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Digitales Storytelling: Das Maximum aus einer Geschichte herausholen

Anleitung für ein professionelles Storytelling.

Anmerkung: Bei dem Beitrag handelt es sich um den Gewinnertext des Schreibwettbewerbs “Journalistische Trendthemen” des Deutschen Journalistenkollegs in der Kategorie “Digitales Storytelling”. Mehr Informationen darüber erhalten Sie hier.

Mit der Veränderung der Medienbranche durch den Prozess der Digitalisierung in einer vernetzten Welt hat sich auch die journalistische Erzählweise verändert. Geschichten erreichen Menschen heute anders, als dies noch zu Zeiten der Verbreitung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert der Fall war. Ein ansprechendes „digitales Storytelling“ oder auch „Scrollytelling“ bietet die Möglichkeit, durch einen gezielten multimedialen Einsatz den Nutzer auf interaktive Weise in eine starke Geschichte einzubinden. Wie ein professionelles digitales Storytelling aussehen kann und wie man ein solches erstellt, zeigt folgender Beitrag.

Medienarten sinnvoll kombinieren

Worin genau besteht nun der Mehrwert einer digitalen Geschichte? Wie holt man das Maximum aus einer guten Geschichte heraus? Autor und Multimedia-Redakteur Simon Sturm sagt in einem Interview mit The C3 Magazine: „Im besten Fall sollte von Beginn der Recherche an überlegt werden, mit welcher Medienart welcher Aspekt einer Geschichte am besten erzählt werden kann.“ Die einzelnen Module ergeben zusammen den digitalen Mehrwert. Kurzum: Die Mischung macht’s.

Eine sinnvolle Kombination von verschiedenen Medienarten lässt sich bereits anhand zahlreicher Beispiele erfolgreicher multimedialer Umsetzungen im digitalen Storytelling demonstrieren. So zeigte sich mit der interaktiven Web-Doc „Netwars“ und der zeitgleichen Ausstrahlung der TV-Dokumentation „Krieg im Netz“, wie modernes Erzählen auf diesen Plattformen aussehen kann und vor allem, wie sich dieselbe Geschichte auf anderen medialen Plattformen weiterentwickelt.

„Netwars“ ist eine interaktive dokumentarische Webserie in fünf Episoden zum drohenden Cyberkrieg. Der Spieler wird eingeladen, eine Episode zu wählen. Die erste Episode startet mit einer kurzen geschichtlichen Einführung zum Thema „Krieg“. Bald darauf wird der Spieler dazu aufgefordert, zu testen, wie es um sein Potenzial als Cyber-Soldat steht. Angereichert ist die Episode mit Experteninterviews im Originalton, grafisch dargestellten Informationen und einem Wissensquiz. Am Ende der ersten Episode hat der Spieler die Wahl zwischen einer roten und einer blauen Pille. Der Nutzer konsumiert und agiert über den ganzen Verlauf hinweg im schnellen Wechsel.

Das gesamte Projekt zu der Geschichte des Cyberwars und zu den Gefahren im Internet ist zusätzlich verbunden mit einem Infoportal, Audio- und E-Books sowie einer Graphic-Novel-App. Die Stärken der ausgewählten Medienarten passen zu den verschiedenen Aspekten der Geschichte und erlauben dem Konsumenten damit eine intuitive spontane Interaktivität. Die starke digitale Geschichte ist hier eingebettet in eine mediale Erzählwelt und erreicht so ihr Maximum an Mehrwert für den Nutzer.

Vom Klassiker zum digitalen Produkt

Die Kindergeschichte „Oh, wie schön ist Panama“ von dem Autor Janosch ist eine der bekanntesten illustrierten Kindergeschichten in der deutschen Kinderliteratur und von App-Produzent und Publisher Mixtvision Digital adaptiert worden. Es gehe darum, bewegende Geschichten mediengerecht zu erzählen und gleichzeitig dem geänderten Nutzungsverhalten Rechnung zu tragen, ohne den Kern der Geschichte zu verändern, sagt Benjamin Feld, Geschäftsführer von Mixtvision Digital. Ziel sei es, mit den heutigen Möglichkeiten Geschichten interaktiv erlebbar zu machen. Mithilfe eines dreidimensionalen Globus, der in alle Richtungen gedreht werden kann, verfolgt der Spieler nicht nur die Reise von Tiger und Bär in der Erzählung, sondern er erlebt sie auch aktiv durch die Teilnahme an kleinen Spielen mit. Damit hat die App den entscheidenden Mehrwert gegenüber dem Buch.

Digitales Storytelling muss nicht aufwendig sein

Je nachdem, um welches Projekt es sich handelt, braucht man eine ganze Palette an beteiligten Spezialisten, wie zum Beispiel Produzenten, Entwickler, Storyboard-Artists, ein Kamerateam und auch Journalisten. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen. Für den einzelnen Journalisten mag die Entwicklung einer digitalen Story im Vergleich zu den bereits aufgezeigten geldverschlingenden Produktionen in der Breite der transmedialen Möglichkeiten eher bescheiden ausfallen. Nichtsdestoweniger bieten sich Text, Audio, Video, Fotos, interaktive oder statische Grafiken jedem an. Und jeder kann damit im Rahmen seines Know-hows und im Rahmen seines Budgets eine digitale Geschichte erzählen, ohne sich in Unkosten zu stürzen. Selbst in einer einfachen Präsentation lässt sich eine gute Geschichte nur mithilfe der Zutaten Internet, iPad, Leinwand und Publikum interaktiv erzählen.

Das Fundament: die Geschichte

Aber all die Technologie, die uns ein weites Feld an transmedialen Möglichkeiten bietet, nutzt nichts, wenn die Geschichte keine gute Geschichte ist. Sie ist die Plattform, auf der sich alle digitalen Storyteller bewegen.

Ob nun Journalist oder nicht: Der Ausgangspunkt für jeden ist die Idee. Zwar gibt es zahlreiche Schreibratgeber darüber, wie man eine gute Geschichte entwickeln kann. Im Kern findet man jedoch immer wieder die gleichen und bekannten Kriterien. Für die Entwicklung einer guten journalistischen digitalen Geschichte zählt Simon Sturm in einer Checkliste auf: redaktionelle Unabhängigkeit, originelle Recherche, relevante Aktualität, Dramaturgie und Emotionalität, Informationstiefe und Nutzerführung, technische Interaktivität, Nutzwert und Crossmedialität.1 Eine Geschichte lebt von ihren Figuren, von Konflikten, Spannung, der Perspektive, der Freiheit der Idee ohne Zensor im Kopf freien Lauf zu lassen, und ihrer Glaubwürdigkeit, Emotionalität und Tiefe.

Hierbei muss der Anfang nicht unbedingt ein Text sein. Eine Geschichte lässt sich beispielsweise auch mit einer Fotostrecke erzählen. Als Journalist muss man sich dann über die Auswahl aussagekräftiger Fotos Gedanken machen, über Bildunterschriften und über die Abfolge der Bilder, damit die Aussage und der Erzählstrang klar sind. Zudem sollten zumindest Grundkenntnisse zu Bildbearbeitungsprogrammen wie zum Beispiel Photoshop, Picasa oder GIMP vorhanden sein. Die fertige Bilderstrecke kann auch als Slideshow mit Sound gestaltet werden.

Soll das Projekt dagegen zum Beispiel ein Video für das Web sein, erstellt man vorher ein Storyboard. Bei den Überlegungen dazu dürfen der Betrachter und seine Reaktionen nicht außer Acht gelassen werden. Das Storyboard ist das Rückgrat der späteren Produktion. Es visualisiert die Bilder der Figuren, Gegenstände und Szenerien in der Geschichte in einer Serie grob gehaltener Illustrationen. Auch bei der Erstellung eines Storyboards lässt sich mit Technologie arbeiten wie zum Beispiel mit einem digitalen Zeichenstift. Ein perfekter Zeichner muss man dafür nicht sein. Jedenfalls nicht, wenn es sich nicht um eine professionelle Produktion mit großem Budget handelt. Bei professionellen Produktionen werden grobe Zeichnungen bevorzugt, wie Storyboard-Artist und Autor Giuseppe Cristiano schreibt.2 Der Kopf arbeitet so flexibler mit dem Umfeld der Szene.

Für den Dreh selbst sollte man etwas von der Kameraführung verstehen. Mit der „Five-Shot“-Regel nimmt die Kamera die Szene in fünf Einstellungen auf:

  1. Extremes Close-up der Aktion,
  2. Close-up der Person,
  3. Aufnahme von Gesicht und Aktion in naher Einstellung,
  4. Over-the-Shoulder,
  5. Einstellung frei nach Wahl.

Verbreitete Tools für den Videoschnitt sind zum Beispiel „Adobe Premier“ für Microsoft-Anwender oder „Final Cut“ für den Mac-Rechner. Wenn sich die Einstellungen mit den fünf journalistischen W-Fragen, „Wer“, „Was“, „Wann“, „Wo“, „Warum“, decken, kann sich in der weiteren Entwicklung ein lebendiges digitales Storytelling ergeben, das den Nerv der auserwählten Zielgruppe hoffentlich erwartungsgemäß trifft. Speziell über multimedialen Journalismus berichtet Matthias Eberl in seinem Blog.

Kritische Stimmen

Benjamin Feld warnt davor, dass bei modernen Erzählungen die Rolle des Mediums oft überschätzt und Ingenieurskunst die Erzählkunst ablöse. „Dies ist eine fatale Entwicklung, weil Menschen ein angeborenes, untrügliches und intuitives Gespür für Emotionen, Authentizität und Dramaturgie haben“.3 Nach Feld „bleibt die Story das Geschäftsmodell der Zukunft“.

Auch die immer wieder betonte Interaktivität in der digitalen multimedialen Umsetzung einer Geschichte erfährt Gegenwind. Clemens Hochreiter, Gründer und Geschäftsführer der Münchner Firma Reality Twist, findet, dass digitales Erzählen nicht zwangsläufig Interaktion bedeuten müsse. „Verschiedene Medien mit Games oder interaktiven Komponenten zu kombinieren, ist nun mal etwas, das viel Potenzial hat, wenn wir junge Leute adressieren wollen. Aber davon abzuleiten, dass immer alles aktiv sein muss, entspricht auch nicht der Realität.“4

Fazit: Die moderne Geschichte der Zukunft ist die Geschichte selbst

Das Thema digitales Storytelling und wie man ein ansprechendes Storytelling erstellt, ist ein spannendes Feld – sowohl für professionelle Teams mit großem Budget als auch für freie Journalisten und Blogger, die aktiv werden wollen. Sie alle haben eines gemeinsam: die Geschichte. Sie ist die Plattform, auf der stetig kreativ und experimentierfreudig gearbeitet wird.

Wer professionell arbeiten möchte, setzt sich mit den entsprechenden Tools für sein Projekt auseinander und eignet sich in verschiedenen technologischen Bereichen das nötige Know-how an. Dabei eröffnet sich nicht nur ein intensiver Lernprozess für jeden Einzelnen, sondern auch die Möglichkeit, den Konsumenten auf immer neuen Wegen zu erreichen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Portrait Melanie_QuaukeDie Autorin Melanie Quauke studierte Rechtswissenschaften an der Universität zu Köln. Danach lebte sie ein halbes Jahr in Peking. Nach der Tätigkeit als Beraterin reiste sie vier Monate durch Australien und verbrachte unter anderem Zeit in Norwegen und auf Kuba. Derzeit arbeitet sie an ihrem eigenen Blog-Projekt über Länder und Reiseziele. Seit Februar 2016 nimmt sie am Fernstudium Journalismus des Deutschen Journalistenkollegs teil.

 

  1. Simon Sturm: Digitales Storytelling. Eine Einführung in neue Formen des Qualitätsjournalismus, Springer VS, Wiesbaden 2013, Seite 23
  2. Giuseppe Christiano: The Storyboard Artist. A Guide to Freelancing in Film, TV, and Advertising, Michael Wiese Prodcutions, 2012, S. 22
  3. Benjamin Feld: Story Now – Ein Handbuch für digitales Erzählen, Mixtvision Verlag, 2016, S. 23
  4. Benjamin Feld: Story Now – Ein Handbuch für digitales Erzählen, S. 55

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