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Braucht Journalismus mehr Tiefgang?

Es war das Jahr großer Einschnitte für Medienkonzerne und Journalist:innen, die noch immer versuchen, den Printjournalismus zu retten. Immer dort, wo die digitale Transformation nicht gelang, endete 2023 oft mit einem Kahlschlag bei Print-Titeln oder dem Stellenabbau in den Redaktionen. Silke Liebig-Braunholz hat unter anderem mit dem Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikations-wissenschaft (DGPuK), Prof. Dr. Klaus Meier, über diese Entwicklung gesprochen und sich mit dem Editorial Director Business Economics und Geschäftsführer der Springer Fachmedien, Andreas Funk, sowie dem Geschäftsführer des Vereins Deutsche Fachpresse, Bernd Adam, darüber ausgetauscht.

Das publizistische System in Deutschland verändert sich. Einerseits stellen immer mehr Traditionsverlage das Erscheinen von Zeitungen und Special-Interest-Magazinen ein. Andererseits ergreifen überregionale Medienhäuser und Fachverlage jetzt ihre Chancen. Die in der Bundesrepublik geschätzte publizistische Vielfalt schwindet demnach keineswegs, vielmehr verlagert sie sich auf neue Agierende und journalistische Produkte.

Auch wenn sich die Veränderungen in unterschiedlichen Märkten abspielen, so beeinflussen sie sich doch anscheinend untereinander. Zu beobachten ist zumindest, dass sich vor allem überregional aufgestellte Medienunternehmen, Anbieter von Fachinformationen sowie neue digitale Verlagshäuser mit hohem Anspruch an tiefergehende journalistische Formate zusehends etablieren.

In große Themen tiefer einsteigen

„Der Trend geht zu Verticals und Dossiers“, beobachtet Prof. Dr. Klaus Meier, also zu Publikationen, die sich an eine bestimmte Berufsgruppe oder Branche wenden oder aber eine Zusammenstellung von Informationen zu einem bestimmten Thema liefern.

In beiden Formaten ließen sich tiefergehende Inhalte vermitteln. So habe die Süddeutsche Zeitung (SZ) gerade ihren neuen Fachnewsletter-Dienst Süddeutsche Zeitung Dossier vorgestellt. Zum Start erklärte die Redaktion unter der Leitung von Florian Eder, dass der neue Kanal „die Flut der Informationen für Leserinnen und Leser strukturiert, die in große Themen über das Angebot der SZ hinaus tiefer einsteigen wollen“.

Trends und Einordnungen über das Fachliche hinaus

Prof. Dr. Klaus Meier, Vorsitzenden der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK), beobachtet den Trend zu Formaten, in denen sich auch über ein reines Fachpublikum hinaus tiefergehende journalistische Inhalte vermitteln lassen. Foto: Dr. Christian Klenk.

Längst hätte es derartige Angebote geben können, wäre die Branche nicht so behäbig: Ihr fällt es noch immer schwer, die Bedürfnisse ihrer Zielgruppen genau zu analysieren und ihre Produkte darauf abzustimmen. Dabei gibt es abseits des tagesaktuellen Geschäfts mit schnelllebigen Informationen, die über digitale Plattformen meist amerikanischer Internetkonzerne abgerufen und dann von deutschen Medien ausgeliefert werden, viel Potenzial für anspruchsvolle journalistische Stücke.

Doch erst seit wenigen Jahren ergreifen Fachverlage ihre Chancen und punkten im digitalen Zeitalter mit ihren spezifischen thematischen Inhalten. Und die Nachfrage danach steigt. „Die Zielgruppe ist größer geworden“, sagt Klaus Meier, der von einem „angrenzenden Fachpublikum“ spricht, dass sich auch themenzentriert für besondere journalistische Angebote interessieren würde. Vor allem Trends und Einordnungen, die über das Fachliche hinausgehen, interessieren die Rezipierenden, die momentan noch als Laienpublikum angesehen werden würden.

Für Andreas Funk ergeben sich daher bereits publizistische Potenziale, die zu einer neu definierten Vielfalt beitragen und nur von Fachverlagen bedient werden können. „Fachverlage haben eine klar definierte Zielgruppe und können sich besser auf spezifische Themen konzentrieren“, sagt er. Im Bereich der Fachjournalistik sei es entscheidend, dass die Leserschaft weiterhin hochwertige, mit Expertise verfasste Inhalte erhält. Dennoch könnten Fachverlage, die sich auf bestimmte Branchen oder Interessengebiete konzentrieren, Wachstumschancen ergreifen und durch die Übernahme wegfallender Titel oder die Einführung neuer Publikationen ihre Position in der Branche stärken.

Spezielle Genre-Autoren und -Themen fördern

Größere Fachverlage können auch weniger erfolgreiche Nischenthemen wirtschaftlich auffangen, wie Andreas Funk, Geschäftsführer der Springer Fachmedien, aufzeigt. Foto: Angelika Stehle.

Das Spektrum der Möglichkeiten sieht Funk auch im Buchbereich. Hier könnten gerade Fachverlage durch die Fokussierung auf Nischenmärkte spezielle Genre-Autoren und -Themen fördern, die in ebenfalls großen Verlagshäusern mit anderen publizistischen Angeboten möglicherweise unterrepräsentiert sind. „Größere Fachverlage können dagegen mit starken Imprints aufwarten. Dies würde ebenfalls dazu beitragen, eine breitere kulturelle Vielfalt zu erhalten. Nicht zuletzt können sie auch weniger erfolgreiche Nischenthemen wirtschaftlich auffangen, um einen Fachbereich programmatisch vollständig abzubilden“, sagt Funk.

Als führender Fachverlag in der Wirtschaft bediene beispielsweise Springer Gabler als einer der Imprints von Springer Nature die gesamte Themenbreite in der Wirtschaft, das heißt von der Abgeltungsteuer bis zum Thema Zoll. „Wir besetzen schon früh neue Themen, selbst wenn diese noch als Nische gelten, denn nicht selten erweisen sich diese als entscheidender Hebel in der Zukunft“, so der Geschäftsführer. Als Beispiel verweist Funk auf ein Projekt, bei dem Autorinnen und Autoren des Verlags erstmals generative künstliche Intelligenz (KI) zur Manuskripterstellung des Fachbuchs „Einsatzmöglichkeiten von GPT in Finance, Compliance und Audit“ nutzen.

Personalisierte Ausspielung spricht auch Laien an

Für Klaus Meier sind Beispiele wie „The Pioneer“ oder „Table Media“ wegweisend für einen neuen Journalismus. „Wir müssen uns keine Sorgen machen hinsichtlich unserer Medienvielfalt. Lediglich die Ausdünnung des Lokaljournalismus sorgt mich, vor allem in spärlich besiedelten Regionen, in denen kaum mehr recherchiert wird“, sagt er. Doch die neuen Beispiele bieten auch Spielräume. Das Digitale sei eine große Spielwiese. So böte beispielsweise die Auswertung von Mediennutzungszeiten auch Chancen, da sich die Zugriffe heute viel leichter messen lassen. Meier empfiehlt deshalb, einzelne Themen durch Querverweise und persönliche Empfehlungen im digitalen Angebot der verschiedenen Verlagstiteln miteinander zu vernetzen und der Leserschaft angrenzende Themen anzubieten. „Mit personalisierter Ausspielung von Inhalten könnte man eben auch ein Laienpublikum ansprechen“, sagt er.

Die erfolgreichsten Fachmedienhäusern zeigen bereits Ansätze zu genau diesen Vorstellungen. „Bei der Struktur der Fachmedienlandschaft beobachten wir zurzeit keine erheblichen Veränderungen. Generell geht der Trend aber in Richtung größerer Einheiten, beispielsweise durch Aufkäufe oder Kooperationen auf organisatorischer Ebene oder Produktebene“, bestätigt der Geschäftsführer des Vereins Deutsche Fachpresse, Bernd Adam. Laut der Fachpresse-Statistik 2022 sehen die Verlegerinnen und Verleger vor allem im Ausbau der Digitalisierung und in organisatorischen Verbesserungen große Entwicklungschancen. Die Transformation scheint zumindest in den Fachmedienhäusern gelungen: „Die Entwicklung im zurückliegenden Jahr verdeutlicht den erfolgreichen Transformationsprozess, den die Fachmedienhäuser in den vergangenen Jahren durchlaufen haben“, fasst Holger Knapp, Sprecher der Deutschen Fachpresse, die Ergebnisse der Erhebung zusammen.

Auf Conversion-optimierende Informationsangebote konzentrieren

Andreas Funk sieht hier jedoch noch lange keinen Grund zur Genugtuung. „Es ist wichtig, zu beachten, dass die langfristigen Auswirkungen dieser Entwicklungen von verschiedenen Faktoren abhängen. Dazu gehört die Frage, wie erfolgreich ein Verlag seine Inhalte in die digitale Welt überführen und wie gut er sich an ändernde Lesegewohnheiten der Zielgruppen anpassen kann. Eine kontinuierliche Beobachtung und die Analyse dieser Veränderungen sind daher die Voraussetzung dafür, um den Markt auch in Zukunft gut einschätzen zu können“, betont er.

Für den Kommunikationswissenschaftler Klaus Meier bieten KI-gesteuerte Analysen hierfür optimale Möglichkeiten. Entsprechende Tools könnten heute bereits erkennen, welche Inhalte Rezipierende lesen möchten, und bieten daraufhin entsprechende weitere Themen an. Die Vorreiter der Branche konzentrieren sich längst auf sogenannte „Conversion-optimierende“ Informationsangebote, die zur Steigerung der Webseitenbesuche beitragen.

Fazit

Der Transformationsprozess ermöglicht vor allem Fachmedienhäusern viele Chancen, ihre branchen- und fachspezifischen Inhalte einem angrenzenden Fachpublikum mit Interesse an tiefergehenden journalistischen Stücken zu offerieren. Neue Formate wie Verticals oder Dossiers eröffnen die Gelegenheit, fundierte Informationen aufzubereiten und die im tagesaktuellen Geschehen untergehenden großen Wissensthemen einzuordnen. Die Expertise der Medienhäuser, die hochwertige Fachinformationen produzieren, ist dafür geradezu prädestiniert.

llustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)


Die Autorin Silke Liebig-Braunholz ist Fachjournalistin (DFJS) und vorrangig als Korrespondentin für die dfv Mediengruppe, also die Deutscher Fachverlag GmbH, und deren Fachtitel, etwa die Lebensmittel Zeitung, tätig. Daneben ist sie als Dozentin beschäftigt, unter anderem für die gemeinnützige Brüsseler Nichtregierungsorganisation Lie Detectors, die Kinder und Jugendliche über Desinformationen und Fake News aufklärt.

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