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Texte veredeln – die Kunst des Redigierens

Die Grundidee des Redigierens lautet: Jeder Text kann besser werden. Der Lektor hilft dem Autor, dessen Intention klar auszudrücken. Bernd Oswald erklärt den Redigierprozess in fünf praktischen Schritten.

Jeder Journalist kennt das: Der eigene Text ist geschrieben, jetzt kommt die Abnahme. Je mehr Arbeit hineingeflossen ist, desto spannender die Frage: Wie gut kommt der Beitrag in der Redaktion an? Was macht der Lektor oder der Textchef damit? Wenn es ein guter Lektor ist, wird er sich nicht darauf beschränken, Rechtschreibfehler auszubessern. Gefragt ist gründliches Redigieren, das jeden Text besser macht. Wirklich jeden Text. Besser heißt verständlicher. Und das ist ja auch im Sinne des Autors.

Das Redigieren ist ein Prozess, den man in die folgenden fünf Schritte unterteilen kann.

1. Schritt: Wissen, welcher Text bestellt wurde

Bevor ein Lektor mit dem Redigieren loslegen kann, braucht er Informationen über die Rahmenbedingungen des Textes:

  • Was ist der Anlass?
  • Was ist der Kern der Geschichte?
  • Welche Aspekte behandelt die Geschichte – und welche nicht?
  • Welche Zielgruppe soll angesprochen werden?
  • Welche Darstellungsform wurde gewählt?
  • Stimmt die Länge des Textes?

Der Lektor sollte also wissen, welchen Text die Redaktion beim Autor bestellt hat. Falls die Recherche gezeigt hat, dass eine andere Schwerpunktsetzung nötig ist, sollte der Autor das dem Lektor sagen, bevor sich dieser an die Arbeit macht. Das erleichtert es dem Lektor, die Hauptaufgabe des Redigierens zu lösen: Die Intention des Autors deutlich zu machen.

2. Schritt: Text ohne Schere im Kopf lesen

Auch wenn heute fast alle Texte am Computer geschrieben werden: Das Redigieren fällt den meisten Journalisten am leichtesten, wenn sie die zu redigierenden Texte ausdrucken. Ganz egal, wie lang oder kurz der Text ist: Der Lektor liest ihn am besten zunächst in einem Rutsch ganz durch. So unvoreingenommen wie es geht. Ohne Schere im Kopf, ohne Stift. Ziel des ersten Lesens ist es, zu erfahren, worum es in dem Text genau geht: Gibt es eine Kernaussage?

Falls der Lektor beim ersten Lesen keine Kernaussage gefunden hat, ist das ein Zeichen für mangelnde Qualität des Textes: Meistens gibt es zu viele Aspekte, von denen keiner richtig vertieft wurde. Dann sollte der Lektor im Gespräch mit dem Autor klären, welcher Aspekt der wichtigste ist. Nun muss der Autor nachbessern und eine neue, fokussiertere Version vorlegen.

3. Schritt: Dem Text einen stimmigen Aufbau verpassen

Meistens gibt es eine Kernaussage. Nun beginnt der wichtigste Job des Lektors: Er beurteilt, ob die Kernaussage sinnvoll und relevant ist oder ob er einen anderen Aspekt in den Vordergrund stellen würde. Wenn er die Kernaussage unterschreibt, setzt der Lektor alles daran, sie zur Geltung zu bringen. Dazu prüft er Folgendes:

  • Tritt die Kernaussauge klar zutage, ist sie nur in Ansätzen vorhanden oder so gut wie gar nicht erkennbar?
  • Werden alle relevanten Aspekte behandelt oder bleiben entscheidende Fragen offen?
  • Gibt es Punkte, die der Autor noch vertiefen sollte?
  • Gibt es Widersprüche? Wenn ja: auflösen!
  • Gibt es unverständliche Passagen?

Diese Arbeit betrifft die DNS des Textes. Hier muss nun zusammenwachsen, was zusammengehört. Der Lektor bereinigt in diesem Schritt gedankliche Sprünge, stellt Absätze um oder wünscht sich neue. Und er streicht überflüssige Aspekte und Wiederholungen, damit jeder Absatz etwas Neues liefert.

Daher sind Texte nach dem Redigieren oft kürzer als vorher, nicht nur bei Zeitungen und Zeitschriften, sondern auch online. Ein guter Lektor filtert die Essenz eines Textes heraus. Im Sinne der Kernaussage gilt daher fast immer: Weniger ist mehr.

Der Aufbau oder die Dramaturgie unterscheiden sich je nach Darstellungsform: Bei einer Nachricht muss die Botschaft schnell kommen. Im Fachjournalismus sind Hintergrundberichte sehr häufig, die vom Aufbau her etwas komplexer sind: Die reinen Fakten werden durch Beispiele veranschaulicht, Zusammenhänge müssen erklärt werden, es kommen verschiedene Akteure zu Wort. Hier müssen Autor und Lektor informierende und erklärende Passagen gut austarieren, ohne den Text zu sprunghaft werden zu lassen.

Einem Text einen logischen Aufbau zu verpassen, ist die wichtigste Aufgabe beim Redigieren. Deswegen ist Redigieren auch viel mehr als bloßes Korrigieren.

4. Schritt: Für guten und verständlichen Stil sorgen

Wenn die Statik des Textes stimmt, geht es im nächsten Schritt um eine schöne Fassade, sprich: um guten Stil. Dazu sind unglaublich viele Bücher geschrieben worden. Auch wenn jedes seine eigenen Schwerpunkte hat, in einem sind sich fast alle Autoren einig: Ein Text ist dann gut, wenn er verständlich ist. Gut für Verständlichkeit sind:

  • kurze Sätze
  • kräftige Verben
  • konkrete Aussagen
  • Beispiele
  • Bilder und Vergleiche

 „The most essential gift for a good writer is a built-in, shock-proof shit-detector.“ (Ernest Hemingway)

Und das schadet der Verständlichkeit:

  • Bandwurmsätze
  • Nominalstil
  • Passiv
  • Floskeln (siehe dazu http://floskelwolke.de)
  • abgegriffene Metaphern
  • Binsenweisheiten
  • Füllwörter
  • Fremdwörter
  • Behördendeutsch
  • Fachchinesisch

Natürlich kommt es bei jedem Text sehr stark auf die Zielgruppe und deren Vorwissen an. Fachjournalisten schreiben für engere Zielgruppen, die meistens ein großes Interesse und auch Vorwissen mitbringen. Hier relativiert sich der Anklagepunkt „Fachchinesisch“ natürlich. Aber auch in der Wissenschaft bzw. im Wissenschaftsjournalismus spricht nichts dagegen, kürzere und damit verständlichere Sätze zu bauen. Sehr prägnant spießt dieser Comic die Kombination von Satzbau und Thema auf:

Wenn das Thema einfach ist, die Sätze aber schwer zu verstehen sind, handelt es sich um Müll, findet der US-amerikanische Karikaturist Zach Weinersmith.  Quelle: Zach Weinersmith, http://www.smbc-comics.com/index.php?id=3880

Wenn das Thema einfach ist, die Sätze aber schwer zu verstehen sind, handelt es sich um Müll, findet der US-amerikanische Karikaturist Zach Weinersmith.
Quelle: Zach Weinersmith, http://www.smbc-comics.com/index.php?id=3880

Die große Kunst ist also, schwierige Themen in leicht verständliche Sätze zu kleiden. Sehen wir uns das an einem Beispiel aus der Recycling-Welt an. In einem Fachmagazin stand kürzlich zu lesen:

„Der Entsorgungskonzern Remondis führt derzeit Gespräche über eine Beteiligung am niederländischen Entsorger Twence B.V. Twence gehört 15 Kommunen der Region Twente. Wie ein Sprecher des deutschen Entsorgers erklärte, hätten Kommunen Interesse an einem Anteilsverkauf gezeigt, nachdem Remondis kürzlich die niederländische Dusseldorp-Gruppe vollständig übernommen hatte. Die Rede ist von einer 49-prozentigen Beteiligung an dem Kommunalentsorger.“

Wer will hier was? Werden hier Kommunen entsorgt? Ich entsorge mal die schlimmsten Stolpersteine. Meine Version liest sich so:

„Der Entsorgungskonzern Remondis will 49 Prozent der Anteile des niederländischen Entsorgers Twence B.V. kaufen. Twence gehört 15 Kommunen der Region Twente. Vor Kurzem hat Remondis die niederländische Dusseldorp-Gruppe vollständig übernommen.“

An dieser Stelle stellt sich eine Verständnisfrage: Warum hat die Übernahme der Dusseldorp-Gruppe durch Remonids dazu geführt, dass manche Kommunen der Region Twente ihre Twence B.V.-Anteile verkaufen wollen? Das geht aus dem Ursprungstext nicht hervor. Diese Frage muss der Autor beantworten. Falls er die Antwort selbst nicht weiß, muss er sie recherchieren. Im Notfall wird dieser Aspekt gestrichen – das wäre aber die schlechteste Lösung.

Wenn alle sprachlichen Scheußlichkeiten ausgemerzt sind, wird noch die schnöde Rechtschreibprüfung fällig. Dazu zählt auch die immer mehr vernachlässigte Interpunktion. Kommas sind keine Erfindung sadistischer Lehrer, sondern dazu da, einen Satz in Sinneinheiten zu unterteilen. Mir fällt auf, dass vor allem die soeben angewendete Regel der Infinitivgruppe (Duden-Regel K117) bei gefühlt 90 Prozent aller Autoren unbekannt ist. Für Anmerkungen und Korrekturen gibt es genormte Korrekturzeichen, die auch im Duden stehen. Eine praktische Übersicht der nützlichsten Korrekturzeichen hat die Lektorin Anne Fries zusammengestellt.

Wie genau und wie oft redigiert wird, hängt vom Text und von den Ressourcen ab. Für eine 20-zeilige Kurznachricht reicht ein Durchgang, bei einer 400-Zeilen-Reportage drehen erfahrene Textchefs sechs und mehr Redigier-Runden. Die Bandbreite reicht vom bloßen Fehler beheben bis zum gründlichen Durchredigieren jedes einzelnen Satzes.

5. Schritt: Feedback vermitteln und einarbeiten

Der Lektor ist mit dem Redigieren fertig, nun muss er dem Autor Feedback geben. Am besten geht das in einem persönlichen Gespräch – oder zumindest einem Telefonat, wenn der Autor an einem anderen Ort sitzt. Für dieses Gespräch sollten Autor und Lektor ein paar ruhige Minuten einplanen.

Der Lektor erklärt zuerst, was ihm am Text gut gefallen hat, um eine konstruktive Stimmung aufzubauen. Dann spricht er Punkt für Punkt seine Anmerkungen, Fragen und Änderungswünsche an. Am besten mit Ich-Botschaften. Also besser „Ich habe nicht verstanden, was …“ statt „Das haben Sie falsch gemacht.“ Der Lektor begründet jede Anmerkung. Der Autor wiederum sollte zuhören und dem Lektor nicht ständig ins Wort fallen, wohl aber auf Fragen antworten, die ihm der Lektor stellt. Natürlich kann es Punkte geben, an denen der Autor nicht von den Änderungswünschen des Lektors überzeugt ist. Dann beginnt für den Lektor die Abwägung, wie wichtig ihm die Änderung ist. Können sich die beiden gar nicht einigen, sollten sie einen erfahrenen Kollegen oder Vorgesetzten als Schiedsrichter einschalten.

In der Regel sind die meisten Autoren dankbar für die Verbesserungsvorschläge des Lektors. Nun stellt sich die Frage, wie die Änderungsvorschläge in den Text kommen. Es gibt zwei Wege:

  1. Der Lektor macht das selbst.
  2. Der Autor arbeitet die Änderungen ein.

Der erste Fall ist meistens dann der bessere, wenn es sich um einen erfahrenen Lektor oder Textchef handelt. Er arbeitet die Änderungen im Sinne des Autors in den Text ein und erläutert ihm, was er warum umgestellt und umgeschrieben hat. Der Vorteil bei dieser Vorgehensweise: Es besteht nicht die Gefahr, dass der Autor die Anmerkungen des Lektors falsch verstanden hat und nicht oder nur unvollständig einarbeitet.

Falls der Text noch mal zurück an den Autor geht, kommt es darauf an, wie gut dieser das Feedback aufgenommen hat und in der Lage ist, es auch umzusetzen. Nachdem der Autor die Änderungen eingearbeitet hat, geht die neue Version des Textes wieder an den Lektor. Dieses Spiel wiederholt sich so lange, bis der Lektor zufrieden ist. Je konstruktiver Autor und Lektor den Redigier-Prozess angehen, umso weniger Runden sind nötig.

Oft gibt es auch eine Mischung zwischen beiden Lösungen: Der Lektor arbeitet stilistische Punkte selbst ein. Für Punkte, die er nicht versteht oder gerne vertieft sähe, gibt er den Text an den Autor zurück.

Fazit

Jeder Text gewinnt durch das Redigieren. Jeder. Autoren neigen naturgemäß zur Betriebsblindheit. Die Arbeit eines erfahrenen Lektors öffnet vielen Autoren die Augen und hilft ihnen, ihren Text stärker zu fokussieren.

Redigieren geht weit über die bloße Fehlerkorrektur hinaus. Ein guter Lektor konzentriert sich vor allem auf einen logischen Aufbau des Textes, um die Kernbotschaft zur Wirkung kommen zu lassen. Das geschieht oft, in dem er unwichtige oder redundante Passagen kürzt. Heraus kommt ein prägnanterer Text. Dafür sollten Autoren dankbar sein.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Foto: Andreas Unger

Foto: Andreas Unger

Der Autor Bernd Oswald ist freier Medienjournalist, Trainer und Trendscout im digitalen Journalismus. Er glaubt an die Macht der Daten für aussagekräftige Geschichten und eine transparentere Gesellschaft. Deswegen engagiert er sich bei Code for München und hat die Datenjournalismus-Mailingliste www.ddjdach.de mit ins Leben gerufen. Darüber hinaus zählt er zu den Gründern von Hacks/Hackers München, wo Journalisten und Programmierer neue Formate diskutieren und konzipieren. Zu diesen Themen twittert er als @berndoswald und bloggt auf www.journalisten-training.de.

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