Die fünf Meilensteine des Schreibprozesses
Bereits die alten Griechen wussten schon, dass Texte nicht in einem großen Kraftakt entstehen. Sie unterteilten den Schreibprozess in fünf Phasen, die bis heute gelten und wir Ihnen vorstellen
Wenn Sie einen Text verfassen, sind Sie Ihr eigener Chef. Im Großen und Ganzen bestimmen Sie selbst, wann, wie, was im Einzelnen und häufig auch wo Sie schreiben. Getragen werden Sie dabei von ein paar festen Größen wie Textabsicht, Darstellungsform, Abgabetermin, Zeilenzahl oder Corporate-Design-Vorgaben. Andere Erwartungen sind weniger klar formuliert, beispielsweise wie man das Thema aufzieht, die Informationen verknüpft, die Zielgruppe erreicht oder wie der Text beschaffen sein muss, damit er gefällt, ankommt und wirkt. Es liegt an Ihnen, geeignete Lösungen zu entwickeln, und wenn Sie den Eindruck haben, dabei abwechselnd im Dunkeln zu tappen und auf dem Vulkan zu tanzen, trügt Ihr Gespür Sie nicht. Das Risiko, aber auch der Reiz des Schreibens liegt darin, mit Zeit- und Entscheidungssouveränität zurechtzukommen. Ohne Peilung und Bauplan geht das nicht. In diesem Kapitel dreht sich deshalb alles darum, wie Sie Ihre Schreibprojekte so planen und managen, dass ein möglichst passgenaues Ergebnis entsteht. Denn ganz gleich, ob Sie einen einseitigen Geschäftsbrief, eine hundertseitige Masterarbeit oder einen wiederkehrenden Newsletter verfassen – gute Texte beginnen dort, wo es keiner sieht: bei der konzeptionellen Vorarbeit. Dazu gehören das Briefing, ein Zeitplan, Überlegungen zur Zielgruppe und, das ist das wichtigste, das Konzept.
Der Schreibprozess: Die Meilensteine kennen
Wenn man ein Auto baut oder ein neues Haarshampoo konzipiert, ist es ganz selbstverständlich: Auf dem Weg zum Markt durchläuft das Produkt mehrere voneinander getrennte Entwicklungsschritte. Niemand käme auf die Idee, mal eben so auf zufällige Ideen, begnadete Geistesblitze oder einen guten Tag zu vertrauen. Beim Schreiben und Texten ist dieser definierte Prozess eher die Ausnahme. Dabei wussten schon die alten Griechen: Texte entstehen nicht in einem großen Kraftakt.
Deshalb unterteilten sie den Schreibprozess in fünf Phasen, die bis heute gelten.
Fünfstufiger Schreibprozess
Schritt 1: Brüten
Am Anfang steht das Brüten, die Inkubation, in der die Idee zu einem Text entsteht und Gestalt annimmt. In dieser Zeit überlegen Sie, wie Sie das Thema anpacken, was Sie mit Ihrem Text erreichen möchten, wo Sie welche Informationen bekommen und was Ihre Leser erwarten. Ein großer Teil dieser geistigen Auseinandersetzung findet unterhalb der Schwelle der bewussten Wahrnehmung statt.
Schritt 2: Konzipieren
Im zweiten Schritt stellen Sie die entscheidenden Weichen. Sie verschaffen sich einen gründlichen Überblick über Ihr Thema, Strukturierungsmöglichkeiten kristallisieren sich heraus, Aufwand und Zeitbedarf für die Textproduktion lassen sich grob abschätzen. Am Ende der Strukturierungsphase steht ein erstes Arbeitsergebnis. Bei kurzen Texten haben Sie Ihre Argumente und deren Reihenfolge notiert, bei langen in einem Textkonzept die Makrostruktur des künftigen Textes, Absicht, Sprachstil, Umfang und einen groben Zeitplan festgelegt. Aufwändige Konzepte können darüber hinaus eine Aufstellung der inhaltlichen Highlights umfassen, eine Zielgruppenanalyse, eine Liste von Ansprechpartnern, Zitate und sogar ein fertiges Kapitel.
Schritt 3: Rohtext schreiben
In der dritten Phase geht es zur Sache. Die gesammelten Ideen und Gedanken werden in Sprache umgesetzt. Was dabei entsteht, ist vom fertigen Text so weit entfernt wie ein Rohbau vom Traumhaus. Die Sprache klingt an vielen Stellen holprig, inhaltliche Lücken hemmen das Vorankommen, weiterführende Einsichten tauchen auf und eröffnen neue Fragen. In der Praxis wechseln deshalb Rohtexten, Recherchieren und Überarbeiten einander ab. Bei längeren Texten sind fast immer kleine Anpassungen an der Struktur notwendig. Wurde die Rohtextphase gut vorbereitet, stellen sich jetzt die kostbaren Momente der Leistungseuphorie ein, die der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi als ›Flow‹ bezeichnet und in denen Schreiben süchtig machen kann – selbst das prosaische berufliche Schreiben.
Schritt 4: Redigieren
Die vierte Komponente des Schreibprozesses ist das Redigieren. Hier wird der Rohtext zum Reintext aufpoliert. Je nach Qualität der Rohfassung kann sich diese Phase als hartes Stück Arbeit erweisen, und fast immer erfordert sie mehr Zeit und Disziplin als erwartet. Satz für Satz optimieren Sie jetzt die Lesbarkeit des Entwurfs, präzisieren Unklares, streichen Überflüssiges, ergänzen Vergessenes. Meistens ist das Verbesserungspotenzial so groß, dass Sie sich mehrmals durch den Text hindurcharbeiten müssen.
Schritt 5: Korrigieren
Im abschließenden Schritt eliminieren Sie letzte sprachliche Unschönheiten, Tipp- und Rechtschreibfehler und Verstöße gegen die Zeichensetzung. Diese Qualitätssicherung ist lästig, entscheidet aber, wie Ihr Text auf den ersten Blick wirkt: flüssig lesbar oder gespickt mit sprachlichen Stolpersteinen, dilettantisch oder professionell. Wer keine Mühe in die vermeintlichen Äußerlichkeiten steckt, erntet auch für die Inhalte wenig Anerkennung.
Dieser Text ist ein Auszug aus dem Buch „Erfolgreich texten“ von Doris Märtin, erschienen im Bramann Verlag, Frankfurt am Main 2019.
Titelillustration: Esther Schaarhüls
Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).
Die Autorin Dr. phil. Doris Märtin hat Sprach- und Literaturwissenschaft studiert, in Anglistik promoviert und ihre Begeisterung für Sprache, Stil und Storytelling zum Beruf gemacht. Als Kommunikationsberaterin unterstützt sie Unternehmen, eine eigenständige Sprachkultur zu pflegen und Kunden emotional intelligent anzusprechen. Als Texterin entwickelt sie Businesstexte, die die Kauflust schüren und das geschäftliche Miteinander entspannen. In ihren Büchern geht es um gute Kommunikation, Auftreten und den reflektierten Umgang mit sich und anderen. Zu ihren bekanntesten Büchern gehören Habitus. Sind Sie bereit für den Sprung nach ganz oben? (2019), Erfolgreich texten (2019) und Smart Talk. Sag es richtig (2013). Ihr Blog heißt „sageundschreibe“.