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Fernab vom Starrummel, nah am Zeitgeist: die Berichterstattung über Filmfestivals

Seit der Digitalisierung der Filmproduktion und -distribution sind Filmfestivals international zum Wachstumsmarkt geworden. Wie man über sie berichtet, verrät der Beitrag von Dobrila Kontić.

Mit einer Art Frontbericht vom roten Teppich assoziiert manch einer die Berichterstattung über Filmfestivals. Bilder vom Fotografengetümmel, strahlenden Schauspielstars und den gewichtigen Auszeichnungen, die am Ende verliehen werden, tragen zu dieser Vorstellung bei. Doch fernab dieser Glamourparade nutzen Fachjournalisten Festivals, um neue Filme zu entdecken, über Trends und Innovationen am Filmmarkt zu informieren und zu erörtern, in welche Richtungen sich die Filmkultur aktuell entwickelt.

Gelegenheiten, um über Filmfestivals zu berichten, gibt es mittlerweile zuhauf: Das internationale Portal FilmFestivals.com enthält gegenwärtig Informationen zu 6.000 stattfindenden Festivals weltweit. Über 400 davon entfallen mittlerweile jährlich auf Deutschland, das quer durch die Republik eine beeindruckende Festivallandschaft zu bieten hat: Von den Nordischen Filmtagen im schleswig-holsteinischen Lübeck übers Ruhrgebiet, wo in Oberhausen das weltweit älteste Kurzfilmfestival stattfindet, bis nach München, das jeden Sommer zum zweitgrößten Filmfestival Deutschlands lädt. Das größte ist in der Hauptstadt beheimatet und weit über deutsche Grenzen hinaus bekannt: Die Internationalen Filmfestspiele Berlin, kurz: Berlinale.

Die Berlinale gehörte schon kurz nach ihrer Gründung 1951 zu den sogenannten A-Festivals mit internationalem Wettbewerb und ist gemeinsam mit den Filmfestspielen von Cannes und Venedig eines der „großen Drei“ von Weltrang. In diesem Jahr fanden sich hier über 3.700 Pressevertreter aus 79 Ländern ein, um über das Ereignis zu berichten. Zehn Tage lang dreht sich hier alles um den internationalen Film – eine Fokussierung, die Filmkritikerin Beatrice Behn, Chefredakteurin des Filmportals kino-zeit.de, an solchen A-Festivals schätzt: „Es ist ein Ort, an dem man sich sozusagen einigeln kann und der einem die Möglichkeit gibt, sich um nichts anderes zu kümmern als um diese Filme. Und genau diese Atmosphäre und die Geballtheit, das mag ich sehr.“

Vorrecherchen: erste Eindrücke für Redakteur und Leser

Auf solch eine Konzentration von Filmschaffen kann man sich als akkreditierter Fachjournalist ausgiebig vorbereiten, wie Barbara Schweizerhof, Redakteurin bei epd Film, erläutert: „Im Fall der großen Festivals wie Berlinale, Cannes und Venedig mache ich das schon recht aufwendig und zeitintensiv. Schon allein deshalb, weil ich auch Vorberichte schreibe. Ich gucke mir im Einzelnen an, wer der Regisseur ist, was der vorher gemacht hat, welche Filme ich noch gucken kann, um mich darauf vorzubereiten.“

Solche Vorabrecherchen sind dienlich, um sich schon mal einen ersten Eindruck zu verschaffen. Dieser wird dann auch an die Leser in Form der von Schweizerhof angesprochenen Vorberichte weitergegeben. Dabei werden vornehmlich die mit Spannung erwarteten Werke bereits bekannter Regisseure angekündigt, ein grober Handlungsanriss gegeben, Schauspielernamen genannt. Dies baut beim Leser ein Vorabbewusstsein für das Festival und die nachfolgend zu erwartende Berichterstattung auf. Zu den gezeigten Filmen selbst liegen in dieser Zeit meist noch keine Trailer oder Kritiken vor, da viele von ihnen auf dem Festival ihre Weltpremiere feiern. Man stützt sich also zunächst auf die Informationen, die dem Programm zu entnehmen sind oder die über den Festivalverteiler dargereicht wurden.

Programmplanung: Raum für Bekanntes und Neuentdeckungen

Parallel zu den Vorrecherchen haben Filmkritiker das eigene Programm als Vorbereitung auf das Festival zu planen. Ein schwieriges Unterfangen angesichts der Menge an gezeigten Filmen auf den A-Festivals: In diesem Jahr liefen beispielsweise auf der Berlinale insgesamt 365 Filme im öffentlichen Programm. Zwar hat man als akkreditierter Journalist Zugang zu allen Pressevorführungen, diese folgen aber mitunter sehr dicht aufeinander in unterschiedlichen Kinos oder überschneiden sich gar. Es gilt also, harte Entscheidungen zu treffen. Dabei haben die Filme Priorität, die von bekannten Regisseuren stammen und auch regulär in den deutschen Kinos anlaufen werden.

Für die Berichterstattung von internationalen Festivals hat dies zur Folge, dass die Mehrzahl der Medien die Nebensektionen zugunsten der Wettbewerbsfilme vernachlässigt. „Einfach, weil es das ist, was die meisten Kinofans, die nicht selbst ein Festival besuchen, am meisten interessiert. Die Entdeckungen, die man drumherum in den Nebensektionen machen kann, sind hingegen mehr was fürs Nischen- und Fachpublikum“, begründet das Barbara Schweizerhof.

Auch für ein an Arthouse-Filmen orientiertes Onlinemagazin wie kino-zeit.de ist es wichtig, die bekannteren Namen abzudecken. Sei dies erledigt, so Beatrice Behn, blieben noch 20 Prozent Freiraum für Filme, „die spannend klingen, die irgendwie anders sind. Und die holt man sich sozusagen extra rein.“

Wie sinnvoll es ist, solchen „kleineren“ Filmen Raum in der eigenen Programmplanung zu geben, zeigen einige Nachberichte zur diesjährigen Berlinale. So befanden etwa die Redakteure von Spiegel Online in ihrem Fazit, dass es in den Nebensektionen Forum, Perspektive Deutsches Kino und Generation die interessanteren Filme zu sehen gab. Zugleich zeigt dieser Beitrag, dass Sichtungen über mehrere Sektionen hinweg einer abgerundeten Nachberichterstattung zuträglich sind.

Vor Ort: die Rolle der Atmosphäre

Mit dem Festival beginnt für die akkreditierten Journalisten vor Ort eine arbeitsintensive Zeit: Bis zu fünf Filme pro Tag werden von einigen Filmkritikern auf der Berlinale gesichtet. Zusätzlich besuchen einige noch die Veranstaltungen des Rahmenprogramms, etwa die Gesprächsrunden mit Regisseuren und Schauspielern der Initiative Berlinale Talents, die sich an den Filmnachwuchs richtet. Doch trotz der partiellen Präsenz von Berühmtheiten spielt der von Boulevardmedien heraufbeschworene glamouröse Festivalflair bei der Kernarbeit der Filmsichtung keine Rolle, wie Beatrice Behn betont: „Der Flair ist im Kinosaal nicht da. Und das ist eben auch das Gute daran. Der Kinosaal ist in Berlin oder in Bottrop-Kirchhellen der Gleiche – man hat einfach einen dunklen Raum und kann sich voll drauf einlassen, was dort auf der Leinwand passiert.“

Dennoch ist die Rezeptionssituation auf einem Filmfestival eine besondere. Diese kann Barbara Schweizerhof zufolge bei der Berichterstattung nicht außen vor bleiben: „Es gehört dazu, ein bisschen die Atmosphäre mit aufzunehmen, also die Rezeption des Festivals selbst zu beschreiben und zu reflektieren.“ Eindrücke vom Festivalgewimmel vor Ort, Anekdoten und Beobachtungen zu Kuriosem wie Typischem fließen vor allem in Berichte und Kolumnen ein, die dem Leser das Erlebnis vor Ort vermitteln sollen. Beatrice Behn rät aber von überschwänglichen Schwärmereien ab: „Natürlich versucht man, irgendwie einzufangen, wie es sich vor Ort anfühlt. Dabei muss man aber aufpassen, dass man nicht klingt, als ob man total viel Spaß hat – und alle anderen, die nicht da sind, sind halt doof. Das kann sehr schnell zu Frustrationen beim Leser führen.“ Sie plädiert stattdessen dafür, die Eindrücke und Anekdoten kurz zu halten und dabei an die gesichteten Filme herum anzuknüpfen. Auf kino-zeit.de geschieht das etwa in Form von zusammenfassenden Berichten zum jeweiligen Festivaltag.

Nachberichterstattung: auf der Suche nach dem roten Faden

Mit dem Fortschreiten des Festivals versuchen die Berichterstatter, inhaltliche und ästhetische Parallelen zwischen den gesichteten Filmen auszumachen und dem eigenen Publikum aufzuzeigen. Spätestens in den Nachberichten und Resümees präsentieren sie schließlich ein Leitmotiv, das in einer Reihe der gesichteten Filme nach eigener Einschätzung vorgeherrscht habe. Die Suche nach solch einem roten Faden stellt sich quasi automatisch bei einer Sichtung von so vielen Filmen in kurzer Zeit ein, findet Beatrice Behn. Sofern man solche Beobachtungen von Zusammenhängen an tatsächliche Genretendenzen oder Entwicklungen am Filmmarkt kopple, sei das für die Festivalaufarbeitung durchaus konstruktiv.

Mit zunehmender Festivalerfahrung besteht bei solch einer Ausschau nach einem Motiv jedoch die Gefahr, in Routine zu verfallen. So stellt Barbara Schweizerhof, die seit nunmehr 17 Jahren über internationale A-Festivals berichtet, die „Mechanik“ fest, mit der alljährlich etwa die Genderdebatte aufgegriffen wird. Es sei eben einfach, die mangelnde Präsenz von Filmen weiblicher Filmschaffender festzustellen, ohne das Thema tatsächlich zu vertiefen.

Die eigentliche Herausforderung sieht Schweizerhof in einem weitschweifigeren Blick auf die präsentierten Themen: „Was Festivals so faszinierend macht, ist, dass man einen Überblick über das erhält, was Menschen und Künstler im Speziellen bewegt. Weil Film ja ein Produkt ist, an dem nicht nur ein Autor beteiligt ist, sondern in den immer ganz viele Gemüter und Denkweisen einfließen. Genau deshalb sind Filme eben auch so geeignet, einen Zeitgeist aus ihnen zu isolieren. Und genau solch eine Zeitgeistanalyse unterscheidet die Festivalberichterstattung nochmal von der Filmkritik.“

Ausblick: Nach dem Festival ist vor dem Festival

Wenn das Festival vorbei und die Nachberichterstattung abgeschlossen ist, können sich rege Festivalkorrespondenten getrost schon auf das Nächste vorbereiten. Denn seit der Digitalisierung der Filmproduktion und -distribution steigt weltweit die Anzahl an ausgerichteten Filmfestivals. So stellt Tanja C. Krainhöfer, Initiatorin der Studien zu Filmfestivals in Deutschland, in ihren seit 2012 durchgeführten Marktanalysen „eine kontinuierlich wachsende deutsche Filmfestivallandschaft“ fest, die inzwischen zu einem eigenen filmwirtschaftlich relevanten Markt geworden ist. Dementsprechend ist es umso wichtiger geworden, dem filminteressierten Publikum eine Orientierung durch diesen Wachstumsmarkt und das dort präsentierte Filmschaffen zu geben – mit einer ebenso fundierten wie aktuellen Berichterstattung.

Welchen neuen Herausforderungen und Trends die Filmfestivalkorrespondenten hierbei gegenüberstehen, erfahren Sie in Kürze in einem Fachjournalist-Podcast-Beitrag zum Thema.

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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