Amelie Fried über das Schreiben: „Wichtig ist der Spaß an Sprache“, Teil 1
Die Journalistin und Bestseller-Autorin Amelie Fried (aktuelles Buch: „Die Spur des Schweigens“) gibt mit ihrem Mann Peter Probst, einem Drehbuchautor, Schreibseminare. Im Fachjournalist verrät Fried Tipps und Tricks rund ums kreative Schreiben: Wie verfasse ich einen Roman? Welches Talent, welches Handwerkszeug brauche ich? Und: Was muss ich beachten, bevor ich mit dem Schreiben anfange?
Die Ideen liegen auf der Straße, heißt es. Stimmt das?
Das sehe ich auch so. Ich gehe im Staubsaugermodus durch die Welt, sauge optisch, akustisch, emotional alles auf. Überspitzt gesagt: Ich suche keine Themen, die Themen finden mich. Manchmal springen die mich regelrecht an – aber das gelingt nur, wenn man einen offenen Blick und ein geschärftes Bewusstsein dafür hat. Und dann heißt es: Die Ideen sofort notieren! Denn meine Erfahrung ist: Gute Einfälle sind sehr flüchtig. Die große Grundidee kann ich mir natürlich merken, aber Details schreibe ich schnell auf irgendwelche Zettel auf – und muss sie oft mühsam wieder auseinandersortieren.
Welche Eigenschaften braucht ein guter Buchautor?
Man muss sich für Menschen und ihre Geschichten interessieren. Die Fähigkeit haben, das Besondere im Alltäglichen zu erkennen, einen Blick für die Absurditäten des Alltags haben. Man kann es ein bisschen trainieren, genau hinzuschauen, auf Spannungen in Situationen zu achten, wo etwas schräg oder verrutscht ist. Das ist oft eine Quelle für Komik oder für Tragik, was ohnehin nahe beieinander liegt.
Und dies gilt es dann, sprachlich gut umzusetzen. Wichtig ist dabei der Spaß an Sprache. Wenn man Charaktere entwickelt, muss man für jeden eine eigene Sprache entwickeln – wir reden ja nicht alle gleich. Deshalb muss ein Romanautor zuhören, in Gesprächen mit anderen genau hinhören können.
Ganz sicher ist Schreiben eine Mischung aus Weltbetrachtung und Introspektion. Je nachdem, was überwiegt, prägt es die Art der Texte. Wenn Autoren wie Karl Ove Knausgård nur über sich schreiben, braucht es schon ein sehr reiches Innenleben, das man akribisch beschreibt – oder man muss sehr spannend darüber reflektieren können.
Wie viel Prozent Handwerk, wie viel Prozent Talent machen einen guten Schreiber aus?
Das eine ist nichts ohne das andere; beide müssen Hand in Hand gehen. Die Begabung muss prinzipiell da sein, dann kann man das Handwerk lernen.
Was Menschen in unsere Schreibkurse treibt: Sie spüren in sich ein Potenzial, haben Ideen, wissen aber nicht, wie sie die greifbar machen sollen, sie konkret umsetzen können. Das ist dann der Punkt, wo Handwerk ins Spiel kommt. Manchmal entstehen in unseren Seminaren innerhalb kürzester Zeit verblüffende Sachen. Es kommt vor, dass da anfangs jemand mit einem unstrukturierten Bündel an Kreativität sitzt, der am Ende der Woche alles umgesetzt hat, was wir gelehrt haben. Das macht total viel Spaß, ist richtig beglückend.
Wie sehr kann man lernen, kreativ mit Sprache umzugehen?
Manche Menschen bringen von Natur aus eine Sprachbegabung mit. Menschen, die gerne und viel lesen oder aus einem Bereich kommen, in dem Sprache eine Rolle spielt, die gelernt haben, sich zu artikulieren, haben wahrscheinlich automatisch einen leichteren Zugang zu Sprache. Den Umgang mit Sprache kann man aber auch fördern, bis zu einem gewissem Grad lehren.
Natürlich ist das auch eine Frage des subjektiven Empfindens: Es gibt nicht den einen guten Satz, sondern unendlich viele Möglichkeiten, etwas so spannend, mitreißend, emotional zu formulieren, dass es den Leser fesselt. Jeder muss seinen eigenen Sound finden – und sich darüber klar werden, wofür er ein Talent hat, welche Fähigkeiten er ausbauen kann und was ihm überhaupt nicht liegt.
Mir fällt es beispielsweise leicht, ganz lustige Reime für Geburtstage zu schreiben, spielerisch mit Sprache umzugehen, aber ich könnte im hochliterarischen Sinne keine Gedichte schreiben. Wenn ich das trotzdem versuchen würde, wäre ich irgendwann frustriert. Die eigenen Fähigkeiten und Grenzen zu erkennen, ist ein ganz wichtiger Punkt beim Schreiben. Ich habe mich nicht ohne Grund auf Romane konzentriert.
Wann finden Sie einen Buchanfang fesselnd?
Ein guter Buchanfang zieht den Leser sofort hinein in die Handlung. Natürlich gibt es Geschmacksunterschiede. Manche mögen ausschweifende Landschaftsbeschreibungen. Damit kann ich zum Beispiel gar nichts anfangen; für mich als Leserin muss der erste Satz sein wie ein Paukenschlag. Die ersten Sätze müssen schon sehr auf den Punkt kommen. Ich habe wenig Geduld, möchte schnell gesettelt sein. Gleichzeitig fallen mir diese schnellen Anfänge als Autorin schwer. In meinem aktuellen Buch „Die Spur des Schweigens“ habe ich deshalb einen Rückblick an den Anfang gestellt, der direkt ins Thema führt. Man muss die Geschichte, die Figuren exponieren – das so zu komprimieren, dass es innerhalb der ersten Sätze gelingt, ist eine große Kunst.
Wie entwickelt man die Handlung? Was empfehlen Sie: sich ein Storyboard zu überlegen und dann erst mit dem Schreiben zu beginnen? Oder munter draufloszuschreiben, was einem in den Sinn kommt?
Es gibt verschiedene Modelle, wie man im Vorfeld die Handlung organisieren und strukturieren kann: eine Art Treatment (eine Beschreibung aller Handlungselemente) oder eine noch detailliertere Zusammenfassung der Handlung, eine Step-Outline.
Wie jeder gute Schreiber weiß ich natürlich, wie wichtig es ist, ein Konzept zu erarbeiten. Aber grau ist alle Theorie. In der Praxis kann es passieren, dass ich meine eigenen guten Ratschläge ignoriere. Wenn meine Ideen so überschießen, habe ich manchmal das Gefühl, ich muss jetzt einfach anfangen zu schreiben, sonst komme ich nicht in den Flow bzw. falle aus dem Flow wieder heraus. Das funktioniert manchmal, weil ich inzwischen so viel Erfahrung habe – manchmal führt es aber leider auch in die Irre und ich muss Sachen zum Teil korrigieren oder sogar verwerfen. Ich habe auch schon mal 200 Seiten weggeschmissen, weil ich einfach drauflosgeschrieben habe. Das ist immer ein Balanceakt zwischen Struktur, die wirklich wichtig ist, und Kreativität und künstlerischer Freiheit. Die möchte ich mir nicht zu sehr beschneiden, weil mich das ansonsten hemmt.
Aber grundsätzlich überlege ich mir vorher: Was will ich erzählen? Wie will ich es erzählen? Wo soll es hinführen, wie soll es enden? Die grundsätzliche Richtung verlasse ich eigentlich nicht, aber es kann vorkommen, dass beim Schreiben Figuren stärker werden, etwas einen anderen Schwerpunkt oder ein anderes Gewicht bekommt. Mein erstes Buch, „Traumfrau mit Nebenwirkungen“, habe ich vor 25 Jahren einfach heruntergeschrieben, ohne nachzudenken. Ich habe es gerade noch einmal gelesen, weil ich (nach „Traumfrau mit Lackschäden“) eine weitere Fortsetzung davon schreiben will, und dachte: Ist das ein charmantes, leichtes, zauberhaftes Buch, völlig frei von jedem angestrengten Wollen! Das habe ich wirklich hingeworfen mit großem Spaß, das ist einfach ein Volltreffer. Diese Leichtigkeit und Unbelastetheit hat man nur am Anfang. Je mehr man eindringt in die Materie, desto mehr befasst man sich mit der Theorie des Erzählens, was mich zeitweise eher ein bisschen blockiert hat. Inzwischen ist dieses Wissen positiv verknüpft mit meiner Erfahrung.
Inwiefern ist Ihr Leben ein Roman?
Jedes Leben kann ein Roman sein, wenn der richtige Autor es bearbeitet. In all meinen Büchern steckt ein Stück weit eigenes Erleben. Teile meiner Biografie, Versatzstücke aus meiner Kindheit und Jugend, aus meinem Elternhaus habe ich immer wieder verarbeitet. Manches habe ich ein bisschen verfremdet.
Ich glaube, erzählendes Schreiben hat immer einen autobiografischen Anteil. Welcher Sprache man sich bedient, welche Themen man auswählt und wie man Stoffe umsetzt – das hat ja alles mit dem eigenen Erfahrungshorizont zu tun. Ich beispielsweise habe Dokumentarfilm und Fernsehpublizistik an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert. Man denkt ja immer, Dokumentationen zeigten die objektive Wahrheit, die Wirklichkeit. Dabei sind sie genauso wenig objektiv wie der Journalismus. Die Persönlichkeit des Autors beeinflusst das Schreiben. Selbst wenn kein Ich wahrnehmbar im Text erscheint – es ist immer mit enthalten.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Amelie Fried wurde 1958 in Ulm als Tochter eines Verlegers und einer Buchhändlerin geboren. Sie studierte u. a. Publizistik und Theaterwissenschaften, besuchte später die Hochschule für Fernsehen und Film München. Sie moderierte Sendungen wie „Live aus der alten Oper“, „stern TV“ und „3 nach 9“. Für ihre Fernseharbeit erhielt sie den Grimme-Preis und den Bambi. Alle ihre Bücher wurden Bestseller, viele wurden bereits verfilmt. Ihr Kinderbuch „Hat Opa einen Anzug an?“ wurde mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Ihr aktueller Roman „Die Spur des Schweigens“ (Heyne) handelt von einer Journalistin, die sich mühsam als freie Schreiberin durchschlägt und einen Hinweis auf mögliche sexuelle Übergriffe in einem renommierten Forschungsinstitut bekommt. Mit ihrem Mann, dem Drehbuchautor Peter Probst, verfasste Amelie Fried den Sachbuch-Bestseller „Verliebt, verlobt, verrückt? – Warum alles gegen die Ehe spricht und noch mehr dafür“. Das Paar hat zwei Kinder und lebt in München. Gemeinsam mit ihrem Mann gibt Amelie Fried Schreibseminare. https://www.ameliefried.de/