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„Das Thema Wohnen ist sehr emotional aufgeladen“

Es sich zu Hause schön zu machen, liegt im Trend – und ist gerade jetzt, wo wir alle nach Möglichkeit im Homeoffice arbeiten sollen, ein Riesenthema. Das Wohn- und Lifestyle-Magazin Living at Home gibt Expertentipps rund ums Wohnen, Einrichten und Dekorieren. Christiane Tillmann, die 41 Jahre alte Ressortleiterin Living, und Andreas Lichtenstein, der 61-jährige stellvertretende Chefredakteur und Kreativdirektor, erzählen, warum sie für den Living-Journalismus brennen, was sie als ihre Aufgabe ansehen und wie sie die Chancen für Freie in ihrem Ressort beurteilen.

Ich interviewe seit bald 25 Jahren Prominente und bin zu meinem Beruf gekommen wie die Jungfrau zum Kinde. Wie war das bei Ihnen?

Andreas Lichtenstein: Heute kaum vorstellbar: Im Hamburger Abendblatt fand ich eine Anzeige, dass Schöner Wohnen einen Requisiteur suchte. Ohne zu wissen, was genau den Beruf ausmacht, habe ich mich, obwohl aus dem Modebereich kommend, dort beworben. Und so bin ich seit 1985 im Living-Journalismus zu Hause. Die Zeitschrift Living at Home, die ich mitentwickelt habe, ist ein „Kind“ von Schöner Wohnen – mittlerweile allerdings volljährig. Gegründet wurde sie im Jahr 2000. Als Creative Director von Living at Home bin ich unter anderem verantwortlich für Konzeption und Styling unserer eigenen Fotoproduktionen, die ich nach wie vor extrem gerne mache. Seit drei Jahren bin ich zusätzlich stellvertretender Chefredakteur.

Christiane Tillmann: Ich habe zunächst Geisteswissenschaften studiert, dann aber abgebrochen, weil ich erkannt habe: Journalist werden wollen viele. Eine fachliche Spezialisierung würde meine Chancen auf dem Arbeitsmarkt sicher erhöhen. An der Akademie Mode & Design habe ich den Studiengang Modejournalismus und Medienkommunikation abgeschlossen. Und um meine journalistische Ausbildung abzurunden und in der redaktionellen Praxis mein Handwerkszeug zu lernen, habe ich noch ein Volontariat im Lokalen gemacht. Nach einer Station im Boulevard bin ich in die Werbung gegangen, zum Audi-Magazin. Über das Thema Auto habe ich das Thema Design wieder aufgegriffen. Anschließend habe ich als Freie fürs Couch Magazin, für Schöner Wohnen und Living at Home geschrieben. Seit drei Jahren betreue ich bei Living at Home als Ressortleiterin unter anderem das Wohnressort.

In Ihrem Heft dreht sich alles um ein wohnliches Zuhause, in dem man es sich selbst und seinen Gästen gemütlich macht. Wie wohnen Sie denn selbst?

Christiane Tillmann: Ich bin gerade umgezogen, das war meine Chance für einen Neuanfang auch in Sachen Styling. Nun habe ich fast schwarze Wände. Es gibt aber Stücke, die immer mit umziehen, wie ein Geschirrschrank aus den 1930er-Jahren. Ich habe ein großes Faible für Leuchten; gerade habe ich eine von Verner Panton in Rosa gekauft, den „Flowerpot“, der jetzt über meinem Küchentisch hängt. Es gibt so tolle Klassiker – und immer wieder neue Designer! Ich würde niemals nachgemachte Möbel von Klassikern kaufen, einen Abklatsch. Dann spare ich lieber aufs Original. Wie eine gute Handtasche sind Designklassiker eine Wertanlage. Ansonsten gefällt mir die dänische Designmarke Hay sehr gut und ich besitze einige Einrichtungsstücke dieses Labels – Tendenz steigend …

Andreas Lichtenstein: Meine Frau und ich wohnen sehr reduziert, haben noch nicht einmal Bilder aufgehängt. Unsere Möbel sind inzwischen Klassiker, die finden wir immer noch sehr schön. Mein Esstisch ist von 1969, die Stühle von Arne Jacobsen aus den 1950er-Jahren. Bei uns herrschen die Farben Schwarz, Weiß und Grau vor und als Material Holz. Ganz unprätentiös. Ich lebe meine Leidenschaft fürs Einrichten und Dekorieren in meinem Job aus, zu Hause möchte ich „Stille“.

Was fasziniert Sie am Living-Journalismus?

Andreas Lichtenstein und Christiane Tillmann. Fotocredit: Silke Zander für LIVING AT HOME

Christiane Tillmann: Mich interessiert das große Ganze, die Einordnung in den kulturellen Zusammenhang. Genau wie in der Mode muss auch im Interior-Journalismus alles in den Kontext des Zeitgeistes gesetzt werden. Da ist für mich ganz viel Musik drin. Bei den Wohntrends 2021 gibt es ganz, ganz viele kleine und solche, die darüber liegen und fünf oder zehn Jahre andauern oder sogar länger. Die Frage ist: Warum ist das so, dass die Leute wieder gemütlich wohnen wollen? Dass alles sinnlich wird? Dass man sich die Natur ins Haus holt? Es ist ja kein Zufall, dass gerade die Farbe Grün angesagt ist oder Blau. Das ist vielschichtig, aber einer der Gründe liegt sicher in der Sehnsucht nach einem langsamen Leben, nach Achtsamkeit. Dem Entkoppeltseinwollen von abstrakten Dingen wie dem Internet. Wir wollen eine sinnliche, menschliche Komponente haben, etwas, das wir anfassen können. Dazu gehören Pflanzen. Wie schon während der Industrialisierung erleben wir in unserer digitalisierten Gesellschaft gerade ein Revival der „Arts-and-Craft“-Bewegung – Handwerk, natürliche Materialien, Achtsamkeit, Langsamkeit.

Andreas Lichtenstein: Mein Interesse gilt dem Design, dem Gestalten. Möbel, Räume, neue Ideen zu zeigen, darüber zu schreiben, sich damit auseinanderzusetzen. Und zu sehen, wie sich Einrichtungsstile wiederholen. Mit Pflanzen zu leben zum Beispiel war in den 1970er-Jahren ganz normal, in den Neunzigern waren sie ein absolutes No-Go in der Wohnung. Was wir verneint haben, wird von der Jugend bejaht.

Heißt das: Die Geschichte wiederholt sich?

Andreas Lichtenstein: Nie zu 100 Prozent. Aber man lehnt sich auch bei der Einrichtung an schon Dagewesenes an – letztendlich sind es Zitate. Was ich so faszinierend finde: Die Wohnwelt, die Christiane und ich mit unseren Kollegen bespielen, dreht sich in einem sehr gemächlichen Tempo. Auch wenn wir mit der Mode gehen, sind Wohntrends sehr viel beständiger. Wir müssen nicht pausenlos neue Rocklängen definieren. Wohnen ist nicht so schnelllebig, sondern eine Entscheidung für eine lange Zeit.

Christiane Tillmann: Das stimmt. Aber ich finde schon, dass sich das Karussell schneller dreht als noch vor 20 Jahren. Bei Wohnaccessoires hat es ein bisschen an Tempo gewonnen, da versucht man, mit der Mode mitzuspielen. Bei Wandfarben beispielsweise sind die Leute experimentierfreudiger geworden. Im Moment sind warme Gewürzfarben wie Curry und Safran und schwarze Leuchten der Renner.

Abgesehen vom Wissen um Trends: Welche Qualifikationen sollte man als Living-Journalist noch mitbringen?

Christiane Tillmann: Das kommt stark auf das Magazin an. Grundsätzlich braucht man gewisse Marken- und Branchenkenntnisse. Man sollte Designer kennen und verfolgen, was die machen, für wen sie arbeiten. Kontakte zu PR-Firmen schaden nicht. Und vor allem ist ein gewisses Gespür für Trends und Optiken wichtig; es sollte ein Gefühl für Komposition vorhanden sein. Denn die Redakteure sind maßgeblich am Erscheinungsbild des Heftes beteiligt. Wir schreiben nicht nur die Texte, sondern konzipieren auch die Optik mit.

Andreas Lichtenstein: Eine gewisse Geschmackssicherheit ist definitiv ein Kriterium bei der Einstellung eines Redakteurs. Im Living-Journalismus gehört aber auch etwas Distanz dazu, der kritische, differenzierte Blick. Jeden Trend mitzumachen, ist gar nicht unsere Aufgabe. Wir müssen gucken: Ist das wirklich von Belang? Wir haben ja auch eine Verantwortung den Lesern gegenüber. Living at Home ist eine Freundin, die berät.

Christiane Tillmann: Wir sind ein modernes Wohnheft, das nicht zu weit nach hinten guckt und nicht zu weit nach vorne. Sprich: Wir machen kein avantgardistisches Designheft. Man kann unsere Empfehlungen sofort kaufen und unsere Tipps direkt zu Hause umsetzen. Wir nennen jede Internet-Adresse.

Im Living-Journalismus ist der Textanteil geringer. Sie lassen Bilder sprechen?

Andreas Lichtenstein: Das ist richtig. Es geht um die Optik, man darf aber – was ich zugegebenermaßen lange getan habe – die Texte nicht unterschätzen. Ich habe durch meine Textchef-Arbeiten gelernt, wie schwer Wohntexte zu schreiben sind. PR-Texte sollten aus PR-Agenturen kommen, nicht aus der Feder eines Journalisten.

Anders als bei einer Reportage, die von Menschen lebt, stehen im Living-Journalismus meist Häuser oder Wohngegenstände im Mittelpunkt …

Christiane Tillmann: Da würde ich widersprechen, das würde ich total verneinen. Wir beschäftigen uns extrem mit Menschen! Denn deren Wohnumgebung ist jeweils Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Wenn wir in einer Wohnreportage Einrichtungsgegenstände abbilden, geht es immer um Storytelling, wie es auf Neudeutsch heißt. Darum, warum das Stück einen ideellen Wert für denjenigen hat. Eine Wohnung erzählt immer etwas über die Menschen, die darin wohnen.

Andreas Lichtenstein: Wir zeigen bei jeder Wohnreportage immer auch den Besitzer. Es ist heute Usus, dass man die Menschen vorstellt – und zwar in Text und Bild. Das macht es lebendig und authentisch. Wir stellen einen Kasten dazu, in dem steht: Wer wohnt hier? Was machen diese Leute beruflich? Haben sie Kinder? Und so weiter. Außerdem geben sie immer drei persönliche Tipps für unsere Leser.

Christiane Tillmann: Wohnreportagen sind die Homestories des Living-Segments. Die Leute öffnen uns ihre Tür, lassen uns in ihre Wohnung, in ihr Leben. Es ist eine Einladung an den Wohnredakteur und damit auch den Leser: Komm rein, ich zeige dir, was ich habe, und du kannst es nachmachen.

Andreas Lichtenstein: Schlüssig und gut lesbar darzustellen, warum wir gerade dieses Haus vorstellen, ist eine Herausforderung für den Living-Journalist. Der Text muss eine Leichtigkeit haben, das Menschliche gut rüberbringen. Eine spannende Reportage zu schreiben, ist ebenso schwierig wie wichtig.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag ansonsten aus?

Christiane Tillmann: Das hängt sehr davon ab, in welcher Phase der Produktion wir uns befinden. Um einen Artikel aufzubauen, geht es zunächst darum, Bilder zu sichten – ich fange mit der Optik an. Die Redakteure arbeiten bei uns sehr autark an ihren Artikeln. Unser Beruf ist sehr abwechslungsreich und wir haben viel mit Menschen zu tun. Wir gehen auf Termine, telefonieren, tauschen uns mit PR-Kollegen aus.

Andreas Lichtenstein: Ein Teil meiner Aufgaben ist, die einzelnen Ausgaben inhaltlich zu entwickeln. Ich nehme alle Layouts ab. Die Redakteure schreiben und produzieren teilweise selbst im Studio. Mit der Chefredakteurin und der Artdirektorin bespreche ich den Titel. Und bevor das Heft zugemacht wird, mache ich die Endabnahme. Nach dem Textchef lese ich nochmals alle Seiten – was mehr Zeit in Anspruch nimmt, als man denkt. Als Creative Director bin ich seit jeher zuständig für den optischen Auftritt. Ich habe das große Glück, einen Beruf zu haben, der mir nach wie vor unglaublichen Spaß macht.

Christiane Tillmann: Weil wir uns mit dem Schönen befassen! Wenn ich als Redakteurin bei jemandem zu Gast bin, kann ich mir die Highlights seiner Einrichtungsideen mitnehmen. Ich lerne mit jedem Menschen, jeder Wohnung, jedem Produkt etwas dazu.

Wie finden Sie spannende Themen?

Christiane Tillmann: Da gibt es mehrere Wege: Es kann sein, dass ein Fotograf eine Strecke anbietet, und wir gehen bei den Agenturen auf die Suche. Oder wir sehen einen interessanten Blog-Beitrag: Ein Instagrammer oder Influencer hat etwas gepostet, das uns gut gefällt. Wir kommen auch durch Online-Magazine an Themen, über PR-Termine und Messebesuche. Wichtig für uns ist in jedem Fall, dass ein Thema plakativ ist und optisch gut umsetzbar.

Andreas Lichtenstein: Von Living at Home erscheinen zwölf Ausgaben im Jahr. Bestimmte Themen sind von Feiertagen oder Jahreszeiten vorgegeben: Ostern, Weihnachten, die Ferien; im Frühjahr geht es ums Erneuern und Verändern, um frische Farben. Im Herbst wollen wir es uns mit warmen Farben drinnen gemütlich machen. Wir fragen uns immer: Was könnte gerade für unsere Leser interessant sein? Bei der Themenfindung gucken wir sehr weit über den Tellerrand, stöbern in ausländischen Heften bis Australien. Eine Kollegin ist sehr internetaffin, ich persönlich bin ein absoluter Messegänger, fahre für mein Leben gern nach Köln, Mailand, Stockholm oder Paris. Diese Möglichkeiten, Inspirationen zu bekommen, Strömungen zu entdecken, sind eine unglaubliche Qualität unseres Berufs. Wir sehen so viel Tolles, was wir gar nicht alles zeigen können.

Was soll und kann Einrichtungsjournalismus leisten?

Andreas Lichtenstein: Wir sortieren vor, stellen jeweils eine gewisse Bandbreite an Produkten vor. Dabei pflegen wir einen ganz bestimmten Stil.

Christiane Tillmann: Wir kuratieren die schönsten Stücke, erklären die Wohnwelt. Die Leute sind überfordert mit der Flut – und wissen: In Living at Home ist wahrscheinlich etwas drin, was mir gefällt. Wenn ich mir das Heft kaufe, weiß ich, was ich bekomme – ohne 1.000 Seiten im Netz durchscrollen zu müssen. Wir inspirieren, zeigen Trends, geben Anregungen rund ums Einrichten.

Stichwort Sponsoring/Advertisement: Wie unabhängig sind Sie bei der Berichterstattung und der Auswahl der Produkte?

Andreas Lichtenstein: Wir sind darauf bedacht, unabhängig zu berichten. Es ist uns wichtig: Wir sind kein Katalog! Essenziell ist für uns der Bezug zum Leser. Wir fragen uns immer: Worum geht es bei Thema? Was wollen die Leser, was interessiert sie? Wenn Anzeigenkunden ein gutes Möbel im Portfolio haben, zeigen wir das gerne. Wir zeigen jedoch genauso viele Produkte von Firmen, die keine Anzeigen schalten. Unsere Anzeigenkunden finden sich in unserem Stil wieder, das macht uns auch aus. Schöne Anzeigen bereichern das Heft. Aber wir würden niemals eine Seite mit Sofas allein von unseren Anzeigenkunden machen.

Welche Rolle spielen Online-Magazine und Influencer für Ihr Magazin?

Andreas Lichtenstein: In diesem Jahr arbeiten wir mit vier verschiedenen Garten-Bloggern zusammen. Im letzten Jahr beispielsweise hat Holly Becker, eine sehr bekannte Wohn-Bloggerin und Influencerin, über mehrere Hefte ihre Erfahrungen mit uns und mit unseren Lesern geteilt. Wir sind durchaus an einer Befruchtung interessiert, empfinden das als große Bereicherung und haben auch Spaß daran. Das sind verschiedene Medien, die sich sehr schön ergänzen. Das kann man gar nicht mehr trennen.

Christiane Tillmann: Natürlich buhlt man in gewissem Sinn um die Aufmerksamkeit der Leser. Aber ich glaube, dass die Leute, die sich eine Zeitschrift kaufen, etwas anderes suchen als diejenigen, die im Netz unterwegs sind. Im Printbereich ist ein anderes Bedürfnis am Start, da wünscht sich der Leser, dass es mehr in die Tiefe geht als im Online-Bereich, wo sich das Rad viel schneller dreht. Unser Heft liest man eher am Sonntag in Ruhe bei einer Tasse Kaffee durch. Im Vergleich zu Social-Media-Kanälen sind Texte und Hintergrundinformationen in Print wichtiger. Ich empfinde Online-Magazine und Social-Media-Accounts nicht als Konkurrenz, sondern eher als Inspiration – wobei natürlich nicht jeder Blogger, jedes Web-Portal gleichermaßen inspirierend ist.

Wem folgen Sie selbst?

Christiane Tillmann: Ich schaue mir viele – auch internationale – Online-Magazine an, wie Dezeen.com, Designboom.com und stylepark.com; auf Instagram folge ich Bloggern und Designern wie zum Beispiel @sophiealda, @wearestudiostudio, @lumikello, @crosybstudios, @formafantasma, @linneklund oder @solebich. Yatzer.com ist ein sehr großer internationaler Blogger, außerdem mag ich den Happyinteriorblog von Igor Josif und cocolapinedesign.com.

Andreas Lichtenstein: Es gibt viele, viele gute Adressen. Um nur ein paar zu nennen, denen ich folge: studiopepe_official, bruun.uk, tenka gammelgaard, seraina silja, angela_smith_artist. Ich mag den Blog decor8blog.com von Holly Becker. Ansonsten schaue ich mir Blogs und deren Macher und Machrinnen selten an, da ich als „Augenmensch“ Instagram und Pinterest beeindruckend finde und mich dort oft genug auf der Suche nach Inspiration verliere. Sich durch diese Bilderflut durchzuarbeiten, nimmt relativ viel Zeit in Anspruch. Ich empfinde es als Herausforderung, den Instagram-Account von Living at Home aufzubauen und zu pflegen. Auf livingathome_magazin poste ich inspirierende Dinge, die mir auf Messen oder im Redaktionsalltag begegnen.

Um diese Inspirationen umzusetzen und sich schön einzurichten: Braucht man dafür viel Geld?

Andreas Lichtenstein: Da muss man erst einmal klären: Was gefällt mir persönlich? Das Wichtigste ist, dass man sich selbst wohlfühlt. Meine erste Wohnung war toll, ich habe da extrem gerne gewohnt. Ich habe mir damals Gartenmöbel gekauft, diese umlackiert und zu Esszimmermöbeln gemacht. Geld macht es sicher leichter. Aber man kann sehr, sehr schön wohnen auch für wenig Geld. Das ist machbarer geworden in den letzten Jahren. Immer mehr Möbelhäuser gewinnen namhafte Designer, die tolle Möbel entwerfen für einen leistbaren Preis. Auch Influencer haben ihren Teil dazu beigetragen, dass man sehr geschmackvoll wohnen kann für kleines Geld. Es gibt wunderschöne Grafiken – man muss nicht unbedingt echte Kunst an den Wänden hängen haben.

Christiane Tillmann: Ob die Möbel viel kosten oder wenig – den guten Geschmack muss man selbst mitbringen. Aber, wie Herr Lichtenstein auch eben gesagt hat, insgesamt ist Design heute demokratischer geworden. Meint: Immer mehr Menschen können es sich leisten, sich neu einzurichten. Der schnellere Konsum hat also auch hier Einzug gehalten. Für uns ist das manchmal ein Spagat: Einerseits zeigen wir viele Produkte, andererseits haben wir Nachhaltigkeitsthemen im Heft – auch, weil unsere Leser sich zunehmend dafür interessieren. Ebenso bekommt Nachhaltigkeit bei den Herstellern einen größeren Stellenwert. Sie achten immer mehr darauf, dass Möbel beispielsweise aus zertifiziertem Holz oder zu sozial fairen Arbeitsbedingungen hergestellt werden.

Andreas Lichtenstein: Der Designer einer Bulthaupt-Küche hat einmal gesagt, Design sei auch ein Stück Verantwortung der Umwelt gegenüber.

Warum behauptet sich Living at Home seit 20 Jahren so erfolgreich am Markt?

Andreas Lichtenstein: Wir zeichnen uns durch eine sympathische, farbenfrohe Bildsprache aus, strahlen Entspanntheit und Fröhlichkeit aus. Und: Living at Home hat das Kleine groß gemacht – das ist eines unserer Erfolgsrezepte. Früher wurde für ein Fotoshooting im Living-Segment ein Raum mit einem Architekten hergerichtet. Davon wurde ein Foto im Querformat gemacht. Wir haben dann den gedeckten Tisch als Ganzes gezeigt, aber auch das Besteck, die Deko. Mal eine Vase über eine Seite gezogen. Oder gefragt: Was macht diesen Blumenstrauß besonders? Vor 20 Jahren war das wirklich etwas Besonderes.

Christiane Tillmann: Heute ist das Thema Wohnen sehr emotional aufgeladen. Sich zu Hause wohlfühlen zu wollen, ist wieder sehr aktuell – da treffen wir nach wie vor einen Nerv. Wir haben die vier redaktionellen Bereiche Wohnen, Küche & Gäste, Garten und Entdecken. Denn Leute, die sich für ein schönes Zuhause interessieren, interessieren sich sehr wahrscheinlich auch für eine hübsche Blumendeko, für gutes Essen und für Mode. Das hängt alles zusammen, das ist einfach Lebensart. Ich glaube, unsere Themenmischung macht’s. Und die tollen Leute, die bei unserem Magazin arbeiten.

Andreas Lichtenstein: Living at Home ist durchaus ein Heft mit femininen Themen. Es geht ums Verschönern. Gerade in diesen Zeiten merken wir ein riesiges Interesse am Wohnen und Dekorieren. Und wir hatten lange nicht mehr so viele schriftliche Nachfragen zu den Themen und den Heften. Unser Leserdienst hat sehr viel zu tun.

Christiane Tillmann: Die Leserinnen sind sehr aufmerksam und interessiert, gucken sich jedes Detail an. Sie entdecken den schwarzen Kerzenständer im Hintergrund eines Fotos und fragen danach. Es ist schön, wenn es Feedback gibt. Das ist in meinen Augen eine Auszeichnung – gerade in Zeiten, wo man mit Input überflutet wird.

Ihre Prognose für die Zukunft Ihres Ressorts? Und: Wie lauten Ihre Tipps für Freie?

Christiane Tillmann: Wer gern im Living-Ressort tätig wäre, sollte sich nicht nur auf das Interieur spezialisieren, sondern auch etwas über Architektur wissen. Und sich nicht nur auf das Schreiben beschränken. Je breiter man aufgestellt ist, je mehr man auf der Klaviatur von Konzept über Optik, Bilddaten, Layout hin zu Online-Artikel und Podcast spielen kann, desto besser. Es geht immer mehr in Richtung Multimediaredakteur – und das gilt übrigens auch für festangestellte Redakteure. Da es tendenziell immer weniger Stellen gibt, muss ich umso besser sein. Je mehr ich anbieten kann, desto größer ist die Chance, angestellt oder als Freier gebucht zu werden.

Andreas Lichtenstein: In der heutigen Zeit haben sich die Anforderungen geändert, auch durch die digitalen Möglichkeiten; man muss sich den Gegebenheiten anpassen. Jüngere Kollegen sind sehr gefordert, zu überlegen: Wie mache ich mich unersetzlich? Auch für die Älteren ist es gut, sich eine gewisse Offenheit zu bewahren. Den klassischen Beruf des Living-Redakteurs – ich schreibe nur übers Wohnen –, den wird es so nicht mehr geben.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Christiane Tillmann hat u.a. als freie Design-Journalistin gearbeitet. Seit 2018 ist sie bei Living at Home (Deutsche Medien-Manufaktur) – zunächst als Redakteurin, seit 2020 als Ressortleiterin Wohnen, Garten, Lifestyle.

Andreas Lichtenstein hat 1985 bei Schöner Wohnen als Stylist (früher: Requisiteur) angefangen, war dort ab 1996 Ressortleiter. Seit 1999 ist er als Creative Director bei Living at Home (und inzwischen auch bei Hygge) unter anderem für Konzeption und Styling der Foto-Produktionen zuständig. Zusätzlich ist er seit drei Jahren Stellvertretender Chefredakteur bei Living at Home.

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