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E-Sport-Journalismus: Trendy – aber mit Defiziten

Rudolf Inderst sprach für den Fachjournalist mit der E-Sport-Expertin Nicole Lange über die Geschichte, die aktuellen Herausforderungen und die Potenziale der E-Sport-Berichterstattung. E-Sport gehört genauso wie etwa Green Gaming oder Mobile Gaming zu den zahlreichen Trends im Bereich der elektronischen Medien. Die Faszination gerade bei jungen Menschen zeigt sich in der hohen Anzahl von Besuchern der gamescom in Köln, der weltweit größten Messe für Computer- und Videospiele. E-Sport ist ein lukrativer Markt, der in nächster Zukunft rund 1,38 Milliarden US-Dollar generieren und 532 Millionen Zuschauer:innen weltweit ansprechen soll. Nicole Lange meint: Der Erfolg des Phänomens E-Sport bietet als thematisch-dynamischer Ankerpunkt für angehende und altgediente Journalist:innen gleichermaßen ein bisher eher zurückhaltend abgeschöpftes Reservoir an vielfältigen Themen an.

Aber welche journalistischen Herausforderungen und Berufsbilder bietet der E-Sport? Welches Handwerkszeug ist nötig, worin liegen die Schwierigkeiten und Besonderheiten der Branche und womit punkten angehende E-Sport-Journalist:innen in diesem Ressort?

Frau Lange, in welcher beruflichen Funktion sind Sie derzeit im Zusammenhang mit E-Sport unterwegs?

Ich bin Produktmanagerin für kicker E-Sport beim Olympia-Verlag.

Wie würden Sie ihren aktuellen Job-Alltag beschreiben? Gibt es dabei Schnittstellen zur journalistischen bzw. redaktionellen Arbeit?

Mein Alltag besteht vorwiegend aus konzeptioneller Planung und der Weiterentwicklung E-Sport-relevanter Inhalte – sowohl auf technischer als auch auf Themenebene. Ich beobachte Trends und verfolge, was sich so in der Szene tut, um daraus für uns passende Strategien zu entwickeln. Dafür bin ich auch im ständigen Austausch mit anderen Abteilungen beim Olympia-Verlag. Die Redaktion ist ein großer Teil davon, dazu kommt die Vermarktung – Kommunikation, Vertrieb und Marketing.

Besonders spannend sind Sie für uns als Gesprächspartnerin, da Sie sich nicht nur als Produktmanagerin mit dem Thema E-Sport befassen, sondern sich auch aus einer anderen Perspektive damit beschäftigt haben: Was haben Sie vorher gemacht?

Erst einmal vielen Dank! Ja, bevor ich als Produktmanagerin zum Olympia-Verlag kam, war ich sieben Jahre als E-Sport-Redakteurin unterwegs und davor seit 2004 in der Games-Branche als Journalistin.

Nun ist E-Sport nicht mit Gaming gleichzusetzen – worin bestehen in erster Linie die Unterschiede und wo sehen Sie die größten Überschneidungen?

Spaß am Spiel ist vermutlich die größte Überschneidung – und die Freude, etwas mit Hingabe zu tun. Ansonsten unterscheiden sich E-Sport und Gaming schon in der Definition. E-Sport, also elektronischer Sport, kann nicht von jedem durchgeführt werden. Der Prozentsatz derer, die diesem Beruf nachgehen und damit ihren Lebensunterhalt verdienen können, ist genauso gering wie der, ein Fußballstar zu werden. E-Sportler zocken nicht nur einfach als Hobby und aus Vergnügen, sie haben ein Ziel: eine Meisterschaft oder Ähnliches. E-Sportler trainieren täglich, um das Niveau zu halten, und müssen sich ebenso strengen Trainingsplänen unterwerfen wie Athleten aus anderen Sportarten. Es ist so, als würde man einen Freizeitradler mit einem Teilnehmer an der Tour de France vergleichen. Es gibt aber auch Breitensport-Angebote im E-Sport. Vereine, die das mit der gleichen Hingabe tun, nur nicht an der Spitze spielen können. Amateure wie Profis vereint dabei: Sie machen Sport.

Gibt es dabei auch Unterschiede in der Berichterstattung?

Die Berichterstattung im Gaming fokussiert sich oftmals auf ein Produkt, einen Patch oder auf das Testen von Spielen – aber es geht immer um das Produkt. Die Berichterstattung im E-Sport kommt der einer traditionellen Sportberichterstattung sehr nahe – zumindest so, wie wir sie bei kicker eSport verstehen und seit Tag eins umsetzen. Zwar sind auch bei uns die Spiele ein Teil der Berichterstattung – wenn es zum Beispiel eine wichtige Änderung im Gameplay gibt, die auch die E-Sport-Szene beeinflusst –, aber beim E-Sport stehen die Spieler und Teams im Mittelpunkt. Wenn wir über ein Turnier im virtuellen Fußball berichten, dann unterscheidet sich das in keiner Weise von anderen Berichterstattungen – außer vielleicht im Wording.

Als Expertin haben Sie in den vergangenen Jahren in verschiedenen Rollen über E-Sport berichtet und mit Persönlichkeiten wie Entscheider:innen im Markt zu tun gehabt. Hat sich die E-Sport-Berichterstattung in den letzten Jahren verändert?

Der Trend geht immer mehr zu Bewegtbild-Formaten und schnell konsumierbaren Inhalten. Aber auch Influencer:innen nehmen eine stärkere Rolle ein, was es für Berichterstattende nicht immer einfach macht. Informationen werden über gängige Plattformen von Privatpersonen nach außen getragen, ohne eine Gegenprüfung. Das macht den E-Sport-Journalismus teilweise sehr herausfordernd.

Welche Tätigkeitsbereiche für E-Sport-begeisterte Nachwuchsjournalisten oder Quereinsteiger sehen Sie in der aktuellen E-Sport-Berichterstattung?

Da gibt es viele. Von der Textarbeit über das Erstellen von Podcasts bis hin zu Videoredaktion und Social Media. Aber auch Bereiche wie Twitch sind für den Journalismus immer interessanter geworden. Wer sich in diesen Bereichen mit Sendeplanung auskennt oder sein Wissen erweitern will, kann auch schon punkten.

Gibt es für Sie eigentlich etwas, was spezifisch auf das Deutsche im Vergleich zum internationalen E-Sport-Umfeld zutrifft?

Der deutsche E-Sport hat sich, seine Ausrichtung und seine Ziele noch nicht definiert. Aus den USA kennen wir Mega-Events, die einfach eine gute Show und Entertainment bieten wollen. In Asien ist E-Sport sowieso nicht mehr als Sport wegzudenken. Europa versucht generell sehr streng, den Sportgedanken auszuüben, und in Deutschland steht man noch etwas ratlos vor dieser Aufgabe. Wie soll man E-Sport in Deutschland ausüben und leben? Das verbreitete Schubladendenken kommt mir dann immer in den Kopf – das unterscheidet uns vom Rest der Welt. Andere Länder haben den Umgang mit E-Sport in ihrer Kultur gefunden und verpacken ihn so, wie sie Sport generell einbinden. Deutschland sucht noch danach.

Wie spiegelt sich das in der Berichterstattung dann konkret wider?

Es wird versucht, den E-Sport in bereits vorhandene Muster zu pressen. Vor allen im Bewegtbild lässt man sich oftmals schwer vom Gewohnten abbringen – und das wirkt oft steif.

Entertainment und Journalismus lassen sich hierzulande nicht so leicht vereinbaren. Manche Formate können gute journalistische Arbeit mit Information und Entertainment verbinden. Aber im E-Sport hast du manchmal ungelenke Versuche von Leuten, die vielleicht noch nicht einmal wirklich für das Thema brennen. Aber irgendwann hat irgendwer einmal in einem Meeting erwähnt, dass er oder sie vor 25 Jahren eine Konsole hatte – und zack, diese Person darf sich dann um das Thema kümmern. Wie soll da eine authentische Verbundenheit und Vertrautheit gegenüber dem Medium entstehen? Oftmals geht man an der Zielgruppe vorbei und wundert sich: „Aber bei unseren anderen Formaten funktioniert das mit der Zielgruppe“ – das ist aber eben auch kein E-Sport.

Ob Moderation und Recherche oder Kamera, Ton und Schnitt: Sportjournalist:innen sind – gerade in kleineren Medienhäusern oder als Freie – oft beeindruckende Alleskönnende. Welche Anknüpfungspunkte sehen Sie hier am ehesten zum E-Sport?

Für mich muss nicht einmal eine Person ein „Alleskönner“ sein. Wenn sich jemand als Textredakteur:in oder Videojournalist:in sieht, würde mir das schon reichen.

Was müssen angehende E-Sportjournalist:innen mitbringen, um in dem Ressort zu punkten?

Im E-Sport-Journalismus herrscht ein großes Defizit. Viele sehen Influencer:innen oder Content Creator als die einzige journalistische Instanz im Gaming oder E-Sport. Aber auch in diesem Bereich braucht es Redakteur:innen – und ich glaube, dass dieser Berufszweig sehr lange in der Branche vernachlässigt wurde.

Viele wollen sich lieber vor die Kamera setzen und einfach streamen, was im ersten Moment vielleicht attraktiver wirkt; daran ist die Branche selbst auch mit Schuld. Aber Texte gut schreiben und formulieren zu können, ist im Journalismus ebenso wichtig. Von daher punkten interessierte Journalist:innen immer in erster Linie mit dem Willen, gute Storys zu recherchieren. Schreiben ist immer noch sehr wichtig bei der Produktion. Man sollte sich aber immer weiterentwickeln wollen, um schöne Inhalte zu produzieren. Deshalb ist die Beherrschung gewisser Medienformate sicher von Vorteil. Vor allem im E-Sport sind Streaming-Kenntnisse und die Produktion dieser Inhalte sehr gefragt.

Welche Ausbildung oder welchen Hintergrund braucht man als E-Sport-Journalist:in und wo gibt es Weiterbildungen?

Eine journalistische Ausbildung oder ein Journalistik-Studium sind sicher von Vorteil, um einzusteigen. Die Aus- und Weiterbildung speziell im E-Sport-Journalismus wurde dabei in den letzten Jahren aber vernachlässigt. In allen Bereichen fehlen momentan Nachwuchskräfte, wie Redakteur:innen, Cutter:innen, Videojournalist:innen. Texte wollen mittlerweile die Wenigsten schreiben, habe ich den Eindruck.

Hier muss die Branche mehr Möglichkeiten bieten. Es ist unheimlich schwierig, Ausbildungen in diesem Bereich zu finden. Es gibt ganz klar Nachholbedarf und eine Verantwortung, bessere Ausbildungswege zu schaffen.

Bisweilen wird dem E-Sport vorgeworfen, er sei ein so künstliches und durch reine wirtschaftliche Interesse getriebene Gebilde, dass sich nicht Sport-, sondern eher Wirtschafts- oder höchstens Kulturjournalist:innen kritisch mit ihm auseinandersetzen – sollten. Ist das nun reiner Feuilleton-Skeptizimus oder steckt da zumindest ein Körnchen Wahrheit drin?

Ich glaube, dass dieser Gefahr nicht nur der E-Sport ausgesetzt ist. Wirtschaftliche Interessen gibt es nicht nur in dieser Branche und natürlich gibt es auch Beispiele, denen man das vorhalten kann. Aber nur für Wirtschafts- oder Kulturjournalist:innen? Nein, kicker zeigt ganz klar, dass dem nicht so ist. Wir gehen den E-Sport mit der gleichen Ernsthaftigkeit an, wie wir es mit dem traditionellen Sport machen. Sportjournalismus in den E-Sport zu bringen war zum Start unser Anliegen – und das wird auch weiterhin unser Antrieb sein.

Das Gespräch führte Rudolf Inderst.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV)

Als E-Sport-Produktmanagerin seit 2021 bei kicker strebt Nicole Lange danach, den Journalismus rund um dieses Wachstumsfeld in Deutschland auf das nächste Level zu heben. Schon seit 2004 ist sie mit großer Leidenschaft in der Game-Branche aktiv, arbeitete unter anderem als Journalistin für Zeit Online, Riesenbuhei Entertainment und Gameswelt. Bis 2020 war sie als Redaktionsleitung für kicker eSport tätig. Neben den (E-)Sportspielen taucht die Hamburgerin privat auch gerne ins RPG- (Role-Playing Game) und Action-Adventure-Genre ab.

 

 

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