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„Es ist schwierig, angemessen bezahlte Jobs zu finden“

Christoph Biermann ist Reporter beim Fußballmagazin 11FREUNDE. Er arbeitet seit nunmehr 35 Jahren als Sportjournalist und kennt die Dos und Don´ts seines Ressorts aus dem Effeff. Was das Faszinierende am Fußball ist, wen er gerne noch einmal treffen würde und was er Nachwuchskräften rät, erzählt er im Interview mit dem Fachjournalist.

Haben Sie als Junge Ihre gesamte Freizeit auf dem Bolzplatz verbracht?

Ja, natürlich habe ich Fußball gespielt – allerdings ausgesprochen schlecht. Ich bin immer besser im Zuschauen gewesen. In mir steckt also kein verhinderter Profisportler.

Sie haben Germanistik und Geschichte studiert. Wie sind Sie zum Sportjournalismus gekommen?

Ich habe keine journalistische Ausbildung, sondern einfach gemacht: Bereits während des Studiums war ich freier Mitarbeiter für die Sportseite der taz, habe für diverse Printmedien vom Stern über das Zeit-Magazin bis zu einem Fußballmagazin namens Hattrick geschrieben, das es heute nicht mehr gibt. Ich habe Hörfunkfeature gemacht und fürs Fernsehen gearbeitet. Kurzum: Ich habe alles ausprobiert.

Spezialisiert haben Sie sich dann innerhalb des Sportressorts auf die Fußballberichterstattung. Was antworten Sie jemandem, der fragt: „Warum laufen 22 Menschen einem Ball hinterher und Millionen gucken zu?“

Fußball ist ein einfaches, gleichzeitig aber faszinierend komplexes Spiel. Was auf dem Platz passiert, hat zudem oft etwas Schicksalhaftes; denn der Zufall spielt eine relativ große Rolle. So schreibt jedes Spiel seine eigene Geschichte und jede Spielzeit ist wie eine Art von Serie, in der es ein Auf und Ab gibt, Rückschläge und Probleme.

Und die Fans fiebern mit …

Das ist der andere Aspekt, der Fußball von anderen Sportarten unterscheidet. Fußball hat im Leben der Fans eine Bedeutung, die weit über die 90 Minuten des Spiels hinausgeht. Fans eines Klubs bilden eine freiwillige Schicksalsgemeinschaft. Und dabei werden ganz häufig auch Fragen von lokaler, regionaler oder sozialer Identität verhandelt.

Seit 1985 berichten Sie über Fußball. Was reizt Sie an Ihrem Beruf?

Dass Fußball diese vielen Facetten hat! Da ist einerseits das Spiel selbst – und dann hat die ganze Welt damit zu tun. Anhand von Fußball werden – wenn auch nicht immer explizit – gesellschaftliche und politische Fragen diskutiert.

Als offensichtliches Beispiel können wir den Rassismus nehmen: Wie verhält sich das Publikum, wie stehen die Mannschaften dazu? Das wird ja auch im Fußball thematisiert. Das macht diesen Sport so interessant und auf eine Art unerschöpflich.

Wie sieht Ihr Arbeitsalltag aus?

Einerseits bin ich als Reporter bei 11FREUNDE ständig auf der Suche nach interessanten Geschichten oder Interviewpartnern. Vor anderthalb Jahren habe ich die Chefredaktion des Magazins verlassen und meine Stelle halbiert, um mehr Zeit für Buchprojekte zu haben. Im Moment etwa begleite ich den 1. FC Union Berlin durch seine erste Bundesligasaison, um darüber ein Buch zu schreiben, das im Herbst erscheinen wird.

Wenn Sie ein Interview führen möchten: Wie kommen Sie an die Fußball-Stars heran?

Ich habe über die Jahre viele persönliche Kontakte aufbauen können. Ansonsten gibt es im Fußball längst eine professionelle Struktur bei den Vereinen und Verbände, sodass Journalisten über Presseabteilungen Interviews anfragen können.

Da Sie schon so lange im Geschäft sind, werden Sie mit allen relevanten Persönlichkeiten schon einmal gesprochen haben. Gibt es dennoch einen Traum-Interviewpartner?

Nicht unbedingt, aber Franz Beckenbauer würde ich gerne befragen. Nicht nur, weil in der Affäre um die Vergabe der WM 2006 noch einige Fragen offen sind. Außerdem ist er ein gefallener Gott, einst einer der beliebtesten Deutschen, und lebt nun fast komplett zurückgezogen. Leider redet Beckenbauer nicht mehr mit Journalisten.

Heikle Themen im Fußball sind generell Doping oder Homosexualität. Wie sollte man als Sportjournalist damit umgehen?

Wie mit allen Themen, die zu dem Feld gehören, mit dem man sich beschäftigt: sich dafür interessieren.

Vermutlich gibt es einige schwule Fußballer, die sich nicht outen, weil sie nach wie vor Angst vor den Folgen haben. Ich glaube, dass es zunächst zwar einen riesigen Wirbel gäbe, aber sich das Ganze schnell beruhigen würde.

Was Doping betrifft: Ich glaube nicht, dass es im Fußball flächendeckendes Doping gibt. Aber es wird Fälle geben, allein, weil es so verführerisch ist, durch Doping die Erholungszeit zu verkürzen. Ich habe Doping in einem meiner Bücher ausführlich dokumentiert, von den 1950er-Jahren bis in die 2000er-Jahre, und ich war selbst überrascht, wie viele Fälle es gab.

Weniger heimlich werden erstaunlicherweise die horrenden Gehälter der Profi-Fußballer behandelt. Der SC-Freiburg-Stürmer Nils Petersen übte gerade Kritik daran und meinte, er würde auch für viel weniger Geld spielen. Wie beurteilen Sie die Gehälter?

Dass Fußballprofis zu viel Geld verdienen, ist ein Dauerthema, seit ich denken kann. Natürlich ist es zu viel, wenn man es mit normalen Berufen vergleicht. Auf der anderen Seite steckt im Fußball so viel Geld – und die Leute gehen ins Stadion oder schalten den Fernseher an, um die Spieler zu sehen. Insofern sind deren Gehälter angemessen.

Welche Eigenschaften zeichnen einen guten Sportjournalisten aus?

Diejenigen, die man immer braucht im Journalismus: Sachkenntnis, Neugierde, Interesse am Gegenstand und an den Leuten, mit denen man es zu tun hat. Nicht zuletzt Hartnäckigkeit und Ausdauer.

Sportjournalismus ist ein weites Feld. Zwischen Tour de France, Leichtathletik und Fußball liegen Welten. Sollte man sich möglichst rasch innerhalb des Ressorts spezialisieren? Oder ist es sinnig, mehrere Bereiche abzudecken?

Für mich war die Spezialisierung eine richtige Entscheidung. Ihr Vorteil ist, dass potenziellen Arbeitgebern oder Kunden klar ist, wofür man steht.

Was wäre in Ihrem Beruf ein Eigentor? Was ein Tor?

Leser von Sportberichterstattung, vor allem im Fußball, sind in der Regel sehr gut informiert und hassen Fehler. Name falsch geschrieben, Dreher in der Jahreszahl, das bekommt man sofort so richtig um die Ohren gehauen – und das ist auch okay so.

Ich bin auch der Ansicht, dass Kritik so präzise sein sollte, dass sie die Kritisierten trifft und nicht einfach polemisch abwatscht. Aber es gibt natürlich Fälle, in denen man ganz grundsätzlich unterschiedlicher Ansicht ist: Unser Magazin und auch ich persönlich sehen etwa RB Leipzig sehr kritisch. Der Verein wurde quasi gegründet, um Red Bull zu promoten. Das halten wir für falsch, weil es ein Bruch mit der Fußballkultur in unserem Land ist und den Wettbewerb verzerrt.

Dos sind für mich, wenn es gelingt, interessante Zusammenhänge herzustellen. Oder Türen zu Welten aufzuschließen, die normalerweise verschlossen sind, wo die Leser sonst nicht hinkommen würden.

Besonders wichtig finde ich, dass man sich damit auskennt, worüber man schreibt, um dem jeweiligen Gegenüber auf Augenhöhe begegnen zu können. Dafür muss man alles verfolgen, viel lesen, die Hintergründe kennen sowie das aktuelle Geschehen, wissen, wo die Diskussion gerade steht. Hoffentlich hat man viele Kontakte, überprüft dadurch immer wieder seine Meinung und kommt zu einer klaren Einschätzung.

Zu guter Letzt muss der Journalist es so aufschreiben, dass er dem Leser seine Erkenntnisse gut verständlich vermittelt und schlichtweg ein Leseerlebnis dabei herumkommt.

In Ihrem Buch „Matchplan – Die neue Fußballmatrix“ (der SPIEGEL-Bestseller erscheint im Mai bei Kiepenheuer & Witsch als Taschenbuch) schreiben Sie über die Auswirkungen der Digitalisierung auf den Fußball. Wie verändert die technologische Revolution den Sport?

Lange wurde die Digitalisierung des Fußballs nur behauptet, inzwischen ist sie Wirklichkeit geworden. Das Spiel wird heute sehr stark datenseitig erfasst; alles, was auf dem Platz geschieht, wird gezählt und gemessen. Wir können nun Glück und Pech im Fußball berechnen, die Leistung von Spielern besser bewerten – was interessant ist, wenn man vorhat, viel Geld auszugeben, um einen Spieler zu verpflichten – und messen, was wirklich zum Sieg führt. Ein Teil der Daten ist für jeden zugänglich und beeinflusst das Bild des Fußballs in der Öffentlichkeit.

Was bedeutet die Digitalisierung des Journalismus für Sie?

Ich bin in eine Arbeitswelt hineingeboren, in der man Dinge für eine gedruckte Seite geschrieben hat – ob für eine Zeitung oder ein Magazin. Das hat sich natürlich komplett geändert. In welcher Form etwas gelesen wird, was ich geschrieben habe – ob gedruckt, auf dem Tablet, auf dem Telefon oder wie auch immer –, ist mir letztlich egal. Ich bin aber insofern traditionalistisch, dass ich nach wie vor an gute Texte glaube.

Zu guter Letzt: Was empfehlen Sie Nachwuchs-Journalisten, die es in die Sportberichterstattung zieht?

Ich persönlich hatte das Glück, mich in einer Zeit für Fußballjournalismus zu entscheiden, die eine Blütezeit war, weil es so viele Möglichkeiten gab. Im Moment ist die Situation weniger erfreulich. Es ist schwierig, angemessen bezahlte Jobs zu finden.

Ich stelle mir schon die Frage, wie viele gute Jobs es im Sportjournalismus heute noch gibt, in denen die Leute auch Zeit haben, um rauszugehen und zu recherchieren, anstatt an einen Schreibtisch gekettet alles aus zweiter Hand zu verfolgen.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Fotocredit: Pablo Castagnola (Kiepenheuer&Witsch)

Christoph Biermann, geboren 1960, ist angestellter Reporter des Fußballmagazins 11FREUNDE (https://11freunde.de), dessen Chefredaktion er bis vor anderthalb Jahren angehörte. Von 1996 bis 1999 saß er in der Chefredaktion des Fußballmagazins Hattrick. Von 1999 bis 2006 war er Sportkorrespondent bei der Süddeutschen Zeitung. Danach wechselte er zum Nachrichtenmagazin Der Spiegel/Spiegel Online. Biermann gehört seit Jahren zu den profiliertesten Fußballjournalisten Deutschlands und hat zahlreiche Bücher zum Thema Fußball veröffentlicht. „Die Fußball-Matrix“ wurde 2011 zum „Fußballbuch des Jahres“ gewählt. 2013 erschien „Fast alles über 50 Jahre Bundesliga“, 2014 „Wenn wir vom Fußball träumen“, das ebenfalls „Fußballbuch des Jahres“ wurde.

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