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Filmkritik zu „Schlagzeilen“: Jeden Tag am Nullpunkt

Ron Howards Film „Schlagzeilen“ (1994) hetzt durch den nervenaufreibenden Tag eines New Yorker Zeitungsjournalisten – und vermittelt die Höhen und Tiefen im Geschäft mit dem Tagesaktuellen. Eine Filmkritik von Dobrila Kontić.

Es ist ein in zweierlei Hinsicht böses Erwachen, das den Lokaljournalisten Henry Hackett (Michael Keaton) bei Anbruch dieses heißen Sommertages in New York ereilt: Seine hochschwangere Frau Martha (Marisa Tomei) hält ihm eine Standpauke, weil er erst um vier Uhr morgens von seiner Arbeit heimgekehrt und noch im Anzug ins Bett gefallen ist. Und dann stellt er mit Schrecken fest, dass das Titelblatt seiner Zeitung die Story des Tages verfehlt hat: Alle Konkurrenzblätter berichten über die Leichen zweier Geschäftsmänner, die in einem Auto im Stadtteil Williamsburg gefunden wurden. Ein Fehler, den Henry schleunigst wieder ausbügeln muss. Und der Start eines eintägigen Stressparcours, durch den wir mit der Hauptfigur Henry und einigen seiner kauzigen Redaktionskollegen hetzen werden.

Als Knotenpunkt der im Tagesverlauf ungeahnte Ausmaße annehmenden Hektik fungieren die Redaktionsräume der fiktiven New York Sun: ein Boulevardblatt, das einem im Tabloid-Format mittels großer Schrift- und obligatorischer Ausrufezeichen die reißerischen Neuigkeiten des Tages entgegen schreit. Angelehnt hat Regisseur Ron Howard dieses Blatt an die New York Post, die seit über 200 Jahren dieses Konzept verfolgt und seit zehn Jahren Verluste schreibt.

Wie krisenanfällig dieses Geschäft bereits vor der Digitalisierung war, zeigt sich in Howards Film in den Konflikten, die Henry mit Alicia Clark (Glenn Close) austrägt, der von der gesamten Redaktion leidenschaftlich gehassten Chefin vom Dienst. Henry will zur Gegenrecherche der Williamsburg-Story ansetzen. Diese wird inzwischen als rassistisch motivierte Tat, begangen von zwei minderjährigen schwarzen Jugendlichen, gehandelt. Doch Alicia geht es nur um ein Foto der beiden vermeintlichen Täter für die Titelseite, versehen mit dem reißerischen Ausruf „Gotcha!“ (in der deutschen Fassung: „Die waren es!“). Dies ist günstiger und schneller umzusetzen als die zeitaufwendige Hintergrundrecherche, die Henry vorschwebt.

Wenig Geld, wenig Zeit, wenig Integrität

Wie sich finanzieller Druck auf journalistische Integrität und Letztere wiederum auf das Privatleben auswirkt – das sind die zentralen Themen von Schlagzeilen. So muss sich der Chefredakteur der Sun, Bernie White (Robert Duvall), im Verlauf dieses Tages mit seinem gescheiterten Familienleben auseinandersetzen: Nach 36 Jahren, die er fast ausschließlich dem Zeitungsgewerbe gewidmet hat, wird bei ihm Prostatakrebs diagnostiziert. Zaghaft versucht der zweifach Geschiedene, Kontakt zu seiner erwachsenen Tochter aufzunehmen, die seit Jahren nicht mehr mit ihm spricht.

Ebenso wird auch der finanzielle Druck, unter dem die Sun steht, an einer Figur exemplifiziert: So leidet Alicia, die dem Blatt durch radikale Kürzungen und Entlassungen das Überleben gesichert hat, unter der Missbilligung ihrer Kolleginnen und Kollegen. Die fehlende Anerkennung sucht sie in einer außerehelichen Affäre und einem extravaganten Lebensstil, den sie sich als Journalistin keineswegs leisten kann. Einige Filmkritikerinnen haben dies als sexistische Figurenkonzeption kritisiert – was verständlich ist, wenn man Alicia wie eine Eiskönigin durch die Redaktion stolzieren sieht. Schlussendlich thematisiert aber Alicia selbst, wie sehr dieser Schein des Unnahbaren und Kalten trügt. Noch dazu wird diese Figur von Glenn Close verkörpert, die sich seit Gefährliche Liebschaften (1988) darauf versteht, scheinbar abstoßenden Frauenrollen empathische Tiefe zu verleihen.

Schließlich ist es aber vor allem Henry, der ohne Zwischenstopp durch den Teufelskreis aus privatem, journalistischem und finanziellem Druck jagt. Inmitten seiner trotzig durchgeführten Gegenrecherche muss er noch ein Bewerbungsgespräch für eine Verwaltungsstelle beim ehrwürdigen New York Sentinel (einem ebenfalls fiktiven New York Times-Verschnitt) einschieben. Zu diesem Termin hat ihn seine Frau gedrängt, da dieser Job mehr Geld und reguläre Arbeitszeiten verspricht und so besser zum bevorstehenden Familienleben passen dürfte.

Das Boulevardblatt als Underdog

Aber genau hier, in den gediegenen, in Edelholz und Leder gehüllten Redaktionsräumen des Sentinel, entdeckt Henry seinen Stolz als Sun-Journalist und der Film die Underdog-Qualität des fiktiven Boulevardblattes. Von der arroganten Herablassung des Sentinel-Chefredakteurs gegenüber dem Tabloid angespornt, setzt Henry alles in Bewegung, um nicht nur die aufsehenerregendste, sondern zudem die wahre Story im Williamsburg-Fall zu finden. Ron Howard schafft es, das schon bis hierher enorme Tempo des Films noch weiter voranzutreiben, uns die an Wahnsinn grenzende Anspannung in einem Newsroom kurz vor der Deadline zu vermitteln.

Dass sich am Ende von Schlagzeilen alles in letzter Minute bereinigt und das fiktive Boulevardblatt als Kämpfer für Gerechtigkeit und Wahrheit hervortut, wurde damals in einigen Besprechungen zu Recht kritisiert. Schließlich seien amerikanische Tabloids eher bekannt für ihre vorschnellen und falschen Urteile in rassistisch konnotierten Kriminalfällen wie dem dargestellten, meinte etwa Owen Gleiberman von Entertainment Weekly.

Dennoch muss man Schlagzeilen zugestehen, andere Aspekte des Zeitungsgewerbes realistisch dargestellt zu haben. Etwa das Rätsel, warum einige Zeitungsjournalisten einfach nicht von diesem unterbezahlten, enorm stressigen und das Privatleben permanent verschlingenden Beruf lassen können. Sun-Chefredakteur Bernie bringt es in völliger Erschöpfung auf den Punkt: „Ich mache das seit 36 Jahren. 36 Jahre – und du fängst jeden Tag wieder bei null an!“ Was aber wie die Klage über eine Sisyphusaufgabe klingt, ist zugleich die treffende Beschreibung dessen, was für viele den Reiz am Beruf des Zeitungsjournalisten ausmacht: Er ist tagaus, tagein eine Herausforderung – ungeachtet der Erfolge oder Pleiten vorm Vortag.

Schlagzeilen

(Originaltitel: The Paper)

USA 1994. 112 Min.

Regie: Ron Howard

Drehbuch: David Koepp, Stephen Koepp

Kamera: John Seale

Besetzung: Michael Keaton, Robert Duvall, Glenn Close u. a.

 

Titelillustration: Esther Schaarhüls

Das Magazin Fachjournalist ist eine Publikation des Deutschen Fachjournalisten-Verbands (DFJV).

Dobrila_KonticDobrila Kontić, M.A., studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaften, Englische Philologie und Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin und Journalismus am Deutschen Journalistenkolleg (DJK). Sie betreibt das Onlinemagazin culturshock.de.

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