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„Wir gehen in die Interaktion mit den Menschen“

Interview mit Luise Lange-Letellier, Head of Community Engagement beim gemeinnützigen Investigativ-Netzwerk CORRECTIV.

Luise Lange-Letellier nimmt mit ihren Mitarbeiter:innen vom Community Engagement eine wichtige Schnittstellenposition bei CORRECTIV ein. Das Team ist im ständigen Dialog mit den Nutzer:innen und Unterstützer:innen und identifiziert dabei auch Themen, die die CORRECTIV-Redaktion aufgreifen und zu Recherchen verarbeiten kann. Gleichzeitig motiviert das Team Menschen dazu, CORRECTIV über monatliche Abonnements und Spenden finanziell zu unterstützen. 

Das Interview ist Teil einer Fachjournalist-Reihe, in der wir sich wandelnde journalistische Berufe und neue Jobprofile in den Medien vorstellen.

Könntest du CORRECTIV bitte kurz vorstellen?

CORRECTIV ist ein gemeinnütziges Medium und im Kern unserer Arbeit steht der investigative Journalismus. Wir führen sehr intensive, tiefe Recherchen zu Missständen in unserer Gesellschaft durch. So wollen wir positive Entwicklungen anstoßen und Missstände stoppen. Unsere Arbeit ist immer auf das Gemeinwohl ausgerichtet. Wir betreiben zum Beispiel eine eigene Faktencheck-Redaktion, bieten Bildungsangebote zur Stärkung von Medienkompetenz an und öffnen Räume für Debatten, um gemeinsam mit anderen zu Lösungsansätzen zu kommen.

Weil wir glauben, dass wir keine Konkurrenten, sondern wichtige Partner sind, arbeiten wir national und international mit anderen Medienmarken zusammen. International etwa mit der BBC oder dem Bureau of Investigative Journalism, national mit DIE ZEIT, dem NDR-Magazin Panorama, dem ZDF-Magazin Frontal, aber auch mit Lokalmedien, darunter das Hamburger Abendblatt und der Berliner Tagesspiegel.

Welche eurer Projekte sind besonders stark von der Öffentlichkeit wahrgenommen worden?

Besondere Reichweite hatten unsere Recherchen zum CumEx-Skandal. In Zusammenarbeit mit internationalen Medien konnten wir aufdecken, wie Banken und Firmen bisher etwa 150 Milliarden Euro an Steuergeldern klauen konnten – und vor allen Dingen auch, wie wenig die Politik dagegen tut.

Eine weitere bekannte Recherche von CORRECTIV hat den AFD-Parteispendenskandal mit aufgedeckt und gezeigt, dass die Partei immer wieder mit sehr hohen Spenden von unbekannter Seite unterstützt wird.

Als drittes Beispiel würde ich unsere Recherchen in der Wohnungswirtschaft nennen. Sie wurden unter Titeln wie „Wem gehört Berlin?“ oder „Wem gehört Hamburg?“ zusammen mit lokalen Medienhäusern veröffentlicht. Gemeinsam mit den Mieter:innen haben wir in verschiedenen Städten versucht, die Besitzverhältnisse auf den Immobilienmärkten transparent zu machen. Nur so sind Debatten über faire Mieten möglich.

Du leitest bei CORRECTIV den Bereich Community Engagement. Warum gibt es diesen Bereich bei einer journalistischen Marke wie CORRECTIV?

Unser Slogan „Recherchen für die Gesellschaft” ist für uns nicht nur ein Untertitel oder Claim. Wir glauben fest an eine neue Art von Journalismus, die nicht nur top down, in eine Richtung, funktioniert. Wir wollen mit der Gesellschaft ins Gespräch kommen. Unsere Arbeit profitiert enorm davon, dass wir mit unserem Publikum in einem engen Austausch stehen und von den Leser:innen hören, was sie tatsächlich beschäftigt.

Und nicht zuletzt funktioniert auch unser Finanzierungsmodell so. Menschen finden unsere Arbeit so wichtig, dass sie uns mit einer Spende – einmalig, monatlich oder jährlich – unterstützen.

Ihr engagiert also die Community, um euch einerseits zu finanzieren und um andererseits Fragestellungen und Content für eure Recherchen geliefert zu bekommen?

Genau. Neben den Spenden ist der inhaltliche Input unserer Community maßgeblich für unsere Arbeit. So haben wir zum Beispiel beim CumEx-Thema gefragt: Was habt ihr bei diesem Sachverhalt noch nicht verstanden? Bei der Mietmarkt-Recherche haben wir um Mithilfe bei der Dokumentation der Besitzverhältnisse gebeten. Diese Impulse der Community nehmen wir in unserer Arbeit auf.

Kennst du noch weitere Medienmarken, die ein Community Engagement betreiben?

In UK und in den USA leisten sich mehrere Medienmarken solch einen Community-Bereich. In den USA fallen mir als konkrete Beispiele ProPublica und die Texas Tribune ein. In Deutschland sind es vorwiegend lokale Medien, die damit arbeiten. In Münster kooperiert zum Beispiel das sehr tolle Lokalmedium RUMS oft mit seiner Community vor Ort. In Lüneburg ist es die Lüneburger Landeszeitung, die sich auch an dem „Wem gehört…?-Projekt beteiligt hatte. Auch DIE ZEIT hat solch eine Abteilung. Ich weiß allerdings nicht, ob unter dem Titel Community Engagement.

Viele Medien unterhalten ein Social Media Management. Wir würdest du das Community Engagement davon abgrenzen?

Es gibt zahlreiche Überschneidungen, doch Community Engagement geht viel weiter und taucht viel tiefer ein als Social Media Management. Es findet zwar auch in den sozialen Medien und den sozialen Netzwerken statt, geht aber über das reine Beantworten von Kommentaren, das Moderieren und das Posten von Beiträgen weit hinaus. Wir versuchen wirklich, in die Interaktion mit den Menschen zu gehen und zusammen mit ihnen eine Gemeinschaft aufzubauen.

Kennst du Qualifizierungsmaßnahmen, Studiengänge, Aus-, Fort- und Weiterbildungen für den Bereich Community Engagement?

Im Medienbereich ist dieses Arbeitsfeld noch ganz am Anfang. Es gibt aber erste Fortbildungen und bei Konferenzen bemerke ich, dass dieses Arbeitsgebiet zunehmend zu einem Thema wird. Fortbildungen, Weiterbildungen und auch Studiengänge für Community Engagement gibt es zumeist für Menschen, die bei Nichtregierungsorganisationen, NGOs, arbeiten oder arbeiten möchten. Dort sind Community Engagement und Fundraising zentrale Arbeitsbereiche. Aus der Ecke komme ich ja auch. Ich hatte mich bereits früh in meinem Soziologiestudium mit sozialen Bewegungen beschäftigt und dann auf Techniksoziologie spezialisiert, besonders auf die Bedeutung der sozialen Medien für die sozialen Bewegungen.

Für die persönliche Weiterbildung kann ich zum Beispiel Campaigning Schools und Campaigning Akademien empfehlen und im Fundraising-Kontext etwa die Fundraising Akademie. Dort wird zwar weniger Community Engagement im medialen Zusammenhang vermittelt, sondern eher klassisches Fundraising und Campaigning. Die Mechanismen sind aber sehr ähnlich.

Wo gibt es in deiner täglichen Arbeit Schnittmengen zum klassischen Journalismus?

Bezüglich der Inhalte arbeitet das Community Engagement bei CORRECTIV täglich sehr eng mit den Journalist:innen zusammen. Wir überlegen in unseren Meetings gemeinsam, wie wir die Menschen in die Recherchen von CORRECTIV einbinden und welche Fragen wir stellen können. Unsere Journalist:innen denken das Community Engagement jederzeit mit. Seit einer Weile haben wir auch eine Engagement-Reporterin für unser Lokaljournalismus-Netzwerk, die sich darauf fokussiert.

Ein konkretes Beispiel: Beim Projekt „Wem gehört die Stadt?“ kam die Fragestellung aus der Redaktion und wir haben uns um die Kommunikation mit den Bürger:innen gekümmert und um die Beschaffung ihrer Informationen über die Miet- und Eigentumsverhältnisse auf den kommunalen Wohnungsmärkten.

Bezüglich der Finanzierung ziehen wir dagegen eine deutliche Grenze zwischen den Journalist:innen und dem Community Engagement, weil wir verhindern wollen, dass die journalistische Arbeit durch Informationen über Spender:innen beeinflusst wird. Campaigning und Fundraising finden also getrennt vom journalistischen Betrieb in unserem Team statt.

Erinnerst du dich an die Stellenausschreibung, auf die du dich beworben hattest? Welche Qualifikationen und Kompetenzen wurden dort verlangt – und wie sieht dein Job jetzt tatsächlich aus? Welche Fähigkeiten musst du täglich einsetzen?

Tatsächlich sagte die Ausschreibung damals gar nicht so viel aus über die Arbeit, die ich jetzt mache. Aber ich kann dir sagen, welche Tätigkeiten die Stellenausschreibungen für mein Team beinhalten.

Da geht es um die Unterstützung der Redaktion bei der Kommunikation mit den Leser:innen – zumeist über die sozialen Medien. Das ist also klassisches Social Media Management.

Dann geht es um die Planung und Umsetzung von Umfragen und Beteiligungsmöglichkeiten, aber auch um die Konzeption der – das ist der Weg, den die Nutzer:innen durch unser Online-Angebot nehmen, möglicherweise bis zum Auslösen einer Spende.

Und es sind Tätigkeiten aus dem klassischen Audience Engagement. Also Strategien, die man üblicherweise in Medien und Verlagshäusern verfolgt, um Reichweite und Bindung beim Publikum zu erzeugen. Dazu gehören zum Beispiel die Suchmaschinen-Optimierung, SEO, die Webseiten-Gestaltung oder die Planung der Wege von anderen Angeboten hin zu uns.

Wer bewirbt sich gerade bei euch – wen sucht ihr für Jobs im Community Engagement von CORRECTIV?

Es bewerben sich zahlreiche Menschen, die ein Studium im Bereich Kommunikation absolviert haben. Das hilft als Voraussetzung in jedem Fall, um die für uns wichtigen Begriffe und Konzepte zu kennen.

Für mich sind zentral wichtige Kompetenzen sowohl Kommunikationsstärke – die Fähigkeit, Dinge schnell erfassen und textlich gut kommunizieren zu können – als auch die soziale Komponente, also die Bereitschaft, eng mit Menschen zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Das ist aber unabhängig vom gewählten Studiengang. Darum ist der Job auch gut für Quereinsteiger:innen geeignet. Eine Kollegin kommt beispielsweise aus dem Museumsbereich und bringt von dort tolle Konzepte und Ideen mit, um das Publikum anzusprechen. Wichtig sind Neugier und Innovationsbereitschaft, um Dinge anders zu machen als im klassischen Journalismus. Also weniger mit dem Blick auf sich selbst zu arbeiten und eher mit einem Blick auf die Gesellschaft.

Was verdient man im Community Engagement? In welcher Range bewegen sich die Gehälter in deinem Bereich?

Man steigt, ähnlich wie ein:e Social Media Manager:in, recht bescheiden ein, etwa bei 2.500 bis 3.000 Euro – was ich selbst eigentlich fast schon unverschämt wenig finde. Man kann aber, weil dieser Bereich für die Medienhäuser ständig an strategischer Bedeutung gewinnt, wesentlich besser verdienen. Wer nicht in eine Leitungsfunktion in einem größeren Haus aufsteigt, sollte sich auf etwa 5.000 Euro als Obergrenze einrichten.

Was schätzt du an deiner Arbeit im Community Engagement ganz besonders?

Tatsächlich schätze ich persönlich an meiner Arbeit, dass sie besonders abwechslungsreich ist. Manchmal bin ich sehr strategisch unterwegs und plane Maßnahmen. Dann arbeite ich wieder mit Excel und schaue auf viele Zahlen. Und ein anderes Mal führe ich ein langes Gespräch mit einer Spenderin und bin dann sehr nah an einem Menschen dran.

Dazwischen gibt es dann oft sehr viele andere Herausforderungen, manchmal auch völlig unvorhersehbare. Aber im Grunde kann ich meine Arbeitsabläufe sehr gut planen. Allerdings ist der Job im Community Engagement bei CORRECTIV sicher ein anderer als bei DIE ZEIT oder bei einem Lokalmedium, vermute ich.

Das Gespräch führte Gunter Becker.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

© CORRECTIV

Luise Lange-Letellier ist bei CORRECTIV seit 2016 Ansprechpartnerin für Unterstützer:innen; zuletzt als Head of Community Engagement. In dieser Position baut sie die Community auf und entwickelt sie weiter. Davor konzipierte sie an der TU Berlin studentische Seminare zum Thema Data Science. Bereits in ihrem Studium der Soziologie beschäftigte sie sich mit den Einflüssen der Digitalisierung auf Kommunikation und Gesellschaft.

 

 

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