Der bereinigte Rücklauf betrug 822 Fragebögen, die Rücklaufquote von 33,6 Prozent war als sehr gut zu bezeichnen. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 46,9 Jahren (± 11,8 Jahre). 12,2 Prozent der Teilnehmer waren Frauen. Der Fragebogen umfasste – je nach Filterführung – maximal 40 geschlossene Fragen mit 137 Items plus zwei offene Fragen. Um die eingangs gestellten Fragen zu beantworten, werden einige ausgewählte Ergebnisse der Studie im Folgenden zusammengefasst.
Starkes Interesse an und differenzierte Wahrnehmung der Dopingberichterstattung
Mit immerhin 59,8 Prozent gibt die überwiegende Mehrheit der Trainer*innen an, dass sie sich „sehr stark“ (24,5 Prozent) oder „stark“ (35,3 Prozent) für die Berichterstattung über Doping in ihrer Sportart interessiert. Dazu passt der Befund, dass nur eine Minderheit von 9,8 Prozent den Umfang der Dopingberichterstattung für zu hoch hält (Abb. 1). Die gesellschaftliche Bedeutung des Themas wird von den Trainer*innen also erkannt und die journalistische Relevanz akzeptiert.
Die Art und Weise der Dopingberichterstattung wird von den Befragten aber durchaus kritisch gesehen. So meinen knapp 60 Prozent der Coaches, dass der von den Medien aufgebaute Erfolgsdruck auf die Sportler*innen mitverantwortlich für Doping sei. Die Trainer*innen reflektieren also, dass im Sportjournalismus nicht selten aus dem oder der „Zweiten“ der oder die „erste Verlierer*in“ gemacht wird oder dass Athlet*innen, die bei Olympischen Spielen und Weltmeisterschaften Gold, Silber oder Bronze nicht erreichen konnten, medial nur auf dem sogenannten „undankbaren vierten Platz“ landen. Eine solche Form der Darstellung, die vor allem Ergebnisse fokussiert und dabei die erbrachte Leistung ignoriert, erhöhe zusätzlich den Druck auf die Athlet*innen, was die Gefahr, zu unerlaubten Mitteln zu greifen, nicht reduziere.
Fast genauso viele Befragte, nämlich 57,7 Prozent, sind der Meinung, dass die Medienberichterstattung über Dopingskandale den Spitzensport negativ beeinflusse. Hier wird erkennbar, dass Dopingskandale und die öffentliche Diskussion darüber die „schöne“ und „heile“ Welt des Spitzensports konterkarieren. Und so sehen immerhin 43,7 Prozent der Trainer*innen, dass die Dopingberichterstattung ganz konkrete Vermarktungspotenziale gefährde. Das ist nachvollziehbar, denn für Sponsoren sind Dopingvergehen und deren journalistische Aufbereitung imageschädigend und dadurch kontraproduktiv.
Fast drei Viertel der Trainer*innen (73,3 Prozent) wünschen sich, dass sie von Sportjournalist*innen im Rahmen von Dopingrecherchen intensiver gehört würden. 52,9 Prozent der Befragten plädieren zudem dafür, im Kontext von Dopingberichten häufiger zitiert zu werden, damit ihre Perspektive als Trainer*innen mehr Berücksichtigung findet.
Über die grafisch dargestellten Ergebnisse hinaus kritisieren 70 Prozent der Trainer*innen, dass sich die Dopingberichterstattung oft nur auf wenige Sportarten konzentriere. Die Hälfte der Befragten moniert zudem, dass der Sportjournalismus mit dem Thema Doping „vorurteilbehaftet“ umgehe.
Kompetenz von Sportjournalist*innen
Anhand von drei Fragen sollten die Trainer*innen die Kompetenz von Sportjournalist*innen einschätzen (Abb. 2).
In Bezug auf die sportfachlichen Aspekte halten 27,1 Prozent der Coaches die Sportjournalist*innen für „sehr kompetent“ oder „eher kompetent“. Aber auch 30,8 Prozent der Befragten votieren hier für „eher nicht kompetent“ oder „gar nicht kompetent“.
Bezüglich der journalistischen Kompetenz beim Thema Doping stufen 26,9 Prozent die Sportjournalist*innen als „sehr kompetent“ oder „eher kompetent“ ein. Demgegenüber erachten fast genauso viele, nämlich 26,0 Prozent die Medienvertreter*innen für „eher nicht kompetent“ oder „gar nicht kompetent“.
Besonders skeptisch sind die Befragten aber, wenn es um die journalistische Kompetenz bei der Beurteilung ihres Trainer-Jobs geht. Nur 8,1 Prozent betrachten hier die Sportjournalist*innen als „sehr kompetent“ oder „eher kompetent“. Die überwiegende Mehrheit der Coaches, und zwar 61,2 Prozent, sieht das anders und hält die Medienvertreter*innen für „eher nicht kompetent“ oder „gar nicht kompetent“, wenn es darum geht, die Tätigkeiten von Trainer*innen einzuschätzen.
Sportjournalist*innen selten mitverantwortlich für Doping
Die Hauptverantwortung für Doping liegt nach Ansicht der Trainer*innen primär bei den Spitzensportler*innen. Auf einer Skala von 1 = „gar nicht verantwortlich“ bis 5 = „in großem Maße verantwortlich“ ergibt sich für die Athlet*innen mit Abstand der höchste Mittelwert von 3,75 (Tab. 1). Dennoch schreiben die Befragten gemäß Konstellationseffekt auch anderen Akteur*innen eine gewisse Mitschuld am Doping zu. Dabei erkennen die Trainer*innen auch ihren eigenen Anteil, wie der Mittelwert von 3,3 und der 3. Platz von neun Akteursgruppen zeigt. Die Mitverantwortung von Sportjournalist*innen an Doping wird von den Coaches deutlich geringer eingeschätzt, wie ein Mittelwert von 2,91 und der 7. Platz belegen. Trotzdem sind aus Sicht der Trainer*innen die Medienvertreter*innen am Problem Doping zumindest mittelbar mitbeteiligt.
Fazit und Ausblick
Die Studie liefert Belege dafür, dass Trainer*innen den Sportjournalist*innen schon Anfang der 2020er-Jahre eine gewisse Mitverantwortung für Doping zuschreiben. Dies zeigt sich konkret unter anderem an dem von Medien aufgebauten Erfolgsdruck auf die Athlet*innen. Für die Befragten bleiben zwar die Sportler*innen die Hauptverantwortlichen für Doping, sie sind aber keineswegs die Alleinschuldigen. Doping ist und bleibt das Ergebnis von „individueller Schuld und kollektiver Verantwortung“ (Bette 2008, S. 5).
Für Sportjournalist*innen könnten sich daraus zwei Impulse ergeben. Erstens sollten im Rahmen der Dopingberichterstattung nicht nur einzelne Dopingsünder an den publizistischen Pranger gestellt werden, sondern es sind noch stärker als bisher die überindividuellen und strukturellen Aspekte sowie die Verantwortung anderer Akteur*innen zu thematisieren. Und dazu gehört dann zweitens, dass auch Sportjournalist*innen das Maß ihrer eigenen Mitverantwortung für Doping reflektieren sollten.
Nach einer Befragung von Sportjournalist*innen (Schaffrath/Kautz/Schulz 2018), an der sich 906 Medienvertreter*innen beteiligt hatten, und nach der hier in Auszügen vorgestellten Umfrage unter Trainer*innen (Schmickler/Olson/Schulz/Schaffrath 2022) wird aktuell an der Technischen Universität München eine Befragung von Spitzensportler*innen zu ihren Wahrnehmungen und Kritiken bzgl. der medialen Dopingberichterstattung vorbereitet. Diese neue Studie wird im Frühjahr 2025 ins Feld gehen. Denn bei aller Relevanz der systemischen Dimensionen von Doping als Konstellationseffekt, sind Spitzensportler*innen sicher „keine willenlosen Marionetten, die nur die Vorgaben ihres strukturellen Kontextes exekutieren“ (Bette/Schimank 2006b, S. 33). Bei aller kollektiven Verantwortung gibt es eben auch eine individuelle Schuld. Daher ist es wichtig, auch die Akteur*innen in den wissenschaftlichen Blick zu nehmen, die nach wie vor im Zentrum von Doping und auch der Dopingberichterstattung stehen – nämlich die Athlet*innen.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Literatur:
Bette, K.-H. (2008): Doping im Hochleistungssport – zwischen individueller Schuld und kollektiver Verantwortung. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 59(1), S. 5 – 11.
Bette, K.-H.; Schimank, U. (2006a): Die Dopingfalle. Soziologische Betrachtungen. Bielefeld: transcript.
Bette, K.-H.; Schimank, U. (2006b): Doping im Hochleistungssport. Anpassung durch Abweichung. Frankfurt am Main, 2. Auflage: Suhrkamp.
Pöppel, K.; Büsch, D. (2019): The doping critical attitude of elite sports coaches in combat sports. German Journal of Exercise and Sport Research 2, S. 168 – 178.
Seppelt, H.J. (2014): Geheimsache Doping – Wie Russland seine Sieger macht. https://www.sportschau.de/investigativ/geheimsachedoping/geheimsache-doping-wie-russland-seine-sieger-macht,video-geheimsache-doping-wie-russland-seine-sieger-macht-sp-100.html (30.10.2024).
Seppelt, H.J. (2016a): Geheimsache Doping – Russlands Täuschungsmanöver. https://www.sportschau.de/doping/video-geheimsache-doping-russlands-taeuschungsmanoever-100.html (30.10.2024).
Seppelt, H.J. (2016b): Geheimsache Doping – Showdown für Russland. https://www.sportschau.de/doping/video-geheimsache-doping—showdown-fuer-russland-100.html (30.10.2024).
Schaffrath, M.; Schulz, T.; Kautz, F. (2018): Wissen und Einstellungen von Sportjournalisten in Deutschland zu den Themen Doping und Dopingberichterstattung. Berlin, Münster: Lit-Verlag.
Schmickler, J.; Olson, N.; Schulz, T.; Schaffrath, M. (2022): (Spitzen-)Trainer und Medien: Eine Analyse zur Wahrnehmung und Bewertung der Doping-Berichterstattung und die Auswirkung auf die Trainingsarbeit. In: BISp-Jahrbuch. Forschungsförderung 2021/22. Bonn, S. 61 – 70.
Prof. Dr. Michael Schaffrath ist Leiter des Arbeitsbereichs Medien und Kommunikation des Departments Health and Sport Sciences der TU München. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Deutsche Sporthochschule Köln, TU Dresden sowie die Universitäten in Lüneburg, Gießen und Koblenz-Landau. Schaffrath ist Herausgeber der Schriftenreihe „Sportpublizistik“ sowie der Sammelbände „Sport-PR und PR im Sport“ und „Traumberuf Sportjournalismus“. Er ist Autor von zehn Fachbüchern und rund 150 Aufsätzen zu Themen der Sportkommunikation. Kontakt: michael.schaffrath@tum.de
Dr. Thorsten Schulz ist Projektleiter am Lehrstuhl für Präventive Pädiatrie des Departments Health and Sport Sciences der TU München. Vorherige wissenschaftliche Stationen: Universität Dortmund und Deutsche Sporthochschule Köln. Schulz ist Experte im Bereich der Dopingprävention und Mitherausgeber des Bandes „Biomedical side effects of doping“. Außerdem ist er Autor von drei Fachbüchern und rund 70 Originalpublikationen zu sport- und gesundheitsmedizinischen Themenfeldern.