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Verdachtsberichterstattung: Berichten bei nicht völlig gesicherter Tatsachengrundlage

Die Medien dürfen nicht lügen – müssen sie aber deswegen immer die Wahrheit sagen? Wie weit geht die „Wahrheitspflicht“, gerade bei unklaren Sachlagen? Antworten auf diese Fragen gibt DFJV-Vertragsanwalt Frank C. Biethahn.

Eine rechtmäßige Berichterstattung darf in aller Regel keine unwahren Tatsachenbehauptungen enthalten. Die Pressegesetze verlangen von den Medien allerdings keine absolute Wahrheit, sondern nur die jeweils „nach den Umständen gebotene Sorgfalt“ (vgl. z. B. § 6 Hmb. PresseG) bei Recherche und Publikation.

Damit Medien ihrer „Wächterfunktion“ nachkommen und bei der Klärung öffentlich bedeutsamer Vorgänge mitwirken können (BGH, Urteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14), erlaubt die höchstrichterliche Rechtsprechung neben wahren Tatsachenbehauptungen unter bestimmten Umständen auch solche, bei denen der Wahrheitsgehalt ungeklärt ist. Das ist der Fall, wenn sie eine die Öffentlichkeit wesentlich berührende Angelegenheit betreffen und der Wahrnehmung berechtigter Interessen dienen.

Rechtsprechung: Kein Freibrief für Medien

Die Rechtsprechung gibt dem Medium jedoch keinen Freibrief: Ein Medium kann sich darauf nur berufen, wenn es hinreichend sorgfältig gearbeitet hat. Was das genau bedeutet, ist einzelfallabhängig. Die höchstrichterliche Rechtsprechung betont dabei, dass keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10). Von den Medien darf nichts verlangt werden, was ihnen unmöglich ist (z. B. weil ihnen die besonderen Befugnisse staatlicher Stellen fehlen – etwa Zeugenvernehmung auch gegen deren Willen). Es darf auch nichts verlangt werden, was davon abschreckt, das Grundrecht der Pressefreiheit zu nutzen. Zugleich berücksichtigt die Rechtsprechung aber auch, wie stark Rechte des von der Tatsachenbehauptung Betroffenen berührt werden, z. B. sein Persönlichkeitsrecht (BGH, Urteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14).

Mindestbestand an Beweistatsachen muss vorliegen

Daher muss zumindest ein „Mindestbestand an Beweistatsachen“ vorliegen, die für die Wahrheit der Tatsachenbehauptung sprechen (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10). In aller Regel wird der Betroffene vor einem Gang an die Öffentlichkeit anzuhören sein; es muss ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden, um so eventuelle Missverständnisse aufzuklären (BGH, Urteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14). Wenn es um gravierende Vorwürfe geht, muss der Betroffene wissen, was ihm konkret vorgeworfen wird. Dabei darf er nicht in einer Weise überrumpelt werden, dass er die Möglichkeit der Stellungnahme nicht vernünftig nutzen kann. Insbesondere muss der Betroffene nicht zu einem persönlichen Gespräch bereit sein – lehnt er das ab, bedeutet dies aber nicht, dass er auf sein Recht zur Stellungnahme pauschal verzichtet (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12). Bei den oft schwierigen rechtlichen Einschätzungen hilft DFJV-Mitgliedern die DFJV-Rechtsberatung (recht@dfjv.de).

Wenn ein Verdacht besteht, müssen nicht in jedem Fall alle Personen befragt werden, die dazu Auskunft geben können, wenn weitere Befragungen keinen wesentlichen zusätzlichen Erkenntnisgewinn mehr versprechen. Nachlässigkeit in diesem Punkt ist deswegen aber natürlich nicht erlaubt: Sorgfalt ist geboten, nur Vollständigkeit wird nicht geschuldet. Es genügt insbesondere nicht, den Bericht auf die Aussage einer Person zu stützen, die bekanntermaßen beabsichtigt, den Betroffenen zu belasten (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12). Bloße Gerüchte genügen als Basis ebenfalls nicht (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12).

Wenn der beabsichtigte Bericht besonders stark die Persönlichkeitsrechte berührt – beispielsweise schwere kriminelle Vorwürfe beinhaltet –, ist besonders sorgfältiges Vorgehen geboten (vgl. BGH, Urteil vom 17. Dezember 2013 – VI ZR 211/12).

Verlautbarungen amtlicher Stellen genießen besonderes Vertrauen

Besonderes Vertrauen genießen Verlautbarungen amtlicher Stellen. Die Medien können sich in der Regel darauf verlassen, dass deren für die Öffentlichkeit bestimmte Äußerungen in ihrem Kompetenzbereich bereits von amtlicher Seite geprüft wurden (BGH, Urteil vom 11. Dezember 2012 – VI ZR 314/10). Anders verhält es sich allerdings, wenn für das Medium erkennbar an der Erklärung „etwas nicht stimmt“, weil dann das Vertrauen in diese Erklärung nicht mehr gerechtfertigt ist. Das kann sich daraus ergeben, dass der Inhalt für das Medium erkennbar falsch oder die Erklärung in sich widersprüchlich ist.

Es darf sich auch nicht um eine unbedeutende Angelegenheit handeln. Umstände, die Vorgänge betreffen, die besonders im Blickfeld der Öffentlichkeit stehen, z. B. aktuelle Themen, die Gegenstand allgemeiner Aufmerksamkeit sind, sind bedeutsam. Die Publikation darf nicht den Eindruck erwecken, der Vorwurf sei bereits nachgewiesen (Vorverurteilung) (BGH, Urteil vom 18. November 2014 – VI ZR 76/14).

Klarstellung ist geboten

Werden die Voraussetzungen einer rechtmäßigen Berichterstattung eingehalten, hat das Medium nicht viel zu befürchten. Stellt sich die Mitteilung später als unwahr heraus, kann keine Richtigstellung verlangt werden, die den Eindruck erwecken würde, das Medium hätte etwas falsch gemacht, Klarstellung ist allerdings geboten.

Natürlich besteht gegen Tatsachenbehauptungen – unabhängig vom Wahrheitsgehalt – in aller Regel ein Gegendarstellungsanspruch (wenn der Betroffene die formalen Voraussetzungen einhält, was er oft nicht tut). Und natürlich darf das Medium die Behauptung künftig nicht erneut aufstellen, wenn nun geklärt ist, dass sie unwahr ist.

Zur Frage, inwieweit sich Medien an Spekulationen beteiligen dürfen, hat der DFJV in der Vergangenheit bereits berichtet.

Der DFJV hilft seinen Mitgliedern beim Thema Recht und Berichterstattung durch Leitfäden und Rechts-News mit praxisbezogenen und aktuellen Mitteilungen und Hilfestellungen. Darüber hinaus bietet er eine kostenfreie, individuelle und zügige Rechtsberatung (Erstberatung), mit der die allermeisten Fragen weitgehend geklärt werden können.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Frank C. BiethahnDer Autor Frank C. Biethahn ist Inhaber einer u. a. auf Urheber- und Medienangelegenheiten spezialisierten Kanzlei bei Hamburg. Er ist bundesweit tätig. Als Vertragsanwalt des DFJV ist er für die Mitglieder-Rechtsberatung zuständig, zudem ist er Lehrbeauftragter an Hochschulen in Hamburg.

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