Unverzichtbar: Warum Zeitmanagement für freie Journalisten so wichtig ist
Zeitmanagement ist eine entscheidende Kompetenz für freie Journalisten, weil viele Aspekte in ihrem Alltag effektive Zeitmanagement-Verhaltensweisen erfordern. Die Möglichkeit der freien Zeiteinteilung kann ihren Beruf in einen selbstbestimmten Traum oder reaktiven Albtraum verwandeln. Eine wissenschaftliche Untersuchung beleuchtet die Rolle dieser Kompetenz und zeigt großen Wissensbedarf auf.
Freier Journalist kann sich jeder nennen – kaum ein anderer Beruf kann leichter ergriffen werden. Doch wer damit seine Brötchen verdienen will, bringt besser zahlreiche Kompetenzen mit, die der Beruf erfordert. Exzellentes Zeitmanagement ist eine davon – und sie wird sträflich vernachlässigt.
Als Selbstständige können freie Journalisten selbst entscheiden, wann sie wie viel Zeit in welche Aufgaben investieren. Damit haben sie weniger Einschränkungen bei der Arbeit als ihre festangestellten Kollegen. Doch diese Autonomie hat gleich mehrere Haken.
Freie Zeiteinteilung: Fluch und Segen
Um den Freiheitsjoker vorteilhaft auszuspielen, müssen Freie ihre Zeit äußerst gekonnt einteilen. Schließlich sind sie selbst für die optimale Nutzung ihrer Arbeitskraft verantwortlich. Ihre Entscheidungen, was wann wie lange getan wird, spiegeln sich direkt in ihrem Einkommen und in ihrem Wohlbefinden wider. Die große Vielfalt ihrer Aufgaben stellt weitere Herausforderungen an die Zeitmanagement-Kompetenz. Denn nicht originär journalistische Tätigkeiten wie Akquise und Buchhaltung gehören genauso in ihren Alltag wie die journalistischen Kernkompetenzen Recherchieren und Schreiben.
Die Autonomie freier Journalisten bei ihrer Zeiteinteilung lässt einen bunten Strauß denkbarer Möglichkeiten zu: Zwischen unproduktiver Aufschieberitis und Selbstausbeutung durch exzessive Arbeitszeiten auf Kosten des Privatlebens ist alles vorstellbar. Das Balancieren zwischen diesen beiden Extremen erfordert eine aktive und professionelle Auseinandersetzung mit dem Zeitmanagement.
Die Möglichkeit, seine Zeit frei einzuteilen, sei „Fluch und Segen zugleich“, sagte ein junger Journalist bei einem Interview im Rahmen einer Studie über Zeitmanagement im Alltag freier Journalisten1. Die Untersuchung zeigt deutlich: Zeitmanagement hat einen hohen Stellenwert für Freie – und mehrere Facetten. Zahlreiche Aspekte in ihrem Berufsalltag erfordern ausgezeichnete Zeitmanagement-Kompetenzen.
Zeitmanagement-Anforderungen an freie Journalisten
1. Aufwand und Kosten kalkulieren
Freie müssen für ihre Aufträge realistische Liefertermine und vernünftige Auftragskosten festlegen. Die Einschätzung der voraussichtlichen Arbeitsdauer ist dafür unerlässlich und kann sich auf die Qualität der Arbeitsergebnisse auswirken. „Ich hatte schon häufiger den Fall, dass ich mich total übernommen habe“, sagt ein 26 Jahre alte Journalist aus Berlin, der seit zwei Jahren freiberuflich arbeitet. „Dann musste ich Dinge absagen. Die Redaktion war natürlich nicht begeistert. Und die Qualität leidet auch darunter.“ Sein Kollege aus Köln betont, dass man genauso aufpassen sollte, nicht zu viel Zeit in einen Beitrag zu stecken: „Man sollte wissen, wann man genug Arbeit in etwas investiert hat.“ Sonst könne „Geld verbrannt“ werden, bestätigt ein anderer Kollege.
2. Aufträge und Aufgaben priorisieren
Bei der Entscheidung, wie viel Zeit welchen Aufgaben gewidmet werden soll, priorisieren Freie ihre Optionen anhand von mehreren Faktoren wie dem Honorar oder dem persönlichen Interesse an dem Auftrag. Die Honorarhöhe ist dabei zwar wichtig, doch nicht alles dominierend. So hat ein junger Journalist aus Köln bei einem Auftrag vier Monate lang fast nichts verdient, „aber dafür habe ich daraus mittlerweile drei richtig gute Folgeaufträge bekommen“, erklärt er. Ein weiterer entscheidender Faktor: das persönliche Interesse an der Tätigkeit. „Ich sorge auch dafür, dass auf meiner To-do-Liste pro Tag zumindest eine Sache steht, auf die ich wirklich Lust habe“, sagt eine Journalistin, die seit mehr als zehn Jahren freiberuflich arbeitet.
Die Priorisierung von besser vergüteten Aufträgen und Aufträgen, die viel Spaß machen, scheint besonders anspruchsvoll zu sein. Doch es gibt noch weitere Faktoren. Zu dringende Aufträge werden beispielsweise abgelehnt, um Zeitdruck vorzubeugen. „Dass ich nicht zusammenbreche, liegt auch daran, dass ich nur Sachen annehme, die nicht von jetzt auf gleich fertig sein müssen“, erklärt ein Journalist.
3. Überblick behalten
Freie arbeiten oft parallel an mehreren Projekten und müssen ihre Prioritäten und Verpflichtungen gut im Griff haben. Alles im Gedächtnis zu verwalten, würde ihre Zuverlässigkeit aufs Spiel setzen. Deshalb nutzen einige schriftliche To-do-Listen. „Ich bin sehr froh, dass irgendwann einmal die To-do-Liste erfunden worden ist“, sagt eine freie Journalistin aus Köln. „Ohne To-do-Listen wäre ich vollkommen aufgeschmissen.“
4. Ablenkungen vermeiden
Selbstständige Journalisten arbeiten in der Regel alleine und müssen sich selbst motivieren, ihre Zeit mit wichtigen Aufgaben zu verbringen. „Als Freier könnte man alles andere machen außer zu arbeiten“, betont ein Berliner Jungjournalist. Sich von Ablenkungen fernzuhalten sei total wichtig. Wem die Impulskontrolle fehlt, dem könnte es bei der Vielzahl verschiedenster auch elektronischer Angebote und Möglichkeiten und ohne sozialen Druck sehr schwer fallen, stets auf die wichtigen Tätigkeiten fokussiert zu bleiben.
5. Arbeit und Privatleben in Einklang bringen
Sein eigener Chef zu sein, kann große Freiräume für das Privatleben bieten. Doch ein Journalist aus Köln, der erst seit einigen Monaten freiberuflich arbeitet, bringt auch das Risiko der freien Zeiteinteilung auf den Punkt: „Wenn man das Zeitmanagement nicht im Griff hat, kann das Privatleben darunter leiden.“ Tatsächlich bietet der freiberufliche Alltag genügend Anreize für exzessive Arbeitszeiten: Existenzangst und der intrinsische Spaß an der Arbeit können besonders bei guter Auftragslage schnell dazu verleiten, zu viele Aufträge gleichzeitig anzunehmen und sich zu überfordern.
Besonders zu Beginn ihrer Selbstständigkeit neigen Freie oft dazu, ihre Gesundheit sowie die Pflege ihrer sozialen Beziehungen der Arbeit zu opfern. „Das habe ich Jahre lang gemacht“, erzählt eine Journalistin. „Aber irgendwann ist halt Schluss damit, von Montag bis Sonntag ständig in irgendwelchen Jobs zu sein.“ Während manche Kollegen es schon nach kurzer Zeit schaffen, dieses Problem mit entsprechenden Zeitmanagement-Verhaltensweisen zu beheben, kann es bei anderen einige Jahre dauern. „Ich hatte zwei Jahre lang beschlossen, einen Cut zu machen und habe es erst jetzt, nach zweieinhalb Jahren, wirklich umgesetzt“, erläutert eine andere Journalistin.
6. Arbeitszeiten synchronisieren
Nicht alle freien Journalisten können völlig frei entscheiden, wann und woran sie arbeiten. Ihr Zeitmanagement muss in der Regel die anstehenden Arbeitsprozesse mit verschiedenen äußeren Bedingungen synchronisieren.
Im Fernsehen und Rundfunk sind das beispielsweise die fest vorgeschriebenen Dienst- und Sendezeiten. Manche Journalisten müssen ihre Verfügbarkeit an die Arbeitszeiten ihrer Kunden – in der Regel Redaktionen – anpassen, um für sie erreichbar zu sein. Außerdem können private Angelegenheiten die Arbeit auf bestimmte Uhrzeiten verlegen. „Ich habe einen Mann“, sagt eine Journalistin aus Köln, „verbringe gerne Zeit mit ihm und muss deshalb schauen, wann er frei hat.“
7. Langfristig planen
Langfristige Zielsetzung und Planung sind die wahrscheinlich am meisten vernachlässigten Zeitmanagement-Aufgaben im Alltag freier Journalisten. „Ich kann nicht langfristig planen, weil im Moment so viel auf mich einprasselt“, erläutert ein Freier, der sich erst vor wenigen Monaten als Journalist selbstständig gemacht hat. Doch auch erfahrenere Journalisten haben Schwierigkeiten damit: „Man ist sehr viel im Alltagstrott, macht das weiter, was man macht, und verliert so ein bisschen den Blick für das große Ganze.“
Die Zeit, die freie Journalisten in das Zeitmanagement investieren, wird nicht direkt vergütet. Möglicherweise verliert die langfristige Planung deshalb im Priorisierungsprozess gegen gut bezahlte Tätigkeiten und kommt so zu kurz. Vielleicht kann sie aber auch einfach nicht den Spaßfaktor bieten, den spannende Recherchen oder aufregende Freizeitaktivitäten erzeugen.
Einige Journalisten wählen schließlich gerade deshalb den Beruf des selbstständigen Journalisten, weil sie nach Spontanität streben und eine persönliche Abneigung gegen strategische Überlegungen haben. Ob man mit dieser Einstellung die Art von Selbstbestimmtheit erreichen kann, die man sich als Freier erhofft, sei dahingestellt. Ein Journalist aus Köln schildert das Dilemma folgendermaßen: „Ich weiß, dass ich nicht bis zur Rente hier zu Hause sitzen und einfach Artikel schreiben möchte.“ Um sich weiterzuentwickeln, müsse man sich aber aktiv einbringen – doch dafür fehle ihm die Zeit.
Zeitmanagement: neues Wissen ist gefragt
Die freie Zeiteinteilung setzt voraus, dass freie Journalisten selbst aushandeln, wie viel Zeit sie wann und welchen Tätigkeiten widmen. Zeitmanagement ist das Instrument, mit dem sie diese Entscheidungsspielräume an ihren Zielen und Interessen aufspannen können. Ihre Zeitmanagement-Kompetenz kann dabei zwischen selbstbestimmtem Traum und reaktivem Albtraum entscheiden und sollte deshalb gefördert werden. Doch das vorhandene Wissen zu dem Thema ist leider unzureichend.
Obwohl Zeitmanagement längst zu einer wichtigen Kernkompetenz der modernen Arbeitswelt geworden ist und die Literatur sich mittlerweile von Managern auf ein breiteres Publikum fokussiert hat, sucht man nach fundiertem Wissen speziell für Freie weiterhin vergebens. Die Rolle des Zeitmanagements für freie Journalisten hat weitaus mehr Aufmerksamkeit verdient und sollte intensiv öffentlich diskutiert werden. Diese Diskussion kann sowohl erfahrene als auch neue und zukünftige Freie aus der unbewussten Inkompetenz in das Licht der bewussten Kompetenz führen.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Der Autor Dimitri Nadeschdin ist studierter Technikjournalist und Kommunikationsmanager bei Covestro, ehemals Bayer MaterialScience AG. Kommunikation ist seine Leidenschaft, Produktivität ist sein Hobby, @dimalogy ist sein Twitter-Handle.
- Alle Interviewzitate stammen aus der Studie von Dimitri Nadeschdin (2014): Freiheit bewältigen – die Rolle von Zeitmanagement im Alltag freier Journalisten (Bachelorarbeit im Studiengang Technikjournalismus an der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg). ↩