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„Agrarjournalisten sind wirklich gesucht“

Der Name ist Programm: Die Zeitschrift top agrar ist Marktführer im Agrarjournalismus. Die preisgekrönte Redakteurin Gesa Harms erzählt im Interview mit dem Fachjournalist, warum „Stallgeruch“ in ihrem Ressort so wichtig ist, wie ihr Alltag aussieht und warum sie viel über Stromtrassen weiß und weniger über Schweinezucht.

Wie sind die Berufsaussichten für Agrarjournalisten?

In unserem Ressort können Nachwuchsjournalisten durchaus durchstarten. Von den Universitäten kommen insgesamt weniger Landwirte; bei top agrar bewerben sich heute deutlich weniger Leute als früher. Agrarjournalisten sind wirklich gesucht!

Sie schreiben seit mehr als 20 Jahren für top agrar. Was zeichnet diese monatlich erscheinende Branchenzeitschrift aus?

Viele Landwirte sind mit unserer Zeitschrift aufgewachsen. Es gibt Familien, die beziehen top agrar seit Jahrzehnten; die Abonnements werden sogar vererbt. Das ist schon eine besondere Situation.

Wir haben nicht nur sehr viele Leser – rund 100.000 Abonnenten in Deutschland – und sind die Nummer eins unter den Fach- und Spezialzeitschriften im deutschsprachigen Raum, wir haben auch sehr großen Rückhalt in der Branche. Die Landwirte setzen großes Vertrauen in uns und geben uns auch gerne Auskunft.

Das hängt auch damit zusammen, dass viele unserer Redakteure selbst Landwirte sind, wodurch wir in derselben Lage sind wie unsere Leser, uns mit ihnen identifizieren. Wir legen sehr viel Wert auf wirklich engen Kontakt mit unseren Lesern. Wir telefonieren oft mit ihnen oder besuchen sie auf ihren Höfen. Wenn ich mich mit Landwirten unterhalte, merken die natürlich: Kann der Journalist auf Augenhöhe mitreden? Das muss schon gegeben sein: dass man weiß, worüber man spricht und schreibt. Die Nähe zur Branche ist bei uns daher sehr groß.

Sind Sie denn selbst auf dem Bauernhof großgeworden?

Meine Großeltern und andere Verwandte hatten einen Hof; ich kann Trecker fahren. Ich bin als Förstertochter im Wald aufgewachsen. Forst ist ein kleiner Bereich von Agrarwirtschaft, der in unserer Redaktion von einem Kollegen betreut wird. Als staatlich geprüfte Landwirtin komme ich auf jeden Fall aus der Branche.

Welche Ausbildung ist für Einsteiger sinnvoll?

Jede Redaktion im Agrarbereich wird Wert darauf legen, dass die Bewerber aus dem Agrarbereich stammen – sei es familiär bedingt oder durch eine entsprechende Ausbildung. Die allermeisten Kollegen haben auch Landwirtschaft studiert – das ist eigentlich Standard. Dieser „Stallgeruch“, diese Praxisnähe, ist unglaublich wichtig, wenn nicht sogar erforderlich. Wichtig sind außerdem die Fähigkeit, sich einarbeiten zu können, die Neugier und der Drive, sich tiefer mit einem Thema beschäftigen zu wollen.

Die Betriebe spezialisieren sich immer mehr. Also auch die Agrarjournalisten? 

Auf jeden Fall! Hinsichtlich Spezialisierung wird auch uns abverlangt, dass wir mithalten.

Unsere Zeitschrift unterteilt sich in die Themenfelder Tierproduktion, Pflanzenproduktion, betriebswirtschaftliche Fragen und Marktpolitik, landtechnische Fragen und erneuerbare Energien. Die Redakteure sind bei uns hoch spezialisiert. Man muss fachlich sehr stark einsteigen, was bedeutet, dass wir uns in der Redaktion nicht gegenseitig ersetzen können. Um beispielsweise die neuesten Impfungen in der Schweineproduktion vorzustellen zu können, müsste ich mich gewaltig einarbeiten.

Sie sind mit dem Karl Theodor Vogel Preis der Deutschen Fachpresse als „Fachjournalistin des Jahres 2020“ ausgezeichnet worden – und zwar für Ihren Beitrag „Stromtrassen: Was bringt das neue Gesetz?“.

Damit habe ich nicht gerechnet, aber ich freue mich natürlich – das ist eine schöne Bestätigung für meine Arbeit.

Ich habe mich spezialisiert auf den rechtlichen Bereich. Das umfasst die neue Rechtsprechung und Gesetzgebung: Was ist da für Landwirte relevant? Worauf müssen sie achten? Das hört sich ein bisschen abstrakt an, deshalb nenne ich ein konkretes Beispiel: Gerade arbeite ich am Grundstücksverkehrsgesetz. Die Frage ist: Kann und will man verhindern, dass Großinvestoren, Konzerne wie ALDI, in großem Umfang Boden kaufen? Durch die steigende Nachfrage wird Boden immer teurer, sodass die Landwirte selbst sich das nicht mehr leisten können und dadurch verdrängt werden. Was kann man als Landwirt tun, wenn man betroffen ist? Haben Landwirte noch einen fairen Zugang zu Boden? Warum greifen bestehende Gesetze nicht? Wir wollen Missstände aufdecken, versuchen, die Politik zumindest anzustoßen – und im Idealfall dafür sorgen, dass sich etwas bewegt. Das funktioniert auch immer mal wieder.

Die Betriebe werden immer größer, weil unrentable Höfe aufgeben und aufgekauft werden. Mehr als die Hälfte des Bodens, den die Landwirte bewirtschaften, gehört ihnen nicht selbst; der Pachtanteil beträgt inzwischen 60 Prozent. Und wenn der Verpächter, beispielsweise im Erbfall, den Boden liquidieren will, dann fallen Investoren ein, die im Moment ganz scharf hinter Boden her sind. Denn Boden ist eine wertstabile Geldanlage, zu dem Anlageberater raten, weil es auf dem Kapitalmarkt marginale oder keine Zinsen gibt, das Geld durch die Inflation an Wert verliert.

Die Frage ist: Was macht das mit unserer Agrarstruktur, wenn für die kleinen Landwirte Boden zu teuer ist? Die nächste Generation wird dann einen anderen Beruf ergreifen. Diesen Strukturwandel will man schon seit Ewigkeiten bremsen, aber solange sich die Gesetzgebung da nicht ändert, wird das nicht gelingen.

Ich stelle mir die Frage: Was hat das für soziale Folgen in den Dörfern, wenn die Landwirte irgendwann ganz verschwinden? Was hat das für Folgen für das Wissen der Bevölkerung über Nahrungsproduktion? Die Verfassung garantiert einem Landbesitzer, dass er verkaufen kann, an wen er möchte. Ich diskutiere mit Rechtsanwälten, inwiefern man Gesetze ändern oder bestehende Gesetze besser anwenden könnte, und teile meine Erkenntnisse mit den Lesern.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Die Arbeit für das Heft kann jederzeit stattfinden. Wenn ich durch die Lande fahre und eine interessante landwirtschaftliche Begebenheit sehe, steige ich aus und mache Fotos. Letztes Jahr war ich in Sankt Peter-Ording und habe zufällig mitbekommen, dass Landwirte aus Güllefässern den Strand mit Wasser besprühen, damit die Touristen mit ihrem Auto über den festen Sand fahren können. Das ist für unser Online-Angebot ein super Thema. Wichtig ist auch, Leserfragen sehr ernst zu nehmen und weiterzuhelfen. Ansonsten findet die Arbeit natürlich überwiegend am Rechner und am Telefon statt.

Hinsichtlich der Themen stehen uns viele Experten zur Seite. Das sind in meinem Fall Rechtsanwälte, Steuerberater, Wirtschaftsberater und andere. Viele Themen begleiten uns kontinuierlich, über die Jahre steigt man immer tiefer ins Thema ein. Gleichzeitig ist die Herausforderung, beim Schreiben das Level so zu legen, dass es jeder versteht.

Als Monatsmagazin haben wir Zeit für die Recherche. Und der Landwirtschaftsverlag gibt uns auch die Zeit, an Themen dranzubleiben, nachzufassen, wie sich Dinge entwickelt haben. Es ist wichtig, dass wir Redakteure von den Verlagen genügend Zeit bekommen, uns für Reportagen auf Höfe zu begeben, uns vor Ort ein authentisches Bild zu machen und dies weiterzugeben. Wir haben ja gar keine andere Chance, als uns auf die Qualität unserer Beiträge zu stützen – es gibt so viel Lesestoff überall.

Die Leser müssen sich darauf verlassen können, dass das, was wir da schreiben, Hand und Fuß hat – und dafür brauchen wir halt Zeit. Da kann man sich glücklich schätzen, wenn man einen Arbeitgeber hat, der das zu schätzen weiß. Natürlich: Man könnte die Seiten auch schneller füllen, aber da bleibt die Qualität auf der Strecke. Die Diskussion, wo das richtige Level zwischen Qualität und Quantität liegt, gibt es aber in allen Redaktionen.

Welchen Stellenwert hat online bei top agrar?

Unsere Leser schätzen nach wie vor das Heft auf dem Tisch, zumindest die Älteren. Die unter 40-Jährigen sind eher online-affin. Als Fachzeitschrift liefern wir im Idealfall zumindest einen Tipp im Jahr, der dem Landwirt Geld spart, sodass er bereit ist, das Abonnement zu bezahlen. Als Journalist ist man gezwungen, an Themen dranzubleiben, um die Abokosten zu rechtfertigen. Es geht bei uns ja nicht um Zerstreuung, sondern um den Nutzwert. Unser Heft ist ein Arbeitsmittel auf den Höfen; die Landwirte müssen sich darauf verlassen können, dass sie nichts Wichtiges verpassen. Ein ganz wichtiger Faktor ist auch die Vermittlung des technischen Fortschritts. Wenn man einen Landwirt fragt: Wie kommst du auf neue oder umweltfreundlichere oder effizientere Verfahren, dann sollte top agrar genannt werden.

Bei uns gibt es personell keine Trennung zwischen online und Print – alle Print-Redakteure schreiben auch für online, alle recherchieren auch exklusiv für online. Wir müssen ständig neuen Content produzieren, entscheiden eigenverantwortlich, wie viel Zeit wir in den einzelnen Artikel investieren. Es ist auf jeden Fall wichtig, die Ohren überall zu haben. Meist bekommt man nebenbei etwas mit, was man für online verwenden kann, oder man greift einen Aspekt aus der Recherche heraus. Wobei ich auch finde: Mehr ist nicht immer unbedingt mehr. Man kann die Leute auch erschlagen mit zu viel Content. Wir veröffentlichen sehr viele Online-Meldungen pro Tag, das sind teilweise wirklich tolle Sachen. Aber keiner kann das alles lesen, selbst wir nicht. Da versinkt so manche Perle im Online-Meer.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Ralf Heil

Gesa Harms absolvierte von 1989 bis 1991 eine landwirtschaftliche Lehre mit dem Berufsabschluss „Staatlich geprüfte Landwirtin“. Von 1991 bis 1996 studierte sie in Göttingen, Kiel und Aberdeen Landwirtschaft, Fachrichtung Ökonomie, Abschluss: „Diplom-Agraringenieurin“. Nach einem Volontariat 1996 arbeitet sie bis heute als angestellte Redakteurin bei der Fachzeitschrift top agrar im Bereich Betriebsleitung. Sie wurde als „Fachjournalistin des Jahres“ ausgezeichnet. Aus der Jurybegründung: „Gesa Harms liefert in ihrem schnörkellos eleganten Fachartikel eine Art kostenlose Rechtsberatung für ihre Leserklientel. Dies ist Nutzwert par excellence.“

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